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MEMORIAL/096: 25. März 1944 - Der Geiselmord in den Fosse Ardeatine bei Rom (Gerhard Feldbauer)


Eines der barbarischsten Verbrechen des Besatzungsregimes Hitlerdeutschlands in Italien

Der Geiselmord in den Fosse Ardeatine bei Rom

von Gerhard Feldbauer, 18. März 2014



Vor 70 Jahren, am 25. März 1944, begingen die Besatzer Hitlerdeutschlands in Italien eines ihrer barbarischsten Verbrechen. Als Rache für einen Überfall auf eine Kompanie des SS-Regiments Bozen (Südtirol) zwei Tage vorher in der Via Rasella in Rom, bei dem 33 Soldaten ums Leben kamen, wurden 335 Geiseln erschossen.

Entgegen nach 1945 von rechten und faschistischen Kreisen vorgebrachten Diffamierungen, der Anschlag in der Via Rasella sei eine illegitime Operation gewesen, handelte es sich, wie das Appellationsgericht der Hauptstadt 1954 nachwies, um eine in "voller Rechtmäßigkeit" durchgeführte "Aktion des Krieges". Ausgangspunkt war, dass Anfang 1944 Rom nach einer Vereinbarung mit der deutschen Besatzungsmacht zur "offenen Stadt" erklärt worden war. Die Wehrmacht hielt sich nicht an die Verpflichtung, ihre Truppen abzuziehen und die Alliierten flogen daraufhin am 19. März 1944 einen schweren Luftangriff auf Rom.


Angriff auf SS-Regiment in Rom

Daraufhin beschloss der Militärausschuss des Nationalen Befreiungskomitees (CLN) unter Vorsitz Sandro Pertinis von der Sozialistischen Partei (einer der beiden Oberbefehlshaber der Partisanenarmee, der andere war Luigi Longo von der PCI) für den 23. März Nachmittags einen Überfall auf eine deutsche Militärkolonne in der Via Rasella. Mit dem Anschlag wurden Angehörige der örtlichen Partisanen "Gruppen der Patriotischen Aktion" (GAP) beauftragt. Sie deponierten in einem Müllkarren eine präparierte Mörsergranate, die sie, als die SS-Einheit die Straße passierte, zündeten. Anschließend eröffneten sie das Feuer.

Die Geiselerschießungen übernahm der Polizeichef von Rom, SS-Obersturmbannführer Herbert Kappler, der sich dazu selbst meldete und nicht, wie er 1947 im Prozess gegen sich behauptete, nur Befehle ausführte. Er war, wie der italienische Historiker Guido Gerosa in seinem Buch "Il Caso Kappler" (Mailand 1977) nachwies, "der große nazistische Kontrolleur des Terrors, der oberste Leiter der Vernichtung des jüdischen Ghettos", ein "besonders fanatischer Nazi, der skrupellos wie ein wildes Tier mordete" und Hitler persönlich durch "seine Emsigkeit und Dienstbeflissenheit" bekannt war. Kappler schlug auch persönlich vor, für jeden toten SS-Mann zehn Italiener zu erschießen, was Hitler sanktionierte.

Kappler und sein Stellvertreter, Sturmbannführer Erich Priebke, trieben aus den Gefängnissen in Rom die Geiseln zusammen. Zum Exekutionskommando gehörten weiter die SS-Offiziere Sturmbannführer Karl Hass und Hauptsturmführer Theodor Schütz. Die Opfer wurden, die Hände mit Stricken hinter dem Rücken zusammengebunden, auf Lastwagen in die Fosse Ardeatine an der Via Appia Antica bei Rom gefahren, wo sie in die Sandsteinhöhlen hinuntersteigen mussten. Dort mussten sie in Gruppen zu fünf Mann niederknien und wurden auf Kommando von Schütz durch Genickschüsse abwechselnd von den etwa 80 bis 90 SS-Leuten umgebracht. Die nächsten Opfer mussten auf die vorher Erschossenen steigen. Die Wartenden hörten während der etwa fünf Stunden dauernden Exekution die Schüsse. Um seine Leute anzufeuern exekutierte Kappler selbst mehrere Geiseln. Es wurde nicht kontrolliert, ob die Opfer tot waren. Bei den Bergungen nach 1945 wurden bei einem Opfer einige Notizen gefunden, die zeigten, dass es lebendig Begrabene gab. Am Ende stellte sich heraus, dass zwei Personen zu viel zusammengetrieben worden waren. Man wollte sie - auch als Mitwisser - nicht am Leben lassen und brachte sie über die festgelegt Zahl von je zehn Geiseln für einen der 33 getöteten SS-Männer noch um. Nach Abschluss des Massakers wurden die Höhlen gesprengt.


Ein bestialisches Verbrechen

Nach 1945 konnten 322 der Opfer identifiziert werden. Roberto Battaglia und Giuseppe Garritano schrieben in "Der italienische Widerstandskampf 1943 bis 1945 (Berlin/DDR 1964), Opfer dieses "bestialischen, in jeder seiner einzelnen Handlungen unmenschlichen Verbrechens" wurden "Menschen der verschiedenen Richtungen, Klassen und Altersstufen, die noch in ihrem Tode ein Zeugnis von der Einheit ablegten, die die Italiener im Befreiungskampf zusammenschloss". Schulter an Schulter fielen der kommunistische Professor Gioacchino Gesmundo und der Oberst Montezemolo, Organisator des Widerstandes in Militärkreisen, Professor Pilo Albertelli von der radikaldemokratischen Aktionspartei und General Simoni, Held des Ersten Weltkrieges, General Fenulli, stellvertretender Kommandeur der Division "Ariete", die im Herbst 1943 der Okkupation der Hitlerwehrmacht entgegengetreten war, der Arbeiter Valerio Fiorentini, der den Widerstand in den Städten organisiert hatte. Zusammengefasst waren in den Tuffsteinhöhlen 77 Arbeiter, 57 Angestellte oder Beamte im öffentlichen Dienst, 54 Angehörige kaufmännischer Berufe, 38 Offiziere, darunter fünf Generale, 17 Straßenhändler, zwölf Bauern, zwölf Rechtsanwälte, neun Studenten, acht Künstler, sechs Architekten oder Ingenieure, fünf Professoren bzw. Lehrer, fünf Industrielle, fünf Soldaten, vier Metzger, drei Ärzte, ein Bankkaufmann und ein Priester ermordet worden. Der jüngste Tote war 15 Jahre alt, der älteste 74.


Vernichtungskrieg des Besatzungsregimes Hitlerdeutschlands

Das bestialische Verbrechen in den Fosse Ardeatine war Bestandteil des grausamen und erbarmungslosen Vernichtungskrieges, den unter dem deutschen Besatzungsregime Wehrmacht, SS, SD, Gestapo und Sicherheitspolizei mit Mussolinis Erfüllungsgehilfen gegen die italienische Bevölkerung führten. Für Geiselerschießungen, das Niederbrennen von Dörfern, Mord und Folter stehen neben den Ardeatinischen Höhlen Beispiele wie die Gemeinde Marzabotto (1.830 viehisch umgebrachte Bewohner) oder der Fall des SS-Henkers von Mailand, Hauptsturmführer Savaecke (verantwortlich für die Ermordung von über 2.000 Juden und Widerstandskämpfern). Im statistischen Mittel wurden unter dem Besatzungsregime Hitlerdeutschlands, ohne die gefallenen Partisanen und regulären Soldaten einzubeziehen, wie der bundesdeutsche Militärhistoriker Gerhard Schreiber in "Deutsche Kriegsverbrechen in Italien" (München 1996) schrieb, täglich 165 Kinder, Frauen und Männer jeden Alters umgebracht.


Kapplers Flucht in die Bundesrepublik

Der für Geiselerschießungen verantwortliche Befehlshaber für Italien, Feldmarschall Kesselring, wurde 1947 von einem britischen Militärgericht auch wegen des Massakers in den Ardeatinischen Höhlen zum Tode verurteilt, später in lebenslang umgewandelt, kam er 1952 frei. Im Prozess räumte Kesselring ein, mit den Geiselerschießungen nach dem Überfall in der Via Rasella sollte auch der römischen Widerstandsbewegung ein entscheidender Stoß versetzt werden. Kappler wurde von einem römischen Militärgericht 1948 wegen der Geiselerschießungen zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, die er in Italien verbüßte. Im Sommer 1977 verhalfen deutsche und italienische Gesinnungskomplizen ihm zur Flucht in die Bundesrepublik, wo der Kriegsverbrecher von seinen Anhängern frenetisch gefeiert wurde. Die Justizbehörden verweigerten eine von Rom geforderte Auslieferung. Gerosa und italienische Zeitungen verwiesen darauf, dass seit Adenauers Zeiten führende Politiker der Bundesrepublik, darunter 232 Bundestagsabgeordnete und Mitglieder der derzeitigen Bundesregierung die Freilassung Kapplers gefordert hatten.

Gehlen empfahl SS-Mörder als "charakterlich einwandfreie Persönlichkeit"

Theodor Schütz wurde 1950 in der Bundesrepublik als Mitläufer eingestuft. 1952 übernahm ihn die Organisation Gehlen, der Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes, in dem er seine Karriere fortsetzte. Reinhard Gehlen empfahl ihn als "charakterlich einwandfreie, ausgereifte, sensible Persönlichkeit", die "jederzeit ein Vorbild" gewesen sei. Als sich der BND später von allzu NS-belasteten Mitarbeitern trennen musste, wurde Schütz 1964 entlassen und erhielt eine Abfindung von 70.000 DM. Karl Hass lebte unter falschem Namen in Italien. Nach seiner Entdeckung verurteilte ihn ein Militärgericht in Rom 1998 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe, die in Hausarrest umgewandelt wurde. Er starb 2004. Erich Priebke hatte der Vatikan auf der sogenannten "Rattenlinie" zur Flucht nach Argentinien verholfen, wo er fünfzig Jahre unbehelligt lebte. In der BRD war ein Verfahren gegen den Kriegsverbrecher bereits 1977 eingestellt worden. 1996 wurde er in Argentinien entdeckt und an Italien ausgeliefert, wo er 1998 eine lebenslange Haftstrafe erhielt, die in Hausarrest umgewandelt wurde. Als er im August 2013 verstarb feierten ihn die faschistischen Verbündeten des früheren Premiers Berlusconi als "Helden", die klerikalfaschistischen Pius-Brüder würdigten den Henker von Rom als "treuen Soldaten und Freund". Antifaschisten verhinderten eine öffentliche Beisetzung in Italien.


Denkmal und Mausoleum für die Opfer

In den Fosse Ardeatine wurde am 24. März 1949 ein Denkmal und Mausoleum, in dem die Gebeine der Toten beigesetzt sind, eröffnet. In einem Pinienhain oberhalb der Gedenkstätte würdigt ein Museum des italienischen Widerstands den Befreiungskampf und Sieg des italienischen Volkes über die deutsche Besatzung und den italienischen Faschismus.

Das Massaker in den Ardeatinischen Höhlen wurde mehrfach in Filmen gestaltet, darunter 1973 von dem italienischen Regisseur George P. Cosmatos in einer italienisch-französischen Co-Produktion, die in Deutsch unter dem Titel "Das Massaker in Rom - der Fall Kappler" mit Richard Burton in der Hauptrolle herauskam. Im Abspann des Films werden alle Namen der erschossenen Personen, sowie deren Alter und Berufsstand genannt.

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Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2014