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MEMORIAL/013: Italiens Tornados auf historischer Route (Gerhard Feldbauer)


Italiens Tornados auf historischer Route

100 Jahre nach dem Überfall auf Libyen will der römische Imperialismus sich erneut seinen Anteil an der Beute sichern

Von Gerhard Feldbauer, 4. März 2011


Für die völkerrechtswidrige, von der UNO gedeckte Aggression gegen Libyen, deren Führung inzwischen die NATO übernommen hat, stellt Rom alle seine Marine- und Luftwaffenbasen zur Verfügung und beteiligt sich mit bisher vier Tornado- und vier F 16 Mehrzweckkampfjets an den Luftüberfällen. Die italienischen Piloten klicken ihre Bomben über Tripolis oder Benghasi am Vorabend eines verbrecherischen Jubiläums aus. Im September werden es 100 Jahre, dass der italienische Imperialismus Libyen überfiel und es nach einem barbarischen Kolonialkrieg als Kolonie okkupierte.


Damals wie heute: Kampf um die Neuaufteilung der Welt

Damals, wie unter veränderten Bedingungen auch heute wieder, ging es um die Neuaufteilung der Welt. Die USA hatten sie mit dem Spanisch-amerikanischen Krieg 1898/99 begonnen. 1901 sicherten sie sich das Recht auf den Bau des Panamakanals, unterwarfen Kuba 1903 ihrem Protektorat. Mit der Eroberung der Philippinen und Puerto Ricos wurden die USA zur Kolonialmacht. Großbritannien und Frankreich eroberten riesige Kolonialreiche, Deutschland sicherte sich in Afrika und Asien, was noch übrig blieb. Das Zarenreich annektierte große Gebiete Mittelasiens. Gemeinsam unterwarfen die Kolonialmächte China als Halbkolonie. Italien wollte es ihnen gleichtun und meldete seinen Großmachtanspruch an. Es suchte den Ausbruch aus seiner "Gefangenschaft im Mittelmeer", dessen Ausgänge andere Großmächte besetzt hielten. Die Straße von Gibraltar kontrollierten die Engländer, zusammen mit Frankreich desgleichen den Suezkanal. Die Dardanellen überwachte die Türkei.

Als Mitglied im Dreibund (mit Deutschland und Österreich-Ungarn) musste Rom seine Gelüste auf die größtenteils italienischsprachigen Gebiete im Trentino, auf Triest und an der dalmatischen Küste zügeln. So wandte es sich Afrika und Kleinasien zu. Um sich ein Sprungbrett für eine expansive Mittelmeerpolitik zu schaffen, suchte es an der nordafrikanischen Küste Fuß zu fassen. In Tunis, der "alten römischen Provinz Karthago" kam ihm Frankreich zuvor, Dann scheiterte 1887 der Versuch, aus dem nördlichen Eritrea ins äthiopische Hochland vorzustoßen. 1890 gelang es dann am Roten Meer einen Küstenstreifen, in dem sich Händler als Vorposten niedergelassen hatten, mit den Häfen Assab und Massaua als erste Kolonie Eritrea zu ergattern und den Südteil der Somalia-Halbinsel als Protektorat zu besetzen. 1896 erlitten die italienischen Kolonialisten bei dem erneuten Versuch, Äthiopien zu erobern, abermals eine Niederlage. 6000 gefallene Italiener blieben auf dem Schlachtfeld bei Adua. Die Fortsetzung des Kolonialabenteuers verhinderten machtvolle Proteste der jungen Sozialistischen Partei. Der Parlamentsabgeordnete Andrea Costa trat der Expansion mit der Losung entgegen: "Keinen Mann und keinen Groschen für die Kolonialpolitik".

Nachdem Österreich-Ungarn sich 1908 Bosnien und die Herzegowina angeeignet hatte, setzte Italien 1911 an, seine Vorherrschaft im Mittelmeer und die Besitzergreifung von Kolonien in Nordafrika in die Tat umzusetzen. Der Zeitpunkt und das Objekt waren günstig. Die Türkei, das historische Osmanische Reich, befand sich seit der Niederlage im Krieg 1877/78 mit Russland in einer Zerfallskrise. So überfiel Italien das von den Osmanen abhängige Tripolitanien und die Kyrenaika (zusammen mit dem Fessan, das heutige Libyen). Mit stillschweigender Billigung Russlands, Großbritanniens und Frankreichs besetzte Italien nach dem Einfall in Libyen noch den Dodekanes. Die Entente-Mächte ließen Rom gewähren, um es dem Dreibund zu entzweien. Die Türkei anerkannte im Friedensvertrag von Lausanne 1912 die Eroberungen, die Rom zur Kolonie Libyen zusammenschloss. Als die italienische Flotte auch noch zum Überfall auf die Dardanellen ansetzten wollte, geboten London, Paris und Petersburg Einhalt. Das Geschwader musste abdrehen. Entgegen den Bestimmungen von Lausanne behielt Italien den Dodekanes besetzt.


Handfeste ökonomische Interessen

Auch vor 100 Jahren waren handfeste ökonomische Interessen im Spiel. Das italienische Großkapital suchte Rohstoffreservoire, Anlagefelder und Absatzmärkte. Die mit dem Vatikan liierte Bank von Rom verlangte die Sicherung ihrer Bergbaukonzessionen. Sie wurde außerdem der größte Landeigentümer in der Kyrenaika. Ihr folgte die Schwerindustrie mit Ansaldo und der Elektrokonzern Marconi.

Um die Erinnerung an die Niederlage bei Adua vergessen zu machen, wurde der Krieg als ein "militärischer Spaziergang" propagiert. Zur Bekanntgabe des Befehls Viktor Emanuel III. zum Auslaufen der italienischen Flotte erklang am 29. September 1911 die Melodie "Tripoli, bel suol d'amore" (Tripolis schönes Land der Liebe). Durch den erstmaligen Einsatz von Luftschiffen und Flugzeugen für Bombardements gelang es, Tripolis, Bengasi und das Küstengebiet rasch einzunehmen. Trotz der brutalen Kriegführung wurde der Feldzug für 1.405 Italiener zum "Spaziergang in den Tod". Ihnen standen 14.800 Araber gegenüber, darunter viele massakrierte Zivilisten, Frauen und Kinder. In der "Prawda" vom 28. September 1912 schrieb Lenin, der Krieg werde fortdauern, "denn die Araberstämme im Inneren des afrikanischen Kontinents, weitab von der Küste, werden sich nicht unterwerfen. Man wird sie noch lange 'zivilisieren' - mit dem Bajonett, mit der Kugel, mit dem Strick, mit Feuer, durch die Vergewaltigung ihrer Frauen." Lenins Voraussicht bewahrheitete sich. Die Partisanen brachten den weiteren Vormarsch in den Wüsten zum Stehen. Den Widerstand in der Nähe der Oasen von Dscharabub und Siwa sowie im Fessan konnten die italienischen Kolonialtruppen nie völlig brechen. Die Oasen von Kufra im Süden der Kyrenaika erreichten sie erst Anfang der dreißiger Jahre.

Da hatte bereits das faschistische Regime unter Mussolini begonnen, die "Großitalien"-Pläne zu verwirklichen. Zunächst dehnte es die Einflusssphären auf dem Balkan aus. Nachdem Mussolini der albanischen Reaktion geholfen hatte, die 1920 begonnene bürgerlich-demokratische Revolution niederzuschlagen, unterwarf er 1926 das Land seiner Vorherrschaft und annektierte es 1939 als Kolonie. Nachdem 1925 die Eroberung Tripolitaniens und 1929 des Fessan vollendet worden war, folgte 1930 die Kyrenaika. Hier setzten die Nomaden des islamischen Senussi-Ordens, die der legendäre, "Sohn des großen Zeltes" genannte, Stammesführer Omar Mukhtar anführte, sich erbittert zur Wehr. Als Gouverneur der Kolonie befahl General Badoglio darauf, die Rebellen "räumlich ganz klar und weit von der unterworfenen Bevölkerung (zu) trennen", auch "wenn die ganze Bevölkerung der Kyrenaika dabei zugrunde gehen müsste." 80.000 Nomaden raubte man ihr Vieh und sperrte sie in Konzentrationslager, wo viele verhungerten oder Seuchen zum Opfer fielen.(1) Zur Abschreckung der restlichen Einwohner wurden deren Ansiedlungen geplündert, Geiseln erschossen, Frauen vergewaltigt und die Heiligtümer der Nomaden geschändet. Der Historiker Eric Salerno schrieb, dass während der massiven Bombardements gegen die Zivilbevölkerung bereits in der Kyrenaika Giftgas eingesetzt wurde.2 Massenhaft geschah das dann bei der Eroberung Äthiopiens.

Die verbliebenen Partisanen wurden erbarmungslos gejagt, ihre Anführer aus Flugzeugen in den Tod gestürzt. Am 11. September 1931 fiel Omar Mukhtar als einziger Überlebender einer zwölfköpfigen berittenen Partisanengruppe nach zweistündiger Verfolgung in die Hände der Italiener. General Rodolfo Graziani ließ ihn am 16. September 1931 öffentlich aufhängen. 20.000 Menschen wurden zusammengetrieben, der Exekution zuzusehen.(3) In die Kolonie schickte Rom etwa 110.000 Siedler, die den Arabern ihre Böden raubten, diese selbst in die Wüste trieben oder sie zwangen, sich auf Plantagen als billige Lohnsklaven zu verdingen. Zwischen 1923 und 1938/39 stahl das faschistische Italien den Libyern insgesamt 731.000 Hektar landwirtschaftliche Nutzflächen.(4) Der Unterwerfung Libyens folgte 1935/36 die Eroberung Äthiopiens.


Lenins Warnung bleibt aktuell

Zum Abschluss ein markanter Unterschied. Während Kommunisten, Sozialisten und das fortschrittliche Bürgertum damals dem Expansionsdrang des römischen Imperialismus entschieden entgegentraten, ist heute eine solche Haltung kaum zu erkennen. Nicht wenige machen sich mehr oder weniger offen zu Helfershelfern des neuen Kampfes um die Oelclaims. Der Vorsitzende der aus Linksdemokraten und katholischem Zentrum kreierten Demokratischen Partei, Luigi Bersani, begrüßte die Teilnahme des faschistoiden Berlusconi-Regimes an der neuzeitlichen Kolonialaggression. Der Chef der Linkspartei Nicola Vendola stellt sich hinter die UNO-Resolution, welche die Aggression deckt, und selbst die Kommunistische Neugründungspartei PRC schließt sich der heuchlerischen Parole der Aggressoren an: "Ghaddafi muss gehen und wie in Ägypten und Tunis muss das Volk frei über seine Zukunft entscheiden".

In welchem Fiasko die kolonialen Aggressoren einst endeten, ist hinreichend bekannt. Der gegenwärtige Kampf der imperialistischen Mächte um eine Neuaufteilung der Einflusssphären und Rohstoffquellen mag zunächst von Erfolg gekrönt sein. Letzten Endes aber wird es enden, wie es Lenin schon 1912 voraussah. Wie die Völker der anderen Länder unter neokolonialem Joch werden die Araberstämme "sich nicht unterwerfen".


Anmerkungen:

(1) Giorgio Rochat: La Repressione della Resistenza araba in Cirenaica (1930/31). In: Il Movimento di Liberazione in Italia, Rom 1973, S. 162 f.

(2) Eric Salerno: Genecidio in Libia. 1911-1931. Mailand 1977, S. 48.

(3) Ghaddafi, so heißt es, trage stets ein Bild des unter den Arabern als Held des antikolonialen Befreiungskampfes hoch verehrten "Sohnes des großen Zeltes" bei sich.

(4) Gabriele Schneider: Mussolini in Afrika. Köln 2000, S. 113



Ausführlichere Informationen zu diesem Thema finden Sie in dem folgenden Buch des Autors :
Geschichte Italiens - Vom Risorgimento bis heute, PapyRossa Verlag 2008, in den Kapiteln
Großmachthunger und Expansionsdrang, S. 72 ff. und Vorstoss auf den Balkan und nach Afrika, S. 112 ff.

Anmerkung der Schattenblick-Redaktion:
Eine Rezension dieses Buches finden Sie im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de -> Infopool -> Buch -> Sachbuch
REZENSION/448: Gerhard Feldbauer - Geschichte Italiens (SB)

Link: www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar448.html


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Quelle:
© 2011 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. April 2011