Vor 100 Jahren
Ein Bischof wird erster Priester-Hochmeister des Deutschen Ordens
Der Führungswechsel markierte das Ende des 1198 zur Durchsetzung des Machtstrebens der katholischen Kirche und feudaler Expansion formierten Kreuzritterordens
von Gerhard Feldbauer, 2. Juni 2023
Am 23. Mai 1923 wurde mit dem Bischof von Brünn Norbert Johann Klein der erste priesterliche Hochmeister [1] des Deutschen Ritterordens berufen. Er trat die Nachfolge von Feldmarschall Erzherzog Eugen von Österreich an. Sein Amtsantritt markierte das Ende des 1198 zur Durchsetzung des Machtstrebens der katholischen Kirche und feudaler Expansion nach dem Vorbild der Templer und Johanniter formierten Kreuzritterordens. Er ging aus dem 1190 während des dritten Kreuzzuges zunächst als Hospitalorden zur Pflege kranker Kreuzfahrer und Pilger vor Akkon in Palästina gegründeten Orden hervor. Durch Päpste und Kaiser gleichermaßen begünstigt, widmeten sich die Mönchsritter mit dem schwarzen Kreuz auf weißem Mantel von nun an ausschließlich irdischem Machtstreben. In der Christianisierung übernahmen sie die entscheidende Rolle, was bedeutete, dass sie die Gebiete der Heiden militärisch eroberten und die Bekehrten unterwarfen. Wer sich nicht taufen ließ, fiel dem Schwert zum Opfer.
Nach dieser bereits während des zweiten Kreuzzuges verkündeten Regel ging der Orden vor und begründete damit seinen blutrünstigen Ruf. Vor allem die Niederwerfung und Eindeutschung der Pruzzen [2] wurde nach diesem Prinzip erbarmungslos betrieben. Binnen weniger Jahre verfügte der Orden über riesige Besitzungen, Rechte und Privilegien in Palästina, Spanien, im ungarischen Burzenland, in Livland, Preußen und natürlich im Römisch-deutschen Reich. Seine Niederlassungen reichten vom Süden Spaniens bis Narwa an der Grenze Russlands. Mitte des 14. Jahrhunderts war der Orden einer der bedeutendsten Machtfaktoren in Mittel- und Osteuropa und bildete neben Burgund auch eine Bastion des spätmittelalterlichen Feudaladels. Durch die Unterwerfung der heidnischen Preußen und ihre Missionierung verfügte der Orden über einen deutsch beherrschten polyethischen Staat (Preußen, Slawen, Deutsche) mit starken wirtschaftlichen und kulturellen Potenzen. [3]
Sein sich über Jahrhunderte hinziehender Untergang setzte in der Schlacht am 15. Juli 1410 bei Grunwald ein, in der ihm von dem polnisch-litauischen Heer unter König Jagiello II. und seinem Verbündeten, dem Großfürsten Witold von Litauen, eine vernichtende Niederlage beigebracht wurde. [4] Die Niederlage des Ordens war zwangsläufig nicht nur eine militärische, sondern mehr noch eine staatliche und auch politische. Zugleich war sie eine schwere Abfuhr für die Papstherrschaft und ihren weltlichen Machtanspruch. Auf den Niedergang des Ordens wirkten die Krise der katholischen Kirche, die Reformation und die frühbürgerlichen Revolutionen in Europa ein.
Im Ersten nach der Niederlage bei Grunwald 1411 im polnischen Torun (Thorn) [5] geschlossenen Frieden kann der Orden seinen Herrschaftsbereich gegen die Zahlung hoher Kriegsentschädigungen und Auslösungen für die Gefangenen noch weitgehend behaupten. Lediglich das Dobrzyner Gebiet erhält Polen zurück. Erneute Niederlagen in den von dem Orden angezettelten kriegerischen Auseinandersetzungen führen 1466 zum Zweiten Thorner Frieden. Danach ist es mit der Großmachtstellung des Ordens endgültig vorbei. Er verliert alle Gebiete außer denen, die das spätere Ostpreußen bilden. Aber selbst dort wird der Hochmeister von der polnischen Krone lehnsabhängig, hat dem König den Treueid zu schwören und ihm Heeresfolge zu leisten.
Um den Zerfallserscheinungen entgegenzuwirken und die Verhandlungsposition gegenüber Polen zu stärken, sucht sich der Orden einen Hochmeister aus einer der mächtigsten deutschen Fürstenfamilien. 1511 tritt Albrecht von Brandenburg-Ansbach aus dem fränkischen Zweig des Hauses Hohenzollern an seine Spitze. 14 Jahre später verwandelt er den geistlichen Ordensstaat in das weltliche und erbliche Herzogtum Preußen und führt gleichzeitig die Reformation durch. Bei ausdrücklicher Anerkennung seiner Oberhoheit stimmt der polnische König zu. Die immer noch riesigen Ländereien des Ordens in Preußen werden Privatbesitz des Herzogs und der Ritter, womit die ökonomische Grundlage des künftigen Junkertums entsteht.
1525 verlegte der Hoch- und Deutschmeister - so der nunmehrige volle Titel des Ordensführers - seinen Sitz nach der heutigen Bäderstadt Mergentheim im Taubergau, wo er bis zur Auflösung des Ordens in den Ländern des Rheinbundes durch Napoleon 1809 residiert. Der fast 300jährigen Anwesenheit des Ordens verdankt die Stadt heute nicht wenige architektonische Prachtbauten, darunter das umgebaute Schloss und das Rathaus mit massivem Staffelgiebelbau, beide im Renaissancestil, und die barocke Schlosskirche. Aber auch an anderen Orten Deutschlands sind Ordensburgen und Schlösser zu sehen. So auf der Bodenseeinsel Mainau, in Mainz oder in Edlingen südlich von Nürnberg.
In seiner Mergentheimer Zeit widmete sich der jetzt trikonfessionelle Orden zwar stärker karikativen Diensten, verzichtete jedoch nicht auf militärische Aktivitäten. Bis ins 18. Jahrhundert hinein nimmt er an den Auseinandersetzungen mit dem türkischen "Reichsfeind" teil. 1590 übernimmt kein Geringerer als Erzherzog Maximilian, ein Bruder des Kaisers, das Amt des Hochmeisters. Als kaiserlicher Oberbefehlshaber führt er mehrere Feldzüge gegen die Türken. 1688 beteiligt sich ein Ordensaufgebot an der Rückeroberung Budapests.
Den im Zeitalter des aufstrebenden Bürgertums laut werdenden Forderungen nach Aufnahme von Bewerbern aus dessen Reihen verschloss sich die Hierarchie des Ordens. Es wurde weiterhin nur zum Ritter geschlagen, wer wenigstens vier adlige Vorfahren nachweisen konnte. Ab 1671 mussten Bewerber gar 16 ritterliche, einem Stift entstammende oder deutschblütige Ahnen nachweisen. Kurioserweise führte das dazu, dass fast der gesamte Ordensapparat in den Händen weltlicher Beamter lag.
Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges ging die Habsburger Monarchie und mit ihr der Ritterorden, der sich zum reinen Priesterorden erklärte, unter. 1923 wurde mit der eingangs erwähnten Wahl von Bischof Klein zum ersten Priesterhochmeister dieser Prozess bestätigt. Hitler löste den Orden, der bei seinem Engagement als klerikale Einrichtung verblieb, 1938 auf. Nach 1945 entstand er in Österreich, der Bundesrepublik Deutschland und in Südtirol wieder.
Mitte der fünfziger Jahre wurden die Ehrenmitgliedschaft und die Familiaren wieder eingeführt. Ehrenritter wurden Kardinäle, Angehörige von Fürstenhäusern, der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer und der bayrische Ministerpräsident Franz Josef Strauß. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts zählte der Orden etwa 1000 größtenteils im Priesterstand befindliche Brüder, 300 Ordensschwestern und 500 Familiaren.
Eine Betrachtung zur Deutschordensgeschichte kann man nicht abschließen, ohne eine Bemerkung zu seiner verhängnisvolle Züge tragenden Einordnung in reaktionäre Geschichtsbilder. Bis Tannenberg/Grunwald lässt sich seine Geschichte noch, wenn auch unter einigen spezifischen Gesichtspunkten, der feudalstaatlichen Entwicklung im europäischen Mittelalter zuordnen, in der militärische Expansion der Stärksten zur Normalität gehörte. Folgenschwer wirkte sich aus, dass die Nachfahren der Kreuzritter sich nicht mit dem Scheitern ihrer Expansionspolitik abfinden wollten und mit dem Anspruch auf die Rückgewinnung der verlorenen Gebiete den Gedanken der Revanche nährten. Als Ursprung Preußens wurde später in der Geschichtsbetrachtung nicht die Mark gesehen, sondern der deutsche Ordensstaat. Noch nach einem halben Jahrtausend glaubte der Generalstabschef der 8. Armee des kaiserlichen Heeres, General Erich Ludendorff, mit dem Sieg bei den Masurischen Seen im September 1914 die Schmach von Grunwald/Tannenberg löschen zu können, indem er die Kämpfe, die weit nördlicher stattfanden, als "Schlacht von Tannenberg" bezeichnete. Wilhelm II. verstieg sich zu der chauvinistischen Behauptung, der Deutsche Orden habe ein Vorbild dafür gegeben, wie man mit östlichen Völkern umgehen musste. Unter Hitler wurde die frühe Ordensgeschichte, die mythologische Glorifizierung der Ritter des einstigen Ordenslandes Preußen und ihre Expansion für die Blut- und Bodenideologie (vom Land mit deutschem Gesicht, vom mit deutschem Blut getränkten Boden, der nicht schweigt) zur Rechtfertigung der eigenen Aggressionen genutzt.
Anmerkungen:
[1] Führer des Ordens
[2] Pruzzen, baltischer Volksstamm, im Ergebnis der Christianisierung ausgerottet oder germanisiert. Der Name des Stammes ging als Preußen auf alle Landesbewohner, 1701 auf den Staat über.
[3] Henryk Sienkiewicz: Die Kreuzritter, Berlin 2000.
[4] Siehe Buch des Autors "Der Heilige Vater. Benedikt XVI. - Ein Papst und seine Tradition", PapyRossa Köln, 2010, S. 103 bis 108.
[5] Polnische Stadt in der Woiwodschaft Bydgoszcz an der Wisla (Weichsel), slawische Siedlung, 1231 vom Deutschen Orden als Stadt gegründet.
*
Quelle:
© 2023 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 9. Juni 2023
Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang