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BUCHTIP/233: Soziales "Networking" in Weimar um 1800 (idw)


Friedrich-Schiller-Universität Jena - 13.07.2007

Soziales "Networking" in Weimar um 1800

Sonderforschungsbereich 482 "Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800" der Universität Jena beleuchtet Weimars Entwicklung zur Kulturstadt


Jena (13.07.07) Auf dem kleinen Marktplatz, direkt vor der Herderkirche, treibt ein Schäfer seine Herde vor sich her. Wer dieses Bild sieht, wähnt sich in einem beschaulichen Ackerbürgerstädtchen und nicht etwa im Zentrum einer gerade erblühenden Hochkultur. "Doch genau das war Weimar um die Jahrhundertwende vom 18. zum 19. Jahrhundert noch - ein ländlich geprägtes Städtchen mit einer Fürstenresidenz", sagt PD Dr. Klaus Ries von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Der Historiker hat soeben das Buch "Zwischen Hof und Stadt" herausgegeben, dessen Cover jene idyllische Szene vom Weimarer "Töpfermarkt" um das Jahr 1800 zeigt. Am kommenden Donnerstag (19. Juli) um 19 Uhr stellen Ries und einige studentische Mitarbeiter die neue Publikation der Öffentlichkeit im Jenaer Stadtmuseum (Göhre) vor.

Mit ihrem Buch haben die Wissenschaftler um Klaus Ries die erste an modernen sozial- und kulturgeschichtlichen Fragestellungen orientierte Studie über Weimar um das Jahr 1800 vorgelegt. Im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 482 "Ereignis Weimar-Jena" gingen sie der Frage nach, wie sich Weimar von der Ackerbürgerstadt hin zur Kulturstadt entwickeln konnte. "Was hat gerade hier Musik, Malerei, Literatur und Philosophie in einem so beispiellosen Maße gedeihen lassen?", fragt Ries.

Eine der treibenden Kräfte für diese Entwicklung - die zugleich mit einem Wandel von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft einherging - war die zunehmende Zahl sozialer Verflechtungen von Hof und Stadt. Zu diesem Ergebnis kamen die Autoren bei ihren Untersuchungen demographischer Daten der Weimarer Bevölkerung zwischen 1770 und 1820. Zahllose Bücher der drei Weimarer Kirchengemeinden haben sie durchforstet und Informationen über Geburten, Taufen, Patenschaften, Todesfälle, Begräbnisse und Eheschließungen zusammengetragen. Knapp 60.000 Datensätze sind dabei zusammengekommen. "Diese Daten verraten weit mehr als bloße statistische Details", macht Ries deutlich. So lasse sich daran etwa die wachsende Verbindung zwischen der Weimarer Hofgemeinde und der Stadtgesellschaft ablesen.

Als Beispiel nennt er die in den Kirchenbüchern registrierten Taufpaten. Die Wahl der Taufpaten war für den weiteren Lebensweg des Täuflings von großer Bedeutung, weshalb die Eltern stets bestrebt waren, bedeutende Paten auszuwählen. "Heute würde man sagen, über die Wahl der Taufpaten wurde ein soziales Netzwerk geknüpft", so Ries, denn auch zwischen den Eltern und dem Taufpaten entstand oftmals eine enge Bindung, die im täglichen Leben als soziales Kapital durchaus nützlich sein konnte.

Während unter der bürgerlichen Bevölkerung die Taufpaten in aller Regel aus der eigenen sozialen Schicht stammten, konnten die am Hof beschäftigten Künstler, allen voran Schauspieler, aber auch Maler oder Musiker, oftmals ausschließlich adelige Paten für ihre Kinder gewinnen. "Auf diese Weise unterstützte die Hofgemeinde Künstler und band sie an den Hof", so Ries. Dies zeige deutlich, wie der Weimarer Hof mit Kunst und Kultur Politik machte. "Herzog Carl August und seine Mutter Anna Amalia sahen gerade in der Förderung der Künstler einen Weg, das eigene Ansehen zu erhöhen."

Das Buch "Zwischen Hof und Stadt. Aspekte der kultur- und sozialgeschichtlichen Entwicklung der Residenzstadt Weimar um 1800" ist im Hain-Verlag erschienen.

Kontakt:
PD Dr. Klaus Ries
Sonderforschungsbereich 482 "Ereignis Weimar-Jena.
Kultur um 1800" der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Humboldtstraße 34, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 944057
E-Mail: Klaus.Ries[at]uni-jena.de

Weitere Informationen unter:
http://www2.uni-jena.de/ereignis/

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution23


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Dr. Ute Schönfelder, 13.07.2007
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2007