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FORSCHUNG/156: Europa neu denken - WissenschaftsCampus Mainz "Byzanz zwischen Orient und Okzident" (idw)


Leibniz-Gemeinschaft - 02.08.2013

Europa neu denken: WissenschaftsCampus Mainz - "Byzanz zwischen Orient und Okzident"



Byzanz, das christlich und griechisch geprägte Oströmische Reich, ist im heutigen deutschen Sprachgebrauch meist mit negativen Assoziationen besetzt. Byzantinismus ist ein Synonym für "Kriecherei" oder "unwürdige Schmeichelei", und allgemein haftet Byzanz der Makel der Dekadenz an. Die bedeutende Rolle von Byzanz für die gemeinsame europäische Identität ist nur wenigen bewusst. Die Forschungskooperation bündelt die Kompetenzen und Ressourcen des Römisch-Germanischen Zentralmuseums und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zu einem in Deutschland einzigartigen Forschungsverbund zur interdisziplinären Byzanzforschung.

Das Byzantinische Reich spielte bei der Entstehung des modernen Europa und des Vorderen Orient eine herausragende Rolle. Zwischen dem 4. und dem 12. Jahrhundert war es die Leitkultur, welche in allen Lebensbereichen Maßstäbe setzte und sämtliche Nachbarstaaten wesentlich beeinflusste. In Byzanz setzten sich der römische Staat und seine politischen Institutionen und Konzepte von der Spätantike bis ins Mittelalter in ungebrochener Kontinuität fort. Die große Bedeutung von Byzanz liegt in seiner Brückenfunktion von der Antike in die Neuzeit und gleichzeitig von Europa in den Orient. Unser heutiges Rechtssystem etwa wäre ohne die Sammlung und Kodifikation des römischen Rechts durch den byzantinischen Kaiser Justinian I. (527-565) undenkbar. In Gestalt der orthodoxen Kirche ist das byzantinische Erbe in vielen europäischen Staaten bis heute unmittelbar präsent.

Trotz ihrer historischen Bedeutung fristet die Erforschung der byzantinischen Geschichte und Kultur in Deutschland ein Nischendasein, was vor allem durch die zersplitterte Forschungslandschaft aus einzelnen Lehrstühlen an deutschen Universitäten bedingt ist. Vor dem Hintergrund des europäischen Einigungsprozesses bekommt das byzantinische Element aber ein neues Gewicht. Für Staaten wie Griechenland, Bulgarien, die Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien und auch Italien ist Byzanz fester Bestandteil des eigenen Geschichtsbildes. Die historische und kulturelle Entwicklung dieser Staaten, deren Territorien unter der unmittelbaren Kontrolle bzw. dem Einfluss von Byzanz standen, wird ohne die Berücksichtigung dieser Kultur nicht verständlich.

Ziel des WissenschaftsCampus Mainz ist es, eine breite Plattform für interdisziplinäre Byzanzforschung institutionell zu etablieren und alle relevanten akademischen Disziplinen, die sich mit Byzanz beschäftigen, unter einem Dach zu vereinen. Mainz ist dabei als Standort für dieses Vorhaben bestens geeignet. "In puncto interdisziplinärer Byzanzforschung können wir auf einer lange erprobten und erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen dem Römisch-Germanischem Zentralmuseum und der hiesigen Universität aufbauen", so Prof. Dr. Falko Daim, Generaldirektor des R ömisch-Germanischen Zentralmuseums und Sprecher der Kooperation. Von 2005 bis 2011 bestand in Mainz die Forschungskooperation "Byzantinische Archäologie Mainz" zwischen dem Römisch-Germanischen Zentralmuseum und sieben Professoren der Johannes Gutenberg-Universität. Diese langjährige Kooperation wurde konsequent weiterentwickelt und mündete am 1. Juni 2011 in der Gründung des größer angelegten WissenschaftsCampus Mainz.

Das Römisch-Germanische Zentralmuseum ist ein Forschungsmuseum der Leibniz-Gemeinschaft. Es betreibt seit etwa 100 Jahren Forschungen zur byzantinischen Archäologie und besitzt eine umfangreiche Sammlung an Originalen. An der Johannes Gutenberg-Universität sind zudem Lehrstühle sowohl für die historisch ausgerichtete Byzantinistik als auch für Christliche Archäologie und Byzantinische Kunstgeschichte angesiedelt, welche die materielle Kultur und Denkmälerforschung zum Gegenstand hat. Von Seiten der Universität Mainz sind 17 weitere Professoren an der Kooperation beteiligt, die elf weitere Fächer vertreten, die für interdisziplinäre Byzanzforschung unabdingbar sind. Zudem sind als Kooperationspartner das Leibniz-Institut für Europäische Geschichte in Mainz sowie die Landesmuseen in Mainz und Trier beteiligt.

Der WissenschaftsCampus Mainz fördert die Integration der zersplitterten Wissenschaftsdisziplinen, die sich mit Byzanz befassen und ermöglicht themenorientierte, multidisziplinäre, historisch-kulturwissenschaftliche Forschung unter einem Dach. Die Aktivitäten des WissenschaftsCampus Mainz sollen zu einem differenzierten Geschichtsbild eines vereinten Europas beitragen, in dem auch Byzanz den seiner historischen Rolle entsprechenden Platz einnimmt.

Die Institute im Verbund
• Römisch-Germanisches Zentralmuseum, Mainz
• Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Kooperationspartner
• Leibniz-Institut für Europäische Geschichte, Mainz
• Landesmuseum Mainz
• Rheinisches Landesmuseum Trier


Das Kooperationsmodell "WissenschaftsCampus"

Der WissenschaftsCampus ist ein Modell der regionalen Zusammenarbeit zwischen Leibniz-Einrichtungen und Hochschulen. Als gleichberechtigte Partner bearbeiten diese eine klar umrissene wissenschaftliche Fragestellung von gemeinsamem Interesse und ergänzen sich dabei mit ihren Kompetenzen und unterschiedlichen Perspektiven. Die regionale Nähe, eine gemeinsame Strategie und interdisziplinäre Forschungsansätze bezogen auf Themen, Projekte und Methoden sind die Stärken der WissenschaftsCampi. Sie bieten ideale Voraussetzungen, um gesellschaftlich relevante Fragestellungen zu bearbeiten, ganze Forschungsbereiche weiter zu entwickeln und das wissenschaftliche Umfeld am Standort für die Thematik zu stärken. Die regionale Forschungslandschaft erlangt dadurch Profil und internationale Sichtbarkeit.

Fünf WissenschaftsCampi haben sich seit 2009 etabliert:
• WissenschaftsCampus Tübingen: Bildung in Informationsumwelten
• WissenschaftsCampus Mainz: Byzanz zwischen Orient und Okzident
• WissenschaftsCampus Mannheim: Mannheim Centre for Competition and Innovation (MaCCI)
• WissenschaftsCampus Halle: Pflanzenbasierte Bioökonomie
• WissenschaftsCampus Rostock: Rostocker Phosphorforschung

Weitere Informationen zu den WissenschaftsCampi:
www.leibniz-gemeinschaft.de/forschung/hochschulkooperationen/wissenschaftscampi/

Die fünf bestehenden WissenschaftsCampi werden in lockerer Reihenfolge vorgestellt.


Die Leibniz-Gemeinschaft

Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 86 selbständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, und Sozialwissenschaften bis hin zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute bearbeiten gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevante Fragestellungen strategisch und themenorientiert. Dabei bedienen sie sich verschiedener Forschungstypen wie Grundlagenforschung, anwendungsorientierter Forschung, wissenschaftlicher Infrastrukturen und forschungsbasierter Dienstleistungen. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer in Richtung Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Sie pflegt intensive Kooperationen mit den Hochschulen, u.a. über gemeinsame Wissenschaftscampi, und mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Ihre Einrichtungen unterliegen einem maßstabsetzenden transparenten und externalisierten Begutachtungsverfahren. Jedes Leibniz-Institut hat eine Aufgabe von gesamtstaatlicher Bedeutung. Daher fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen etwa 17.000 Personen, davon sind ca. 7.900 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, einschließlich der 3.300 Nachwuchswissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,5 Mrd. Euro, die Drittmittel betragen etwa 340 Mio. Euro pro Jahr.

Weitere Informationen unter:
http://www.leibniz-gemeinschaft.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution390

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Leibniz-Gemeinschaft, Christoph Herbort-von Loeper M.A., 02.08.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. August 2013