Schattenblick →INFOPOOL →GEISTESWISSENSCHAFTEN → GESCHICHTE

LÄNDER/123: Sachsen - Das Wirken der ersten weiblichen Abgeordneten - 1 (LTK)


Landtags Kurier Freistaat Sachsen 4/07

"... so bin ich da als Mutter wohl besser sachverständig als der Minister
Das parlamentarische Wirken der ersten weiblichen Abgeordneten im Sächsischen Landtag 1919-1933

Von Lutz Vogel


"Auf allen Gebieten des ökonomischen, kulturellen und geistigen Lebens muß Neues aufgebaut werden. Es sei nur an die Fülle der Aufgaben auf dem Gebiete der Wohnungsfürsorge und der Wohlfahrtspflege kurz erinnert, Gebiete, auf denen gerade auch für die Frauen eine besonders eifrige Mitarbeit ermöglicht wird. Es muß alles getan werden, was in Menschenkraft steht, um der verheerenden Sterblichkeit, die der Krieg und die Unterernährung mit sich geführt haben, Einhalt zu gebieten. Mutterschutz, Säuglings- und Kinderpflege, Bekämpfung der Volksepedemien, das alles sind dringliche Aufgaben der nächsten Zeit." Mit diesen Worten umriss Ministerpräsident Georg Gradnauer (SPD) in der Eröffnungsrede der Sächsischen Volkskammer am 25. Februar 1919 recht klar, welches Betätigungsfeld er sich für die parlamentarischen "Novizinnen" vorstellte.

Mit dem Ende der Monarchie und weitreichenden Veränderungen im Wahlrecht traten 1919 erstmals Frauen als Abgeordnete im Sächsischen Landtag in Erscheinung. Ein jahrzehntelanger Kampf um die politische Gleichstellung der Geschlechter war erfolgreich beendet worden. Insgesamt 42 Frauen ließen sich daraufhin von sechs verschiedenen Parteien für die Wahl zur Sächsischen Volkskammer am 2. Februar 1919 nominieren. Zumeist erhielten die parlamentarisch unerfahrenen Frauen allerdings nur hintere Listenplätze, so dass sich zur Eröffnungssitzung der Volkskammer am 25. Februar 1919 mit der Demokratin Julie Salinger, der Sozialdemokratin Helene Wagner und Anna Geyer von der USPD nur drei Frauen unter den 96 Abgeordneten befanden. Bis zur "Neubildung", "Gleichschaltung" und schließlich der Auflösung des Landtages 1933 errangen noch 16 weitere Frauen ein Landtagsmandat. Sie vertraten dabei sieben verschiedene Parteien.

Die erste Rede einer weiblichen Abgeordneten erlebte die Volkskammer am 4. März 1919. Die Chemnitzerin Helene Wagner sprach über die alliierte Blockade gegen Deutschland und deren Folgen für die Bevölkerung. Sie bezog dabei eine explizit geschlechtsbezogene Position: "Wenn ich das Wort ergreife, so aus dem Grunde, um wenigstens in einer ganz geringen Weise zum Ausdruck zu bringen, wie die Hausfrauen und Mütter Sachsens zu leiden haben. (...) Die Frauen, die mit Sehnsucht gewartet haben, daß ihre Männer aus dem Felde wieder zurückkehren, die ihre Männer gern hegen und pflegen wollen, die ihren Männern alles Liebe antun und sie wieder auf den Ernährungszustand wie vor dem Kriege bringen wollten, damit sie wieder arbeitsfähiger, wieder kräftiger würden, diese selben Frauen stehen heute davor, nichts tun zu können, und sie sehen ihre Männer vollständig dahinsiechen, sie können den Männern nicht das geben, was notwendig ist." Auch Abgeordnete anderer Fraktionen nahmen gelegentlich direkten Bezug zu ihrer Rolle als Frau und Mutter. Die Dresdnerin Julie Salinger tat dies beispielsweise in einer Rede vom 20. Januar 1920 über die Rolle des Kinofilms für die Erziehung: "Zu den Fragen, die uns hier beschäftigen, Fragen um das Wohl und Wehe der Jugend, müssen Sie gestatten, daß auch die Stimme der Frau, die Stimme der Mutter gehört wird." Noch wesentlich selbstbewusster als in den vorangestellten Beispielen wies Elise Thümmel (SPD) in einer Sitzung des Haushaltsausschusses A am 24. Juni 1932 den Arbeits- und Wohlfahrtsminister Friedrich Wilhelm Richter bei einer Diskussion um die Schwangerenunterstützung zurecht: "Was die Hausschwangeren betrifft, so bin ich da als Mutter wohl besser sachverständig als der Minister. Bis zur letzten Minute schwer arbeiten zu müssen, ist etwas anderes als nur Staub zu wischen. Die Schwangeren mögen beschäftigt werden, aber nicht mehr als 6 Stunden im geregelten Betriebe."

Im Sächsischen Landtag der Weimarer Republik sollte die Sozialpolitik auch das Hauptarbeitsgebiet der Parlamentarierinnen werden. Mehr als zwei Drittel ihrer Debattenbeiträge im Plenum bezogen sich auf dieses Politikfeld. Dies ist schon deshalb verständlich, weil die Frauen hier ihre außerparlamentarischen Erfahrungen aus der bürgerlichen bzw. sozialistischen Frauenbewegung einbringen konnten. Julie Salinger, die lange Jahre im Dresdner Rechtsschutzverein für Frauen mitgewirkt hat, wies darauf in einer Rede vor dem Landtag am 19. Januar 1921 hin, als sie ausführte: "Aber, meine sehr geehrten Herren und Damen, wer in der sozialen Arbeit steht, wie ich es seit über 20 Jahren tue, der weiß, wie ich es durch die Rechtsschutzarbeit für Frauen kennen gelernt habe, aus Erfahrung, daß durch diese Verordnung niemand anders als die wirtschaftlich Schwachen getroffen werden". Von diesen Erfahrungen profitierte auch Dr. Else Ulich-Beil (DDP), die als einzige Parlamentarierin jener Zeit ein Regierungsamt bekleidete. Während des Krieges war sie als Verwaltungsleiterin der Leipziger Hochschule für Frauen tätig gewesen. Im Jahre 1920 erhielt sie einen Ruf als Regierungsrätin im Referat Wohlfahrtspflege beim Sächsischen Innenministerium. Hier wirkte sie an Ausbildungsplänen für Wohlfahrtspflegerinnen mit und betreute das Hebammenwesen und die Landeserziehungsanstalten. Die Gründung des Landesamts für Wohlfahrtspflege und die Herausgabe der Monatsschrift "Blätter für Wohlfahrtspflege" sind bleibende Leistungen ihrer Arbeit. Im Zuge der Personalabbauverordnung musste sie jedoch 1924 als "Doppelverdienerin" aus dem Dienst ausscheiden.


*


Quelle:
Landtags-Kurier Freistaat Sachsen 4/2007, Seite 23
Herausgeber: Sächsischer Landtag
Postfach 12 07 05, 01008 Dresden
Fon: 0351/493-50, Fax: 0351/493-5900
E-Mail: info@landtag.sachsen.de
http://www.landtag.sachsen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2007