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FORSCHUNG/107: Für eine Historiographie Afrikas in der Welt (spektrum - Uni Bayreuth)


spektrum 2/08 - Universität Bayreuth

Für eine Historiographie Afrikas in der Welt

Von Prof. Dr. Achim von Oppen


Die Fachrichtung "Geschichte Afrikas" stößt hierzulande oft auf eine eigentümliche Mischung von Erstaunen ("gibt es das?"), Bewunderung ("wie exotisch!") und Skepsis ("wozu ist das eigentlich gut?"). Es mag mit dem frühen Ende der deutschen Kolonialherrschaft zusammenhängen, daß die Aufarbeitung afrikanischer Vergangenheit und ihrer oft leidvollen Verflechtungen mit Europa lange Zeit weniger dringlich erschienen als etwa in Großbritannien, Frankreich oder auch den USA. So sind für die Geschichte Afrikas an deutschen Universitäten heute nur ganze fünf Professuren ausgewiesen, in ganz Süddeutschland sogar nur eine: in Bayreuth.

Dabei ist die Geschichte Afrikas keineswegs prinzipiell "anders", sondern vielmehr ein bedeutender Teil der Weltgeschichte. Afrika ist mit dem benachbarten Europa und Asien sowie mit Amerika durch weit zurückreichende Beziehungen verflochten. Das gilt in besonderem Maße für das Zeitalter der Moderne, und zumal für das 19. und 20. Jahrhundert, meinem eigenen Arbeitsschwerpunkt. Sklavenhandel und Menschenrechtsbewegung, Kolonialismus und Befreiungskampf, Rohstoffkonflikte und Exportproduktion "indigener Kultur" - das sind nur einige Beispiele für die Vielfalt globaler Prozesse, an denen Afrika bedeutenden Anteil hatte und hat. Ensprechend muß der gesellschaftliche wie kulturelle Wandel Afrikas im weltweiten Kontext betrachtet werden.

Auch in Bezug auf sein wissenschaftliches Umfeld wäre das Fach zu "entprovinzialisieren". Die Geschichte Afrikas muß nicht nur versuchen, solide, gegenwartsrelevante Historiographie eines ganzen Kontinents zu liefern. Sie muß dazu auch eine wesentliche, vielleicht auch vermittelnde Rolle zwischen den Fächern finden, unter denen sie gerade in Bayreuth angesiedelt ist. Das ist zum einen die "allgemeine" (vor allem europaorientierte) Geschichtswissenschaft, der diese Professur zugeordnet ist. Diese Zuordnung eröffnet neue Horizonte transregionalen Vergleichs, "globalgeschichtlicher" Fragestellungen und methodischer Reflexion. Diese Anliegen stehen mir durch meine langjährige Mitarbeit als Afrikahistoriker im Zentrum Moderner Orient in Berlin (1993-2007, seit 2001 als Vizedirektor) besonders nahe.

Zum anderen ist die Geschichte Afrikas ein integraler Bestandteil der Afrikastudien, von den Bachelor-Studiengängen bis hin zur "Exzellenzschule" BIGSAS. Hier liegt die Aufgabe im Bemühen um eine größere historische Tiefenschärfe, gegen noch immer verbreitete Vorstellungen einer Schnelligkeit und Geradlinigkeit von Transformationsprozessen, die selbst für Europa so oft nicht zutrafen. In einen entsprechenden Dialog mit den anderen, eher gegenwartsbezogenen Afrika-Fächern kann ich eigene Erfahrungen aus den Sozialwissenschaften (Geographie und Soziologie der Entwicklungsländer, Ethnologie und Agrarökonomie) einbringen, die ich im Studium (in Düsseldorf und Berlin), als wissenschaftlicher Mitarbeiter (an der FU Berlin), sowie als Gutachter (für GTZ und BMZ) sammeln konnte.

Aber nicht nur durch generalisierende, "weltgeschichtliche" Betrachtung, auch aus der historisch besonderen, "provinziellen" Erfahrung Afrikas können wir viel über globale Prozesse lernen - und indirekt über Europa, mit dem diese Erfahrung sich immer wieder auseinanderzusetzen hatte. Wenige Beispiele aus meiner eigenen Forschung müssen genügen, um diese Perspektive zu illustrieren.

Erstens werden in Afrika scheinbar universale 'Kategorien und Abgrenzungen', besonders schnell als eurozentrische, historisch zu relativierende Konstrukte erkennbar. Wo sie von Europa aus übertragen wurden, entstanden oft neue Ambivalenzen statt Gewißheiten. Im Rahmen meiner Habilitation (an der HU Berlin) etwa habe ich am Beispiel einer Region Zentralafrikas herausarbeiten können, wie seit der Kolonialzeit ein territoriales Konzept politischer Ordnung oktroyiert und wie dieses dann von lokalen Akteuren rhetorisch angeeignet, politisch umkämpft und praktisch oft ignoriert wurde. Für derartige Untersuchungen, in die auch nicht-europäische Begriffen und Konzepte einbezogen werden müssen, bietet Afrika ein besonders reiches Feld.

Zweitens fördert die Geschichte Afrikas den 'Blick aus der Peripherie'. Dazu trägt schon Afrikas Position in der Welt bei. Flüchtige Orte, abgelegene Räume und subalterne Gruppen haben bei Afrikahistorikern (einschließlich meiner selbst) mehr Aufmerksamkeit gefunden - auch wenn es natürlich auch die Geschichte afrikanischer Großstädte, Staaten und Eliten zu untersuchen gibt. Die Peripherien Afrikas, haben oft eine lange Geschichte globaler Verflechtung und vermitteln daher "vom Rand her" unerwartete Ansichten bzw. Kehrseiten von Macht und Moderne, etwa im kolonialen Kontext. Sie zeigen auch, wie periphere Akteure selbst immer wieder Auswege aus Ohnmacht und Krise gesucht haben, etwa durch soziale bzw. religiöse Bewegungen, und dabei Visionen gleichberechtigterer Teilhabe an "der Welt" entwickelten. Drittens vermittelt die Geschichte Afrikas ein Bild größerer 'Offenheit von Geschichte'. Wir sind alle tiefgreifend geprägt von linearen Geschichtsbildern. Spätestens seit dem 19. Jahrhundert war der Kontinent ein besonders wichtiges Feld von Projektionen wie Zivilisierung, Fortschritt oder "Entwicklung", verbunden mit entsprechenden, teils gewalt tätigen Interventionen. Andererseits sind die Erfahrungen des Scheiterns oder der Zweckentfremdung, der Katastrophe oder der Peripherisierung, aus denen dann wieder neue Aufbrüche entstanden, gerade hier besonders präsent. Für eine "Geschichte der Zukunft" bietet Afrika ebenso reiches Anschauungsmaterial wie für das Studium konkurrierender Geschichtsbilder, etwa anhand lokal oder biographisch gefaßter Erinnerung.

Viertens schließlich fordert die Geschichte Afrikas in noch stärkerem Maße als ihre Nachbardisziplinen zu 'Kombinationen und Innovationen methodischer Art' heraus. Die Bedeutung oraler und visueller, durch Feldforschung zu erhebender Quellen; die Nutzung oft schwer zugänglicher, auch nicht-offizieller Archive an sehr verschiedenen Orten ; das "Gegeneinanderlesen" ethnologischer und historischer Daten, von Mikro- und Makroperspektive; nicht zuletzt auch die gleichberechtigte Zusammenarbeit mit afrikanischen Kollegen - all dies sind besondere Herausforderungen afrikahistorischer Forschung, die freilich oft auch hohen Zeitaufwand und Improvisationsbedarf bedeuten. Daraus ergeben sich im übrigen besondere Anforderungen an die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses, des europäischen wie des afrikanischen (etwa durch Lehrforschungen, mit denen ich innerhalb und außerhalb der Universitäten Erfahrungen sammeln konnte). Afrikahistorische Forschung ergibt also eine faszinierende Pluralität von Geschichte(n). Sie erzählen von der enormen Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Erfahrungen mit der Moderne, an der viele "Weltprovinzen", nicht nur Europa, sondern auch Afrika, gebaut haben und noch bauen. Diese Sichtweise entfaltet sich vor allem im (auch kontroversen) Dialog der Regionen und Fächer. Die Universität Bayreuth scheint mir ein guter Ort für solchen Dialog zu sein.


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Quelle:
spektrum 2/08, Seite 20-21
Herausgeber: Der Präsident der Universität Bayreuth
Redaktion: Pressestelle der Universität Bayreuth, 95440 Bayreuth
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"spektrum" erscheint dreimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. September 2008