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MEMORIAL/038: Risorgimento - Vor 170 Jahren Uraufführung von Verdis "Nabucco" (Gerhard Feldbauer)


Verdis "Nabucco" verlieh dem nationalem Befreiungskampf der Italiener goldene Schwingen

Vor 170 Jahren fand an der Mailänder Scala die Uraufführung statt

Von Gerhard Feldbauer, 7. März 2012


Mitten in den Kämpfen des Risorgimento, der nationalen Bewegung für die Befreiung Italiens vom weltlichen Joch des Papstes und der Fremdherrschaft der Habsburger und Bourbonen, fand am 9. März 1842 an der Mailänder Scala die Uraufführung der Oper Giuseppe Verdis "Nabucco" statt. Die Italiener verstanden sofort, dass das revolutionäre Pathos sich auf den Geist des Risorgimento bezog. Die Besucher stimmten inbrünstig in den Freiheitschor der gefangenen Juden ein: "Va' pensiero, sull' ali dorate" (Flieg, Gedanke, auf goldenen Schwingen). Die Menschen sangen ihn danach begeistert auf den Straßen.

"Nabucco" machte Verdi mit einem Schlag zum bedeutendsten Opernmeister Italiens. Mit Werken wie "Die Lombarden" (1843), "Ernani" (1844 nach Viktor Hugo), "Giovanna d'Arco" (1845 nach Schillers "Jungfrau von Orleans") oder "Die Schlacht von Legnano" (1849, über den Sieg des Mailänder Städtebundes gegen Barbarossas Ritterheer) gestaltete Verdi am Vorabend und während der Revolution von 1848/49 weitere zeitbezogene historische Themen patriotischen Inhalts. Die volkstümlichen Opern "Rigoletto" (1851), "Der Troubadour" und "La Traviata" (beide 1853) begründeten den Weltruhm des Komponisten. Verdi führte die von Giocchino Rossini begonnene romantische Opernschule zur höchsten Vollendung. Er stand in der Tradition Alfieris, Pellicos sowie Alessandro Manzonis und wollte sich mit seinen Werken an die einfachen Menschen wenden, für die, wie er einmal sagte, "Singen ein zweites Atmen" ist.


Intellektuelle Wegbereiter der Revolution

In der Gegenwart, wo nicht wenige im Kampf gegen die Reaktion und für den Fortschritt der Menschheit resignieren, wenn sie nicht gar auf die Gegenseite überlaufen, ist es durchaus angebracht sich des Wirkens solch großer Geister und ihres bedeutenden Beitrages zu erinnern. In Italien gehörte auch der Dramatiker Silvio Pellico dazu. Als einer der führenden intellektuellen Wegbereiter des Risorgimento war er wegen seines mutigen Eintretens für die nationale Unabhängigkeit 1820 verhaftet und in Wien zum Tode verurteilt worden. Vom Kaiser zu 20 Jahren Kerker begnadigt wurde er in das Habsburger Staatsgefängnis auf dem Spielberg bei Brünn eingeliefert. 1830 wurde er freigelassen. In seinem 1832 erschienenen Buch "Meine Gefängnisse" nannte er den Spielberg "sein Grab", was bedeutete, "dass man zur Arbeit verpflichtet ist, eine Kette an den Füßen zu tragen, auf bloßen Brettern schlafen und die ärmlichste Kost essen muss, die sich nur denken lässt." Pellicos leidenschaftliche Anklage gegen die Habsburger Fremdherrschaft wühlte die Gemüter der um ihre nationale Freiheit kämpfenden Italiener zutiefst auf.

Dem Kampf des Volkes widmete auch der Dramatiker, Lyriker und Schriftsteller Alessandro Manzoni sein Schaffen. 1827 erschien sein Hauptwerk, der historische Roman "Die Verlobten", in dem er mit leidenschaftlicher Anteilnahme die Geschichte eines lombardischen Liebespaares zur Zeit der spanischen Herrschaft im 17. Jahrhundert erzählte. Die Parallele zum drückenden Joch Österreichs war für den italienischen Leser augenscheinlich. In herausragender Weise trug Manzoni mit den Promessi dazu bei, die Gedanken des Risorgimento zu verbreiten. Nach Ausbruch der Revolution 1848 trat er dem Triumvirat in Florenz bei und nahm aktiv an den Unabhängigkeitskämpfen teil.


Eine Kampfansage der Wissenschaft

Vom 15.bis 30. September 1841 tagte in Florenz der III. Kongress der Wissenschaftler aus ganz Italien. Bereits der erste Kongress 1839 in Pisa hatte sich, anknüpfend an den Geist der Renaissance und seiner Verkörperung durch Galileo Galilei, zur Freiheit des Gedankens und zum Liberalismus bekannt. Die Anwesenheit von 421 Wissenschaftlern aller Zweige aus ganz Italien zeugte von einem Bekenntnis zur nationalen Einheit und einer beträchtlichen Wirksamkeit. Die Ergebnisse der Tagung stellten eine Kampfansage an die Fremdherrschaft der Habsburger und des Papstes dar, welche Demokraten wie Liberale enthusiastisch aufnahmen. Bis zum VII. Kongress 1845 in Neapel stieg die Zahl der Teilnehmer auf 2.427 an.

Im Juli 1851 veröffentlichte der Herzog Carlo Pisacane, seine Schrift "Guerre combattuta in Italia nelli Anni 1848/49", in der er Lehren aus der Niederlage der Revolution 1848/49 zog und die Befreiungskriege als "revolutionäre Ereignisse" und Ausdruck "eines Klassenkampfes" einschätzte. Wie Giuseppe Garibaldi, an dessen Seite er 1849 die Römische Republik verteidigte, wurde er von den Saint Simonisten beeinflusst, und zum utopischen Sozialisten, der erkannte, dass die künftige italienische Revolution notwendiger Weise einen sozialistischen Inhalt haben müsse und sich nicht im parlamentarisch-institutionellen Charakter erschöpfen könne. Er forderte, an die Bauern Grund und Boden zu verteilen.


Ein Che Guevara seiner Zeit.

1857 wurde Pisacane zu einem Che Guevara seiner Zeit. Um die Pläne der liberalen Bourgeoisie, die Einheit Italiens von oben herzustellen, zu vereiteln, wollte er auf Sizilien einen Bauernaufstand entfachen. Mit einer Anzahl Mitkämpfer begab er sich im Juni auf dem Passagierschiff "Cagliari" in die Bucht von Sapri bei Palermo, um das Unternehmen einzuleiten. Giuseppe Mazzini versuchte zur gleichen Zeit in Genua und Livorno eine bewaffnete Erhebung auszulösen. Pisacane und seiner Gruppe gelang es am 27./28 Juni im Hafen von Ponza, die Mannschaft des Gefängnisses zu überwältigten und 300 politische Gefangene zu befreien, von denen sich ihnen die meisten anschlossen. Aufrufe an die Bauern, sich gegen die Fremdherrschaft zu erheben, hatten keinen Erfolg. Am 1./2. Juli wurde die Abteilung Pisacanes vom 7. bourbonischen Jägerbataillon in einem regelrechten Massaker niedergemacht. 111 Revolutionäre wurden getötet, 35 nach der Gefangennahme erschossen. 70 entkamen zunächst, unter ihnen der schwer verwundete Pisacane. Um nicht lebend in die Hände seiner Feinde zu fallen, wählte er den Freitod. Die Aufstandsversuche in Genua und Livorno scheiterten ebenfalls. Mazzini gelang es zu entkommen und nach London zu fliehen.

Nach dem Sieg der Bourgeoisie setzte eine ungeheure Verelendung der Arbeiter, Bauern und ärmsten Schichten ein. In der Industrie betrug die Arbeitszeit generell 12 bis 16 Stunden täglich. Anfang der 1870er Jahre verdiente ein Mann 1,5 bis 2 Lire am Tag, was dem Preis von 4 bis 5 Kilo Brot entsprach. Frauen erhielten die Hälfte, Kinder ein Drittel. Die Arbeitskraft der Kinder wurde erbarmungslos ausgebeutet. Von 382.131 Personen, die 1880 in der Textil- und Papierindustrie sowie der Tabakverarbeitung arbeiteten, waren 90.083 (23,5 %) Kinder unter 14 Jahren. Das Alter der in den Fabriken beschäftigten Kinder lag im allgemeinen zwischen 9 bis 12 Jahren, oft arbeiteten bereits Sechsjährige.


In der Tradition des Risorgimento: Giovanni Carmelo Verga

Fortschrittliche Künstler und Schriftsteller nahmen sich der so Ausgebeuteten an und setzten die revolutionären bürgerlich-demokratischen Traditionen des Risorgimento fort. Zu ihnen gehörte Giovanni Carmelo Verga, der nach zunächst romantisch-leidenschaftlichen Gesellschaftsromanen (Die Sünderin, Geschichte eines Schwarzblättchens und Eva) sich der Darstellung der erschütternden Armut der sizilianischen Landbevölkerung zuwandte und zum Begründer des italienischen Verismus wurde. Mit "Nedda" (1874) und "Sizilianische Dorfgeschichten" (1880) stieg er zum Meister veristischer Novellen auf. In "Sizilianische Bauernehre" (1884), die Pietro Mascagni als Stoff für seine Oper "Cavalleria rusticana" nahm, schilderte er eindrucksvoll das sizilianische Volksleben. Seine bedeutendsten Romane wurden "Malavoglia" (1881) und "Don Gesualdo" (1889), in denen er mitfühlend die Leiden der Unterdrückten gestaltete, deren Denken von Resignation und Hoffnungslosigkeit beherrscht wurde. Auch wenn Verga nicht die gesellschaftlichen Wurzeln von Ausbeutung und Unterdrückung und den Kampf dagegen aufzeigte, gebührt ihm das große Verdienst, als erster die Bauern und Tagelöhner, Hirten und Fischer in die italienische Literatur eingeführt zu haben.


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Quelle:
© 2012 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. März 2012