Attentat auf Togliatti
Die IKP sollte per Blutbad liquidiert werden
von Gerhard Feldbauer, 10. Juli 2023
Es war 11.35 Uhr, als Palmiro Togliatti am 14. Juli 1948 während einer Sitzungspause der Abgeordnetenkammer den Palazzo Montecitorio durch einen Seitenausgang verließ, um mit seiner Lebensgefährtin Nilde Iotti in der gegenüberliegenden Bar "Da Giolitti" in der Via Uffici del Vicario einen Kaffee zu nehmen. Nur wenige Meter vor ihm zog ein Faschist namens Antonio Pallante einen Revolver und feuerte vier Schüsse auf ihn ab. Während der KP-Generalsekretär, von drei Kugeln im Nacken und in der Brust getroffen, ohne einen Laut von sich zu geben auf die Knie sank, traf ihn der vierte Schuss in die Herzgegend.
Pallante war ein aktiver Faschist, in der im Herbst 1943 von Mussolini unter dem Besatzungsregime der Hitlerwehrmacht errichteten Repubblica Sociale Italiano (RSI) Mitglied der Jugendorganisation Gioventú Italiana del Littorio und gehörte nach der Niederlage im August 1945 zu den Gründern der Sammlungsbewegung "Uomo qualunque" (Jedermann) zur Wiedergründung der Partei des "Duce". Er ließ sich widerstandslos von den Sicherheitsbeamten festnehmen.
Der Mordanschlag fand in einer Periode erbitterter Klassenauseinandersetzungen auf nationaler und internationaler Ebene statt. Mit der Verkündung der Truman-Doktrin und des Marshallplans hatte der Kalte Krieg begonnen. Die Gründung der NATO, für die Italien als Südflanke strategische Bedeutung erhielt, stand bevor. Aktiv unterstützt von den USA, die ihre Besatzungstruppen in dem Mittelmeerland belassen hatten, betrieben die reaktionären und Rechtskräfte die Restauration der Herrschaft des Großkapitals, dem entscheidenden Träger der faschistischen Diktatur von 1922-1945. Im Dezember 1946 hatte sich "Uomo qualunque" als Movimento Sociale Italiano (MSI) als Nachfolger der Partei des "Duce" konstituiert.
Im April 1948 fanden in einer antikommunistischen Kreuzzugatmosphäre die ersten Parlamentswahlen statt. Die Democrazia Cristiana (DC), nunmehr führende Partei der Großbourgeoisie, die 1946 in der Verfassungsgebenden Versammlung nur auf 35,2 Prozent gekommen war, erzielte mit 48,5 Prozent einen triumphalen Wahlsieg. Es war jedoch nicht gelungen, Kommunisten und Sozialisten eine Niederlage beizubringen. Beide Arbeiterparteien, die durch ein im antifaschistischen Widerstand 1934 geschlossenes Aktionseinheitsabkommen, das auf die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft orientierte, verbunden waren, hatten auf einer Volksfrontliste 31 Prozent der Wählerstimmen erreicht. Sie waren entschiedene Gegner der kapitalistischen Restauration und eines italienischen NATO-Beitritts. Führende Kraft war die über zwei Millionen Mitglieder zählende IKP. Um sie auszuschalten und einen Keil in die Aktionseinheit zu treiben, inszenierte man in Washington den Mordanschlag auf Togliatti. Er sollte die IKP und ihre Anhänger zum bewaffneten Aufstand provozieren, um sie per Blutbad liquidieren zu können.
Fast schien die Rechnung aufzugehen. Zwar gab es keinen Aufstandsplan, von dem in die bürgerliche Presse lancierte Berichte schrieben, die außerdem eine "Invasion von Titos Volksarmee" erfanden, wohl aber die Bereitschaft Hunderttausender, auf die Provokation mit bewaffnetem Widerstand zu antworten. Während vor der Klinik, in welcher der lebensgefährlich verletzte KP-Chef operiert wurde, 200.000 Menschen schweigend vorbeizogen und im alten Stadtteil Trastevere Frauen vor Heiligbildern für Togliattis Genesung beteten, formierte sich in der Innenstadt eine riesige Menschenmenge zu einer Kundgebung, auf der das Mitglied der IKP-Leitung Edoardo D'Onofrio sprach. Als der Rundfunk die Nachricht verbreitete, Togliatti liege im Sterben, riefen Sprechchöre dem Redner zu: "Gib uns das Startzeichen!" Gleichzeitig begann, ohne dass es dazu einen Aufruf der Partei gab, ein Generalstreik, wie ihn das Land bis dahin nicht gesehen hatte.
Nicht nur Mitglieder und Sympathisanten der IKP, sondern auch Sozialisten und viele andere Kräfte der Resistenza, darunter der linken Basis der Christdemokraten, drängten zum Aufstand. Angehörige der auf Weisung der USA 1946 aufgelösten Partisanenarmee, die bei Kriegsende über 250.000 reguläre Kämpfer gezählt hatte, holten ihre Waffen aus Verstecken und traten den gegen die Streikenden und Demonstranten vorgehenden Armee- und Polizeieinheiten entgegen. In Genua stoppten sie Panzerwagen und nahmen ihre Besatzungen gefangen. In Hunderten Städten und Gemeinden übernahmen Streikleitungen die Macht. Bei FIAT in Turin besetzten die Arbeiter die Fabrik und nahmen Direktor Vittorio Valletta, unter der Mussolini-Diktatur ein verhasster Wirtschaftsführer, sowie über ein Dutzend Mitglieder der Konzernleitung fest. Bei den bewaffneten Zusammenstößen gab es 20 Tote und über 600 Verletzte. Die IKP-Leitung rief am zweiten Tag dazu auf, den Generalstreik zu beenden. Es gelang der Parteiführung, ihre Basis vom Aufstand abzuhalten, vor dem der schwerverletzte Togliatti, bevor er operiert wurde, eindringlich gewarnt hatte.
Eine bewaffnete Erhebung hätte in einen blutigen Bürgerkrieg übergehen und mit einem Eingreifen der US-Truppen zu einer reaktionären Wende führen können. Eine physische Abrechnung mit der IKP wäre die Folge gewesen. Die faschistische Entwicklung hätte unausweichlich einen stärkeren Auftrieb erhalten. Die Entwicklung in Griechenland vermittelte aufschlussreiche Lehren. Dort hatten Großbritannien und die USA zur Niederschlagung der antifaschistischen Befreiungsbewegung und der Partisanen der ELAS einen bis 1949 dauernden Bürgerkrieg angezettelt, der zu einer reaktionären Wende führte.
Von Ausnahmen abgesehen, konnte die IKP-Führung ihrer Basis die umstrittene Entscheidung verständlich machen: Als der genesene Togliatti sie auf dem Pressefest der L'Unità am 27. September 1948 erläuterte, stimmten ihm die mehr als 500.000 Teilnehmer zu.
Pallante wurde wegen versuchten Mordes zu 13 Jahren und acht Monaten Gefängnis verurteilt, die in der Kassation auf zehn Jahre und acht Monate verkürzt wurden. Davon verbüßte er fünf Jahre und drei Monate. 1953 wurde er nach einer Amnestie entlassen.
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Massive Repression
DC-Ministerpräsident Alcide De Gasperi kündigte unmittelbar nach
Beginn des Generalstreiks den "Einsatz sämtlicher staatlicher
Machtmittel" an. Polizei und Armee gingen rücksichtslos vor. 92.169
Personen wurden verhaftet, darunter 73.780 Kommunisten, in erster
Linie Arbeiter. Von den über 70.000 davon später vor Gericht
Gestellten waren ebenfalls die meisten Kommunisten. 19.306 der
Angeklagten, darunter 15,429 Kommunisten, wurden zu Gefängnisstrafen
verurteilt. Bei FIAT und in weiteren Unternehmen versuchten die
Konzernleitungen, an den Protestaktionen beteiligte Arbeiter zu
entlassen, was nach der Ankündigung neuer Streiks eingestellt wurde.
Wenn es auch nicht gelang, eine reaktionäre Wende herbeizuführen,
setzte nach dem Mordanschlag eine massive Repression ein. Opfer waren
weiter vor allem Mitglieder der IKP und ihre Anhänger. Bis Mitte 1950
gab es bei Auseinandersetzungen mit Großagrariern, Faschisten und
Zusammenstößen mit der Polizei 62 Tote, darunter 48 Kommunisten. 3.126
Personen wurden verletzt, davon 2.367 Kommunisten. Palmiro Togliatti
charakterisierte das als einen "Übergang von dem auf einer
demokratischen Verfassung begründeten Regime zu einem Regime der
Willkür und der Repressalien gegen die Staatsbürger".
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Quellen:
Massimo Caprara: L'attentato a Togliatti, Venedig 1978.
Dietz Verlag (Hg.): Die Kommunistische Partei Italiens - Kurzer
geschichtlicher Abriß, mit einem Anhang von Palmiro Togliatti:
30 Jahre Kommunistische Partei Italiens. Der Kampf der italienischen
Volkes für Frieden, Arbeit & Freiheit.
Palmiro Togliatti: Die IKP. Kurzer geschichtlicher Abriss,
Berlin (DDR) 1952.
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Quelle:
© 2023 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 11. Juli 2023
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