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MEMORIAL/066: Das Pariser Friedensabkommen zu Vietnam und seine Sabotage durch die USA (Gerhard Feldbauer)


Das Pariser Friedensabkommen zu Vietnam und seine Sabotage durch die USA

von Gerhard Feldbauer, 15. Januar 2013



Am 27. Januar 1973 wurde in Paris nach fast fünfjährigen Verhandlungen das Friedensabkommen für Vietnam von den USA, der Demokratischen Republik Vietnam, der Saigoner Regierung und der Front National de Liberàtion (FNL) unterzeichnet. Am 2. März wurde es durch eine Internationale Vietnamkonferenz gebilligt, an der neben den drei vietnamesischen Seiten die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates sowie Ungarn, Polen, Kanada und Indonesien teilnahmen.


Eine Niederlage am Verhandlungstisch

Das Abkommen bedeutete das völlige Scheitern der USA, mit Hilfe ihrer Marionetten-Regierung in Saigon Vietnam ihrer neokolonialen Besatzungsherrschaft zu unterwerfen und es in einen Stützpunkt im Netz der Einkreisung der UdSSR zu verwandeln. Zuletzt hatten die USA den von 1964 bis 1968 geführten Luftkrieg gegen Nordvietnam 1972 wieder aufgenommen, um die DRV für ihre Bedingungen eines Abkommens gefügig zu machen. Er gipfelte in barbarischen Angriffen mit B 52 in den letzten zwei Dezemberwochen auf Hanoi. Auch der letzte Versuch Washingtons, die DRV damit zu zwingen, das im Volk verhasste südvietnamesische Marionettenregime unter seiner Vorherrschaft zu akzeptieren, war erfolglos geblieben.


Waffenstillstand der kämpfenden Parteien im Süden

In Artikel 1 mussten die USA "die Unabhängigkeit, Souveränität, Einheit und territoriale Integrität Vietnams, wie sie in den Genfer Abkommen über Vietnam von 1954 festgelegt wurden", anerkennen. In Artikel 2 mussten sie nicht nur einen am Tag der Unterzeichnung beginnenden Waffenstillstand der kämpfenden Parteien im Süden vereinbaren, sondern in Artikel 3 auch das Verbleiben der Streitkräfte beider Seiten dort, wo sie sich befanden, akzeptieren. Das bedeutete die Anerkennung der befreiten Gebiete Südvietnams (zwei Drittel) als von den Befreiungsstreitkräften kontrolliertes Territorium. Das schloss de facto die Anerkennung ein, dass an der Seite der Befreiungsstreitkräfte auch Nordvietnamesen kämpften.


Abzug aller US-Truppen und Militärberater

Artikel 5 verpflichtete die USA, innerhalb von sechzig Tagen "alle Truppen, Militärberater und das militärische Personal einschließlich des technischen Militärpersonals und des im Zusammenhang mit dem sogenannten "Befriedungsprogramms" tätigen Militärpersonals sowie Waffen, Munition und Kriegsmaterial" abzuziehen. Diesem Personenkreis untersagte Artikel 4 bereits, sich in die inneren Angelegenheiten Südvietnams einzumischen. In Artikel 6 wurden die USA verpflichtet, ebenfalls binnen sechzig Tagen alle ihre Militärstützpunkte aufzulösen. Das betraf auch alle in Südvietnam stehenden Streitkräfte der Verbündeten der USA aus SEATO-Staaten sowie aus Südkorea.


Freie Wahlen und friedliche Wiedervereinigung

Die Artikel 9 bis 14 enthielten Bestimmungen zur Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts des Volkes in Südvietnam. Beide Seiten, also die Provisorische Revolutionäre Regierung der von den Befreiungskräften gebildeten Republik Südvietnam (RSV) und die Saigoner Regierung, sollten unmittelbar nach dem Waffenstillstand "Konsultationen im Geist der nationalen Versöhnung und Eintracht, der gegenseitigen Achtung und der gegenseitigen Nichteliminierung durchführen, um einen nationalen Rat der nationalen Versöhnung und Eintracht" zu bilden, der "freie und demokratische allgemeine Wahlen" vorbereiten sollte.

Mit Inkrafttreten des Waffenstillstands in Südvietnam wurden die USA verpflichtet, die gesamten militärischen Aktivitäten ihrer Boden-, Luft- und Seestreitkräfte gegen das Territorium der Demokratischen Republik Vietnam einzustellen und die Verminung der vietnamesischen Gewässer zu beenden. Die USA verpflichteten sich zur sofortigen Minenräumung.

Artikel 15 sanktionierte die Wiedervereinigung Vietnams und legte fest: Sie "soll Schritt für Schritt mit friedlichen Mitteln auf der Basis von Diskussionen und Abkommen zwischen Nord- und Südvietnam ohne Zwang oder Annexion durch eine der beiden Parteien und ohne ausländische Einmischung herbei geführt werden".

Zur Realisierung des Abkommens wurde in dem Pariser Vorort La Celle-Saint Cloud eine Konsultativkonferenz der beiden südvietnamesischen Seiten eingerichtet.

Die Pariser Abkommen stellten eine katastrophale Niederlage der amerikanischen Vietnampolitik dar. Mit ihrer Einhaltung hätte Washington noch halbwegs das Gesicht wahren und sich vertragsmäßig aus Vietnam zurückziehen können. So war Frankreich 1954 verfahren. Anders die USA. Um neuen militärischen Niederlagen zu entgehen, zogen sie nach zahlreichen Verzögerungsmanövern zwar ihre noch verbliebenen Truppen ab, kamen aber ihren weiteren Verpflichtungen nicht nach. Sie ließen ihre Militärberater und andere Militärexperten in Stärke von 25.000 Mann in Südvietnam, die ihre Tätigkeit als "Zivilisten" fortsetzten. Die USA verletzten die Bedingungen über den Ersatz militärischen Materials, der beiden Seiten gestattet war. Bereits in der Zeit vom 28. Januar bis zum 10. Juli 1973 lieferte das Pentagon der Saigoner Armee zusätzlich 696 Flugzeuge, 1.100 Panzer, 800 Geschütze, 204 Kriegsschiffe und weitere militärische Ausrüstungen, darunter chemische Kampfstoffe und Unmengen Munition.


Präsident Thieu drohte: Ein Pro-Kommunist "überlebt keine fünf Minuten".

Die Saigoner Behörden verweigerten nicht nur die Freilassung von rund 200.000 eingekerkerten Menschen, sondern warfen weitere 60.000 Personen, die sich für die Verwirklichung des Pariser Abkommens einsetzten, in die Gefängnisse. Der südvietnamesische Präsident Thieu betrieb, ermuntert von den USA, in aller Öffentlichkeit die Sabotage der Pariser Abkommen und erklärte seine Regierung und seine Armee "zur einzigen in Südvietnam". Am 12. Oktober 1973 drohte er, wer sich als "Neutralist oder Pro-Kommunist bezeichnet, überlebt keine fünf Minuten". Am 28. Dezember 1973 kündigte er an: "Es wird keine Wahlen geben, keinen Frieden, und die Konferenz von La Celle-Saint Cloud wird niemals zu einer politischen Lösung führen." Am 16. April 1974 verließen die Vertreter Saigons die Konferenz.


Sieg in Saigon

Proteste gegen die Verletzung der Pariser Abkommen seitens der RSV und der DRV, Appelle eine friedliche Regelung nicht zu blockieren und Warnungen, dem nicht länger tatenlos zuzusehen, verhallten ungehört. Angesichts dieser Situation begann die Befreiungsarmee, sich ab Oktober 1974 auf ihre letzte große Offensive vorzubereiten, der als Ziel gesetzt war, das Thieu-Regime zu stürzen und ganz Südvietnam endgültig zu befreien. Zwischen dem 4. und 18. März 1975 gingen die Befreiungsstreitkräfte im Norden, im zentralen Hochland und nördlich von Saigon zum Angriff über. Am 29./30. April zogen die Befreiungskämpfer in Saigon ein. Die letzten Amerikaner flüchteten vom Dach der US-Botschaft mit Avican-Helicoptern auf die vor Saigon liegenden US-Kriegsschiffe. Südvietnam war nach zwei Jahrzehnten amerikanischer Besatzungsherrschaft befreit.


Gerhard Feldbauer hat mit seiner Frau Irene das Buch geschrieben "Sieg in Saigon. Erinnerungen an Vietnam", Pahl Rugenstein 2005, 2. Auflage 2006.

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Quelle:
© 2013 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2013