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FORSCHUNG/319: Die Wasserstoffrevolution (FTE info)


FTE info - Sonderausgabe EIROforum - Juni 2007
Magazin über europäische Forschung

Die Wasserstoffrevolution

Europas nächstes Großprojekt


In einem Interview mit dem FTE Info Magazin stellt Jeremy Rifkin seine Vorstellung von einer Wasserstoffwirtschaft und einer dritten industriellen Revolution vor. Rifkin glaubt, dass die Abmilderung der Auswirkungen der Erderwärmung bei gleichzeitigem Rückzug Europas aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu den größten Aufgaben gehört, vor denen die EU in den kommenden 50 Jahren und darüber hinaus stehen wird. Er stellt eine Vision vor, in der Strom auf der Basis von Wasserstoff mithilfe erneuerbarer Technologien hergestellt und gespeichert, verteilt und gemeinsam genutzt werden soll. Diese neue "Ordnung der Wasserstoffenergie" werde geopolitische Folgen haben, sich auf den Wohlstand der Nationen und auf die Gesellschaft insgesamt auswirken. Rifkin glaubt, dass die Schaffung einer Wasserstoffwirtschaft und die Einleitung der dritten Industriellen Revolution das nächste europäische Integrationsprojekt sein sollte und erklärt, weshalb dies der Schwerpunkt des Siebten Rahmenprogramms (RP7) und anderer Forschungsprogramme sein sollte.


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FTE INFO: Wo sollten ihrer Meinung nach die Forschungsprioritäten des Siebten Rahmenprogramms liegen?

JEREMY RIFKIN: Wir sind an einem kritischen Punkt der Weltgeschichte angelangt. Als Spezies stehen wir jetzt vor dem größten Problem aller Zeiten und das ist der Klimawandel. Unter dem Strich sieht das folgendermaßen aus: In der Wissenschaftsgemeinschaft ist man sich jetzt zu mehr als 90% sicher, dass der durch den Menschen verursachte Klimawandel dramatische Auswirkungen auf die Erde hat, und die Zukunftsszenarien geben eine düstere Vorahnung. Heutige Modelle führen uns zu den auf diesem Planeten vor 3 Millionen Jahren herrschenden Temperaturen zurück, in das Zeitalter des Pliozäns. Eine andere Flora, eine andere Fauna, eine andere Erde. Ich glaube nicht, dass wir die Ausmaße dieses Klimawandels und seine Folgen auf die Ökosysteme, auf Lebensmodelle und auf die Anpassungsfähigkeit unserer Spezies überhaupt erfassen können.

Wir befinden uns an einem Wendepunkt, nicht nur wegen des Klimawandels, sondern auch, weil wir jetzt erst anfangen zu verstehen, dass das Ende der fossilen Brennstoffe und des Atomzeitalters gekommen ist. Experten sind sich einig, dass irgendwann in den nächsten 30 Jahren die Hälfte aller Erdölvorkommen aufgebraucht sein wird. Dann ist dieses Zeitalter vorbei, weil nämlich Ölpreise ins Unermessliche gestiegen sein werden.

Dazu kommt eine immer größere politische Instabilität in den Öl produzie renden Ländern, vor allem am Persischen Golf. Damit wird die ganze Energiefrage, also der Erdölverbrauch, zu einem Problem, das sich von Woche zu Woche und selbst von Tag zu Tag zuspitzen wird.

Da wir uns auf den Höhepunkt der Energieproduktion durch Erdöl zubewegen, und wir den Klimawandel tatsächlich in einer Größenordnung erleben, der über die bisherigen Erfahrungen der Menschheit hinausgeht, sage ich, dass die wichtigste Mission der Zivilisation in den kommenden 25 bis 50 Jahren die Entwicklung einer Strategie ist, um von fossilen Brennstoffen und Uran wegzukommen, sowie der Entwurf einer neuen Infrastruktur für das kohlenstofffreie Zeitalter. Hier geht es jetzt um unser Überleben, um das des Planeten, so wie wir ihn kennen und um unsere Zivilisation. Das ist nicht wenig. Somit müssen alle anderen Forschungsprioritäten zur technologischen Entwicklung hierzu beitragen. Tun sie es aber nicht, so sind sie zweitrangig.

FTE INFO: Wie sehen Sie unseren Ausstieg aus der Verwendung fossiler und atomarer Brennstoffe und wie würde eine neue Infrastruktur im kohlenstofffreien Zeitalter aussehen?

JEREMY RIFKIN: Zu dieser Frage würde ich gern etwas ausholen. Ich habe in The Hydrogen Economy gesagt, dass große ökonomische Revolutionen dann in der Menschheitsgeschichte auftreten, wenn zwei Bedingungen vorliegen. Erstens, wenn wir Menschen unsere Energieordnung verändern, damit meine ich, wie wir die Energie des Planeten organisieren. Und zweitens, wenn wir unsere Kommunikationsweisen verändern, um unsere neuen Energieordnungen zu organisieren. Dreh- und Angelpunkte in der Menschheitsgeschichte sind Momente, in denen neue Energie- und Kommunikationsordnungen zusammenlaufen. Sie verändern den Lauf der Geschichte für immer.

Ich sage das, weil wir in den vergangenen 15 Jahren mit dem PC, dem Internet, Satelliten und WiFi-Kommunikation eine sehr mächtige Revolution im Kommunikationsbereich hatten. Heute können mindesten 20% der Menschheit Informationen produzieren und in Sekundenbruchteilen miteinander austauschen. Das ist eine beispiellose Kommunikationsrevolution, die breit, offen und dezentral ist. Ich weise die Regierungschefs und 'Fortune 500'-Unternehmen bei meinen Beratungen darauf hin, dass diese Kommunikationsrevolution eine tiefer gehende Aufgabe hat, ein zweites Kapitel. Es ist der Steuer- und Kontrollmechanismus für eine neue Energieordnung und eine dritte industrielle Revolution, eine Wende zum Wasserstoff im kohlenstofffreien Zeitalter.

FTE INFO: Wie würde das funktionieren?

JEREMY RIFKIN: Wie die dezentralisierte Kommunikationsrevolution zum Steuerungs- und Kontrollmechanismus einer Energie-Ära wird, geht folgendermaßen. Stellen wir uns Millionen und Abermillionen von Wasserstoff-Brennstoffzellen in 25-30 Jahren vor. Es sind tragbare Brennstoffzellen, die den Strom für den Laptop, das Handy oder den MP3-Player liefern. Sieben japanische Firmen werden solche in diesem Jahr auf den Markt bringen. Dann gibt es auch noch stationäre Brennstoffzellen. In jedem Haushalt, Büro, in jedem Industriepark und jeder Industrieregion gibt es Wasserstoff-Brennstoffzellen, in denen erneuerbare Energie gespeichert wird.

Wir verwenden Sonne, Erdwärme, Wasser und Wellen, um Elektrizität zu generieren. Dann verwenden wir etwas von der überschüssigen Energie, um Wasser durch Elektrolyse in seine Bestandteile zu spalten und dann den Wasserstoff zur Speicherung, für das Stromnetz und für den Verkehr einzufangen. Aus Biomasse - landwirtschaftlichen Abfällen und Forstabfällen, Gemeindeabfall und ähnlichem - können wir Wasserstoff direkt gewinnen.

In diese Richtung müssen wir unsere FuE orientieren. Es wird immer noch eine Herausforderung sein, es ist keine Zauberei. Aber nur so können wir von den alten Brennstoffen wegkommen.

FTE INFO: Warum Wasserstoff?

JEREMY RIFKIN: Viele haben uns gefragt, weshalb wir Wasserstoff bräuchten? Warum nicht einfach nur erneuerbare Energie? Das Eine geht nicht ohne das Andere, da erneuerbare Energie nicht kontinuierlich vorhanden ist, mit Ausnahme von Biomasse. Die Sonne scheint nicht immer, der Wind weht nicht immer. Für hydroelektrische Energie könnten die Wasserstände nicht ausreichen. Wasserstoff ist eine Form, um erneuerbare Energie zu speichern, sodass sie verfügbar und für das Stromnetz und den Verkehr planbar ist. Aus Biomasse kann man Energie direkt gewinnen, aber man braucht trotzdem einen universellen Träger und das ist der Wasserstoff.

Wasserstoff ist der Stoff des Universums und bei seiner Verbrennung entstehen als einzige Nebenprodukte reines Wasser und Wärme. So kommen wir aus dem Kohlenstoffkreislauf heraus, was bei der Bekämpfung des Klimawandels sehr wichtig ist.

FTE INFO: Gibt es keine Alternativen zu erneuerbaren Energien?

JEREMY RIFKIN: Man kann Wasserstoff aus Kohle, Erdöl oder Erdgas gewinnen. Das Problem dabei ist, dass es sich immer wieder um fossile Brennstoffe handelt. Erdgas eignet sich für den Übergang, da es etwas besser verbrennt als Öl. Aber es reicht auch nur für ein paar Jahre, da es im Hinblick auf das globale Produktionsmaximum derselben Glockenkurve folgt wie Erdöl. Man kann Kohle verwenden. Die Kohleindustrie spricht nun von "sauberer Kohle" und sagt: "Wir werden eine ganz neue Generation von Kohlekraftwerken entwickeln. Geben Sie uns genügend Zeit und Geld und wir überlegen uns dann, wie wir das CO2 abscheiden und im Untergrund oder unter dem Ozean lagern werden." Das Problem dabei ist, dass es für andere Wissenschaftler bislang keinerlei Indizien dafür gibt, dass dies, wenn überhaupt, vor Mitte 2020 oder Mitte 2030 wirtschaftlich machbar ist. Außerdem würde es erst in der Mitte des Jahrhunderts zu einer spürbaren CO2-Reduzierung führen, so die Internationale Energiebehörde IEA. Und dann weiß man immer noch nicht, ob man das CO2 unter dem Boden oder unter den Ozeanen auf ewig leckfrei halten kann.

Die Atomindustrie sagt: "Warum gewinnen wir Wasserstoff nicht durch Wasserelektrolyse mit Atomstrom?" Hier ist der Kostenfaktor das Problem. Atomkraftwerke sind im Vergleich zu anderen Energieformen, aus denen man Strom gewinnen kann, viel zu teuer. Außerdem werden wir nach Ansicht der Internationalen Atomenergieorganisation zwischen 2025 und 2035 auch vor einem Uranmangel stehen. Warum sollen wir Atomkraftwerke mit einem Milliardenaufwand bauen, um dann vor einem Uranmangel zu stehen? Nebenbei bemerkt, nutzen wir diese Technologie bereits seit 60 Jahren und wir wissen immer noch nicht, wie wir nuklearen Abfall transportieren und lagern sollen. Und schließlich ist auch noch zu sagen, dass wir in der Ära des Terrorismus sicherlich nicht Hunderte oder Tausende Atomkraftwerke auf der ganzen Welt haben wollen. Ich würde das als 'Horrorszenarium' bezeichnen.

Schließlich sind die alten Technologien, fossile Brennstoffe und Uran, das, was ich als Elitetechnologien bezeichnen würde. Es sind stark zentralisierte Energiekonzepte des 19. und 20. Jahrhunderts. Kohle, Öl, Erdgas und Uran sind nur in bestimmten Regionen zu finden, in gewissen Taschen. Sie sind nicht gleichmäßig über den Planeten verteilt. Ein riesiger militärischer Aufwand ist erforderlich, um diese zu sichern und ein hoher Kapitalaufwand, um diese zu fördern und zu verarbeiten. So stehen wir am Schluss vor einer Welt, in der Energie ungleichmäßig verteilt ist.

FTE INFO: Wie fügt sich das in die Kommunikationsrevolution ein?

JEREMY RIFKIN: Wir werden dieselbe Architektur, genau dieselbe Software und Hardware einsetzen, die wir in Silicon Valley entwickelt haben. Mit dieser Technologie werden wir in 20 Jahren das Stromnetz der EU und der ganzen Welt neu konfigurieren, sodass die Stromnetze intelligent und dezentralisiert sind sowie nach Open-Source-Grundsätzen funktionieren. Hier haben wir also die interessante Verknüpfung zwischen Kommunikations- und Energierevolution. Eine mit Wasserstoff betriebene Brennstoffzelle, die erneuerbare Energie speichert ähnelt einem PC. Wenn man einen PC bekommt, generiert man seine eigenen Informationen. Aber man kann diese als Erzeuger an Milliarden Menschen in 3 Sekunden verbreiten. Stellen Sie sich nun Millionen Brennstoffzellen in 30 Jahren ab heute vor und führen Sie sich vor Augen, dass wir von praktisch Null Computern vor 30 Jahren heute bei Millionen angelangt sind. Was hält uns davon ab, dasselbe mit Wasserstoff-Brennstoffzellen zu machen?

FTE INFO: Das wäre wie eine persönliche Energiequelle?

JEREMY RIFKIN: Ganz genau. Sie und ich, wir fangen lokal erneuerbare Energie ein. Damit produzieren wir Strom und benutzen diesen. Wir speichern etwas von unserem Überschuss in Form von Wasserstoff für die spätere Rückführung in Strom oder für die direkte Verwendung im Verkehr. Was von unserem Überschuss übrig bleibt, schicken wir zurück ins Stromnetz oder teilen ihn mit anderen. Wir können Energie genauso einfach und transparent weitergeben wie Informationen im Internet. Jeder von uns wird zum eigenen Stromversorger.

FTE INFO: Welche Folgen hätte eine solche Veränderung?

JEREMY RIFKIN: Die Überschneidung der Revolution der dezentralisierten Kommunikation mit der Bewältigung und der Kontrolle der dezentralisierten Energieerzeugung Wasserstoff durch Speicherung erneuerbarer Energie: das ist die dritte industrielle Revolution. Und die Folgen für das 21. Jahrhundert sollten genauso groß sein wie für das 19. Jahrhundert, als Kohle, Dampfmaschine und Eisenbahn und die Presse zeitgleich in Erscheinung traten. Oder für das 20. Jahrhundert durch das zeitliche Zusammenfallen von Erdöl, Verbrennungsmotor und Autos mit Strom, der Telegrafie und dem Telefon. Der Multiplikatoreffekt sollte mindestens ein Jahrhundert andauern. Dadurch würden Millionen Arbeitsplätze geschaffen. Und es würde uns zu einer nachhaltigen Energieordnung im kohlestofffreien und nachnuklearen Zeitalter führen, die verteilt und dezentralisiert ist und die Menschen mit Strom versorgt.

FTE INFO: Die Wasserstoffwirtschaft und die dritte industrielle Revolution hören sich eher wie eine großartige Vision für Europa an und nicht so sehr wie Forschungsprioritäten.

JEREMY RIFKIN: Ich denke für Europa ist das der Schlüssel für den nächsten Schritt bei der europäischen Integration. Energie war die treibende Kraft beim Aufbau der Europäischen Union: erst als Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl und dann als Europäische Atomgemeinschaft, Euratom.

Ich habe Folgendes zu José Manuel Barroso, Andris Piebalgs, Nellie Kroes, Angela Merkel und Anderen gesagt: "Sehen Sie, dies ist eine Gelegenheit ein neues integriertes Programm für das nächste Großprojekt für Europa zu schaffen."

Die Ziele der Agenda von Lissabon erreicht man, indem man eine reibungslos funktionierende Infrastruktur schafft: integrierte Verkehrs-, Kommunikations- und Stromnetze in allen 27 Ländern, mit erneuerbarer Energie, die als Wasserstoff gespeichert wird. Mit einer solchen Infrastruktur kann man leicht in allen 27 Staaten Handel und Gewerbe treiben, und dabei steht ein Markt mit 500 Millionen Menschen, der größte Binnenmarkt der Welt, zur Verfügung.

FTE INFO: Wie soll sich dies in konkreten Forschungsprioritäten widerspiegeln?

JEREMY RIFKIN: Mit unserer FuE sollten verschiedene Technologieformen zusammengeführt werden. Das betrifft Software, Telekommunikation, die chemische Industrie, Ingenieurwesen, Energie, Strom und Versorgungsunternehmen. Es geht darum, die gesamte Infrastruktur neu zu überdenken, also wie wir Energie erzeugen und diese verteilen.

FTE INFO: Inwieweit sollte Ihrer Ansicht nach dies zentral gesteuert werden oder sollte man es einfach auf sich zukommen lassen?

JEREMY RIFKIN: Es ist eine Kombination. In vielen Regionen Europas hat man bereits mit den ersten Arbeiten begonnen, mit denen die Grundlagen für das, was ich hier erläutere, gelegt werden. Also von unten nach oben. Andererseits wird auch eine Koordination auf einzelstaatlicher und auf EU-Ebene notwendig sein. Eine Aufgabe von dieser Größenordnung, bei der wir die gesamte Energieordnung der EU und der Welt in 25 Jahren verändern müssen, kann nur mithilfe des vollen Einsatzes der Regierungen auf allen Ebenen bewältigt werden. Gleichzeitig müssen sich aber auch die Geschäftswelt, von KMU bis zu globalen Unternehmen, und die Zivilgesellschaft voll engagieren.

Wir brauchen eine Generation politischer Führer, die sagt: "Fragt nicht, was Europa für euch tun kann, aber was ihr für Europa tun könnt", und die eine jüngere Generation dazu auffordert, sich bereits in der Schule, an der Universität und in den Forschungseinrichtungen auf die dritte industrielle Revolution und auf das kohlenstofffreie Zeitalter vorzubereiten. Diese Vision brauchen wir für Europa und die Welt.

FTE INFO: Wie passen die USA und andere Weltregionen in diese Vision hinein?

JEREMY RIFKIN: Nun, Kalifornien, die sechst größte Wirtschaft der Welt, baut bereits eine umweltfreundliche Wasserstoffwirtschaft auf, die sich an dem orientiert, worüber wir gerade sprechen. Dort sind sie schon ganz schön weit voraus, genauso wie sie es mit Silicon Valley und der IT-Revolution waren. Die Kalifornier haben bereits einen Fahrplan aufgestellt und jetzt folgen New York und einige andere Staaten diesem Beispiel. Japan ist auch schon ziemlich weit. Die EU könnte an der Spitze stehen, aber das bedeutet, dass Deutschland und andere Länder, genauso wie auch Brüssel, jetzt die Führung übernehmen müssen.

FTE INFO: Welche Reaktion gab es von den europäischen Regierungschefs zu dieser Vision von einer Wasserstoffwirtschaft?

JEREMY RIFKIN: Andris Piebalgs, EU-Kommissar für Energie, hat erneuerbare Energien und Wasserstoff zu entscheidenden Teilen der europäischen Energiepolitik erhoben und befürwortet eine neue industrielle Revolution im Energiebereich. Im vergangenen Jahr hatte mich Bundeskanzlerin Merkel gebeten darüber zu sprechen, wie man Deutschlands Wirtschaftswachstum ankurbeln könnte. An einer Stelle meiner Präsentation stellte ich ihr eine Studie über die dritte Industrielle Revolution und die Wende zur Wasserstoffwirtschaft vor. Anschließend nahm die CDU, ihre Partei, diesen Vorschlag in ihre offizielle Energieplattform auf. Das Kernstück ihrer FuE verlagert sich auf die Wasserstoffwirtschaft, sodass Deutschland Europa anführen kann.

FTE INFO: Wer würde denn am meisten von einer Wende zur
Wasserstoffwirtschaft profitieren?

JEREMY RIFKIN: Ich glaube, die Dritte Welt wird den größten Nutzen hieraus ziehen. Der Grund für die Machtlosigkeit dieser Menschen ist, dass sie keinen Strom haben, wobei man hier mit dem englischen Begriff 'power', was gleichzeitig Macht und Strom bedeutet, spielen kann.

Das ist jetzt kein Witz, das ist so gemeint. Ein Drittel der Menschheit hat keinen Strom.

Ich deute also an, dass diese dritte industrielle Revolution, denn es geht hier um 'Macht für das Volk', es uns am Ende ermöglicht, jedem Menschen Energie in die Hand zu geben. Da es erneuerbare Energiequellen überall gibt - im Gegensatz zu Kohle, Erdöl, Erdgas und Uran - ist für alle was da. Wenn wir erneuerbare Energie bändigen können, sie als Wasserstoff speichern und sie über intelligente Stromnetze verteilen, können Entwicklungsländer Strom bekommen und auch an der dritten industriellen Revolution und an der Globalisierung mitwirken. Das wäre dann eine echte Globalisierung, von unten nach oben.

FTE INFO: Dann wird also mehr unter gleichen Bedingungen gespielt? Eine multilaterale Welt?

JEREMY RIFKIN: Ja. Das führt uns weg von den elitären Energieformen des 19. und 20. Jahrhunderts, den fossilen Brennstoffen und Uran, hin zu den demokratischen Energieformen des 21. Jahrhunderts: erneuerbare Energien, Wasserstoffspeicher für diese Energien und intelligente Stromnetze, um diese Energien zu verteilen.

Das ist eine breite Revolution, hinter der unheimlich viel Kraft steckt, da sie es uns erlaubt, Energie gerechter zu verteilen. Sie ermöglicht den Menschen, unabhängiger und autarker zu sein. Am wichtigsten ist aber, dass damit auch das Klimaproblem angepackt wird und die Spitze bei der globalen Erzeugung fossiler Brennstoffe. Bedeutet das, dass der Wohlstand auch gleichmäßiger verteilt wird?

Wohlstand und wirtschaftliche Aktivität folgen der Energie auf dem Fuße, denn Energie ist der Schlüssel zur Erzeugung, Anhäufung und Verteilung aller möglichen Formen des Wohlstands.

FTE INFO: Möchten Sie noch etwas hinzufügen?

Wenn man sich anschaut, was hier durch den Klimawandel passiert, ist es einfach verheerend. Ich glaube nicht, dass sich unsere Spezies überhaupt klar macht, wie verheerend es bereits in diesem Moment ist. Ich glaube wir haben keine Ahnung.

Aber wir müssen einfach daran glauben, dass wir Zeit haben. Wenn wir 'aufmerksam' sind und das tun, was wirklich getan werden muss, dann könnten wir die Situation vielleicht noch retten. Der Schlüssel ist, diese Änderung unter 2°C zu halten. Deshalb ist unsere Wasserstoffrevolution so entscheidend.


Jeremy Rifkin ist Präsident der Foundation on Economic Trends (Stiftung für Wirtschaftstrends), einer Denkfabrik in Washington, D. C., und Autor von siebzehn Büchern über die Folgen der Veränderungen im wissenschaftlichen und technologischen Bereich auf Wirtschaft, Mitarbeiter, Gesellschaft und die Umwelt. Zu seinen zwei jüngsten Veröffentlichungen gehören "The European Dream: How Europe's Vision of the Future is Quietly Eclipsing the American Dream" und "The Hydrogen Economy".

Weitere Informationen
http://wwwfpet.org/JeremyRifkin.htm


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

> Eine Wasserstoffwirtschaft?... Hier die Erzeugung von Wasserstoff durch Elektrokatalyse von Kobaltverbindungen. Mit dieser Forschung sollen neue molekulare Katalysatoren zur Erzeugung von Wasserstoff aus Strom oder Sonnenenergie bestimmt werden. Eine Arbeit des Labors UMR5047 des CNRS (FR). Großaufnahme: eine Zelle bei er Elektrolyse. Man sieht die arbeitende Elektrode in Kohlenstoff (schwarzer Balken) und die Referenzelektrode.

> Nahaufnahme eines katalytischen Wasserstofferzeugungsverfahrens in einem strukturierten Reaktor: allgemeine Struktur des Monolithen (wabenförmige Klammer mit Katalyseschicht bedeckt). Arbeit des Forschungsinstituts für Katalyse, Villeurbanne - CNRS (FR).

> Wasserstoff muss aus Elektrizität hergestellt werden. Diese wird zum Beispiel von alternativen Energien, wie Windkraft, erzeugt.


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Quelle:
FTE info - Sonderausgabe EIROforum, Juni 2007, Seite 19-22
Magazin über europäische Forschung
Copyright: Europäische Gemeinschaften, 2006
Herausgeber: Referat Information und Kommunikation der
GD Forschung der Europäischen Kommission
Chefredakteur: Michel Claessens
Redaktion: ML DG 1201, Boîte postale 2201, L-1022 Luxembourg
Telefon: 0032-2/295 99 71, Fax: 0032-2/295 82 20
E-Mail: rtd-info@ec.europa.eu
Internet: http://ec.europa.eu./research/rtdinfo/index_de.html

FTE info wird auch auch auf Englisch, Französisch und
Spanisch herausgegeben. Die Zeitschrift kann kostenlos
über die folgende Website abonniert werden:
http://ec.europa.eu./research/mail-forms/rtd-adr_de.cfm


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2007