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BERICHT/238: Pergamon Museum Berlin - Die wiedererstandene Sammlung Max von Oppenheims (SMB)


Staatliche Museen zu Berlin - 15. Juli 2010

Die wiedererstandene archäologische Sammlung Max von Oppenheims

Museumsinsel Berlin - Pergamonmuseum / Vorderasiatisches Museum

Max von Oppenheim neben seiner 'thronenden Göttin', einer 3000 Jahre alten Grabfigur - Tell Halaf-Museum, Juli 1930 - © Max Freiherr von Oppenheim-Stiftung, Köln

Max von Oppenheim neben seiner "thronenden Göttin",
einer 3000 Jahre alten Grabfigur,
Tell Halaf-Museum, Juli 1930
© Max Freiherr von Oppenheim-Stiftung, Köln

Pünktlich zum 150. Geburtstag des Ausgräbers und Museumsgründers Max Freiherr von Oppenheim endet in Berlin-Friedrichshagen offiziell das größte Restaurierungsprojekt der vergangenen Dekaden: In den Arbeitshallen der Staatlichen Museen zu Berlin setzten Wissenschaftler des Vorderasiatischen Museums und ein Restauratorenteam innerhalb von neun Jahren die Trümmer von über 30 Skulpturen und Reliefplatten wieder zusammen. Im Zweiten Weltkrieg hatte eine Brandbombe das Berliner Tell Halaf-Museu zerstört und mit ihm die 3000 Jahre alte Sammlung.

"Es wäre ja großartig, wenn tatsächlich die Stücke, in welche die einzelnen Steinbilder zerborsten sind, gesammelt nach den Staatlichen Museen gebracht und später wieder einmal zusammengefügt werden können." Als Max Freiherr von Oppenheim 1944 diesen Wunsch in einem Brief an den damaligen Direktor des Vorderasiatischen Museums Walter Andrae formulierte, lag das von ihm gegründete Tell Halaf-Museum in Berlin-Charlottenburg in Schutt und Asche.

Dr. Nadja Cholidis vom Vorderasiatischen Museum Berlin, wissenschaftliche Leiterin des Tell Halaf-Projekts, erinnert sich: "Aus einem Trümmerhaufen, der in den Akten des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen 1954 als totaler Kriegsverlust geführt wurde, eine erlebbare archäologische Sammlung wieder erstehen zu lassen, schien uns anfangs wie ein echtes Abenteuer mit ungewissem Ausgang." Zusammen mit Dr. Lutz Martin, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Vorderasiatischen Museums, und einem kleinen Team von Wissenschaftlern und Restauratoren erfüllte die Archäologin dem Kölner Bankierssohn und Ausgräber Max Freiherr von Oppenheim nun postum seinen sehnlichsten Wunsch - die Wiederherstellung der in kleine bis kleinste Bruchstücke zerborstenen Monumentalskulpturen und Reliefplatten vom Tell Halaf.

Die kleine Sortierhalle in Berlin-Friedrichshagen, März 2003 - © Staatliche Museen zu Berlin - Foto: Olaf M. Teßmer

Die kleine Sortierhalle in Berlin-Friedrichshagen, März 2003
© Staatliche Museen zu Berlin
Foto: Olaf M. Teßmer

Geschichte

1899 hatte Baron Oppenheim auf dem Tell Halaf (Nordost-Syrien) einen aramäischen Fürstensitz aus dem frühen 1. Jahrtausend v. Chr. entdeckt. Ein Teil der spektakulären Funde kam nach Abschluss der Ausgrabungen nach Berlin und wurde nicht - wie ursprünglich vorgesehen - auf der Museumsinsel ausgestellt, sondern in einer umgebauten Maschinenhalle in Berlin-Charlottenburg.

Das von Oppenheim zu seinem 70. Geburtstag am 15. Juli 1930 eröffnete Tell Halaf-Museum erlangte innerhalb kürzester Zeit nationale und internationale Beachtung. Zu den Besuchern zählten herausragende Persönlichkeiten wie König Faisal I. von Irak, der irische Schriftsteller Samuel Beckett sowie der Archäologe Max Mallowan und seine Frau, die Kriminalautorin Agatha Christie. Der Name Tell Halaf wurde damals im selben Atemzug mit den berühmten deutschen Ausgrabungen von Troja und Babylon genannt.

Im November 1943 zerstörte eine Phosphorbombe der Alliierten das Museum: Im Feuer verbrannten alle Exponate aus Kalkstein, Holz und Gips, während die Skulpturen und Reliefplatten aus Basalt bei den vergeblichen Löschversuchen zerbarsten. Unter größten Schwierigkeiten wurden fast alle Überreste geborgen und in die Rohrkeller des Pergamonmuseums gebracht. Trotzdem schien eine Restaurierung undenkbar und so gerieten das einst so beachtete Tell Halaf-Museum und die Trümmersammlung fast ein halbes Jahrhundert in Vergessenheit.

Erst nach dem Fall der Berliner Mauer und der deutschen Wiedervereinigung konnte die in Köln ansässige Max Freiherr von Oppenheim-Stiftung die Berliner Funde vom Tell Halaf sichten. Die Bestandsliste von 1993 erfasste "Bruchstücke mehrerer rundplastischer Figuren, so z.B. diejenigen zweier großer Löwen aus dem Eingang des Westpalastes, der Kopf einer Sphinx und der Torso eines großen Vogels".

Ergänzung fehlender Partien am Kopf des Löwen vom Eingang des Westpalastes, August 2006 - © Staatliche Museen zu Berlin - Foto: Olaf M. Teßmer

Ergänzung fehlender Partien am Kopf des Löwen
vom Eingang des Westpalastes, August 2006
© Staatliche Museen zu Berlin
Foto: Olaf M. Teßmer

Die Hoffnung auf eine Wiederherstellung zumindest eines Teils der Monumentalstatuen bildete die Grundlage für Verhandlungen zwischen der Max Freiherr von Oppenheim-Stiftung als Eigentümerin und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die die Sammlung in ihren Räumen auf der Museumsinel Berlin aufbewahrte.

Als das Tell Halaf-Projekt www.tell-halaf-projekt.de im Oktober 2001 seine Arbeit aufnahm, galt es sprichwörtlich als "steinreich": Mehr als 27.000 Fragmente, verpackt in Gitterboxen und auf Paletten, waren zu sortieren und zu identifizieren. Dank der großzügigen Förderung durch die Sal. Oppenheim-Stiftung, die Alfred Freiherr von Oppenheim-Stiftung, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, das Auswärtige Amt und die Staatlichen Museen zu Berlin sind neun Jahre später wieder sämtliche Bildwerke aus Basalt sowie eine beeindruckende Kollektion von Architektur- und Werksteinen entstanden, die bis zu diesem Zeitpunkt als verloren galten.


Zukunft

Im Januar 2011 wird die Tell Halaf-Sammlung nach 68 Jahren in einer Ausstellung des Vorderasiatischen Museums im Pergamonmuseum, Museumsinsel Berlin, endlich wieder einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht: Vom 28. Januar bis zum 14. August 2011 werden die restaurierten Bildwerke und ihre spannende Schicksalsgeschichte im Nordflügel des Pergamonmuseums in Szene gesetzt. Durch ein besonderes Lichtkonzept sollen die Monumentalstatuen und Reliefplatten in ihrer ursprünglichen Pracht zur Geltung kommen - ohne ihre Narben und Wunden zu verbergen. Persönliche Gegenstände Max von Oppenheims sowie Film- und Fotodokumente erinnern an den Ausgräber und sein einzigartiges Museum. Neben dem nun abgeschlossenen Restaurierungsprojekt werden auch die seit 2006 wieder aufgenommenen Ausgrabungen am Tell Halaf vorgestellt.

Die durch die Restaurierung wiederentstandenen Denkmäler des aramäischen Fürstenpalastes werden nach den Plänen des Kölner Architekten O. M. Ungers (†) den neuen Eingang zum Vorderasiatischen Museum im Pergamonmuseum bilden. Damit erfüllt sich ein zweiter Wunsch Max von Oppenheims: Die ständige Präsentation seiner Funde auf der Museumsinsel.


Biographie zu Max von Oppenheim

Max von Oppenheim wurde 1860 als zweiter Sohn des Kölner Bankiers Albert von Oppenheim geboren. Entgegen den Wünschen seines Vaters wollte der studierte Jurist die Geschäfte der 1789 gegründeten Privatbank nicht fortführen. Stattdessen konnte er seine frühe Begeisterung für den Vorderen Orient mit einer Berufung an das Kaiserliche Generalkonsulat in Kairo verbinden. Eine diplomatische Karriere blieb ihm trotz seiner hervorragenden Kenntnisse der arabischen Kultur und Sprache vor dem jüdischen Familienhintergrund versagt. Die Ausgrabungen am Tell Halaf boten Oppenheim neue Chancen und Perspektiven. Erfüllt von dem tiefen Wunsch, den Orient, seine Kulturgeschichte und seine Menschen in allen Facetten zu erforschen, hinterließ er späteren Generationen ein reiches Erbe: Die Gründung des Orient-Forschungs-Instituts, der Max Freiherr von Oppenheim-Stiftung und des Tell Halaf-Museums stehen für die konsequente Umsetzung seines Lebenszieles.

Trotz schwerer Schicksalsschläge, die Max von Oppenheim durch die Inflation der 1920er und den Zweiten Weltkrieg erlitt, blickte der Forscher bis zu seinem Tod 1946 in Landshut zuversichtlich in die Zukunft, getreu seines Lebensmottos: Kopf hoch! Mut hoch! Und Humor hoch!

Aufrichtung der Skorpionenvogelmänner, Tell Halaf 1912 - © Max Freiherr von Oppenheim-Stiftung, Köln

Aufrichtung der Skorpionenvogelmänner, Tell Halaf 1912
© Max Freiherr von Oppenheim-Stiftung, Köln

Ausgrabungsergebnisse vom Tell Halaf

Der Tell Halaf, der sich im heutigen Grenzgebiet zur Türkei westlich von Ras al-'Ain erhebt, liegt im Quellgebiet des Habur, dem größten Nebenfluss des Euphrat. Assyrische Schriftquellen und Inschriften vom Tell Halaf identifizieren den Ort in Obermesopotamien mit dem antiken Gosan/Guzana, der auch im Alten Testament erwähnt wird. Im ausgehenden 2. Jahrtausend v. Chr. gründete Bachianu hier das machtpolitische Zentrum seines Stammesverbandes.

Die Ausgrabungen Max von Oppenheims erbrachten eine Zitadelle, deren Stadtmauer die tiefer gelegene und heute weitgehend überbaute Unterstadt abgrenzte. Im Inneren der Zitadelle entdeckte der Forscher zwei monumentale Paläste - den Westpalast und den jüngeren Nordostpalast - sowie mehrere Grüfte. Der Westpalast wurde, wie verschiedene Inschriften belegen, von dem aramäischen Fürsten Kapara erbaut, dessen Lebens- und Regierungszeit wahrscheinlich in das frühe 9. Jahrhundert v. Chr. eingeordnet werden kann. Während der jüngere, in neuassyrische Zeit datierende Nordostpalast (ab 8. Jahrhundert v. Chr.) keinerlei bildlichen Schmuck trägt, ist das Baudekor des westlichen Palastes bis heute einzigartig in seiner Monumentalität und Diktion: Im Haupteingang trugen drei gewaltige Tiere die Säulen des Türsturzes. Nach der Rekonstruktion der Ausgräber standen auf den Tieren Statuen der drei Götter des syro-hethitischen Pantheons - eine Theorie, die sich derzeit weder beweisen noch widerlegen lässt. Mächtige Sphingen und Greifen bewachten die Zugänge, während fast 200 große und kleine Reliefplatten - sogenannte Orthostaten - die Palastmauern säumten.

Weitere Bildnisse befanden sich auf und in den Grabgrüften im Süden der Zitadelle, darunter auch Oppenheims "schöne Venus": Eine weibliche Sitzfigur, deren fein ausgearbeitetes Gesicht von zwei Zöpfen eingerahmt ist, und die eine Opferschale in der rechten Hand hält.

Es waren diese Monumentalstatuen, die die damalige Fachwelt neidvoll auf Oppenheims Grabung blicken ließen, denn bei den etwa zeitgleichen Ausgrabungen von Babylon und Assur suchte man vergeblich nach bildlichen Darstellungen, die die Berliner Museen füllen sollten.

Eine weitere, viel ältere Siedlungsschicht, die vor allem durch ihre bunt bemalte Keramik auffiel, wurde namengebend für die jungsteinzeitliche Halaf-Kultur (ca. 6.000 - 5.300 v. Chr.).

Der Messjunge Holasch vor einem der beiden Skorpionenvogelmänner, Tell Halaf 1912/13 - © Max Freiherr von Oppenheim-Stiftung, Köln

Der Messjunge Holasch vor einem der beiden
Skorpionenvogelmänner, Tell Halaf 1912/13
© Max Freiherr von Oppenheim-Stiftung, Köln

Wiederaufnahme der Ausgrabungen im Jahr 2006

Seit 2006 führen die Staatlichen Museen zu Berlin und die Direction Générale des Antiquités et des Museés Damaskus in Zusammenarbeit mit den Universitäten Halle und Tübingen unter Leitung von Dr. Lutz Martin und Dr. Abdel Masih Baghdoo neue Ausgrabungen am Tell Halaf durch. In interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen Archäologen und Naturwissenschaftlern sollen bei den von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützten Untersuchungen bisher nicht hinreichend beantwortete Fragen zur Siedlungschronologie, zur Siedlungsstruktur und zur Rolle des Tell Halaf in der kulturhistorischen Entwicklung Vorderasiens beantwortet werden.


Publikation im Verlag De Gruyter

Tell Halaf. Im Krieg zerstörte Denkmäler und ihre Restaurierung.
Für die Max Freiherr von Oppenheim-Stiftung und das Vorderasiatische Museum der Staatlichen Museen zu Berlin herausgegeben und bearbeitet von Nadja Cholidis und Lutz Martin.
Mit Beiträgen von Aron A. Dornauer, Kirsten Drüppel, Ulrike Dubiel, Stefan Geismeier und Karin Rohn. Tell Halaf Bd. V, Berlin 2010.
Hardcover, 524 Seiten, 132 Abbildungs-Tafeln, 1 CD-ROM, 129,95 Euro
ISBN 978-3-11-022935-6

Die aktuelle Publikation "Tell Halaf. Im Krieg zerstörte Denkmäler und ihre Restaurierung" setzt eine Reihe von wissenschaftlichen Veröffentlichungen fort, die zwischen 1943 und 1962 beim Verlag De Gruyter zum Tell Halaf (Bd. I-IV) erschienen ist. Auf insgesamt 656 Seiten (mit Tafeln) werden im Band V die eindrucksvollen Identifizierungs- und Restaurierungsarbeiten unter Einbeziehung bisher unveröffentlichter Dokumente ausführlich beschrieben. Weit über 1000 Abbildungen vermitteln dem Leser auf anschauliche Weise sämtliche Schritte des Arbeitsprozesses und bieten darüber hinaus einen faszinierenden Einblick in die Forschungsgeschichte des Tell Halaf. Neue Erkenntnisse zur Herkunft des Basalts oder dem Verlauf der Brandkatastrophe sind in einem naturwissenschaftlichen Exkurs zusammengefasst.

Eingang des Tell Halaf-Museums in der Franklinstraße 6, 1930er Jahre - © Max Freiherr von Oppenheim-Stiftung, Köln

Eingang des Tell Halaf-Museums in der Franklinstraße 6, 1930er Jahre
© Max Freiherr von Oppenheim-Stiftung, Köln

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Quelle:
Pressemitteilung "Max von Oppenheim" vom 15. Juli 2010
Staatliche Museen zu Berlin
Generaldirektion
Stauffenbergstraße 41, 10785 Berlin
Telefon: 030 266 42 4242, Telefax: 030 266 42 2290
E-Mail: service@smb.museum
Internet: www.smb.museum.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2010