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MEMORIAL/183: Die Rolle Bonifatius' bei der Gestaltung des Abendlandes (Gerhard Feldbauer)


Vor 13 Jahrhunderten begann die Christianisierung des Frankenreiches

Die Rolle Bonifatius', des Apostels der Deutschen, bei der Gestaltung des Abendlandes

von Gerhard Feldbauer, 14. Mai 2018



Foto: by 23 dingen voor musea from Nederland (Bonifatius) [CC BY-SA 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons

Der heilige Bonifatius hält Kreuz und Schwert in Händen (Holzrelief)
Foto: by 23 dingen voor musea from Nederland (Bonifatius) [CC BY-SA 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons

2018/19 jährt sich der vor 1300 Jahren unter Bonifatius, dem Apostel der Deutschen, begonnene Prozess der Christianisierung des Frankenreiches. Dieses Imperium war auf den Trümmern des Weströmischen Reiches entstanden, das im 5. Jahrhundert von Goten, Vandalen, Burgundern und Alemannen, zuletzt von den Franken überrannt wurde. 476 hatte der germanische Heerführer Odoaker den letzten weströmischen Kaiser Romulus Augustulus besiegt und war von seinen Kriegern zum Heerkönig ausgerufen worden. 496 oder 497 waren dann die beiden am weitesten fortgeschrittenen germanischen Stammesverbände, die Alemannen und Franken, wahrscheinlich bei Reims oder Zülpich in der entscheidenden sogenannten Alemannenschlacht aufeinandergestoßen. Um den Ausgang wurde der Mythos gewoben, der Frankenkönig Chlodwig habe auf dem Höhepunkt des unentschieden wogenden Getümmels den Christengott angerufen und gelobt, sich taufen zu lassen, wenn er den Sieg erringe. Ein Schlachtengemälde von Joseph Blanc [1] von 1882, das im Pariser Pantheon zu sehen ist, zeigt ihn, wie er während der Schlacht sein Taufgelöbnis spricht. In einer anderen Szene besiegen danach himmlische Heerscharen die Alemannen.

Historisch belegt ist, dass die Franken und ihr König über eine Reihe besserer Bedingungen für die Durchsetzung ihrer Herrschaft verfügten. Childerich, der Vater Chlodwigs, hatte noch als römischer Heermeister in Nordgallien gedient. Während er Augenzeuge des Zerfalls des Westreiches wurde, sammelte er wertvolle Kriegserfahrungen. Gleichzeitig nutzte er sein einflussreiches Kommando, das Fürstengeschlecht der Merowinger, dem er entstammte, zum mächtigsten fränkischen Gaukönigtum zu erheben. Unter Chlodwig, der 481 erst sechzehnjährig gekrönt wurde und bis 511 herrschte, nutzten die Merowinger die Gunst der Stunde. 486 schlugen sie bei Soissons den letzten römischen Machthaber in Gallien, Syagrius, Sohn und Nachfolger des Ägidius, und versetzten dem Westreich mit der Vertreibung der Römer aus Nordgallien den Todesstoß. Es folgte die Niederwerfung der Westgoten und der Sieg in der Alemannenschlacht.

Als politischer wie militärischer Vorteil erwies sich vor allem, dass die Anfänge der frühfeudalen Ordnung des Frankenreiches aus den germanischen Stammesorganisationen heraus entstanden, da die auf dem fränkischen Territorium siedelnden Völker keine Sklavenhalter kannten und ihre Führungen noch von Formen der ursprünglichen Adelsdemokratie (Thingordnung) [2] geprägt waren. Die Siege über die Römer festigten die Herrschaft des fränkischen Kriegeradels, aus dem sich die neue Feudalschicht formierte, deren Macht auf dem Grundbesitz beruhte. Unter Chlodwig begann in Europa der historische Prozess des Entstehens des bedeutendsten Reiches des frühen Mittelalters, das germanische und romanische Völker umfasste und zur Grundlage der politischen und kulturellen Entwicklung des Abendlandes, insbesondere Deutschlands und Frankreichs, wurde. Die christliche Religion bildete das ideologische Band, das den Vielvölkerstaat zusammenhielt. Den Beginn der Christianisierung, die sich bis ins 11. Jahrhundert hinzog und von blutigen Auseinandersetzungen begleitet war, markierte die Taufe Chlodwigs und 4.000 seiner Krieger nach der Alemannenschlacht.


Abbildung: by [Public domain], via Wikimedia Commons

Taufe des Frankenkönigs Chlodwigs nach dem Sieg in der Alemannenschlacht (Gemälde)
Abbildung: by [Public domain], via Wikimedia Commons

Zwischen dem 5. und 9. Jahrhundert breitete sich das Frankenreich zu einem riesigen Imperium aus, das vom Atlantik bis zur Elbe, von den ostfriesischen Inseln bis weit hinter Rom reichte. Kreuz und Schwert festigten die Herrschaft der Kaiser und Könige. Unter dem Kreuz dazu den wahrscheinlich entscheidendsten Beitrag geleistet zu haben, kommt dem 672 oder 673 als Sohn eines angelsächsischen Adligen im Königreich Wessex [3] geborenen Missionar Bonifatius, der eigentlich Winfried hieß [4], zu. Er war in Exeter und Nursling bei Southampton Mönch und leitete auch eine Klosterschule. Seit 718 verbreitete er in Friesland, später in Thüringen, Hessen und Bayern das Christentum. Sein missionarischer Eifer, sein historischer Weitblick, aber auch sein großes organisatorisches Talent ließen ihn frühzeitig zum wichtigsten Vertrauten des Heiligen Stuhls bei der Festigung der Papstherrschaft nördlich der Alpen werden. Mit gleichbleibender Treue diente er vier Päpsten - Gregor II. (715-731) und III. (731-741), Zacharias (741-752) und Stephan II. (752-757). Gregor II. erteilte ihm 719 in Rom den offiziellen Auftrag, den "ungläubigen Völkern das Geheimnis des Glaubens bekannt zu machen". Der Auftrag war der "entscheidende Schritt zur Missionierung der germanischen Völker". [5] 722 wurde er zum Bischof und zehn Jahre später zum Erzbischof geweiht. 738 ernannte ihn Zacharias zum Legaten für Germanien. Schon vor diesen Ämtern hatte ihn Gregor II. durch die Verleihung des Namens Bonifatius (Wohltäter), eines römischen Märtyrers [6], fest an die Kurie gebunden.


Abbildung: [Public domain], via Wikimedia Commons

Bonifatius fällt eine dem germanischen Kriegsgott Thor geweihte Eiche - Lithographie nach einem Gemälde von Heinrich Maria von Hess 1834/44
Abbildung: [Public domain], via Wikimedia Commons

Mit einer Größe von 1,85 m bis 1,90 war Bonifatius in dieser Zeit eine schon äußerlich Aufsehen erregende Person. Dieser Eindruck wurde noch durch seine wortgewaltigen Predigten vertieft. Verschiedenen Erzählungen nach fällte Bonifatius 723 in Hessen in Geismar (heute Stadtteil von Fritzlar) unter dem Schutz fränkischer Krieger und in Anwesenheit zahlreicher Chatten [7], eine dem germanischen Kriegsgott Thor (Donar) geweihte Eiche. Er habe den zum Großteil noch nicht zum Christentum bekehrten Chatten die Ohnmacht der altgermanischen Götter beweisen wollen. Die danach errichtete und Petrus geweihte Kapelle soll aus dem in vier gleich große Teile gespaltenen Holz der Donar-Eiche gebaut worden sein. Sie wurde zum Grundstein für den Bau des Klosters Fritzlar. [8] 744 ließ Bonifatius durch den Benediktinermönch Sturmius in Fulda auf den Ruinen einer früheren fränkisch-merowingischen Anlage ein Kloster gründen. Es wurde zum Wichtigsten von Rom und zur Basis des Entstehens der Stadt Fulda. Mit der Stiftung von Bistümern in Passau, Freising, Regensburg, Erfurt, Würzburg, Eichstätt und Ochsenfurt schuf Bonifatius Stützpunkte der Christianisierung.

Das riesige Frankenreich zu beherrschen, war Ziel sowohl der Könige und Kaiser als auch der Päpste. Das fränkische Episkopat lehnte zunächst mehrheitlich eine von Rom straff geleitete Kirche ab. Nördlich der Alpen konnte der Papst keinen Bischof, noch nicht einmal einen Priester ernennen. Die von den Fürsten und Landeskirchen eingesetzten Würdenträger kamen aus dem Adel, führten ein weltliches Leben und vererbten ihre Diözesen wie Familienbesitz. In den Berichten des Bonifatius nach Rom ist immer wieder die Rede von unzüchtigen Priestern, von Heuchlern, von Geistlichen, deren Herkunft niemand kennt, die aber trotzdem geweiht werden. Er klagte über Bischöfe und Priester, die sich nicht nur als Grundherren fühlen, in den Krieg ziehen und ein ausschweifendes Leben führen, sich mit ihrer Trinkfestigkeit brüsten und nicht nur verheiratet sind, sondern obendrein noch ehebrechen. Vor allem zwei Bischöfe waren seine erbitterten Feinde: Gewillip von Mainz und Milo von Reims und Trier, die beide ihre Bistümer von den Vätern geerbt hatten. Gewillip enthob 745 ein Konzil seines Amtes und berief Bonifatius zu seinem Nachfolger. Milo setzte auf Betreiben Bonifatius' 744 die Synode von Soissons als Bischof von Reims ab. In Trier blieb er im Amt, bis er auf einer Eberjagd wahrscheinlich 757 den Tod fand.


Foto: 2004, by Martin Bahmann [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], from Wikimedia Commons

Bonifatius-Denkmal vor dem Mainzer Dom
Foto: 2004, by Martin Bahmann [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], from Wikimedia Commons

Im Ergebnis des Wirkens des Bonifatius wurde die christliche Religion neben dem Lehnswesen als ökonomischer zur vor allem ideologischen Stütze der Herrscher des Frankenreiches, zum Band, das den Vielvölkerstaat zusammenhielt. Leopold von Ranke [9] nannte das ein Erfordernis der "historischen Wirksamkeit". Die von Bonifatius nach römischen Richtlinien betriebene Reform der fränkischen Kirche nutzte jedoch auch das Königtum dieser Zeit für seine Interessen, da sie die durch die Heidenbekehrung unterworfenen germanischen Stämme an das fränkische Reich band. Bonifatius knüpfte daran an und trat in den Konflikten zwischen der Zentralgewalt des Reiches und dem Papsttum um die weltliche Herrschaft als Sachwalter Roms oft auch als Vermittler auf. In diesem Kontext kam es vor allem mit Karl Martell (688 bis 741) zu einer engen, wenn auch oft widersprüchlichen Zusammenarbeit und schließlich zum Bündnis zwischen Kirche und Reichsgewalt. Vor allem die Karolinger, die für eine starke Königsherrschaft eintraten, suchten gleichzeitig die Hilfe der Kirche zu nutzen, was voraussetzte, den römischen Einfluss zu stärken. In Rom wiederum wusste man, dass das Missionswerk des Bonifatius den militärischen Beistand der Fürsten benötigte. Auf dieser Basis gestaltete sich die Kirche neben dem Lehnswesen zur zweiten wesentlichen Stütze der Reichsgewalt. Besondere Bedeutung erhielt dieses Bündnis, als Pippin der Jüngere 751 den letzten merowingischen König Childerich III. stürzte und selbst die Macht an sich riss. Der Papst billigte den Willkürakt Pippins, der danach von der Reichsversammlung in Soissons zum König erhoben wurde. Um seine Berufung durch Gott zu bezeugen, wurde der neue Herrscher zum ersten Mal in der Geschichte des Frankenreiches nach alttestamentarischer Weise gesalbt. Das religiöse Ritual soll Bonifatius in Soissons selbst vorgenommen haben. [10]

Der neue Frankenkönig dankte es dem Heiligen Vater mit einem Kriegszug nach Italien, wo er ihn gegen die vordringenden Langobarden unterstützte. Im Ergebnis des Feldzuges übereignete er Stephan II. das "Patrimonium Petri" [11] nebst Rom und Ravenna. Es entstand der Kirchenstaat, der die weltliche Herrschaft des Papstes begründete. Erst jetzt wurden vertraglich rechtsgültig der Kirchenstaat, das Staatshoheitsgebiet der Päpste und ihre weltliche Herrschaft, begründet. [12] Durch Eroberungen und anderweitige Erwerbungen breitete sich die päpstliche Feudalherrschaft über Rom, Latium und Umbrien bis zu den nördlichen Legationen Bologna, Romagna und Ferrara aus. Die Papstmonarchie bildete seitdem in Europa bis zur Beseitigung der weltlichen Herrschaft der Kurie 1870 durch das italienische Risorgimento [13] de facto die erste und mächtigste Feudalmacht.


Landkarte - Graphik: 2008, by Sémhur - translated by Jka [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Die Expansion des Frankenreichs von 481 bis 814
Graphik: 2008, by Sémhur - translated by Jka [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

773/74 eroberte Karl der Große das Langobardenreich in Oberitalien. Weihnachten 800 vergalt es Papst Leo III., indem er den zu dieser Zeit mächtigsten Herrscher des frühen europäischen Mittelalters zum "Römischen" Kaiser krönte. Es war Bonifatius, der dem Heiligen Stuhl zu diesem Einfluss im Frankenreich verhalf und das Bündnis zwischen beiden Mächten zustande brachte. Noch vor Karl dem Großen wird ihm ein wesentlicher Anteil an der Gestaltung des Abendlandes zugeschrieben. Nach der offiziellen Version habe Bonifatius 754 in Friesland, dem Ursprungsgebiet seiner Missionsarbeit, in das er über 80jährig noch einmal gereist war, unter der Hand von Heiden den Märtyrertod erlitten. Sein Märtyrertod ist umstritten. Den Chroniken nach rechnete Bonifatius mit seinem Tode. Er habe ein Leichentuch in seinem Gepäck mitgeführt. Es wird auch für möglich gehalten, dass beutegierige Räuber ihn überfielen und mit seinen 51 Begleitern erschlugen. Darunter sollen sich auch Christen befunden haben. [14] Sein Leichnam wurde zunächst nach Mainz gebracht und dann nach Fulda überführt, wo er in der Erlöserkirche des Fuldaer Klosters seine letzte Ruhe fand. 1855 erließ Pius IX. die Kanonisation (Heiligsprechung) des Bonifatius, die am 5. Juni begangen wird. 2004 wurde ein 172 km langer Pilger- und Wanderweg auf der Route des Leichenzuges von Mainz nach Fulda eingerichtet.


Landkarte - Graphik: 2007, by Christoph S., Wolpertinger (original image, vectorized by User:Gissi) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons

Die Gebietsaufteilung nach dem Vertrag von Verdun von 843
Graphik: 2007, by Christoph S., Wolpertinger (original image, vectorized by User:Gissi) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons

Unter Ludwig dem Frommen, dritter Sohn Karl des Großen, der von 814 bis 840 regierte, verfiel das Frankenreich der feudalen Zersplitterung. Sein ältester Sohn und Nachfolger Lothar teilte das Reich 843 im Vertrag von Verdun in drei Teile. Das Westreich, das spätere Frankreich, erhielt sein Bruder Karl der Kahle; das Ostreich, aus dem das Deutsche Reich entstand, ging an seinen Bruder Ludwig den Deutschen; das Mittelreich Lothringien (Lothringen) mit Italien sicherte er sich selbst.


Fulda - Stadt mit glanzvollen Traditionen

Das Wirken des Bonifatius beförderte tiefgehend die kultur-historische Entwicklung Fuldas, das 1157 das Stadtrecht erhielt. Noch zu Lebzeiten Bonifatius' hatte Papst Zacharias dessen außerordentliche Dienste 751 durch die Verleihung eines Exemptionsprivilegs an das Kloster Fulda gewürdigt, es so von jeder bischöflichen Jurisdiktion unabhängig erklärt und für alle Zeiten ausschließlich der päpstlichen Gerichtsbarkeit unterstellt. Ab 1170 nahmen in Fulda Äbte ihren Sitz, nach einem 1220 erlassenen Gesetz Kaiser Friedrichs II. waren sie gleichzeitig Reichsfürsten (Fürstäbte).

In den folgenden Jahrhunderten wallfahrten die Gläubigen zur Grabstätte des Bonifatius. Durch Spenden der Frommen erlangte das Kloster Reichtum und Macht. Im 9. Jh. entwickelte sich die Klosterschule unter Hrabanus Maurus (von Bonifatius eingesetzter Abt von 822-842), eines hervorragenden Gelehrten und Poeten, der u. a. ein lateinisch-deutsches Glossar verfasste, zu einer bedeutenden Lehrstätte. Hier fand nicht nur die althochdeutsche Literatur ihre Wiege, es bildete sich auch Deutsch zur Schriftsprache heraus. Hrabanus, der 847 die Weihe zum Erzbischof erhielt, ging in die Geschichte als "Praeceptor Germaniae" (Lehrer der Deutschen) ein.

Bereits 819 hatte der Erzbischof von Mainz der Ratgar-Basilika den Segen erteilt. Diese größte karolingische Kirche nördlich der Alpen entstand an der Stelle der ersten Grabeskirche des Bonifatius. Ihre Ausmaße sollen mit späteren Anbauten die Größe des heutigen Doms übertroffen haben. An die Frühzeit Fuldas erinnern auch die nach dem Vorbild der Grabkirche von Jerusalem von 820 bis 822 erbaute Michaeliskirche, eines der ältesten Gotteshäuser Deutschlands, und die spätgotische Severin-Kirche. Aus der Vielzahl der Bauwerke sind hervorzuheben die Orangerie mit ihren zauberhaften Sälen, die zwischen 1722 und 1725 nach Entwürfen des kurmainzischen Baumeisters Maximilian von Welsch entstand; die Heiliggeist- und die Stadtpfarrkirche; die Landesbibliothek und die ehemalige Universität (1734-1803). Vor den Toren der Stadt befindet sich eines der schönsten Barockschlösser Hessens, die Fasanerie. Auf dem Petersberg (350 m ü. d. M.) ruhen in der Krypta der zum Benediktiner-Kloster gehörenden Kirche die Gebeine der 782 verstorbenen heiligen Lioba, Äbtissin von Tauberbischofsheim und Mitstreiterin des Bonifatius. Die Wandfresken des Klosters gehören zu den ältesten Deutschlands.


Foto: By Sven Teschke, Büdingen [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)], from Wikimedia Commons

Bonifatius' Grab in der Krypta des Doms zu Fulda
Foto: By Sven Teschke, Büdingen [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)], from Wikimedia Commons

Zahlreiche hohe geistliche und weltliche Persönlichkeiten weilten in Fulda: Ihre Listen führen Karl der Große, Papst Benedikt VIII. und Kaiser Heinrich II. an. Letzterer hatte 1019, ein Jahr zuvor, Fulda das Münz-, Markt- und Zollrecht verliehen. Zwischen 1704 und 1712 ließ Johann Dientzenhofer aus der Familie der Barock-Architekten auf den Grundmauern der gewaltigen Ratgar-Basilika den Dom der Stadt errichten. Sein Werk ist auch der Um- und Ausbau des Stadtschlosses, ein früheres Renaissanceschloss, der 1721 vollendet wurde. Die Krypta des Dom birgt das Grabmal des Bonifatius. Ein mit schwarzem Marmor umgebenes Alabasterbild der Barockzeit zeigt seinen Märtyrertod. Vor dem Stadtschloss steht in wuchtiger Größe ein erzgegossenes Standbild des Bonifatius, der das Kreuz hoch erhoben hält.


Die Bücherei des Bonifatius-Klosters

In der Hessischen Landesbibliothek in Fulda, einer Fundgrube des Wissens von 1.500 Jahren europäischer und deutscher Geschichte, sind die Bestände der Bücherei des von Bonifatius gegründeten Klosters ein Anziehungspunkt für Fachleute vor allem der Geisteswissenschaften, aber auch Allgemeininteressierte. Darunter befinden sich seine Handschriftensammlungen und rund 850 abendländische Codices, davon ein Drittel aus der Zeit vor 1600. Der weitgereiste Bibliothekar Peter Bertius rühmte 1616, keine Handschriftensammlung in Deutschland sei besser mit Codices ausgestattet als die des Bonifatius-Klosters. Eine große Zahl der Codices entstand während der Zeit des Abtes Hrabanus Maurus. Während dieser unter anderem selbst ein lateinisch-deutsches Glossar verfasste, schrieben die Fuldaer Mönche viele Werke der antiken und althochdeutschen Literatur nieder. Bereits um 820 zeichneten zwei Mönche hier das Hildebrands-Lied in Althochdeutsch auf.

Viele Werke der Bibliothek beziehen sich auf den Geschichtsabschnitt, in dem Bonifatius wirkte. Dazu gehört das Fragment einer altlateinischen Prophetenhandschrift aus dem 5. Jahrhundert; eine Handschrift mit dem Auszug der unter König Alarich II. Anfang des 6. Jahrhunderts geschaffenen Lex Romana Visigothorum, die ein Gesetzeswerk für die im Westgotenreich lebenden Römer bildete; eine Evangeliums-Harmonie aus der Mitte des 6. Jahrhunderts, die sich im Besitz von Bonifatius befand und Glossen seiner Handschrift enthält.


Abbildung: [Public domain], via Wikimedia Commons

Szenen aus dem Leben des Bonifatius: Heidentaufe und Märtyrertod (Illustration Anfang 11. Jahrhundert)
Abbildung: [Public domain], via Wikimedia Commons


Quellen und Literatur:

Leopold von Ranke: Das Kaiserthum in Constantinopel und der Ursprung romanisch-germanischer Königreiche, Berlin 1921, F. P. Sonntag (Hg.): Die Briefe des Winfried Bonifatius, Leipzig 1985, Hans Kühner: Lexikon der Päpste. Kirchengeschichte - Weltgeschichte - Zeitgeschichte von Petrus bis heute, Zürich 1977, Gustav Faber: Auf den Spuren von Karl dem Großen, München 1985, Carlrichard Brühl, Deutschland-Frankreich. Die Geburt zweier Völker, Köln Wien 1995. Lutz E. Padberg: Bonifatius - Missionar und Reformer, München 2003.


Anmerkungen:

[1] Paul Joseph Blanc (1848-1904), französischer Maler des Klassizismus.

[2] Thing (auch Ding), germanische Volks-, Heeres- und Gerichtsversammlung. Tagte unter Vorsitz des Königs oder Stammes oder Sippenoberhauptes unter freiem Himmel, beriet Fragen des Zusammenlebens, entschied über Krieg und Frieden, urteilte über schwere Verbrechen. Mit zunehmender Entwicklung der Feudalmacht wurde das Thing eingeschränkt und schließlich ganz abgeschafft. An das Ding bzw. Thing erinnert noch heute die Bezeichnung für die Parlamente nordischer Staaten, so Landsting und Folketing in Dänemark, Althing in Island und Storting in Norwegen.

[3] Das Königreich Wessex, aus dem altenglischen Westseaxe, zu Deutsch West-Sachsen, war im 6. Jh. eines der angelsächsischen Königreiche im Süden und Südwesten Englands, das bis zum 10. Jahrhundert existierte.

[4] Nach Brockhaus Bd. 3, S. 524. Andere Schreibweisen des Namens sind Wynfreth, auch Wynfrith oder Winfrid.

[5] Hans Kühner: Lexikon der Päpste. Kirchengeschichte - Weltgeschichte - Zeitgeschichte von Petrus bis heute, Zürich 1977.

[6] Bonifatius, der kein Christ war, lebte gegen Ende des 3. Jahrhunderts in Rom in der Villa der reichen Römerin Aglae als Sklave. Er war für seine Herrin Verwalter ihrer Güter und ihr Geliebter. Sie schickte ihn nach Tarsus (einer unter römischem Einfluss liegenden Provinz in der Türkei, Geburtsort des Apostel Paulus), wo er die Reliquien christlicher Märtyrer finden und nach Rom bringen sollte. Als er in Tarsus die Folterungen und Tötungen der verfolgten Christen unter Kaiser Galerius miterlebte, ließ er sich taufen und bekannte sich zum Christentum. Darauf wurde er durch siedendes Pech selbst umgebracht.

[7] Die Chatten, auch Katten geschrieben, waren ein in den Tälern der Eder, der Fulda und oberhalb der Lahn (was Teilen des heutigen Nieder- und Oberhessens entspricht) angesiedelter germanischer Stamm. Es ist möglich, dass die Bezeichnung Hessen vom Namen der Chatten abgeleitet ist. Denn das "Ch" war das germanische "h", das als "X" ausgesprochen wurde.

[8] Lutz E. Padberg: Bonifatius - Missionar und Reformer. München 2003.

[9] Leopold von Ranke (1795-1886), deutscher Historiker, Begründer der bürgerlichen Geschichtswissenschaft. Seit 1825 außerordentlicher Professor in Berlin, 1832 zum Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin berufen. 1841 von König Friedrich Wilhelm IV. zum Historiographen des Preußischen Staates ernannt.

[10] So Gustav Faber in: Auf den Spuren von Karl dem Großen. München 1985.

[11] Patrimonium Petri ("Petri Erbgut", auch Vermögen Petri genannt) ist das durch Schenkungen und Besitzergreifungen erworbene und immer mehr vergrößerte Vermögen der römischen Kirche bzw. des Kirchenstaates. Nach der katholischen Kirchenlehre gilt der Apostel Petrus als erster Bischof von Rom, damit Papst und Begründer der katholischen Kirche.

[12] Bis dahin galt die Ansicht, dass Kaiser Konstantin (Kaiser 306-337) Papst Silvester I. (314-335) zum Dank für die Heilung vom Aussatz in einer Schenkung (Donatio Constantini) umfangreiche Gebiete überlassen habe. In einer Urkunde seien der Vorrang der Stadt Rom über alle Kirchen, die Verleihung des kaiserlichen Abzeichens an den Papst und die Schenkung des Lateranpalastes sowie die Abtretung Roms, Italiens und der abendländischen Provinzen an die Kirche angeführt worden, während sich der Kaiser selbst nach Byzanz zurückgezogen und mit der Herrschaft über den Osten begnügt habe. Eine entsprechende Urkunde entstand jedoch erst im 8. Jahrhundert. Die Konstantinische Schenkung galt als echt, bis sie im 15. Jahrhundert die Humanisten Laurentius Valla und Nikolaus Kues als Fälschung erkannten. Siehe Hans Kühner, a.a.O.

[13] Nationale Befreiungsbewegung Italiens von 1789 bis 1870 zur Beseitigung der Fremdherrschaft der Habsburger, der Bourbonen und der weltlichen Macht des Papstes, der Herstellung des einheitlichen Nationalstaates als Basis der bürgerlichen Gesellschaftsordnung.

[14] Lutz E. Padberg, a.a.O.

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Quelle:
© 2018 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2018

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