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FUNDSTÄTTEN/137: Erste erhaltene Freilandsiedlung der Neandertaler in Baden-Württemberg nachgewiesen (idw)


Universität Rostock - 04.11.2019

Erste erhaltene Freilandsiedlung der Neandertaler in Baden-Württemberg unter Beteiligung der Uni Rostock nachgewiesen


Seit 2018 finden Ausgrabungen an der überregional bedeutsamen paläolithischen Fundstelle am Steinacker in Feldberg bei Müllheim (Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald) statt. Im Fokus der diesjährigen zweiten Grabungskampagne stehen die eiszeitlichen Siedlungsreste des modernen Menschen, sowie Zeugnisse des Neandertalers, die vergangenes Jahr erstmals entdeckt wurden. Bei den Ausgrabungen waren auch Archäologinnen und Archäologen des Heinrich-Schliemann-Institutes der Universität Rostock beteiligt.


Bild: © RPS/LAD Marcel El-Kassem

Gina Lang, Studentin der Ur- und Frühgeschichte an der Universität Rostock präpariert das geologische Profil, um die Fundschichten sichtbar zu machen
Bild: © RPS/LAD Marcel El-Kassem

Dr. Marcel Bradtmöller vom Heinrich-Schliemann-Institut der Universität Rostock erklärt, dass Hinterlassenschaften von altsteinzeitlichen Jägern und Sammlern v.a. in Höhlen gut zu belegen sind. Doch nun ist es für Südwestdeutschland erstmalig gelungen, Schichten mit Besiedlungsresten auch im Freiland nachzuweisen. "Die Funde, die wir hier dokumentieren konnten, stammen hauptsächlich aus einer frühen Phase des mittleren Jungpaläolithikums, dem sogenannten Gravettien vor etwa 30.000 Jahren. Wie Optisch-Stimulierte Lumineszenz-Datierungen (OSL) der Lößsedimente und neue Funde zeigen, wurde die Hangfläche am Steinacker aber bereits vor über 70.000 Jahren in der mittleren Altsteinzeit besiedelt, in der Zeit des Neandertalers."

Marcel El-Kassem vom Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg im Regierungspräsidium Stuttgart, dem die Leitung des Projekts obliegt, teilt die Begeisterung des Rostocker Archäologen: "Die Funde vom Steinacker repräsentieren den bislang einzigen Nachweis gravettienzeitlicher Besiedlung in Baden-Württemberg außerhalb der Welterbestätten im Ach- und Lonetal. Zudem handelt es sich um die erste Freilandfundstelle aus der Zeit des Neandertalers im Südwesten. Die außergewöhnlichen Oberflächenfunde, wie Projektilspitzen vom Typ Font-Robert oder bidirektionale Klingenkernsteine aus Bohnerzjaspis, bezeugen die Herstellung jagdspezifischer Steinwerkzeuge durch die frühen Jäger und Sammler."

Ein weiteres Ziel der Arbeiten sei es, so Bradtmöller, neue Erkenntnisse zur Lebensweise, Mobilität, Netzwerken und Landnutzungsmustern der nicht-sesshaften paläolithischen Jäger und Sammler zu gewinnen und die Forschungsergebnisse vom Steinacker mit den Daten der gut untersuchten Höhlenfundplätze des schwäbischen Jura und der rheinabwärts gelegenen Freilandfundstellen zu verknüpfen.


Bild: © RPS/LAD Marcel El-Kassem

Luftbild mit Blick auf die aktuelle Ausgrabung am "Steinacker"
Bild: © RPS/LAD Marcel El-Kassem

Die Siedlung am Steinacker befindet sich circa 30 Kilometer südlich von Freiburg im Breisgau in der auch als Markgräfler Hügelland bezeichneten Kandern-Müllheimer Vorbergzone. Von hier aus konnten die Eiszeitjäger die Tiere in der Mauchener Talmulde erfolgreich beobachten und zur Strecke bringen. Zudem konnten sie für die Herstellung der Steingeräte auf die lokalen Hornstein-Vorkommen zugreifen. Die Fundstelle wurde bereits 1969 durch Werner Mähling entdeckt. "Durch Erosion und intensive landwirtschaftliche Nutzung wurden zahlreiche Funde an die Erdoberfläche befördert. Um Aktivitätsbereiche der Steinzeitmenschen zu identifizieren, bevor sie unwiederbringlich verloren sind, waren archäologische Ausgrabungen dringend notwendig", erläuterte Marcel El-Kassem.

Das Landesamt für Denkmalpflege (LAD) im Regierungspräsidium Stuttgart kooperiert bei diesem Projekt federführend mit dem Heinrich-Schliemann-Institut der Universität Rostock, dass im Rahmen einer Lehrgrabung mit Studierenden vor Ort ist. Weitere Kooperationen bestehen mit dem Institut für Ur- und Frühgeschichte der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, der Universität Bayreuth sowie dem Markgräfler Museum Müllheim. Diese sehr gewinnbringende Kooperation zwischen Forschung, Denkmalpflege und Ehrenamt ist für das langfristige Gelingen des Forschungsprojektes fundamental.



Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution210

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Rostock, 04.11.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. November 2019

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