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FUNDSTÄTTEN/124: Komplexe antike Stadtanlage in der Türkei entdeckt (idw)


Universität Bern - 18.10.2018

Komplexe antike Stadtanlage in der Türkei entdeckt


Archäologische Forschungen der Universität Bern im türkischen Sirkeli Höyük haben zur Entdeckung einer bronze- und eisenzeitlichen Stadtanlage geführt. Mit über 80 Hektaren handelt es sich damit um eine der grössten bekannten Siedlungen dieser Periode in der Türkei. Bemerkenswerte Funde unterstreichen die Bedeutung der antiken Stadt, bei der es sich sogar um das als Kultort bekannte Kummanni handeln könnte.


Bild: © Institut für Archäologische Wissenschaften der Universität Bern, Projekt Sirkeli Höyük

Blick von Norden auf die Ruinenstätte des Sirkeli Höyük mit Zitadelle sowie Unter-, Ober- und Vorstadt.
Bild: © Institut für Archäologische Wissenschaften der Universität Bern, Projekt Sirkeli Höyük

Sirkeli Höyük ist eine bronze- und eisenzeitliche Fundstätte 40 Kilometer östlich von Adana im antiken Kilikien. Die schweizerisch-türkische Expedition in Sirkeli Höyük steht unter der Leitung der Universität Bern, gefördert wird das Forschungsprojekt vom Schweizerischen Nationalfonds und vom türkischen Kulturministerium. Bereits vor Beginn der schweizerisch-türkischen Ausgrabungen galt Sirkeli Höyük als einer der grössten bronze- und eisenzeitlichen Orte Kilikiens, einer kulturgeschichtlich immens bedeutsamen Region an der Schnittstelle zwischen der Levante (Syro-Mesopotamien), Zypern und Anatolien.

Jüngste Grabungen haben nun spektakuläre Erkenntnisse hervorgebracht: Das Projektteam entdeckte mit Hilfe von geophysikalischen Prospektionen und Oberflächenbegehungen eine ausgedehnte Unterstadt mit dichter Wohnbebauung sowie eine Oberstadt, die auf zwei Bergrücken liegt und in deren Zentrum sich eine Nekropole mit Kammergräbern befindet. Projektleiter Mirko Novák vom Institut für Archäologische Wissenschaften der Universität Bern erklärt: «Zusammen mit extramuralen Werkstattbereichen und einer Vorstadt, die sich auf der gegenüberliegenden Seite des Ceyhan (Pyramos) erstreckt, bilden diese städtischen Bereiche eine für Kilikien, für die Nordlevante sowie für Südanatolien bislang einzigartig komplexe, 80 Hektar grosse Stadtlandschaft, die strukturell an die hethitische Hauptstadt Hattuša erinnert.»

Ungewöhnliche parallele Verwendung von Hieroglyphen und Keilschriftzeichen

Wie Mirko Novák sagt, waren sowohl die Unter- als auch die Oberstadt von einem doppelten Stadtmauerring und einem Graben umgeben, der auch die Zitadelle - eine kleine in sich abgeschlossene Festung auf dem eigentlichen Hügel, die bereits seit längerem bekannt war -, mit einfasste.

Ausgrabungen fanden aktuell an verschiedenen Stellen in der Stadt statt. In der Unterstadt wurden die aufwändigen, aus grossen Steinblöcken gefertigten Mauern der Stadtbefestigung sowie das mit Steinplatten gepflasterte Osttor aus dem frühen 1. Jahrtausend untersucht. An der Aussenfassade des Tores fanden sich Spuren einer Belagerung, die vermutlich vom assyrischen König Salmanasser III. (858-824 v. Chr.) stammen und somit ins Jahr 835 v. Chr. datieren dürften.

In einem unmittelbar benachbarten Gebäude fand sich zudem ein Stempelsiegel, das gleichermassen mit luwischen, also alt-anatolischen Hieroglyphen und babylonischen Keilschriftzeichen beschriftet ist. «Die parallele Verwendung dieser beiden Schriftsysteme auf einem Siegel ist für das 1. Jahrtausend v. Chr. extrem ungewöhnlich», so Novák.

Sagenumworbener Kultort entdeckt?

Im Nordosten der Zitadelle sind zwei Felsreliefs angebracht - eines zeigt den hethitischen König Muwattalli II. (1290-1272 v. Chr.). Oberhalb der Reliefs erstreckt sich ein Bauwerk, das offenkundig dem Ahnenkult diente und in dem sich die Abrollungen von Siegeln mit luwischen Hieroglyphen aus dem späten 2. Jahrtausend fanden. In einem weiteren Steinbau im Nordwesten des Zitadellenhügels kam das aus Stein gefertigte Gesicht einer menschenförmigen Kompositfigurine zu Tage.

Die bemerkenswerteste Entdeckung erfolgte indessen in einem weiteren untersuchten Bauwerk auf dem höchsten Punkt der Zitadelle: In einem verhältnismässig kleinen Raum lagen die Skelette von mindestens drei Schafen neben einem Podest. Auf und neben den Tieren waren mehrere vollständige, zum Teil bemalte Keramikgefässe deponiert. Offensichtlich handelt es sich bei diesem Fund um die Reste einer rituellen Handlung.

«Sämtliche dieser Erkenntnisse stützen die Annahme, dass es sich bei der antiken Stadt um das als Kultort bekannte Kummanni handeln könnte», sagt Novák.

Veröffentlicht werden die neusten Forschungsergebnisse nun unter anderem in den «Schriften zur Vorderasiatischen Archäologie». Und auch in der Türkei selber haben die Grabungsarbeiten für Aufsehen gesorgt, wie Novák erzählt: «Sogar die türkische Nachrichtenagentur Anadolu hat unsere Ausgrabungsstätte besucht und darüber berichtet».

Das Forschungsprojekt in Sirkeli Höyük

Die schweizerisch-türkische Expedition in Sirkeli Höyük steht unter der Leitung der Universität Bern. Gefördert wird das Forschungsprojekt vom Schweizerischen Nationalfonds und vom türkischen Kulturministerium.

Die Forschungsarbeiten in Sirkeli Höyük umfassen Ausgrabungen, Oberflächenbegehungen (in Zusammenarbeit mit der Ludwig-Maximilians-Universität München), Satellitenbildauswertungen und geophysikalische Prospektionen (von der Firma GGH Solutions in Geosciences, Freiburg, durchgeführt).


Bild: © Institut für Archäologische Wissenschaften der Universität Bern, Projekt Sirkeli Höyük

Blick von Westen auf den Zitadellenhügel mit zwei Grabungsbereichen, links im Bild die mittelalterliche Burg Yılan Kale.
Bild: © Institut für Archäologische Wissenschaften der Universität Bern, Projekt Sirkeli Höyük

Das Team vor Ort besteht aus bis zu 35 Forschenden und Studierenden sowie bis zu 50 lokalen Arbeitskräften. Die wissenschaftlichen Tätigkeiten vor Ort finden im Grabungshaus mit entsprechender Einrichtung statt, das sich in einem stillegegten Bahnhof der berühmten «Baghdad-Bahn» direkt im Bereich der Ruinenstätte befindet und zum 2017 eröffneten Archäologischen Park von Sirkeli Höyük gehört. Dieser umfasst neben dem Forschungszentrum auch ein Besucherzentrum, Felsreliefs sowie zwei weit auseinanderliegende Grabungsstellen - das aus dem frühen 1. Jahrtausend v. Chr. stammende Stadttor in der Unterstadt und ein Kultgebäude aus dem 2. Jahrtausend v. Chr. oberhalb der Felsreliefs auf der Zitadelle. Der Park leistet nicht nur einen Beitrag zur touristischen Erschliessung des Ortes, sondern auch zur Information der lokalen Bevölkerung. Durch die Einbeziehung der Ortsansässigen in die Arbeiten kann ein breiteres Bewusstsein für die Bedeutung von Kulturstätten und die lokale Geschichte entwickelt werden, welches für den Erhalt des Kulturerbes wichtig ist.


Mehr Informationen:
https://www.sirkeli.ch

Originalpublikationen:

Novák, M., Kozal, E. & Meier, D. Y. (2018).
«Sirkeli Höyük. Die Schweizerisch-Türkischen Ausgrabungen 2006-15».
Schriften zur Vorderasiatischen Archäologie Bd. 12 (im Druck, erscheint Wiesbaden 2018).

Kozal, E. & Novák, M. (2017).
«Facing Muwattalli: Some Thoughts on the Visibility and Function of the Rock Reliefs at Sirkeli Höyük, Cilicia»,
in: Kozal, E., Akar, M., Heffron, Y., Çilingiroğlu, Ç., Şerifoğlu, T.E., Çakırlar, C., Ünlüsoy, S. & Jean, E.
Questions, Approaches, and Dialogues in the Eastern Mediterranean Archaeology Studies in Honor of Marie-Henriette and Charles Gates,
Alter Orient und Altes Testament, 371-388.

Sollee, A., Rutishauser, S., Hübner, C., Hemeier, B. & Novák, M. (2018).
«Die Wiederentdeckung des antiken Kummanni/Kisuatni: Fernerkundung, geophysikalische Prospektion und archäologische Ausgrabungen am Sirkeli Höyük, Türkei», in: Mitteilungen der Naturforschenden Gesellschaft in Bern, 102-125 (im Druck).

Novák, M. & Yain Meier, D. (2018).
«Baghdad-Bahn und hethitische Königsbilder. Die Eröffnung des Forschungs- und Besucherzentrums und des archäologischen Parks in Sirkeli Höyük», in: Antike Welt 6/2018, 39-44.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution57

*

Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Bern, 18.10.2018
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Oktober 2018

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