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BERICHT/028: Tagung - Digitales Publizieren in den Geisteswissenschaften (idw)


Europäische Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich- technischer Entwicklungen Bad Neuenahr-Ahrweiler GmbH - 02.04.2007

Frühjahrstagung der Europäischen Akademie GmbH: "Digitales Publizieren in den Geisteswissenschaften"


Bad Neuenahr-Ahrweiler, 2. April 2007. - Welche Chancen, welche Risiken ergeben sich für die Geisteswissenschaften aus der Tatsache, dass Texte zunehmend digitalisiert verfügbar sind? Dies war das Thema der diesjährigen Frühjahrstagung "Digitales Publizieren in den Geisteswissenschaften" der Europäischen Akademie GmbH am 30. und 31. März in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Die Veranstaltung war zugleich Teil des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung ausgerufenen Jahres der Geisteswissenschaften 2007.

Für die textbezogenen Wissenschaften, die sich interpretierend, analysierend und vergleichend mit Literatur und schriftlichen Dokumenten befassen, ergeben sich durch die Verfügbarkeit digitalisierter Texte ganz neue Möglichkeiten. Zugleich ändern sich aber mit den neuen Medien auch die Publikations- und Kommunikationsformen der Wissenschaften. Online-Diskussionsforen und elektronische Zeitschriften, sog. e-Journals, scheinen schon heute die traditionellen Zeitschriften abzulösen, frei verfügbare Texte auf den Internetseiten der universitären Forschungseinrichtungen könnten sich als Alternative zu teuren Zeitschriften und Büchern erweisen.

In einer zum Teil leidenschaftlich geführten Diskussion gingen Geisteswissenschaftler, Verleger und Buchwissenschaftler, Bibliotheksleiter und Softwareentwickler der Frage nach, welchen Veränderungen die geisteswissenschaftliche Publikationskultur unterliegt, wie die Zukunft aussehen könnte und wie sie aussehen sollte. Digitales Publizieren bestimmt dabei noch keineswegs den universitären Alltag. Im Gegenteil: Professorin Dr. Gudrun Gersmann (Historisches Seminar der Universität zu Köln), ihrerseits Herausgeberin elektronischer Zeitschriften, stellte fest, dass es im Wesentlichen kleine Kreise sind, die die Angebote intensiv nutzen. Viele Wissenschaftler begegnen den Neuerungen gar mit Skepsis. So zählen in vielen Berufungsverfahren elektronische Publikationen weniger als solche in traditionellen Fachzeitschriften - und dies, obwohl es nach Meinung der Fachleute inzwischen zahlreiche e-Journals gibt, die hinsichtlich der Qualitätsstandards mit gedruckten Publikationsorganen ohne weiteres mithalten können. Sie forderte die Hochschullehrer dazu auf, sich selbst und baldmöglichst auch die Studenten fit zu machen für einen verantwortungsvollen Umgang mit den neuen Publikationsformen.

Zugleich machten sowohl die Betreiber solcher digitalen Medien als auch der renommierte Wissenschafts-Verleger Professor Dr. Wulf-D. von Lucius deutlich, dass ebenso die optimistische Erwartung, es ließen sich mit der Digitalisierung des Zeitschriftenwesens Forschungsetats im großen Stile entlasten, überzogen ist: "Das Internet ist alles andere als ein Kostenwunder" (v. Lucius). Gerade die Maßnahmen, die die Organisatoren und Herausgeber eines wissenschaftlichen Publikationsorgans zur Qualitätssicherung ergreifen müssen, machen einen großen Anteil der Kosten aus und sind, ob eine Zeitschrift durch einen Verlag auf herkömmliche Art vertrieben oder auf einem Hochschulserver bereitgestellt wird, in jedem Falle durch die Wissenschaft selbst zu gewährleisten. Und während das gebundene Zeitschriften-Heft, einmal ins Regal gestellt, auf Dauer problemlos bereitsteht, bedarf der digitalisierte Datensatz der beständigen Pflege und Anpassung an die neuen Standards der Hardware- und Software-Entwicklung. Dies kann, wie der emeritierte Professor Dr. Wilhelm Ott von der Eberhard-Karls-Universität Tübingen unterstrich, mit enormen Aufwendungen verbunden sein. Eine aktive, vorausschauende Gestaltung des Übergangs kann dabei helfen, die Chancen, die mit dem Wandel verbunden sind, nutzbar zu machen.

Einen Ausblick gab der Leiter der bereits weit vorangeschrittenen Staats- und Universitätsbibliothek der Georg-August-Universität Göttingen, Dr. Norbert Lossau, indem er die schon erreichten und in Zukunft noch möglichen Unterstützungsleistungen herausstrich, die moderne und mögliche zukünftige virtuelle Forschungsumgebungen für die geisteswissenschaftliche Arbeit leisten können. Dr. Günter Mey und Dr. Katja Mruck von der Freien Universität Berlin zeigten die Potentiale netzbasierten wissenschaftlichen Arbeitens am Beispiel des von ihnen betriebenen Portals "qualitative-research.net" auf. Zwei Teilnehmer von der Universität Hamburg, Dr. Stefan Gradmann von der dortigen Bibliothek und der Literaturwissenschaftler Professor Dr. Jan C. Meister, unterstrichen den möglichen Mehrwert des digitalen Texts gegenüber der gedruckten Alternative, wenn intelligente Software - "heuristische Maschinen" -den wissenschaftlichen Interpreten bei der Analyse der Texte unterstützen.

Umstritten war dabei die Frage, welche Rolle den Zeitschriftenverlagen in der sich verändernden Landschaft zukommt: Wird auch in Zukunft noch ihre Dienstleistung für die Organisatoren der wissenschaftlichen Kommunikation gefragt sein oder werden die wissenschaftlichen Einrichtungen diese Aufgabe selbst übernehmen? Wie können sie auch weiterhin ihre Kompetenzen einbringen, die sie in drei Jahrhunderten, in denen sie ein wesentliches Element des wissenschaftlichen Kommunikationssystems waren, erworben haben?

In einem jedoch herrschte weitgehend Einigkeit: Bücher werden dank ihrer als "unschlagbar" eingeschätzten Qualitäten auch weiterhin in den Regalen der Bibliotheken und auf den Schreibtischen der Wissenschaftler zu finden sein. Dass allerdings das Papier für manche Fälle seiner Nutzungen durchaus vor seiner Ablösung stehen könnte, machte gerade der Buchwissenschaftler und Inhaber des Gutenberg-Lehrstuhls an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Professor Dr. Stephan Füssel, deutlich: Er wies am Ende seines Vortrages auf die zukunftsträchtige Entwicklung des elektronischen Papiers hin, das, obgleich sonst einem Bogen festeren Schreibpapiers vergleichbar, die Daten wissenschaftlicher Beiträge, aber auch etwa der Tageszeitung, kabellos empfangen, speichern und nach Bedarf hochauflösend sichtbar machen kann.

Die Europäische Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen Bad Neuenahr-Ahrweiler gGmbH wurde 1996 vom Land Rheinland-Pfalz und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) gegründet. Direktor der Gesellschaft ist der Philosophieprofessor Dr. Dr. h.c. Carl Friedrich Gethmann. Wissenschaftlich-interdisziplinäre Arbeitsgruppen widmen sich der Erforschung und Beurteilung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen für das individuelle und soziale Leben des Menschen und seine natürliche Umwelt. In wissenschaftlicher Unabhängigkeit führt die Akademie einen Dialog mit Wirtschaft, Kultur, Politik und Gesellschaft. Damit will sie zu einem rationalen Umgang der Gesellschaft mit Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen beitragen. Weitere Informationen erhalten Sie über die Homepage www.ea-aw.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution626


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Europäische Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-
technischer Entwicklungen Bad Neuenahr-Ahrweiler GmbH,
Katharina Mader, 02.04.2007
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2007