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BERICHT/154: Die Fluchtburg des Israeliten-Königs (mundo - Universität Dortmund)


mundo - Das Magazin der Universität Dortmund Nr. 7/07

Die Fluchtburg des Israeliten-Königs
Der Theologe Thomas Pola will bei einer Ausgrabung in Jordanien die biblische Festung Pnuël finden

Von Karsten Mark


Reisende müssen die Festung schon von weither gesehen haben. Über mindestens 60 Meter Breite zogen sich die dicken Befestigungsmauern quer über den Hang, alle sieben Meter stellte sich potenziellen Angreifern ein neues Hindernis in den Weg. Überhaupt scheint sich der gesamte Hügel dem Ankommenden in den Weg zu stellen. Knapp 100 Meter hoch versperrt er auch dem Jabbok-Fluss die direkte Linie hinab in die Jordanebene. Aber das Wasser hat sich hartnäckig seinen Weg gebahnt, die Zwillingshügel mit einer steilen Klamm von den umgebenden Berghängen abgeschnitten. Wer einst zwischen dem heutigen Amman und dem Westjordanland unterwegs war, musste zwangsläufig an dieser strategisch wichtigen Stelle passieren. Genau dort trifft das kleine Tal des Wadi Hajjaj auf die steile Schlucht des Jabbok, der sich in Schleifen um die Zwillingshügel windet, bevor er wenige Kilometer weiter in den Jordan mündet.

Als der Bibelwissenschaftler Prof. Thomas Pola 2003 zum ersten Mal auf die Hügel stieg, wunderte er sich, dass dort offenbar noch nie ein Archäologe sein Glück versucht hatte. Purer Zufall hatte die Überbleibsel der gigantischen Wehranlage zu Tage gefordert, die vermutlich aus hellenistischer Zeit stammt. Ein Bulldozer hatte gerade damit begonnen, einen der Hügel für einen Olivenhain zu planieren, als er auf die Mauerreste stieß. Die jordanische Antikenbehörde ließ die Ruinen in der Erde ruhen - ein Glücksfall für den archäologisch forschenden Theologen Pola. Der vermutet unter den Mauern aus Zeiten griechischer Herrschaft nämlich ein noch älteres Bauwerk - Pnuël, die Fluchtburg des Israeliten Königs Jerobeam I. (926-907 v. Chr.). Jerobeam war der erste König des Nordreichs Israel, das sich nach dem Tode König Salomos gegenüber dem Südreich einen eigenen König eingesetzt hatte. Musste Jerobeam aus seiner Hauptstadt Sichem, dem heutigen Nablus im Westjordanland, vor den Truppen des ägyptischen Pharaos Schoschenk fliehen?

In Pnuël soll er sich dem Alten Testament zufolge verschanzt haben. Was dann passierte, bleibt nebulös, wie bei vielen Ereignissen der Antike. Jerobeam soll den Pharao Schoschenk überlebt haben, sagt die Bibel. In einer Inschrift, die in einem ägyptischen Tempel gefunden wurde, heißt es, Schoschenk habe sich der Festung von Pnuël "bemächtigt". Was genau das bedeutet, ist aber unklar. Haben die ägyptischen Truppen die Burg eingenommen? Haben sie sie gar zerstört? Oder hat der Pharao einfach nur abstrakten Anspruch darauf erhoben? Pola glaubt, auf den Hügeln, die die Jordanier Tulul adh-Dhahab nennen, die Überreste Pnuëls gefunden zu haben. Im Gegensatz zu anderen potenziellen Standorten der biblischen Fluchtburg, passt im Jabboktal alles zusammen. "Wir wissen, dass Pnuël an einem Fluss gelegen hat und dass es in der Nähe eine Furt über den Jordan gegeben haben muss. Beides trifft auf unsere Hügel zu. Bei anderen Orten, an denen man Pnuël schon vermutet hat, war das nicht der Fall."

Seit 2005 gräbt der Dortmunder Theologe mit Studierenden, Mitarbeitern und Archäologen anderer Universitäten die steinernen Zeugnisse auf den Tulul adhDhahab aus. Die dritte Ausgrabungskampagne steht kurz bevor. Im Juli und August 2007 werden Pola und sein Mitarbeiter Emmanuel Rehfeld wieder nach Jordanien reisen - diesmal um vor allem zu dokumentieren, was bereits freigelegt wurde. Das Team wird also entsprechend klein ausfallen und mehrheitlich aus erfahrenen Fachleuten bestehen. Bei den ersten beiden Grabungskampagnen war das durchaus anders. Zehn Studierende aus Dortmund und sogar ein Schüler der SchülerUni nahmen an der zweiten und mit drei Wochen bisher längsten Kampagne teil, außerdem noch Archäologen anderer deutscher Universitäten und sogar zwei Sponsoren, denn die Grabung konnte nur mit Hilfe von Spenden und eines Zuschusses der Gesellschaft der Freunde der Universität Dortmund finanziert werden. Die Förderung zahlte sich aus: Unter anderem fand das 24köpfige Team zwei Ritzzeichnungen in einer vermutlich byzantinischen Mauer. Eines stellt das Profil einer Löwin dar, das andere den fein gearbeiteten Umriss einer jungen Frau, die hinter einer Ziege steht. Die beiden Steinbilder sind die allerersten Belege für vorhellenistische Reliefkunst im Westund Ostjordanland - eine kleine Sensation für die Archäologie.

"Das Frauenbildnis muss Teil einer Familienszene gewesen sein, weil Frauen niemals allein dargestellt wurden". erläutert Pola, "vermutlich handelt es sich um eine kultische Szene. Wir werten sie als Hinweis auf einen eisenzeitlichen Palast, zu dem auch ein Tempel gehört haben könnte." Ein kleiner kultischer Terrakottakopf zählt ebenfalls zu den Funden, die im Übrigen allesamt im Besitz des Königreichs Jordanien bleiben und nur für nähere Untersuchung nach Dortmund ausgeliehen wurden. Die Funde sind erstaunlich gut erhalten, weil sie gut geschützt - vor allem vor dem starken Regen in Winter - unter einer Schuttschicht schlummerten. Noch muss das meiste davon abgetragen werden. Wo die Archäologen graben müssen, haben sie indes bereits mit einer physikalischen Methode sondiert: mit der geomagnetischen Prospektion. Durch die Messung feinster lokaler Schwankungen im Magnetfeld der obersten Erdschicht lassen sich Mauern und Gegenstände bis zu drei Metern Tiefe orten.

Weil die Dortmunder Theologen aber über so teures Gerät nicht verfügen und bei ihren Grabungen mit einem sehr kleinen Budget auskommen müssen, half Professor Frank Siegmund vom Institut für Urund Frühgeschichte der Universität Basel weiter. Er vermaß mit seiner Assistentin sämtliche drei Terrassenstufen des Ruinenhügels und konnte den bis dahin nur durch die ersten Ausgrabungen bekannten und sehr lückenhaften Grundriss der Stadtund Gebäudemauern weitgehend ergänzen.

Weitere Archäologen aus Oldenburg, Göttingen und Karlsruhe halfen bei der Auswahl viel versprechender Bodenquadranten für zusätzliche Grabungen.

Zu den erstaunlichsten Ergebnissen ihrer Arbeit gehört der Fund zweier so genannter Peristylhöfe aus späthellenistischer Zeit, prächtige Säulenhöfe mit im Querschnitt herzförmigen Säulen, an die sich ein Palast anschloss. Die Anlage wurde offenbar Mitte des vierten Jahrhunderts nach Christus verlassen und wenige Jahrzehnte später durch Erdbeben zerstört. Auf der darunter gelegenen Terrasse des Hügels stellten die Archäologen fest, dass ein Turm der ehemaligen Stadtmauer offenbar auf den Fundamenten eines schon vorher vorhandenen gebaut wurde. In der untersten Schicht könnten sie auf architektonische Zeugnisse aus der Eisenzeit gestoßen sein. Reste von Holzkohle, deren Alter zurzeit an der Universität Erlangen mit Hilfe der C14-Methode bestimmt wird, werden die Datierung erleichtern.

Die erfolgreiche Arbeit des deutschen Teams erregte in Jordanien so viel Aufsehen, dass sogar der deutsche und der niederländische Botschafter aus Amman anreisten, um sich auf der Grabungsstelle persönlich ein Bild zu machen. Für die Dortmunder Theologie-Studierenden bot der dreiwöchige Jordanienaufenthalt neben den vielen archäologischen Entdeckungen, die sie unter sengender Sonne bei bis zu 45 Grad im Schatten machten, auch einen Intensivkurs in Landeskunde.

Gewohnt haben alle Teammitglieder in einem "rustikalen Camp" ohne Klimaanlage und mit landestypischer Verpflegung. "Wir wollten auch erfahren, wie die Menschen dort leben", erzählt Pola, "und das einseitige Bild korrigieren, das wir in Westeuropa von den Menschen im Nahen Osten haben. Wir haben viele sehr gastfreundliche und höfliche Jordanier getroffen." Nicht einmal der nahe Libanonkrieg, dessen Auswirkungen bis nach Jordanien zu spüren waren, bewegte eines der Teammitglieder zur vorzeitigen Abreise.

Pola will noch mindestens zehn Grabungskampagnen vor Ort leiten - bis er in Pension geht und ein Nachfolger gefunden ist. Bis das Geheimnis um die biblische Fluchtburg Pnuël endgültig geklärt und archäologisch dokumentiert ist, dürfte es noch länger dauern. Pola geht von "irgendwas zwischen 20 und 40 Jahren aus". Dann aber, könnte er sich vorstellen, werde man die herzförmigen Säulen eines Tages wieder aufstellen und zumindest die prächtigen Säulenhöfe der griechischen Blütezeit rekonstruieren. Dann wird es auch wieder Reisende geben, denen sich die Zwillingshügel von Tulul adh-Dhahab erhaben und eindrucksvoll in den Weg stellen.


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Quelle:
mundo - das Magazin der Universität Dortmund, Nr. 7/07, S. 54-57
Herausgeber: Referat für Öffentlichkeitsarbeit
Universität Dortmund, 44221 Dortmund
Redaktion: Angelika Willers (Chefredakteurin)
E-Mail: redaktion.mundo@uni-dortmund.de
Internet: www.uni-dortmund.de

mundo erscheint zwei Mal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2008