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FORSCHUNG/097: Das preußische Militär im 18. Jahrhundert (Portal - Uni Potsdam)


Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung 10-12/07

Alles in zivil
Eine Untersuchung der Historiker Bernhard Kroener und Ralf Pröve verändert den Blick auf das preußische Militär im 18. Jahrhundert

Von Thomas Pösl


Es ist ein Desiderat der Forschung und zugleich ein Mammutprojekt, an dessen Ende nichts Geringeres stehen soll als eine Neuinterpretation des Preußenbildes, eine Neujustierung brandenburgisch-preußischer Geschichte. Deren Bewertung bewegt sich seit dem 19. Jahrhundert zwischen Verdammung oder Glorifizierung, was sich wesentlich in einem verfestigten, wenig kritischen Bild des Militärs widerspiegelt. Und genau dieses unter die Lupe zu nehmen und in einen gesellschaftswissenschaftlich-kulturgeschichtlichen Zusammenhang zu stellen, haben sich Prof. Dr. Bernhard Kroener und Prof. Dr. Ralf Pröve vom Lehrstuhl für Militärgeschichte am Historischen Institut zur Aufgabe gemacht. Sie sind die Initiatoren eines seit 2002 laufenden DFG-Projektes, für das sie sich zum Jahresende hin neue Fördergelder erhoffen.


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Darin steht die Aufarbeitung eines datenbankbasierten sachthematischen Archivinventars zur brandenburgisch-preußischen Militärgeschichte für die Zeit von 1713 bis 1806 im Mittelpunkt. Da das Potsdamer Heeresarchiv 1945 zerstört und sämtliche Akten dabei vernichtet wurden, lasse sich preußische Militärgeschichte von innen heraus eigentlich nicht betreiben, so Pröve. "Historiker und Archivare haben nun mehre Jahre lang den gesamten zivilen Aktenbestand von über 30 Archiven im Land Brandenburg gesichtet und 30.000 Akten gefunden, in denen ein irgendwie gearteter Bezug des Militärs zur zivilen Gesellschaft eine Rolle spielte. Das reicht vom Kasernenumbau, Standortwechsel und Heiratsverhalten bis zur Desertion."

Die Projektidee, die auch den Forschungsschwerpunkt der Philosophischen Fakultät, nämlich regionale Identität und mobilisierte Kulturen, berühre, gehe aber bereits auf die Mitte der neunziger Jahre zurück, ergänzt Kroener. Damals sei eine zunächst kleine Arbeitsgruppe aus Potsdamer und Berliner Wissenschaftlern aktiv geworden, um Überlegungen anzustellen, welchen Stellenwert das Militär beziehungsweise der Soldat in der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts wirklich hatte und wo Reibungen und Konflikte, aber auch Kooperationen spürbar waren. "Wie war das Zusammenwirken von Bevölkerung und Militär wirklich? Wie hat die Gesellschaft das Militär selbst erlebt? Wie sah die Vernetzung mit anderen gesellschaftlichen Bereichen aus? Und wo hat uns die Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts möglicherweise in die Irre geführt und warum? Das lässt sich - immer aus regionaler Perspektive gesehen - unmittelbar erforschen und es ist ein großer Schritt, dies in einer Datenbank, in Inventarbänden zu dokumentieren."

Mittlerweile sei ein weitreichendes Kooperationsgeflecht auf landesgeschichtlicher Ebene entstanden. Die beiden Historiker bezeichnen das Projekt auch als "zukunftweisende landesgeschichtliche Angelegenheit".

Neben großen Partnern, etwa dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, dem Deutschen Historischen Museum in Berlin oder dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam sind über dreißig historische Städte in der Region mit ihren Archiven, Museen und Sammlungen in das Projekt involviert. Auch der neue Studiengang "Military Studies" oder die "Arbeitsgemeinschaft historische Stadtkerne im Land Brandenburg" greifen auf das Know-How des Forschungsprojektes zurück. "Denn wir liefern ja auch Basismaterial zur Stadtentwicklung", unterstreicht Kroener. Auch überregional gibt es enge Arbeitskontakte, etwa mit dem bekannten Würzburger Preußenforscher Neugebauer. "Inzwischen", so Pröve, "existiert eine größere Arbeitsgruppe, die die Forschungssonde tiefer in die Schichten der Alltagskultur führt. Doktoranden werten die vorhandenen Ergebnisse zu bestimmten Themen weiter aus. Tangiert sind dann solche Teilbereiche wie Soldatenfrauen, Netzwerke der Offiziere, Testamente von Soldaten, Berührungspunkte zwischen Militär und Geistlichkeit - wer waren beispielsweise die Paten von Soldatenkindern? - oder die Invalidenversicherung von Soldaten." Auf Grundlage der bestehenden Datenbank arbeiten Studierende in den Archiven von Treuenbrietzen, Wittstock, Jüterbog oder Belzig an ihren Abschluss- und Magisterarbeiten zu Projektthemen und präsentieren dort auch ihre Ergebnisse. "Abgesehen davon, dass die Studierenden so Schlüsselqualifikationen erlernen, wie etwa Präsentation und Kommunikation ihrer Forschungsergebnisse, entstehen dadurch natürlich auch viele Synergieeffekte. Und in der Region sieht man, dass hier ein Datenfundus besonderer Güte aufgebaut wird", so Kroener.

Mit dem Anspruch der Revision des bestehenden Preußenbildes jedenfalls ist das Forscherteam schon erhebliche Schritte voran gekommen. Wir haben", so Pröve, "ein Instrumentarium geschaffen, das nahelegt, dass das Militär im 18. Jahrhundert ein viel selbstverständlicheres Glied der Gesellschaft war. Und es deutet sich an, dass weniger absolut, sondern polygonal geherrscht wurde. Das zeigt sich beispielsweise gerade im Bereich der Rekrutierung und Werbung von Soldaten, wo viel ausgehandelt wurde. In einem kleinen brandenburgischen Dorf wurden die Dekrete des Königs interpretiert und nicht in dem Maße gehorsam befolgt, wie uns das immer gern glauben gemacht wird. Totale Kontrolle und Überwachung des königlichen Willens waren zu dieser Zeit gar nicht möglich, Herrschaft hatte ihre Grenzen."


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Quelle:
Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung Nr. 10-12/07,
Oktober-Dezember 2007, Seite 21
Herausgeber:
Referat für Presse-, Öffentlichkeits- und Kulturarbeit (PÖK)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. November 2007