Schattenblick →INFOPOOL →GEISTESWISSENSCHAFTEN → GESCHICHTE

BUCHTIP/235: Martin Broszat und die Historisierung der Historiker (idw)


Friedrich-Schiller-Universität Jena - 30.08.2007

Martin Broszat und die Historisierung der Historiker

Erster Band des "Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts" der Universität Jena erschienen


Jena (30.08.07) Was passiert, wenn Historiker ihre Arbeit und sich selbst kritisch unter die Lupe nehmen? Im besten Fall ergeben sich neue, fruchtbare Ansätze für die weitere Forschung. So geschehen auf einer internationalen Tagung führender NS-Forscher am 15. und 16. Dezember 2006 in Jena, zu der Prof. Dr. Norbert Frei, Lehrstuhlinhaber für Neuere und Neueste Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, eingeladen hatte. Veranstalter war das "Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts", dem Frei vorsteht. Der Zeithistoriker Frei hatte die Tagung seinem akademischen Lehrer Martin Broszat (1926-1989) gewidmet, der am 14. August 2006 seinen 80. Geburtstag gefeiert hätte.

Unter den Teilnehmern waren Saul Friedländer, der mit Broszat Ende der 80er Jahre einen kontroversen Briefwechsel über dessen "Plädoyer für eine Historisierung des Nationalsozialismus" geführt hatte, der englische Historiker Ian Kershaw, Hans Mommsen, emeritierter Zeithistoriker aus Bochum, und zahlreiche weitere Historiker. Anwesend war auch Nicolas Berg aus Leipzig, der in seinem 2003 erschienenen Buch "Der Holocaust und die westdeutschen Historiker" die Integrität Broszats in Zweifel gezogen hatte, weil dieser seine 1944 beantragte NSDAP-Mitgliedschaft verschwiegen habe. Ob Broszat indes überhaupt von seiner Parteiaufnahme gewusst hat, lässt sich nicht mehr klären.

Der soeben erschienene Band "Martin Broszat, der 'Staat Hitlers' und die Historisierung des Nationalsozialismus" versammelt die Beiträge der gleichnamigen Tagung vom Dezember 2006 inklusive der dort geführten Diskussionen. Herausgeber Norbert Frei eröffnet damit die Reihe "Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts. Vorträge und Kolloquien". Zu Wort kommen Frank Bajohr, Mathias Beer, Nicolas Berg, W?odzimierz Borodziej, Dan Diner, Norbert Frei, Saul Friedländer, Constantin Goschler, Ian Kershaw, Jan-Holger Kirsch, Hans Mommsen, Lutz Niethammer, Klaus Schwabe, Sybille Steinbacher, Hans-Ulrich Wehler, Bernd Weisbrod und Michael Wildt. In vier Kapiteln wird das Wirken Broszats einer kritischen Würdigung unterzogen, zugleich rücken Historiographie und Historiographen in den Blickpunkt der Wissenschaftler.

Es sei an der Zeit, nicht mehr nur die Geschichte des Nationalsozialismus weiter zu erforschen, sondern auch den Gang ihrer Erforschung selbst, sagte Norbert Frei. Es gehe dabei um eine Historisierung "bei lebendigem Leibe", denn einige der beteiligten Forscher treten in einer Doppelrolle als Wissenschaftler und Zeitzeugen auf. Während die Historisierung des Nationalsozialismus angesichts des Verschwindens der Zeitzeugen eine unwiderrufliche Tatsache ist, steht die Historisierung der Historiographie zur NS-Zeit erst am Anfang. Die Jenaer Tagung gab dazu wichtige Anstöße, was der vorliegende Band eindrucksvoll belegt.

Norbert Frei (Hrsg.): Martin Broszat, der "Staat Hitlers" und die Historisierung des Nationalsozialismus (Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts. Vorträge und Kolloquien, Band 1). (Wallstein) Göttingen 2007, 18,00 EUR, ISBN-10: 3-8353-0184-5.

Kristina Meyer M.A.
Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts
Historisches Institut der
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Zwätzengasse 3, 07743 Jena
Telefon 03641 / 944458
E-Mail: Jena.Center@uni-jena.de

Weitere Informationen unter:
http://www.jenacenter.uni-jena.de
http://www.uni-jena.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution23


*


Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Dr. Ute Schönfelder, 30.08.2007
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. August 2007