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DISKURS/032: Medien als Katalysatoren der Wende? (Spiegel der Forschung)


Spiegel der Forschung Nr. 2/Dezember 2009
Wissenschaftsmagazin der Justus-Liebig-Universität Gießen

Medien als Katalysatoren der Wende?
Die DDR, Polen und der Westen 1989

Von Frank Bösch


Medien spielen bei den meisten politischen Oppositionsbewegungen eine zentrale Rolle. Jüngst zeigte sich dies bei den Protesten im Iran oder in Tibet, bei denen das Internet eine Schlüsselfunktion einnahm. Aber auch historisch sind die Beispiele für das Zusammenspiel von Protestbewegungen und Medien unübersehbar. Ebenso wie die Einführung des Buchdrucks maßgeblich die Reformation beflügelte, wurde etwa die Französische Revolution 1789 und die europäische Revolution 1848 von politisierten Flugblättern und neuen Zeitungen getragen. Das Medium Fernsehen spielte beim Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 eine entscheidende Rolle. Welche Bedeutung insgesamt hatten aber die Medien für den Umbruch in Osteuropa? Dies wird am Beispiel Polen und DDR und deren Interaktion mit den Westmedien diskutiert.


Der Mauerfall 1989 wird in der derzeitigen Erinnerungskultur immer wieder mit dem Medium Fernsehen verbunden. Günter Schabowskis Pressekonferenz vom 9. November 1989, auf der er auf Nachfrage etwas zögerlich die sofortige Reisefreiheit bekannt gab, gilt als ein medial bedingtes Schlüsselereignis, da erst die Fernsehberichte darüber einen Ansturm auf die Grenze und so deren tatsächliche Öffnung auslösten. Nachdem das "heute-journal" um 19.00 Uhr und die "Aktuelle Kamera" eine halbe Stunde später die Aussage Schabowskis noch eher beiläufig berichtet hatten, machte die "Tagesschau" groß mit der Grenzöffnung auf und gab so insbesondere vielen Ost-Berlinern den Anstoß, zu den Grenzübergängen aufzubrechen.

Westdeutsche Fernseh-Teams in Ostberlin filmten diese Menschen schon gegen 20.30 Uhr, ebenso die Verhinderungsversuche durch Volkspolizisten. Und bereits in den Tagesthemen gegen 23 Uhr kam es zu einem "live broadcasting of history" mit Bildern vom Ansturm auf die Grenze, der dadurch so stark wurde, dass sie ohne Visa-Anträge passiert werden konnte.

Aus deutscher Perspektive kann man also leicht von einer punktuell entscheidenden Rolle der Westmedien sprechen. Weitaus interessanter erscheint jenseits dieses prominenten Ereignisses die Frage, welche Bedeutung die Medien längerfristig und in transnationaler Perspektive für den Umbruch in Osteuropa hatten. Dies möchte ich für Polen, die DDR und deren Interaktion mit den Westmedien diskutieren. Polen und die DDR bieten sich dabei als unterschiedliche Fälle an, um Transformationsformen und Ost-West-Interaktionen zu fassen.


Der polnische Umbruch und die transnationale Medienöffentlichkeit

Polen gilt bekanntlich als das Mutterland des osteuropäischen Umbruches. Die polnischen Medien spielten dabei eine Schlüsselrolle. Sie scheinen mir in dreierlei Hinsicht von größerer Bedeutung. Besonders markant war in Polen erstens die illegale Untergrundpresse, die bereits vor den Solidarnosc-Protesten mit nicht zugelassenen Zeitschriften aktiv war und eine in Osteuropa unvergleichbare Stärke erreichte. In der Forschung divergieren die Zahlenangaben, aber Schätzungen gehen von etwa 2000 Zeitschriftentiteln zwischen 1975 und 1989 aus.

Nach Verhängung des Kriegsrechtes Ende 1981 kam es zu medienpolitischen Verschärfungen, bei denen rund 1200 Redakteure ihre Arbeit verloren. Aber hier bildete nicht nur die Kirchenpresse ein gewisses Auffangbecken, die sich dadurch stärker politisierte. Schätzungen gehen vielmehr weiterhin von rund 800 illegalen Titeln für 1982 aus. Mitte der 1980er Jahre verlor die Untergrundpresse jedoch ermüdet an Schlagkraft.

Die Bedeutung der Untergrundpresse erschöpfte sich jedoch nicht darin, dass sie eine Gegenöffentlichkeit bildete. Vielmehr schuf sie durch den Akt ihrer Erstellung einen Kristallisationspunkt für die kontinuierliche Formierung von Oppositionsgruppen. Ähnlich wie im Vorfeld von 1789 oder 1848 entstanden dadurch journalistisch geschulte Persönlichkeiten und organisatorisches Know-How, um im Moment des Umbruches schlagartig medienwirksam agieren zu können. In Polen zeigte sich dies bei der "Gazeta Wyborcza", also der ersten erlaubten Zeitung der Solidarnosc. Dass sich dieses Blatt im Mai 1989 in wenigen Wochen zu einer äußerst massenwirksamen Tageszeitung mit einer Auflage von rund 500.000 Exemplaren entwickeln konnte, lag daran, dass sie an die Untergrundpresse anknüpfte: Aus ihr rekrutierte sie rund 70 Journalisten, aber auch technische Geräte für die Herstellung.

Ein charakteristisches Merkmal für die Akteursrolle von inoffiziellen Medien in Revolutionen war zudem, dass im Zuge des Umbruchs oppositionelle Journalisten in politische Führungsrollen hineinwuchsen. Das galt zwar nicht für Lech Walesa, wohl aber etwa für den ersten gewählten Ministerpräsident 1989, Tadeusz Mazowiecki, der jahrzehntelang unter anderem die katholische Monatsschrift "Wiez" herausgab, und Innenminister Krzysztof Kozlowski.

Die Untergrundpresse bereitete zudem eine emotionalisierende Skandalisierung vor, die mit der schrittweisen Legalisierung 1989 ihre Schlagkraft verstärken konnte. Blickt man in die ersten Ausgaben der "Gazeta Wyborcza" aus dem Mai 1989, so konnte sie gleich nach ihrer Zulassung mit einer Skandalisierung aufmachen, die mit großer Überschrift an Watergate anspielte. Unter dem Titel "Slupiagate" berichtete sie über Wanzen und elektronische Richtmikrophone, die ihre Mitarbeiter in Slupsk (Stolp) in ihre Räumen hinter einer frisch verspachtelten Wand fanden. Auch in der folgenden Zeit profilierte sich das Blatt immer wieder durch interne Informationen über Regierungspläne, die wohl aus Lecks in der Bürokratie stammten.

Dabei erwies sich die Zeitung als äußerst kreativ, um die Unzufriedenheit der Volksmehrheit darzustellen. Da etwa vor den ersten Wahlen keine Meinungsumfragen verfügbar waren, erstellte das Blatt im Sommer 1989 selbst eine, indem es 2127 Menschen in 46 Orten über die Zufriedenheit mit dem Regierungschef befragte. Diese Frage bejahten nur 13 Prozent der Befragten. Diese frühe Adaption investigativer Mobilisierungstechniken dürfte ebenfalls die Transformation von 1989 beschleunigt haben.

Zweitens fällt im Vergleich zu anderen kommunistischen Regimen auf, dass die zugelassenen polnischen Medien bereits in den 1980er Jahren pluralistischer waren als in anderen Ländern. Wie auch westdeutsche Korrespondenten bemerkten, war hier durchaus punktuelle Kritik möglich. So thematisierte das Magazin "Polityka" schon vor 1989 Missstände wie den korrupten Demonstration der "Orangen Alternative", die als Zwerge verkleidet durch Breslau ziehen. Zugang von Funktionären zu Schnaps oder die Umweltverschmutzung.

Diese gewissen Spielräume erleichterten der Solidarnosc, ihre öffentliche Präsenz auch in den offiziellen Medien zu erreichen. Die kommunistische Partei-Presse berichtete über Proteste und lieferte so trotz ihrer ideologischen Abwertung Informationen etwa über die Streiks. Bereits 1988 konnte Lech Walesa sein erstes Interview mit der Staatspresse geben und dadurch die öffentliche Position der Solidarnosc ausbauen. Selbst im Fernsehen erreichten die Vertreter der Solidarnosc spätestens Anfang 1989 Medienpräsenz und konnten Interviews geben. Und auf den Pressekonferenzen der kommunistischen Regierung erschienen bereits im Februar 1989 Vertreter der noch verbotenen Untergrundzeitschriften, während umgekehrt die halblegale Solidarnosc Pressekonferenzen abhielt, zu denen auch offiziöse Journalisten kamen. Die Frage-Antwort-Spiele der Pressekonferenzen waren damit in gewisser Weise das Forum, in dem die Opposition den späteren Parlamentarismus einüben konnte.

Die polnische Opposition richtete dabei über die Streiks hinaus mit unterschiedlichen Techniken die Aufmerksamkeit der nationalen und internationalen Medien auf sich und erhöhte so den Druck auf das Regime: Dazu zählten 1988/89 etwa das Anhalten von 80 Zügen, das Verharren in Zechen oder Happenings, bei denen Jugendliche seit Herbst 1988 verkleidet und satirisch kommunistische Parolen skandierten. Bei diesen Happenings trat etwa die "Orange Alternative" zum "Tag des Kindes" mit roten Mützen als Zwerge verkleidet auf oder führten zum Tag der zur Oktoberrevolution in rot gekleidete Dackel durch Breslau. Zu einem Kampf um die öffentlichen Bilder kam es insbesondere, als Jugendliche mit Steinwürfen und Gewalt protestierten. Laut Oppositionsangaben trugen Polizeispitzel mit dazu bei, durch radikale Handlungen derartige Gegenbilder zu produzieren. Die Klage über die Gewalt-simulierenden Spitzel diskreditierte das bestehende System auch im Ausland zusätzlich.

Drittens interagierten die polnischen Medien stark mit der westlichen Öffentlichkeit. Gerade in dieser Hinsicht war auch der Besuch von Johannes Paul II. 1979 ein Schlüsselmoment, weil die Westreporter die polnischen Zensurbemühungen unterliefen, die mit detaillierten Anweisungen den Papstbesuch herunterspielen wollten. Besonders deutlich war die transnationale Interaktion auch bei den Solidarnosc-Protesten 1980/81, als die fortlaufenden Westberichte eine Welle von Spenden und Hilfsaktionen aus dem Westen einleiteten. Die große Achtung vor den Solidarnosc-Anführern ermöglichte, dass diese auch bei ihren späteren Westreisen medial Akzente setzen konnten - etwa im Zuge von Papst-Audienzen oder Begegnungen mit westdeutschen Politikern. Für diese internationale Kommunikation steht schließlich die 1989 gegründete "Gazeta Wyborcza". Westdeutsche Korrespondentenberichte beriefen sich nun immer wieder auf das Blatt.

Umgekehrt führten polnische Staatsblätter Ende der 1980er Jahre Interviews mit führenden westlichen Regierungschefs - wie mit Margret Thatcher oder George Bush, der dabei unter anderem den Abzug sowjetischer Truppen forderte. Auch diese Form der transnationalen Kommunikation förderte die Anbindung an den Westen und die Stellung der Opposition.

Die Ausrichtung des Protestes zielte dabei unverkennbar auf die nationalen und internationalen Medien, über die auch das Ohr der Führung der Arbeiterpartei besonders gut zu erreichen war. Nachdem in Polen etwa der Oppositionelle (und spätere Außenminister) Bronislaw Geremek im März 1989 forderte, der Westen könne den Reformprozess etwa durch Entschuldung stützen, wurde diese Forderung in den Westmedien nicht nur zitiert, sondern wiederum als eigene Forderung präsentiert.

Wenig bekannt ist bisher über die Wirkung der Publikationen, die Solidaritäts- und Exilgruppen der Solidarnosc im Ausland herausgaben, wie in Deutschland das "Hilfskomitee Solidarnosc e.V." mit seinen deutschsprachigen "Solidarnosc Informations Bulletin", das polnische Artikel übersetzte. Ähnliches gilt für die Wirkung westlicher Sender wie "Radio Free Europe" oder "Voice of America". Hier scheint offensichtlich, dass polnische Exilanten die elektronischen Medien zur Interaktion mit der polnischen Opposition nutzten und so den Protest mit koordinierten und forcierten. Generell lässt sich somit festhalten, dass man in Polen insgesamt einen starken und vielfältigen Einfluss der Medien ausmachen kann, der weniger punktuell als langfristig seine Kraft entfaltete.


Die Wende der DDR als Medienereignis

Betrachtet man vergleichend die Rolle der Medien beim Zusammenbruch der DDR, so fallen zunächst die Differenzen auf. Eine inoffizielle Untergrundpresse existierte hier nur in sehr beschränktem Maße, wie etwa die Zeitschrift "Grenzfall" der Friedens- und Menschenrechtsbewegung, die 1986 acht Ausgaben erreichte. Eine markante Rolle für die Wende spielten diese wenigen Blätter nicht.

Different ist zudem die Rolle der offiziellen DDR-Medien. Von ihnen gingen vor dem politischen Machtwechsel von Honecker zu Krenz am 18. Oktober 1989 so gut wie keine Impulse für die Transformation aus, in den Wochen danach zumindest einzelne. Mitunter hervorgehobene Beispiele, wie die ersten Sendungen des neuen Jugendmagazins "Elf 99" im September 1989, erweisen sich bei näherer Betrachtung weiterhin als äußerst linientreu. Zudem lag der Zuschaueranteil bei politischen Sendungen wie der "Aktuellen Kamera" ohnehin bei unter zehn Prozent und sank im Sommer 1989 auf den historischen Tiefstand von vier Prozent Zuschauern. Auch in internen DDR-Zuschauerbewertungen glitt die "Aktuelle Kamera" Anfang Oktober auf die historische tiefste Note von 5,56.

Dennoch trugen die DDR-Medien zumindest indirekt zum Zusammenbruch des Sozialismus bei. Zum einen wurde der Unmut und Protest 1989 entscheidend durch die Zensurpolitik der SED mobilisiert; nicht nur das Verbot der beliebten sowjetischen Auslandszeitschrift "Sputnik", sondern auch die zahlreichen Auslieferungsverbote von Kirchenblättern führten dazu, dass sich die verbotene Kommunikation in Druckwerken schließlich auf die Straße verlagerte. Zum anderen spornten die DDR-Medien Proteste indirekt an, da sie fortlaufend die Differenz der erlebten Alltagserfahrung und der verblendeten Scheinwelt des Regimes aufzeigten. Als die ersten Proteste begannen, trugen die DDR-Medien zumindest dazu bei, sie auszuweiten und schließlich die Empörung zu steigern. Obgleich sie die ersten Protestierenden als "Rowdys" verunglimpften, informierten die Berichte so immerhin über lokale Proteste. Zudem bezeichnete die DDR-Presse die westlichen Medien als eigentliche Organisatoren der Massenunruhen. So zeigte das "Neue Deutschland" am 10. Oktober ein Foto von einem ARD-Korrespondenten bei der Leipziger Demonstration am Vortag mit den Worten: "Sie hielten voll drauf und kurbelten an, was sich da am Wochenende zusammengerottet hatte." Damit forcierten die DDR-Medien selbst das Bild, dass Oppositionelle auf die Hilfe der Westmedien bauen konnten, die eine entsprechend starke Wirkung haben würden.

Erst ab Anfang November 1989 kann man den DDR-Medien zubilligen, dass sie die kritische Auseinandersetzung mit dem Regime förderten. Zugleich erreichten sie nun erst einen größeren Anteil der Zuschauer. Das gilt insbesondere für die vierstündige Live-Übertragung der Demonstration auf dem Alexanderplatz vom 4. November im DDR-Fernsehen, die eine Spitzen-Sehbeteiligung von 44 Prozent der Zuschauer hatte. Damit vereinte der Live-Bericht die Nation vor dem Fernsehen zu einer Protestgemeinde. Generell gab das DDR-Fernsehen Protesten nun mehr Raum als der Westen, was selbst bei der "Aktuellen Kamera" die Einschaltquoten auf 70 Prozent bis Jahresende hochschnellen ließ. Und ab Ende Oktober forcierten Sendungen wie "Prisma" oder "Elf 99" den Umbruch mit einzelnen investigativen Berichten über "Wandlitz", die die Korruption der Parteiführung erfolgreich anklagten. Die Zuschauer beteiligten sich dabei intensiv an dem medialen Umbruch: nach Fernsehdiskussionen kam es zu rund 50.000 Anrufen und bei den größeren Tageszeitungen gingen nun rund 600 Leserbriefe pro Tag (!) ein, die die Reformen diskutierten.

Angetrieben wurde der Umbruch in der DDR jedoch vor allem von den Westmedien. Wie lässt sich dieser Einfluss genauer fassen? In der Fachliteratur schwanken die Einschätzungen zwischen den Polen, die Westmedien seien die "revolutionären Führer" gewesen (so Andreas Czaplicke in seiner kommunikationswissenschaftlichen Dissertation), bis hin zur verhaltenen These von Günther Holzweißig, die Westmedien hätten die Abläufe nur angeschoben, beschleunigt oder begleitet, nicht aber ihren Verlauf geprägt.

Tatsächlich erscheinen mir die Westmedien mehr als nur Katalysatoren gewesen zu sein. Sie waren vielmehr prägend für den Verlauf. So schufen sie zunächst mitten in der DDR eine demokratische Parallelwelt, die deviantes Verhalten förderte - wie Reise- und Konsumwünsche oder Medien- und Versammlungsfreiheit. Auch geht die Literatur mehrheitlich davon aus, das Westfernsehen habe die kulturelle Einheit der zwei Staaten etabliert und damit die faktische Einheit vorweggenommen und eine gemeinsame "Fernsehnation" (Axel Schildt) gebildet.

Wie interagierte nun die Oppositionsbewegung 1989 mit dem Westen? Befragungen von Oppositionellen unmittelbar nach der Maueröffnung ergaben, dass sie den Einfluss der Westmedien auf ihr Handeln als recht hoch veranschlagten. Bei den ersten Demonstrationen waren die Westkameras oft der eigentliche Ansprechpartner, da sie sowohl eine Kommunikation mit der SED-Führung ermöglichten als auch mit der breiteren Bevölkerung, die mobilisiert werden sollte. Die Westmedien gaben den versprengten Oppositionellen das Gefühl, einer präsenten, starken und gemeinschaftlichen Gruppe anzugehören, obgleich die Motive für die Proteste sehr different waren. Zahlreiche Bild- und Filmquellen wurden den Westjournalisten von Oppositionellen zugespielt - so auch der ARD bei Berichten über die erste Montagsdemo in Leipzig. Rainer Eppelmann berichtete am 8. Oktober sogar per Telefon live im ZDF, wie sich die Polizeikräfte um die Gethsemanekirche im Prenzlauer Berg sammelten. Dabei waren die West-Journalisten ein zentrales Schutzschild gegen die gewaltsame Niederschlagung der Proteste. Schließlich ist nicht zu vergessen, dass die Angst vor einer "chinesischen Lösung" durchaus groß war.

Nicht nur das Fernsehen, sondern auch die westlichen Printmedien interagierten mit der Opposition. Ihre Rolle wurde bisher als unbedeutend veranschlagt, da die Westpresse nicht in der DDR zu erhalten gewesen wäre. Dennoch würde ich ihre Bedeutung etwas höher gewichten. Denn zumindest die SED-Führung war natürlich genau über Aussagen in der Westpresse informiert und ihre Medien antworteten vor lauter Westfixierung fortlaufend auf sie. Dabei bot die westliche Presse intellektuellen oder oppositionellen Persönlichkeiten aus der DDR ein Forum für ihren kritischen Dialog mit der SED. So konnte Manfred Stolpe, damals bekanntlich Konsistorialpräsident der Berlin-Brandenburgischen Kirche, am 25. September 1989 im "SPIEGEL" auf zwei Seiten Reformvorschläge unterbreiten, wobei er die Westmedien als Druckmittel anführte: "Ich fürchte aber, man [die DDR-Führung] berücksichtigt zu wenig, daß abends der 'Klassenfeind' sowieso via Fernsehen aus dem Westen in alle Wohnzimmer kommt. [...] Die Medienherrschaft des Westens kann nur offensiv durch eigenen direkten Meinungsstreit gebrochen werden." Wie dieses Beispiel zeigt, richtet sich Stolpe dabei sprachlich und argumentativ direkt an die SED.

Die Westmedien, so könnten man bilanzieren, prägten damit die Dynamik der schlagartig kumulierenden Oppositionsbewegung. Sie forcierten zudem auch die Dynamik der Maueröffnung und deren Umdeutung. Im Zuge des Mauerfalls berichteten alle Westmedien, insbesondere das Fernsehen, besonders intensiv über die DDR. Allein in den zehn Tagen nach dem Mauerfall erfolgten 128 Sondersendungen auf ARD und ZDF, zudem 48 auf RTL und SAT 1, die vielfach live von den Ereignisorten Reportagen brachten. Auswertungen zu den gezeigten Akteuren ergaben, dass bezeichnenderweise Kirchenmitglieder oder Oppositionsmitglieder vergleichsweise selten gezeigt oder interviewt wurden. Stattdessen standen einerseits Regierungsmitglieder der SED, anderseits anonyme DDR-Bürger im Vordergrund - bei SAT 1 letztere sogar zu 65 Prozent. Zudem verdichteten die Medien den Verlauf des Umbruches visuell auf die tanzenden Menschen auf der Mauer vor dem Brandenburger Tor. Beides führte dazu, dass der Mauerfall nun als ein Ereignis erschien, das von den einfachen Deutschen in beiden Staaten erreicht wurde.


Zwei Wege zur Wende

Bilanziert man die Medienwirkung in den beiden untersuchten Ländern, so kann man von zwei Typen von Medienrevolutionen sprechen. Während die Medien in Polen wie wohl in keinem anderen kommunistischen Land langfristig mit zur Aushöhlung und Transformation des Systems beitrugen, gaben die DDR-Medien einen kurzen, aber verdichteten Impuls, der mit zum Zusammenbruch des Systems beitrug.

Es wäre zu überlegen, inwieweit man aus diesen beiden Fällen idealtypisch Modelle für die Interaktion zwischen den Medien und der Systemtransformation ableiten kann. Während zum ersten Typus etwa Ungarn zählen würde, wäre Rumänien ein weiteres Beispiel für ein Land, bei dem Medien innerhalb von wenigen Tagen und Wochen mit den Zusammenbruch der Diktatur forcierten, als die Livebilder von Protesten gegen den Staatspräsidenten Ceaucescu und Berichte über Massaker den Diktator stürzten. Andere Länder wären zwischen diesen Idealtypen einzuordnen, oder es wäre eine dritte Gruppe zu öffnen, bei denen die Medien eine deutlich geringere Rolle spielten.

Trotz aller Unterschiede lassen sich aber auch zahlreiche Gemeinsamkeiten ausmachen. In beiden Fällen interagierten die Oppositionellen vielfältig mit den westlichen Medien und zogen hieraus ihre Stärke. Und in beiden Ländern beschleunigten vorsichtige Zugeständnisse des Regimes über eine gewisse Medienfreiheit in kurzer Zeit die Erosion der Diktaturen. Ebenso zeigten beide Länder, dass Medien nicht automatisch Proteste auslösen. Die Westmedien in der DDR, "Radio Free Europe" und die Untergrundpresse bildeten ein längerfristiges Potential für einen Umbruch, der jedoch eine gewisse Gelegenheitsstruktur benötigte.


Prof. Dr. Frank Bösch
E-mail: Frank.Boesch@geschichte.uni-giessen.de

Frank Bösch, Jahrgang 1969, Studium der Geschichte, Politik und Germanistik in Hamburg und Göttingen, 1998-2002: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte der Universität Göttingen, 2002-2007: Juniorprofessor für Mediengeschichte am Historischen Institut der Universität Bochum, 2005: Stipendiat am DHI London, seit April 2007 Professor für Fachjournalistik Geschichte am Historischen Institut der Universität Gießen. Seit 2007 ist er zudem Sprecher des DFG-Graduiertenkollegs "Transnationale Medienereignisse". Veröffentlichungen u.a.: Öffentliche Geheimnisse. Skandale, Politik und Medien in Deutschland und Großbritannien, 1880-1914, München 2009; Medialisierung und Demokratie im 20. Jahrhundert, Göttingen 2006 (Hg. mit Norbert Frei); Das konservative Milieu. Vereinskultur und lokale Sammlungspolitik in ost- und westdeutschen Regionen (1900-1960), Göttingen 2002; Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg und Krise einer Erfolgspartei (1945-1969), Stuttgart/ München 2001.


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Quelle:
Spiegel der Forschung Nr. 2/Dezember 2009, 26. Jahrgang, S. 30-38
Wissenschaftsmagazin der Justus-Liebig-Universität Gießen
Herausgeber: Der Präsident der Justus-Liebig-Universität Gießen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2010