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POLITIK/108: Wohin fließt das Geld für die europäische Forschung? (research*eu)


research*eu - Nr. 60, Juni 2009
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Wohin fließt das Geld für die europäische Forschung?

Von Didier Buysse


Ist die europäische Forschungsförderung messbar? Anhand von Zahlen erstellen zwei neue Bilanzen (1) ein Profil der Arbeitsweise der europäischen Rahmenprogramme, die den Europäischen Forschungsraum gestalten. Jeder zehnte europäische Forscher und praktisch alle Universitäten der Europäischen Union kommen direkt in den Genuss dieser Fördermittel.


Von vornherein lässt sich eine doppelte Feststellung machen: Innerhalb eines Jahrzehnts erhöhten die Rahmenprogramme für Forschung und Entwicklung - kurz RP genannt - konstant ihre Mittelgrundlage und auch das Interesse, das sie in der Forschergemeinschaft weltweit auslösen. Ab dem Zeitraum 1998 bis 2002 (5. Rahmenprogramm oder RP5) bis zum Zeitraum 2002 bis 2006 (RP6) und dann bis zum Jahr 2007 (Start des RP7) sind die durchschnittlichen jährlichen Fördermittel von 2,5 Mrd. EUR über 3,4 Mrd. EUR auf 5,7 Mrd. EUR gestiegen. Der Durchschnitt des Zeitraums 2007 bis 2013 wird 7 Mrd. EUR pro Jahr übersteigen.

Dieser Höhenflug fordert aber auch Erfolge. Unter dem RP5 wurden Aufrufe zur Vorschlagseinreichung veröffentlicht, auf die 60.000 Vorschläge mit 327.000 Beteiligten (Laboratorien oder Forschungszentren) eingingen. Das RP6 hat etwas weniger Anträge (56.000) nach sich gezogen, jedoch mit mehr Teilnehmern (390.000 Akteure).


Hohe Nachfrage

Nur ein Viertel der Projekte des RP5 wurde genehmigt (15.700 Verträge und 80.000 Akteure), und für das RP6 wurde die Auswahl noch einmal um ein Fünftel gesenkt (10.000 Verträge und 74.400 Akteure). Die Diskrepanz zwischen der Anzahl der Bewerber und den "Auserwählten" lässt die verbleibende Frage nach der "hohen Nachfrage" aufkommen - in der Größenordnung von vier zu eins -, die das Angebot an europäischen Finanzmitteln für die Forschung auch weiterhin bestimmt.

Überrascht das? Diese Diskrepanz spiegelt zunächst einmal die Mittelzwänge wider, die die finanziellen Grenzen der Rahmenprogramme bestimmen: Die Menge der verfügbaren Mittel steht fest. Über die finanziellen Kapazitäten hinaus müssen die Projekte, die von der EU unterstützt werden sollen, außerdem von transeuropäischen und internationalen Forschungskonsortien getragen werden.


Wille zum Ausbau

Die europäische Forschung ist zwischen zwei Polen gespalten: Zum einen "groß denken", indem Partnerschaften zwischen den beeindruckendsten Größen der Wissenschaft und Forschung des Kontinents angeregt werden, um eine kritische Masse zu erzielen und/oder um den Europäischen Forschungsraum zu gestalten. Zum anderen "die Kleinen nicht vergessen", indem Hilfen angeboten werden, die auf das unentbehrliche Innovationspotenzial der kleinen und mittleren Unternehmen zugeschnitten sind. Zu Punkt eins: Seit 2002 wurde das RP6 mit neuen Finanzierungsinstrumenten ausgestattet, die es ihm gestatten, neben klassischen zielgerichteten Forschungsprojekten auch sogenannte integrierte Forschungsprojekte und Exzellenznetze durchzuführen. Mit diesen sollten mehr wissenschaftliche und technologische Forschergruppen zusammengeführt werden, sodass ehrgeizigere und interdisziplinäre Themen auch abgedeckt werden können.

Durch zahlreiche Vorschläge aus der Welt der Forschung, die auf gleicher Höhe mit diesen neuen Zielen standen, nahm dieser politische Wille auch rasch Gestalt an. Rund 700 integrierte Projekte, an denen im Schnitt 25 Partner beteiligt waren, wurden im Laufe des RP6 auf den Weg gebracht. Sie kamen in den Genuss von mehr als 6,5 Mrd. EUR an Finanzhilfen (etwa 10 Mio. EUR im Durchschnitt pro Projekt), das heißt 40% der Ressourcen des RP6. Doch die zielgerichteten Forschungen, mit Projekten aus mindestens zehn Teilnehmern, standen dem kaum nach: Knapp 2300 Projekte wurden mit insgesamt 4,5 Mrd. EUR gefördert.

Doch wie sieht es mit der Beteiligung von kleinen und mittleren Unternehmen aus? Im RP6 gibt es ein Programm, das auf die Erfordernisse dieser Unternehmen zugeschnitten ist. Doch sein Budget von weniger als 500 Mio. EUR zeigt nur einen sehr kleinen Ausschnitt ihrer tatsächlichen Beteiligung an europäischen Forschungsinitiativen. Sie sind vor allem in den zahlreichen Konsortien der integrierten oder zielgerichteten Projekte zu finden. Auf der Grundlage der eingereichten und im Rahmen der Aufrufe für die Einreichung von Vorschlägen ausgewählten Anträge sowie der Finanzhilfevereinbarungen geht die Europäische Kommission davon aus, dass rund 10 000 kleine und mittlere Unternehmen eine aktive Rolle in den von der EU geförderten Forschungsvorhaben gespielt haben und damit in den Genuss von Finanzierungen in Höhe von ungefähr 1,6 Mrd. EUR gekommen sind.


Vernetzung

Die Exzellenznetze sind ein neues Förderinstrument des RP6. Das Ziel besteht darin, ein Gerüst aus wissenschaftlichen und technologischen Netzwerken von hohem Niveau zu errichten, indem man sich bemüht, die Zersplitterung der personellen und materiellen Kapazitäten aufzuheben, die ein Hindernis für den Europäischen Forschungsraum darstellen.

Von dieser Vernetzung waren rund 170 neue Netzwerke betroffen, die im Durchschnitt aus 30 Teilnehmern bestanden. Diese Aktivitäten wurden mit ungefähr 1,3 Mrd. Euro finanziert.


Humankapital und Mobilität

Die Bemühungen um den Austausch und die Ausbildung des europäischen Humankapitals, das an der Basis der Exzellenznetze steht, werden bei den unter dem Etikett Marie-Curie laufenden europäischen Finanzhilfen noch spezifischer. Diese Initiative fördert junge Postdoktoranden und hilft ihnen bei der Entwicklung eigener Forschungsvorhaben. Sie ermöglicht ihnen den Aufenthalt im Ausland und die Durchführung ihrer Forschungsvorhaben an europäischen Laboratorien oder Forschungszentren, die zur Aufnahme dieser Forscher bereit sind.

Rund 8200 Marie-Curie-Stipendien wurden somit im Laufe des 6. Rahmenprogramms vergeben - insgesamt in Höhe von 1,7 Mrd. EUR. Da es sich hier um Stipendien für individuelle Forscher handelt, stehen die Kandidaten Schlange und die Auswahl ist bitter: nur ein Fünftel aller Bewerber erhält eine Förderung.


Öffentliche Forschung - private Forschung

Die große Masse der Akteure (ungefähr 50.000), die sich an europäischen Programmen beteiligen, stammt aus öffentlichen Einrichtungen - Universitäten, Hochschulen und Forschungszentren. Das sind zwei Drittel aller teilnehmenden Teams. Damit profitiert einer von zehn der rund 435.000 Forscher, die an einer Hochschule in der Europäischen Union beschäftigt sind, von einer europäischen Finanzhilfe.

Die Position des öffentlichen und akademischen Sektors darf jedoch nicht den tiefen Wandel verschleiern, der sich in der europäischen Forschungspolitik zugunsten des privaten Sektors vollzieht. Vor allem dank der Erweiterung der integrierten Projekte sind die wichtigsten Akteure der europäischen Industrie auch vermehrt an den strategischen Sektoren (IKT, Nanotechnologien, Luftfahrt, Weltraum) beteiligt.

Im aktuellen Rahmenprogramm (RP7) nimmt diese Öffnung eine neue Gestalt an, die stärker koordiniert und zielgerichteter als in den integrierten Projekten ist: die gemeinsamen Technologieinitiativen - Joint Technology Initiatives (JTI). In diesem Fall werden die öffentlichen Fördermittel, sowohl die europäischen als auch die nationalen, und die privaten Investitionen in Forschung und Entwicklung in Partnerschaften zusammengeführt, um Spitzentechnologien zum Durchbruch zu verhelfen. Seit 2007 wurden fünf spezifische Initiativen in diesem neuartigen Rahmen auf den Weg gebracht. Sie gehen von Informationstechnologien über die Luftfahrt, die Umwelt und die Sicherheit bis zur Medizin.(2)


Eine Schatzkiste für die Ideen Europas?

Über die Mittelbindungen des RP7 im Jahr 2007 liegen zwar nur die ersten Zahlen vor, doch aus ihnen ist bereits das gestiegene finanzielle Ausmaß der europäischen Forschungsförderung ersichtlich. Im aktuellen Rahmenprogramm gibt es wichtige Neuerungen. Zu nennen sind hier vor allem das Programm "Kapazitäten" (im Rahmen dessen Forschungsinfrastrukturen, an denen europäische Interessen beteiligt sind, finanziert werden können) und das Programm "Ideen", welches der Europäische Forschungsrat (ERC) unabhängig durchführt. Seine lange herbeigesehnte Errichtung läutet eine Politik ein, die vor allem auf die Grundlagenforschung ausgerichtet ist.

Für den ERC war das Jahr 2007 eine erste Etappe, in der man sich freiwillig eingeschränkt hatte: Nur 4% der 7,5 Mrd. EUR des auf sieben Jahre verteilten Haushalts wurden für die Förderung innovativer Projekte vergeben, die von jungen Forschern vorgeschlagen worden waren. Wieder einmal überstieg die Nachfrage das Angebot. Eine Schwemme von fast 9000 Bewerbungen aus allen Ecken Europas und darüber hinaus war auf den ersten Aufruf hin eingegangen, (3) doch nur 200 davon wurden im Rahmen der auf 280 Mio. EUR beschränkten Mittel zur Förderung ausgewählt. Eines ist jedoch sicher: Dieser Schatzkiste mangelt es nicht an Ideen. Und wenn die Mittel des ERC sich erst einmal etabliert haben, könnten sie durchaus als Katalysator für die Neubelebung der wissenschaftlichen Kreativität Europas wirken.


Anmerkungen

(1) FP6 Final review: Subscription, Implementation, Participation, http://ec.europa.eu/research/reports/2008/pdf/fp6-fina-review.pdf. FP7 Subcription and Performance during the first year of implementation,
http://ec.europa.eu/research/reports/2008/fp7-1st-year-subscription- performance.pdf

(2) Siehe http://cordis.europa.eu/fp7/jtis

(3) Internationale Bewerbungen für diese individuellen Finanzhilfen des ERC waren möglich.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Tabellen der Originalpublikation:

1) Stark steigende Mittel für weniger Projekte
2) Vorausschau für die Finanzierung der Grundlagenforschung Teilnehmer durch den Europäischen Forschungsrat (ERC)


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Quelle:
research*eu - Nr. 60, Juni 2009, Seite 38-39
Magazin des Europäischen Forschungsraums
Copyright: Europäische Gemeinschaften, 2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2009