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MEMORIAL/198: Italien im März 1944 - Antikriegsstreiks bereiteten die "Wende von Salerno" vor (Gerhard Feldbauer)


Die Antikriegsstreiks vom März 1944

Eine zielgerichtete politische Aktion der IKP zur Vorbereitung der "Wende von Salerno"

von Gerhard Feldbauer, 23. Februar 2019


Am 1. März 1944 traten Hunderttausende Arbeiter in den Betrieben des von der Wehrmacht Hitlerdeutschlands besetzten Norditaliens geschlossen in den Generalstreik. Obwohl Hunderte von den Streikenden verhaftet und in Arbeits- und Konzentrationslager nach Deutschland verschleppt wurden, hielt der Ausstand eine Woche an und legte in Konzernen der Rüstungsindustrie wie Fiat Turin und Pirelli Mailand die Produktion lahm. Aufgerufen zu der Arbeitsniederlegung hatte das im September 1943 nach der Okkupation Nord- und Mittelitaliens durch Deutschland von den antifaschistischen Parteien (Christdemokraten, Liberalen, Republikanern, Kommunisten, Sozialisten und Aktionisten) auf Initiative der IKP gebildete Nationale Befreiungskomitee (Comitato di Liberazione Nazionale - CLN).

Der Generalstreik war eine von der IKP zielgerichtet vorbereitete politische Aktion, die demonstrierte, dass die Arbeiterklasse zur führenden Kraft des vom CLN ausgerufenen Nationalen Befreiungskrieges gegen das deutsche Besatzungsregime geworden war. Er verdeutlichte, dass die IKP sich anschickte, aktiv auf den Kurs der nach dem Sturz Mussolinis im Juli 1943 durch die Palastverschwörer und die von König Vittorio Emanuele III. gebildete Militär-Regierung unter Marschall Pietro Badoglio Einfluss zu nehmen.

Vier Wochen nach Streikbeginn, am 27. März, kehrte IKP-Generalsekretär Palmiro Togliatti aus der Emigration aus Moskau nach Salerno in den Süden des von den Alliierten besetzten Italiens zurück, wo Badoglio seinen Sitz hatte. Dass Togliatti nicht schon nach der Bildung des CLN zurückgekehrt war, wurde darauf zurückgeführt, dass Stalin zunächst verfolgte, wie sich die Ereignisse unter Badoglio entwickelten. Wie aus Dimitroffs Tagebüchern hervorgeht, beriet er mit Togliatti in der Nacht vom 4. zum 5. März das Vorgehen in Italien. [1] Am 31. März sprach Togliatti vor dem Nationalrat der Partei über die Stärkung der Einheit der antifaschistischen Kräfte und die Notwendigkeit, eine neue Regierung zu bilden, die durch den Beitritt der CLN-Parteien gestärkt und dadurch in die Lage versetzt werden sollte, die Volksmassen zum Krieg gegen Hitlerdeutschland zu mobilisieren.

Togliatti ging von Antonio Gramscis antifaschistischer Bündniskonzeption, dem "Historischen Block" aus, vermied aber, das perspektivische Ziel einer sozialistischen Gesellschaft zu erwähnen. Das hätte die großbürgerlichen Verbündeten ausgeschlossen und die offene Konfrontation mit Badoglio und dem König bedeutet. [2] Togliatti folgte hier Stalin, der laut Dimitroff bereits nach dem faschistischen Überfall am 22. Juni 1941 mit Blick auf die Schaffung einer Antihitlerkoalition die Parteien der Komintern angewiesen hatte, "die Frage der sozialistischen Revolution nicht aufzuwerfen". Gleichzeitig bekräftigte der IKP-Generalsekretär den Aufruf seiner Partei vom 8. September 1943 zum bewaffneten Widerstand, in dem es hieß: "Die Arbeiterklasse wird die Hauptkraft sein, die das italienische Volk zum Kampf führt, um für immer die Macht der imperialistischen Kräfte, die für den räuberischen Krieg und den Ruin der Nation verantwortlich sind, zu brechen."

Am 22. April 1944 traten dann die antifaschistischen Oppositionsparteien (IKP, ISP, Aktionspartei, Christdemokraten und Liberale) in das Kabinett Badoglio ein, das damit den Charakter einer antifaschistischen Einheitsregierung annahm und als "Governo nazionale democratico di Guerra" (National-demokratische Kriegsregierung) fungierte. Das Ereignis ging als "Wende von Salerno" in die Geschichte ein. Der antifaschistische Widerstand erhielt den Charakter eines nationalen Befreiungskrieges gegen die deutschen Okkupanten. Auf der Grundlage der Dominanz, die die IKP zusammen mit den Sozialisten und der radikal-demokratischen kleinbürgerlichen Aktionspartei im CLN ausübte, gelang es, mit dem Regierungseintritt über lange Zeit Einfluss auf die Regierung auszuüben und so auch im Juni 1944 den Rücktritt Badoglios und die Berufung des Liberalen Ivanhoe Bonomi durchzusetzen.

Außenpolitisch wurde "die Wende von Salerno" durch die UdSSR flankiert. Sie ging von der Erklärung der Moskauer Konferenz der Außenminister der USA, Großbritanniens und der UdSSR im Oktober 1943 "Über Italien" aus, "dass die gemeinsame Politik der Verbündeten in Italien zur völligen Vernichtung des Faschismus und zur Errichtung eines demokratischen Regimes führen muss". [3] Man war sich klar, dass man Badoglio berücksichtigen musste. Bereits am 8. Januar 1944 war der sowjetische Vertreter im Advisory Council for Italy, einem auf der Moskauer Konferenz geschaffenen Beobachterrat, mit dem Außenminister Badoglios zusammengetroffen, um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu sondieren.

Winston Churchill sprach sich danach am 22. Januar unmissverständlich für die Beibehaltung der Monarchie aus und lehnte einen Regierungseintritt der CLN-Parteien ab. Franklin D. Roosevelt sprach sich dagegen am 13. März für den "Rückzug Emanuel III. von der Politik" und für "die Einbeziehung der Antifaschisten in die Regierung Italiens" aus. Noch am selben Tag gab die UdSSR daraufhin im Alleingang die diplomatische Anerkennung Badoglios bekannt. Washington und London folgten dem nicht, ernannten aber Hohe Kommissare. [4] Moskaus Schritt wertete Badoglios Kabinett auf, stärkte seine Position in der Antihitlerkoalition und machte den Premier für den Beitritt der CLN-Parteien zugänglich. Für Togliattis Vorgehen wurde der Boden so gut bereitet. Mit dem Regierungsbeitritt wurden Churchills Pläne, das zu verhindern, durchkreuzt.

Basis der Einheitsfront

Die entscheidende Grundlage des Zustandekommens einer breiten antifaschistischen Einheitsfront war das von IKP und ISP 1934 geschlossene Aktionseinheitsabkommen. Im Ergebnis des in Spanien gegen die Franco-Faschisten und ihre deutschen und italienischen Verbündeten gefestigten gemeinsamen Kampfes wurde es 1937 mit einer klarem antiimperialistischen Bekenntnis und dem Ziel des "Aufbaus einer sozialistischen Gesellschaft" vertieft. Das einheitliche Handeln der Arbeiterparteien zog kleinbürgerliche Schichten sowie Angehörige der Intelligenz auf ihre Seite und beeinflusste auch die Haltung des bürgerlichen Lagers einschließlich herrschender Kreise.

Studenten, Wissenschaftler, Schriftsteller und Künstler schlossen sich der antifaschistischen Bewegung an. Alberto Moravia, der bereits 1929 mit seinem Roman "Die Gleichgültigen" den moralischen Niedergang der bürgerlichen Gesellschaft angeprangert hatte, veröffentlichte 1935 mit "Gefährliches Spiel" Satiren auf den Faschismus. Von Cesare Pavesi erschienen unter dem Titel "Arbeit macht müde" aufrüttelnde Gedichte. Elio Vittorini schrieb über die Unterdrückung der Volksschichten auf Sizilien. Renato Guttuso schuf das Gemälde "Erschießung", das er dem von den Franco-Faschisten 1936 ermordeten spanischen Dichter Federico Garcia Lorca widmete. Der Bildhauer Giacomo Manzù trat dem Mailänder Kreis antifaschistischer Künstler bei, der die Zeitschrift Corrente herausgab. Die Gruppe Giustizia e Libertà, die zahlreiche Intellektuelle vereinigte, konstituierte sich Anfang 1943 als Aktionspartei (PdA), was dem Prozess zur Herstellung der antifaschistischen Einheitsfront neue Impulse verlieh.

Auf diesen Prozess wirkten die Beschlüsse des VII. Weltkongresses der Komintern 1935 zum Kampf gegen Faschismus und Krieg ein. Die IKP verstand es wie keine zweite KP, seine Beschlüsse schöpferisch in die Praxis umzusetzen.

Quellen: Luigi Longo: Viva L'Ialia libera! Der Kampf des italienischen Volkes für seine Befreiung vom Joch des italienischen und deutschen Faschismus, Berlin (DDR) 1963. Palmiro Togliatti: Il Partito Comunista Italiano, Rom 1961.


Fußnoten:

[1] Georgi Dimitroff: Tagebücher 1933-1943, Berlin 2000.

[2] Ernesto Ragionieri: Il PCI, in Leo Valiani: Azionisti Cattolici e Comunisti nella Resistenza, Mailand 1974.

[3] Geschichte der sowjetischen Außenpolitik, Bd. I, 1917-1945, Berlin/DDR, S. 498 f.

[4] I giorni della storia. Novarra 1991, S. 502 f.

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Quelle:
© 2019 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Februar 2019

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