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MEMORIAL/065: 1942 - Die Vernichtung der italienischen Ostarmee (Gerhard Feldbauer)


Die Vernichtung der italienischen Ostarmee im Vorfeld von Stalingrad verstärkte vor 70 Jahren die Krise des Mussoliniregimes

von Gerhard Feldbauer, 27.11.2012



Die Niederlage des deutsch-italienischen Afrikakorps unter Feldmarschall Rommel bei El Alamein im Oktober/November 1942 und die folgende Niederlage der Hitlerwehrmacht im Januar 1943 bei Stalingrad leiteten die Krise des Faschismus in Italien ein. Weniger bekannt ist, dass dazu der Untergang der italienischen Ostarmee im November 1942 beitrug. Gemäß dem mit Hitler 1939 geschlossenen "Stahlpakt" musste Mussolini beim Überfall auf die UdSSR Hilfsdienste leisten. Der "Duce" schickte drei Divisionen an die Ostfront, die im Sommer 1942 um weitere acht (Hitler hatte 20 gefordert) zur VIII. Armee, der Armata Italiana in Russia (ARMIR), auf etwa 230.000 Mann aufgestockt wurden, um die schweren deutschen Verluste in der Schlacht vor Moskau und beim Vordringen auf Stalingrad auszugleichen. Zusammen mit den Satelliten-Verbänden aus Ungarn und Rumänien hatte die ARMIR im Bestand der Heeresgruppe B am Don einen 270 Kilometer breiten Frontabschnitt zu halten. An dem für ihre Personalstärke viel zu breiten Abschnitt traf sie die volle Wucht der zur Entlastung der Stalingrader Front am 19. November 1942 einsetzenden sowjetischen Gegenoffensive am Don. Als die Reste der 6. deutschen Armee von Paulus zwischen dem 31. Januar und dem 2. Februar 1943 im Kessel von Stalingrad kapitulierten, hatte die ARMIR schon sechs Wochen vorher deren Schicksal ereilt. Sie wurde zwischen dem 11. und 22. Dezember bei eisiger Kälte in die verschneite Donezsteppe getrieben, dort eingekesselt und größtenteils vernichtet. In der seit August 1942 tobenden Schlacht zwischen Don und Wolga erlitt die Hitlerwehrmacht eine vernichtende Niederlage, welche die Wende im Zweiten Weltkrieg einleitete. Sie verlor 32 komplette Divisionen und drei Brigaden, außerdem die Truppen von 5 Armeen und eine große Zahl selbständiger Truppenteile.


Kriegsentscheidende Auswirkung in Italien

Auf Italien wirkte sich die Niederlage unter mehreren Aspekten kriegsentscheidend aus. Um die eigenen Verluste zu begrenzen, hatte das Oberkommando der Wehrmacht das italienische Hilfskorps an der Ostfront rücksichtslos verheizt. Der italienische Generalstab, in dessen Kreisen Offiziere mit Marschall Pietro Badoglio an der Spitze ernsthaft erwogen, aus der faschistischen Achse auszubrechen, verfasste dazu einen Bericht. Er besagte, dass die Wehrmacht die Italiener während des schrecklichen Rückzuges in der verschneiten Steppe erbarmungslos ihrem Schicksal überließ, dass die deutschen "Verbündeten", den Italienern "stets jegliche Hilfe versagten, sich aller verfügbaren Kraftfahrzeuge bemächtigten, unsere Verwundeten ohne Transportmittel, ohne Nahrungsmittel und ohne erforderliche Versorgung zurückließen". Der Bericht, der unter Soldaten und Offizieren bekannt wurde, steigerte die latent vorhandenen antideutschen Ressentiments zum regelrechten Hass auf die deutschen "Verbündeten" und gab antifaschistischen Stimmungen Auftrieb. Der verlorengegangene Mythos von der "Unbesiegbarkeit" der Hitlerwehrmacht führte unter Trägern der faschistischen Diktatur Italiens zu ersten Erkenntnissen, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war und verstärkte die Suche nach einem Ausweg.


Sondierungen über einen Bruch mit Hitler

Badoglio, der sich 1940 gegen den Kriegseintritt Italiens ausgesprochen und als Generalstabschef des Heeres zurückgetreten war, nahm Ende November in Mailand in der Wohnung des Schwerindustriellen der Eisen- und Stahlindustrie, Enrico Falk, an einem Treffen von Großindustriellen, Vertretern der faschistischen Partei und der bürgerlichen Opposition mit dem führenden Christdemokraten Alcide De Gasperi teil. Danach kam es zu ersten Sondierungen mit Washington und London über einen Bruch mit Hitler.

Selbst Mussolini äußerte am 1. Dezember 1942, wie Andreas Hillgruber in seinem Buch "Von El Alamein bis Stalingrad" (München 1964) schrieb, gegenüber Göring bei dessen Besuch in Rom, "dass auf die eine oder andere Weise das Kapitel des Krieges gegen Russland, der keinen Zweck mehr hat, abgeschlossen werden müsse", um die Kräfte für den Kampf gegen die Angloamerikaner im Westen zu gewinnen. Außenminister Graf Galeazzo Ciano, der Schwiegersohn des "Duce", flog am 18./19. Dezember 1942 ins Führerhauptquartier "Wolfsschanze" und übermittelte Hitler den Standpunkt des "Duce", ob es zur Vermeidung eines Zweifrontenkriegs nicht möglich sei, mit Russland zu einer Lösung "neuer Brest-Litowsk-Friede" zu kommen, um größere Truppenmengen von der Ostfront abziehen zu können. Hitler lehnte kategorisch ab und entgegnete, das strategische Hauptziel bleibe, "den bolschewistischen Koloss zu zerschlagen".


Die Palastverschwörer schritten zur Tat

Während sich Mussolini Hitler fügte, schritten die Palastverschwörer zur Tat und stürzten am 26. Juli 1943 den "Duce". Unter ihnen befand sich Ciano, der seine Teilnahme an dem Staatsstreich mit dem Leben bezahlte. Nachdem er den Deutschen in die Hände gefallen war, lieferte ihn Hitler an Mussolini aus, der seinen Schwiegersohn, obwohl er sich von der Palastrevolte distanzierte, am 11. Januar 1944 hinrichten ließ.

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Quelle:
© 2012 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. November 2012