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BERICHT/026: Bitte recht freundlich, Sie werden überwacht! (research*eu)


research*eu - Nr. 60, Juni 2009
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Bitte recht freundlich, Sie werden überwacht!

Von Marie-Françoise Lefèvre


Mit dem Thema Sicherheit, das gerade äußerst aktuell ist, sind die Wissenschaften und ihre Anwendungen stark gefordert. Jede neue Vorrichtung, die auf den Markt kommt, strotzt nur so vor technologischen Innovationen: Mikrochips, Bewegungssensoren, biometrische Erkennung. Die Liste ist lang. Aber wie funktionieren denn nun diese Geräte und Vorrichtungen, die uns auf Schritt und Tritt überwachen können?


Allein 2007 wurden weltweit rund 1,7 Milliarden RFID-Chips - Radio Frequency Identification Device - verkauft und der Sektor konnte in drei Jahren einen Zuwachs von 330% verbuchen. Dieses elektronische Etikett ist so konzipiert, dass es jeder Sende-Empfangs-Station, die es aktiviert, über eine Funkfrequenz alle gespeicherten Daten übermittelt. Der Silizium-Chip ist zusammen mit einer spiralförmig angeordneten Antenne in eine selbstklebende Trägerfolie integriert und das Ganze ist nicht einmal einen Millimeter dick. Klein genug also, um unauffällig in Verpackungen und Ausweisdokumenten platziert, in Kleidungsstücken versteckt oder sogar unter der Haut eingepflanzt zu werden.

Der RFID-Chip funktioniert autonom und erhält die benötigte Energie normalerweise über die vom Sende-Empfangs-Gerät ausgestrahlten Wellen, welche die auf dem Chip befindlichen Daten abrufen. Seine Möglichkeiten sind abhängig von den für seine Funktion eingesetzten Frequenzen. Werden diese erhöht, lassen sich mehr Daten übertragen. Zwischen 125 und 135 kHz enthält der Chip lediglich einen einfachen Code, der zum Verfolgen von Lebensmitteln, Identifizieren von Tieren oder als elektronischer Schlüssel für schlosslose Systeme dient, wobei der Erkennungsradius 150 cm beträgt. Bei höheren Frequenzen von rund 13.56 MHz können auch biometrische Daten gespeichert werden, damit eine doppelte Prüfung ermöglicht wird. Dieser RFID-Typ wird bei Zugangsausweisen für sensible Bereiche eingesetzt. Ultrahochfrequente RFID - bis zu 3 GHz - schließlich haben eine Reichweite von mehreren Dutzend bis Hunderten von Metern, sodass der Standort der damit ausgestatteten Produkte oder Personen ermittelt bzw. deren Bewegungen verfolgt werden können. Hier ist es jedoch schwieriger, die Energieautonomie zu gewährleisten.


Who's who?

Für die Identifikation kann das Gerät selbstverständlich nur dann effizient sein, wenn es untrennbar mit seinem zu authentifizierenden Träger - Objekt, Tier oder Person - verbunden ist. Darauf wies bereits der 2007 von der europäischen Gruppe CERP - Cluster of European Research Projects - veröffentlichte Bericht hin. Die Gruppe befasst sich mit der Suche nach möglichen Anwendungen von RFID-Chips. Wie Jean-Marie Willigens, Co-Autor des Berichts und Vertreter der Lufthansa, bei der Veröffentlichung des Berichts erläuterte, ist es schwierig, eine Person zuverlässig mit einem RFID-Chip zu identifizieren. "Wir hatten bereits überlegt, die Flugtickets mit einem RFID-Chip auszustatten, der die Passagierdaten enthält. Aber da unter Umständen ein Ersatzticket ausgestellt werden muss, war diese Technik eindeutig unvorteilhafter als die biometrische Analyse. Wenn jedoch Gepäckstücke damit ausgestattet werden, hätten die Fluggesellschaften ein effizientes Hilfsmittel, um festzustellen, ob die eingeladenen Gepäckstücke jeweils einem ordnungsgemäß eingebuchten Passagier zuzuordnen sind. Diese Verfahrensweise wird sicherlich irgendwann eingeführt, jedoch erst in ferner Zukunft. Denn bei bestimmten Flughäfen haben sich die Systeme zum Lesen der Aufklebe-Strichcodes noch nicht amortisiert."

Um Personen zu identifizieren, muss der Chip direkt in die Person implantiert werden, wie dies bei Tieren bereits der Fall ist. "Man kann sich in die Zukunft versetzen und vorhersagen, dass alle Neugeborenen gleich nach der Geburt mit einem Chip ausgestattet werden", fährt Jean-Marie Willigens fort. Aber hätten die europäischen Bürger dann auch die Sicherheit in ihrer Haut? Das kann man bezweifeln. Bis heute akzeptieren nur die Mitglieder von einigen angesagten Nachtclubs, sich auf diese Weise wie Vieh kennzeichnen zu lassen, damit das Bezahlen der Drinks an der Bar schneller geht.


Optischer "Schnüffler"

Aber die Motivation für umfangreiche Sicherheitsinvestitionen in Europa liegt eher im allgemeinen Schutz vor terroristischen Bedrohungen als im Wunsch, jedes Individuum verfolgen zu können. Derzeit werden mehr als 60% der terroristischen Angriffe mit improvisierten Sprengkörpern durchgeführt. Was kann man also tun, wenn man ein liegen gebliebenes Paket vor sich hat, dessen Inhalt man nicht kennt?

Das über das 7. Rahmenprogramm finanzierte Projekt Optix soll ein Gerät entwickeln, das den Ordnungskräften eine konkrete Antwort zum Explosionsrisiko liefert. Carlos de Miguel, Projektleiter in der Abteilung für Sicherheitssysteme bei Indra (ES) und Koordinator des Projekts, erklärt die technischen Anforderungen an ein solches Gerät: "Das System muss kompakt und transportabel sein und auf 20 m Entfernung erkennen können, ob ein Behälter Sprengstoff enthält und wenn ja, soll es diesen präzise identifizieren können. Dieses Kunststück wird dank der sich ergänzenden Eigenschaften von drei optischen Technologien möglich werden: LIBS - Laser Induced Breakdown Spectroscopy -, Raman und Infrarotabsorption. Diese drei spektroskopischen Verfahren sind ähnlich genug, um in nur eine Plattform integriert werden zu können, die mit einem Datenerfassungs- und Datenverarbeitungssystem ausgestattet ist."

Das Prinzip der Spektroskopie ist einfach: Ein Lichtstrahl mit bekannter Wellenlänge wird durch die zu analysierende Probe geschickt. Der Strahl wird je nach der durchdrungenen molekularen Zusammensetzung verändert, was einen wahren Spektralfingerabdruck der Zielsubstanz liefert. Mit einer Strahlenquelle von 1064 nm(1) erregt der vom LIBS abgegebene Laserimpuls Atome, die wiederum Photonen mit einer charakteristischen Energie emittieren. Anhand der Diffusion der abgegebenen Photonen - 266 nm - ermöglicht der Raman Rückschlüsse auf die Vibrationsmodi der Moleküle des Stoffes. Die Infrarotabsorption - 1064 nm - gibt schließlich Auskunft über andere grundlegende Vibrationen, deren Frequenzen von der Art der Atom- und Molekülverbindungen abhängig sind.

"Diese Verfahren ermöglichen eine effiziente Identifikation, ganz gleich, ob der Stoff fest, flüssig oder gasförmig ist", präzisiert Carlos de Miguel. "Dank technischer Verbesserungen, an denen wir derzeit arbeiten, wird der Prototyp, dessen Entscheidungssystem völlig automatisch funktionieren wird, dem Bediener eine klare Auskunft über die Gefährlichkeit des Produkts liefern. Bis das Projekt 2012 ausläuft, werden noch Tests in Zusammenarbeit mit der spanischen Guardia Civil ausgeführt, die realistische Versuchsszenarien entwickelt."


Big(ger) Brother

Eine weitere Neuheit ist die - diskrete - Arbeit von Forschern im Rahmen eines europäischen Projekts namens Probant an einem Prototyp, der durch die Emission von Wellen(2) Bewegungen einer verdächtigen Person in einem angrenzenden Raum sichtbar machen kann. Anhand von biometrischen Fernmessungen ließe sich sogar ermitteln, wie nervös die Person ist.

Auch im Bereich des Küstenschutzes wird gearbeitet. Bei den terroristischen Angriffen im November des letzten Jahres in Bombay. Indien, könnte es sein, dass die Angreifer in Fischerbooten versteckt angekommen sind. Um derartige Probleme zu verhindern, aber vor allem die illegale Einwanderung, wurde das Projekt Amass - Autonomous Maritime Surveillance System - ins Leben gerufen. "Die Meere sind einfach zu weit, als dass sie nur von der Küstenwache kontrolliert werden könnten", erklärt Thomas Anderson, Koordinator des Projekts bei Carl Zeiss Optronics (DE). "Wir entwickeln ein System, mit dem kleine und mittlere Schiffe entdeckt und die zuständigen Behörden über illegale Aktivitäten in küstennahen Gewässern informiert werden können."

Dafür wird das Meer von technisch und energetisch autonomen Plattformen markiert, die sich rund 20 km vor der Küste befinden. Sie haben in 6 m Höhe Kameras an Bord, die Tag und Nacht in 360°-Rundumsicht jegliche Bewegung erfassen können. 25 m unter dem Meeresspiegel zeichnen Unterwassermikrofone alle Laute auf und vergleichen sie permanent mit einer Datenbank, die sämtliche verdächtigen Frequenzen enthält. Falls ein Geräusch erkannt wird, sendet das System per Funk ein Signal an die Steuerzentrale auf dem Festland. Mithilfe der Dreiecknavigation kann der betreffende Bereich anhand der erfassten Daten präzise ermittelt und eventuell eine Patrouille entsandt werden.

"Die Überwachungsplattformen können bei jedem Wetter und rund um die Uhr betrieben werden", präzisiert Thomas Anderson. "Amass wird den Küstenbehörden auch helfen, ihre eigenen Mitarbeiter zu schützen und die Leben Hunderter Menschen zu retten, die auf abenteuerlichen Booten ihr Glück versuchen wollen."


Anmerkungen
(1) nm = Nanometer, d. h. 10-9 Meter.
(2) Siehe auch "Pädagogische Ecke". Seite 42.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Videoüberwachung der Plaza Major in Madrid, Verschiedene Kameras liefern den Wachleuten mehrere 3D-Bilder gleichzeitig, sodass diese notfalls die Einsatzkräfte (Polizei, Feuerwehr, Notarzt) rufen können.


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Quelle:
research*eu - Nr. 60, Juni 2009, Seite 10-11
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2009