Mit dem Waffenstillstandsabkommen mit den Anglo-Amerikanern schied Italien aus dem Krieg mit Hitlerdeutschland aus
Das Kräfteverhältnis im Mittelmeerraum veränderte sich entscheidend zugunsten der westlichen Alliierten, doch diese nutzten Chancen nicht
von Gerhard Feldbauer, 4. September 2023
Nach dem Sturz Mussolinis am 26. Juli 1943 hatte der von König Vittorio Emanuele III. mit der Bildung einer Militärregierung beauftragte Marschall Badoglio erklärt, dass "der Krieg fortgesetzt" werde. Damit sollten jedoch nur die Deutschen beruhigt werden. Während der italienische Generalstabschef, General Mario Roatta, bei einem Treffen dem Befehlshaber der deutschen Truppen in Italien, Feldmarschall Rommel, am 15. August der "Treue Italiens zu Deutschland" versicherte, traf vier Tage später der von Badoglio beauftragte General Giuseppe Castellano in der britischen Botschaft in Lissabon mit dem amerikanischen General Walter Bedell Smith zu geheimen Waffenstillstandsverhandlungen zusammen. Der übergab ihm im Auftrag des angloamerikanischen Oberkommandierenden im Mittelmeerraum, General Dwight D. Eisenhower, den Entwurf eines Waffenstillstandsabkommens. Als Bedingung war darin die "italienische Zusammenarbeit mit den Alliierten im Kampf gegen die Deutschen" festgelegt. Am 31. August traf Castellano beim angloamerikanischen Kommando in Cassibile auf Sizilien zu den Verhandlungen ein.
Sie wurden dort am 3. September 1943 mit der Unterzeichnung des Vertrages in Anwesenheit von General Eisenhower von General Bedell Smith und dem Bevollmächtigten Ministerpräsident Badoglios, General Giuseppe Castellano, abgeschlossen.
Mit ihm schieden die Hauptkräfte des italienischen Imperialismus aus dem Krieg an der Seite Hitlerdeutschlands aus. Das waren im Militärbereich rund 3,5 Millionen Soldaten. Am 8. September wurde der Waffenstillstand um 16.30 Uhr Ortszeit per Radio New York bekanntgegeben. Am 29. September unterzeichneten Badoglio und Eisenhower auf Malta den ausführlichen Text, den sogenannten "Armistizio lungo". Bereits am 3. September waren die Alliierten an der Südspitze von Kalabrien gelandet, weitere folgten am 9. September bei Salerno und Taranto.
Nach der Bekanntgabe des Waffenstillstands besetzte die Wehrmacht mit 30 Divisionen Nord- und Mittelitalien. Zunächst gab es, wie Goebbels in seinem Tagebuch festhielt, die Absicht, Norditalien dem "großdeutschen Reich" einzuverleiben und die Reichsgrenze bis nach Venetien vorzuschieben. [1] Hitler "begnügte" sich dann mit der Okkupation, um dem im Oktober unter Mussolini als Repubblica Sociale Italiana (RSI) installierten Marionettenregime den Anschein einer Fortexistenz des Bündnisses zu geben. Im Rahmen des Überfalls der Wehrmacht sollte in Rom ein Staatsstreich die Regierung Badoglio stürzen, der wegen italienischer Gegenmaßnahmen nicht stattfand. Erfolgreich verlief am 12. September die Aktion Sturmbannführer Skorzenys, der den gefangengehaltenen Mussolini vom Gran Sasso holte und nach Deutschland brachte.
Nach Beginn der Okkupation konstituierte sich am 9. September das Komitee der antifaschistischen Strömungen aus Kommunisten, Sozialisten, Aktionspartei, Christdemokraten, Republikanern und Liberalen zum Nationalen Befreiungskomitee (Comitato di Liberazione Nazionale) und rief alle Italiener zum Kampf gegen den Faschismus für ein freies Italien auf. "Heute gibt es für die Italiener nur noch eine Front: Gegen die Deutschen und gegen die fünfte faschistische Kolonne. Zu den Waffen!" [2]
Nach dem Aufruf entstanden erste Partisanen-Einheiten. Etwa 200.000 Mann, darunter Teile einer Armee und über zehn Divisionen, leisteten ihrer Entwaffnung in Italien sowie auf dem Balkan und auf Korsika zum Teil über zwei Monate erbitterten Widerstand. Viele italienische Kommandeure rechneten mit der Unterstützung der Angloamerikaner, da Eisenhower General Castellano den Einsatz eines Luftwaffenverbandes bei Rom zugesagt hatte. Im Vertrauen darauf eröffneten im Gebiet der Hauptstadt vier Divisionen die Kampfhandlungen gegen die Hitlerwehrmacht. Ihr Korpskommandeur, General Carboni, folgte einem Vorschlag des IKP-Vorsitzenden Luigi Longo und ließ Waffen an Freiwillige ausgeben, die zusammen mit der Division Granatieri bereits am 8. September an der Porta San Paolo im Stadtzentrum ins Gefecht zogen. General Carboni wartete jedoch vergebens auf die zugesagte Luftlandeoperation. Angesichts der Übermacht der deutschen Truppen stellten die Italiener bei Rom den Kampf nach vier Tagen ein. Obwohl die Anglo-Amerikaner vor den Toren Neapels standen, gewährten sie der Bevölkerung, die sich am 28. September gegen die Besatzung der Hitlerwehrmacht erhob, keinerlei Unterstützung. Erst als die Aufständischen die Wehrmachtseinheiten aus der Stadt vertrieben hatten, wobei 311 Antifaschisten den Tod fanden und 162 verwundet wurden, rückten sie am 1. Oktober in Neapel ein.
Die Untätigkeit Eisenhowers ermöglichte der Hitlerwehrmacht, nahezu ungestört südlich von Rom durch das Apenninengebirge mit der strategisch bedeutsamen Stellung auf dem 519 Meter hohen Monte Casino eine Abwehrfront aufzubauen, die dann alliierte Truppen monatelang unter schweren Verlusten zu stürmen versuchten. Erst nach der Einnahme Monte Casinos durch polnische Verbände unter General Wladyslaw Anders am 18. Mai 1944 konnten die 5. amerikanische und die 8. britische Armee auf Rom vorstoßen und es am 4. Juni 1944 einnehmen.
Mit einer Landung bei Rom hätte sich das alliierte Kommando eine Operationsbasis für ein rasches Vordringen schaffen können. Dem anglo-amerikanischen Befehlshaber, General Alexander, wäre es möglich gewesen, seine Operationen mit denen der Partisanenarmee Titos zu koordinieren und quer durch die Tschechoslowakei nach Deutschland vorzudringen. Die Alliierten hätten so bedeutend früher als mit der Landung in der Normandie Anfang Juni 1944 deutsches Territorium erreichen können.
Hintergrund der zwielichtigen Haltung Eisenhowers war, dass in den USA einflussreiche Katholiken und professionelle Antikommunisten bis zu Erzreaktionären vom Schlage des Expräsidenten Herbert Hoover oder der Senatoren Robert Taft und Arthur Vandenberg sowie offene Anhänger des Nazismus angesichts der neuen deutschen Aggression von einer "politischen Neuordnung Kontinentaleuropas" träumten und versuchten, "ihrem Land eine Sicht aufzudrängen, wonach der Sieg des Nazismus einem Triumph des Kommunismus in jedem Fall vorzuziehen war". Selbst der Gedanke Trumans von der wechselseitigen Unterstützung der Deutschen und Russen war ihnen nicht orthodox genug, "denn er schloss, zumindest theoretisch, auch zeitweilige Erfolge der UdSSR ein". Nach Stalingrad setzten sie darauf, dass die UdSSR in der gewaltigen militärischen Auseinandersetzung mit Deutschland weiter ausbluten sollte. [3] In Italien wurde diese Haltung von der Furcht bestimmt, dass die italienischen Kommunisten und Sozialisten Einfluss auf die Streitkräfte erhielten, so wie sie später versuchten, die Operationen der vor allem von ihnen maßgeblich geführten kampfstarken Partisanenverbände zu behindern und auch regelrecht zu sabotieren. Der Italienfeldzug wurde später "nicht gerade hoch bewertet". Der britische Historiker Fuller sprach von einer einzigartigen "strategischen Sinnlosigkeit" und "taktischen Mittelmäßigkeit". Das schloss ein, "Overlord", die zweite Front, unweigerlich zu verschieben. [4]
Der Preis der Strategie Eisenhowers war nicht nur der Verlust des größten Teils der 3,5 Millionen Mann starken italienischen Streitkräfte, die von der Wehrmacht entwaffnet wurden, sondern auch, dass Hunderttausende italienische Soldaten ihren Widerstand gegen die Okkupation mit dem Tod oder der Deportation nach Deutschland bezahlten. In Italien wurden 11.400 gefangene Soldaten und Offiziere ermordet, auf dem Balkan Tausende umgebracht. Allein auf der griechischen Insel Kephallenia, wo die Italiener sich sieben Tage in erbitterten Kämpfen der Entwaffnung widersetzten, metzelte die Wehrmacht über 4.000 Gefangene nieder. Fast 5.000 waren vorher in den Gefechten gefallen.
Anmerkungen:
[1] Joseph Goebbels: Tagebücher, Zürich 1948. S. 441.
[2] IKP-Zeitschrift Il Combattente, Nr. 1, Okt. 1943.
[3] Valentin Falin: Zweite Front. Die Interessenkonflikte in der Anti-Hitler-Koalition, München 1995, S. 208f.
[4] Valentin Falin: Zweite Front. Die Interessenkonflikte in der Anti-Hitler-Koalition, München 1995, S. 208f.
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Quelle:
© 2023 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 5. September 2023
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