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BERICHT/268: Afrika und der Erste Weltkrieg - Internationale Konferenz an der Universität Bayreuth (idw)


Universität Bayreuth - 10.10.2014

Afrika und der Erste Weltkrieg - Internationale Konferenz an der Universität Bayreuth



Auch 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs sind historische Rückblicke noch immer von einer eurozentrischen Perspektive geprägt. Die gravierenden Auswirkungen, die der Krieg in anderen Teilen der Welt - so auch in Afrika - hatte, bleiben dabei außer Betracht. Gelegentlich werden afrikanische Länder noch immer als exotische Kriegsschauplätze behandelt, die am Rande des 'eigentlichen' Kerngeschehens lagen und allenfalls unter kolonialgeschichtlichen Aspekten von Interesse sind. Vor diesem Hintergrund hat eine Konferenz, die Anfang Oktober 2014 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Afrika, Europa und Nordamerika an der Universität Bayreuth zusammenführte, neue Akzente gesetzt.


Afrika im Umbruch: Der Erste Weltkrieg als historischer Einschnitt

Gastgeber der dreitägigen Konferenz war die Bayreuth Academy of Advanced African Studies (BA), eine in Europa einzigartige Forschungswerkstatt. Sie wird seit 2012 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und vereint unter dem Leitthema "Zukunft Afrika" eine Vielzahl interdisziplinärer Forschungsprojekte und -debatten.

"Der Rückblick auf die Folgen des Ersten Weltkriegs für Afrika passt sehr gut zu dieser Thematik", erklärt der Erste Sprecher der Bayreuth Academy, Prof. Dr. Achim von Oppen, der an der Universität Bayreuth eine Professur für Geschichte Afrikas innehat. "Denn der Erste Weltkrieg hat in Afrika und in den afrikanischen Diasporas - trotz oder auch wegen seiner katastrophalen Folgen - vielfältige politische, kulturelle und soziale Veränderungen angestoßen oder ihnen sogar zum Durchbruch verholfen. 1918, bei Ende des Kriegs, hatte sich der Blick auf die Welt sowohl bei den Menschen in Afrika als auch beispielsweise in der Karibik grundlegend geändert. Manche Entwicklungen des Kolonialismus, wie die Aufteilung des Kontinents unter den expandierenden europäischen Mächten, waren an einem historischen Endpunkt angekommen. Zugleich aber entstanden neue Ideen und Impulse für die Gestaltung der Zukunft und wurden auch öffentlich sichtbar. Die schrecklichen Erfahrungen des Kriegs gaben ihnen eine zusätzliche Schubkraft, wie in den Vorträgen und Diskussionsbeiträgen der Konferenz deutlich wurde."


Erfahrungen der Katastrophe

"Katastrophe oder Katalysator?" war die Leitfrage des internationalen Treffens, an dem auch zahlreiche Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus Afrika teilnahmen. "Der Erste Weltkrieg war für Afrika beides", lautete der Konsens, der sich während der Konferenz herausbildete. Er war eine Katastrophe, die sich allein schon daran ablesen lässt, dass der Anteil der Kriegstoten aus Ländern Afrikas mit über 10 Prozent der Truppen ebenso hoch war wie bei europäischen und amerikanischen Soldaten. Die europäischen Kolonialmächte erzwangen die Rekrutierung von rund 2 Millionen Menschen aus Afrika und schickten sie als Soldaten und Arbeiter in den Krieg. Die meisten von ihnen kämpften in Afrika, aber mindestens 160.000 wurden auf europäischen Schlachtfeldern eingesetzt.

Andere wurden zur Arbeit nach Europa transportiert, wie die weit über 600 jungen Afrikaner, die mit dem in Kapstadt gestarteten britischen Dampfschiff "SS Mendi" im Ärmelkanal in den Tod gerissen wurden. Traumatische Erfahrungen wie diese haben bis heute in Südafrika eine starke Symbolkraft.


Neue Impulse, Aufbrüche, Visionen

"Die Erinnerung an die leidvollen Erfahrungen aber wird, wie die afrikanischen Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmer berichteten, in den Ländern Afrikas heute oft beiseite geschoben. Die Menschen wollen die Bürde der Vergangenheit hinter sich lassen und nach vorn schauen", so Prof. von Oppen. Im Rückblick zeigt sich, dass vom Ersten Weltkrieg auch eine katalytische Wirkung für neue Aufbruchstendenzen ausging. Vor 1914 war in Afrika mit der Niederschlagung antikolonialer Aufstände die Kraft für eigene Zukunftskonzepte und Visionen erlahmt. Dies änderte sich jedoch bald nach 1918, als die europäischen Mächte zahlreiche Erwartungen und Hoffnungen, die während des Krieges unter den loyal bleibenden Kolonien gewachsen waren, nicht einlösten. Protest, Kritik und Forderungen, die aus der Bevölkerung gegenüber den Kolonialmächten erhoben wurden, zielten zunächst darauf ab, die eigene wirtschaftliche und rechtliche Position innerhalb der kolonialen Strukturen zu verbessern, richteten sich dann aber zusehends auch gegen die Kolonialherrschaft als solche.

In Ostafrika beispielsweise entwickelten sich innerhalb der aus Südasien eingewanderten Bevölkerungsgruppe Visionen von politischer Gleichheit ohne Rücksicht auf ethnische Herkunft - was dem britischen Kolonialprinzip 'Divide and Rule' zuwiderlief. Zudem entstanden während und nach dem Krieg in den afrikanischen Kolonien eigenständige christliche Gemeinden, die sich von den bis dahin dominierenden Missionaren aus Europa lösten. Diese wurden während des Krieges in vielen Fällen auch von ihren Heimatkirchen abgezogen. So bildete sich im religiösen und kulturellen Bereich eine größere Selbständigkeit heraus. Die Bayreuther Konferenz richtete den Blick darüber hinaus auf damalige neue Aufbrüche in der Karibik. In Jamaica beispielsweise erhielten Bewegungen, die die politischen Rechte der Frauen stärken wollten, unter dem Eindruck der Kriegserfahrungen neuen Auftrieb.


Abschied von eurozentrischen Betrachtungsweisen

Wie Prof. Dr. David Killingray von der University of London in seinem Vortrag darlegte, geht jede Analyse des Ersten Weltkriegs fehl, die das Kriegsgeschehen in den Regionen Afrikas wie einen exotischen 'Sonderfall' behandelt und losgelöst vom Krieg in Europa in den Blick nimmt. "Unser internationales Treffen hat zugleich deutlich gezeigt, dass die Folgen des Ersten Weltkriegs für den afrikanischen Kontinent keineswegs überall gleich waren. Im Gegenteil - die in die Zukunft weisenden Impulse und Aufbrüche, die dadurch ausgelöst oder gestärkt wurden, waren nicht nur in den Regionen, sondern auch in den Ländern Afrikas sehr verschieden", resümierten die Konferenzleiter Prof. von Oppen, Dr. Christine Whyte und Dr. Analisa Urbano. "Hier öffnet sich ein weites Feld für die Geschichts- und Kulturwissenschaften. Die Forschung wird dabei umso produktiver sein, je entschiedener sie sich von kurzsichtigen, auf Europa fixierten Betrachtungsweisen verabschiedet. Die Bayreuth Academy will auch weiterhin zu dieser dringend nötigen Horizonterweiterung beitragen."


Homepage der Bayreuth Academy of Advanced African Studies:
www.bayreuth-academy.uni-bayreuth.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution4

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Bayreuth, Christian Wißler, 10.10.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Oktober 2014