Schattenblick →INFOPOOL →GEISTESWISSENSCHAFTEN → GESCHICHTE

BUCHTIP/284: Extreme Formen von Gewalt in Bild und Text des Altertums (idw)


Ludwig-Maximilians-Universität München - 29.06.2009

Gräueldarstellungen im Altertum:
Historiker erforschen Gewalt in Text und Bild der Antike


Wo Menschen Gemeinschaften bilden, sind immer auch Aggressionen im Spiel. Die Darstellung konkreter Gewaltanwendung ist deshalb bereits seit der Antike ein fester Bestandteil menschlicher Bilderwelten. Die Botschaft, die mit solchen Darstellungen verbunden ist, hat sich jedoch im Laufe der Jahrhunderte gewandelt. In heutigen Kulturen steht nicht der Sieg im Blutrausch, sondern die legitime Selbstverteidigung im Zentrum offizieller Gewaltdarstellungen.

Die Vorstellungen vom gerechten Krieg und legitimer Gewaltanwendung ist für viele Staaten im 20. und 21. Jahrhundert konstitutiv. Dabei gestattet diese Vorstellung keine Bilder vom Töten des Gegners: Auf Schlachtengemälden wird der Tod gnädig in Geschütznebel verhüllt und in TV-Bildern sehen wir nur Lichtblitze in der Dunkelheit und hören fernen Donner. Ganz anders dagegen die antiken Kulturen: Grausige Gewaltorgien gehörten zum kriegerischen Alltag und wurden gezielt medial verbreitet. Das zeigen Historiker in dem aktuell erschienenen Sammelband "Extreme Formen von Gewalt in Bild und Text des Altertums", der von Professor Martin Zimmermann, Historiker an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, herausgegeben wurde.

Im antiken Rom wurden beispielsweise bei Triumphzügen Kriegsbilder mit extremer physischer Gewalt gezeigt und auch die Inszenierung von Gewalt im Amphitheater gehört in diesen Kontext, so Martin Zimmermann: "Gewalt war im römischen Reich im öffentlichen Raum außerordentlich präsent, ja sie war eine wichtige Grundlage der staatlichen Existenz, so fern der Krieg für einen Bewohner der Hauptstadt in der Kaiserzeit als Erfahrungshorizont auch gerückt sein mag."

Das Buch zeigt jedoch nicht nur die Darstellungspraxis von Gräueltaten im alten Rom. In elf Texten untersuchen Wissenschaftler unterschiedliche antike Kulturkreise und ihr Verhältnis zur Gewalt. Im Mittelpunkt stehen dabei verschiedene mediale Formen der Überlieferung von Gewaltszenen: Reliefs, Bilder auf Schalen, Amphoren, Urnen, Vasen oder Tonlampen sowie Dichtung und andere Textformen. "Waren die Assyrer grausam?" fragt beispielsweise Andreas Fuchs und zeigt in seinem Beitrag, dass man differenzieren muss. So kann er nachweisen, dass die besonders ausführliche mediale Darstellung assyrischer Grausamkeiten vor allem den Zweck hatte, dadurch Angst und Schrecken bei potenziellen Gegnern zu stiften. Die offensive Gewaltdarstellung dient somit maßgeblich dazu, den Widerstandswillen innerer und äußerer Feinde möglichst klein zu halten und Unterwürfigkeit zu fördern.

Susanne Muth analysiert in ihrem Beitrag, wie sich im Athen des späten 6. und frühen 5. Jahrhunderts vor Christus die Zeugnisse der medialen Gewalt zur historischen Realität verhalten. Sie stellt fest, dass Gewaltdarstellungen bereits vor den Perserkriegen zunehmen. Somit besteht also kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Darstellung und dem realen Erleben von Gewalt. Darüber hinaus untersucht Renate Müller-Wollermann symbolische Gewalt im Alten Ägypten, Martin Zimmermann widmet sich extremen Formen physischer Gewalt in der antiken Überlieferung und Felix Pirson fragt nach der Funktion extremer Gewalt in Kampfdarstellungen der hellenistischen Sepulkralkunst Etruriens. Martin Hose wirft einen Blick auf Sadismus in der hellenistischen Dichtung und Dirk Rohmann betrachtet Seneca und das Gewaltkonzept in der Literatur des ersten Jahrhunderts nach Christus. Eine Untersuchung von Ulrich Huttner zur Inszenierung des Todes in der Antike und Jens-Uwe Krauses Blick auf Hinrichtungen als Form staatlicher Gewalt in der Spätantike beschließen den Band.

Trotz der Fülle der untersuchten Gewaltdarstellungen warnt Martin Zimmermann jedoch vor dem Kurzschluss, antike Kulturen seien gewalttätiger gewesen als nachantike. Er weist vor allem mit Blick auf das 20. Jahrhundert darauf hin, dass es "generell gesehen keinen verbindlichen kulturellen Fortschritt im Sinne einer Mäßigung" kollektiver Gewaltausübungen gebe.

Publikation:
Martin Zimmermann (Hrsg.)
"Extreme Formen von Gewalt in Bild und Text des Altertums"
Herbert Utz Verlag, München 2009.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution114


*


Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Ludwig-Maximilians-Universität München, Luise Dirscherl, 29.06.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juli 2009