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MEMORIAL/264: Italiens Ex-Premier Amato bestätigt den Abschuß einer DC-9-Passagiermaschine vom 27. Juni 1980 durch NATO-Jäger (Gerhard Feldbauer)


Italien
Ex-Premier Amato bestätigt: Passagiermaschine der italienischen ITAVIA wurde 1980 von NATO-Jäger abgeschossen

Bis heute sind noch sieben Dokumente unter Verschluss

von Gerhard Feldbauer, 20. September 2023


Mit seiner Äußerung in der Zeitung La Repubblica am 3. September, die 1980 über Ustica ins Meer gestürzte Passagiermaschine der italienischen Aerolinee-Itavia sei während eines NATO-Manövers irrtümlich von einem französischen Piloten abgeschossen worden, hat der ehemalige italienische Ministerpräsident Giuliano Amato die Diskussion über diese Katastrophe neu entfacht. Bisher herrschte die Einschätzung aus den Ermittlungen des Staatsanwalts Rosario Priore vor, "dass die DC 9 der Itavia aller Wahrscheinlichkeit nach von einem amerikanischen Piloten abgeschossen wurde". Während die Mainstream-Medien den eher nebensächliche Aspekt, ob ein französischer oder amerikanischer Pilot die Rakete abfeuerte, debattieren, wird weiter ignoriert, dass die USA mit ihren italienischen Komplizen ihre Verantwortung leugneten und vertuschten, weitere Verbrechen verübt und skrupellos Menschen umgebracht wurden. So ging aus einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur ANSA vom 15. September hervor, dass noch immer 7 Dokumente zum Fall "Ustica" trotz mehrfach wiederholter Anträge vom Verteidigungsministerium nicht freigegeben werden. Dem Amt steht seit Oktober 2022 Guido Crosetto von den faschistischen Brüdern Italiens (FdI) von Giorgia Meloni vor.

Die DC 9 McDonnell Douglas der Itavia stürzte am 27. Juni 1980 um 20.59 Uhr nördlich der Insel Ustica ins Tyrrhenische Meer. Alle 81 Insassen kamen ums Leben. Zu dieser Zeit führten zirka 30 Jäger, Radarflugzeuge, Flugzeugträger und U-Boote der NATO in diesem Gebiet ein Manöver durch. Schon damals berichteten Medien, wie jetzt auch Amato bestätigt, dass Ziel des Angriffs der libysche Staatschef Gaddafi war, dessen Maschine, eine Tupolew, sich zur selben Zeit über Ustica befand, aber überraschend abdrehte. Proarabische Kreise in Rom sollen Gaddafi in letzter Minute gewarnt haben. Der die Rakete abschießende Pilot hatte die DC 9 für die Tupolew gehalten, da sich beide Flugzeuge im Profil ähnelten. Medienberichte sprachen jedoch sofort von einem Bombenattentat linker Terroristen. Dann wurden Abnutzungserscheinungen und schlechte Wartung der Maschine als Ursachen genannt. Dabei bewies die Itavia schon damals mit Radaraufzeichnungen des römischen Flughafens Fiumicino, dass eine Rakete auf die DC 9 abfeuert worden war. Die NATO und die CIA behaupteten jedoch, "sämtliche Maschinen seien am Boden, alle Raketen in den Hangars" gewesen. Noch im März 1989 erklärte das Pentagon, dass "zur Zeit des Unglücks weder Schiffe noch Flugzeuge der US-Marine oder -Luftwaffe in oder über dem Tyrrhenischem Meer anwesend waren." Manfred Wörner (BRD), seit Dezember 1987 NATO-Sekretär, deckte das Verbrechen ebenfalls und beteuerte laut Spiegel (Nr. 14/1991) "die Unschuld der NATO-Piloten".

Als 1987 das 3000 Meter tief liegende Wrack der DC 9 gehoben wurde, bewiesen ein völlig geschmolzenes Triebwerk und Einschläge im Frachtraum einen Raketeneinschlag. Obwohl die Absturzstelle der DC 9 seinerzeit genau bekannt war, wurden die Bergungskommandos in ein weit abseits liegendes Gebiet geschickt. Es sollte keine Überlebenden geben, die aussagen konnten, dass die Maschine von einer Rakete getroffen wurde. Das Nachrichtenmagazin Panorama berichtete 1989, die DC 9 habe sich noch einige Stunden über Wasser gehalten, bis ihr Rumpf im Morgengrauen von Froschmännern eines britischen U-Bootes gesprengt worden sei. Bis dahin habe es noch Überlebende gegeben.

Über ein Dutzend Mitwisser des Verbrechens wurden umgebracht, darunter der Luftwaffengeneral Licio Giorgio, ein Radarexperte, der sich in der Absturznacht in einem Spezialflugzeug für elektronische Kriegführung, einer PD 800, über Ustica befand. Der Geheimdienstoberst Alessandro Marcucci, der am Abend des 27. Juni Dienst hatte, stürzte vor seiner Vernehmung mit einem Sportflugzeug ab. Der Kommandant der Radarzentrale "Martina Franca", General Roberto Boemio, wurde in Brüssel von unbekannten Tätern erstochen. Die USA und ihre italienischen Komplizen sind für die Katastrophe am 28. August 1988 über der US-Luftwaffenbasis Ramstein verantwortlich, bei der es 70 Tote und 450 zum Teil schwer Verletzte gab. Sie wurde verursacht durch den Zusammenstoß der zwei Piloten der italienischen Kunstflugstaffel "Frecce Tricolori", die in die Menge stürzten. Die beiden Piloten waren am 27. Juni 1980 als Jagdflieger über Ustica im Einsatz gewesen und nach der Flugschau zur Vernehmung vorgeladen. Zumindest eine der Maschinen war manipuliert worden.

Den Durchbruch in den Ermittlungen erzielte danach der in Terrorfragen erfahrene Staatsanwalt Rosario Priore, der Tonbänder der Radarzentrale sicherstellte, die dem CIA-Chef in Rom, Duane Clarridge, ausgehändigt worden waren. Priore enthüllte, dass der US-Botschafter einen "Sonderstab Ustica" gebildet hatte, der alle Beweise unter Verschluss nahm. Ex-Verteidigungsminister Lagorio sagte aus, dass die Geheimdienste die Ermittlungen in falsche Richtungen gelenkt hatten. Der General räumte ein, auch Zeugen seien "beseitigt" worden.

Staatsanwalt Priore wies nach, dass die DC 9 von einem NATO-Jäger abgeschossen wurde und es aller Wahrscheinlichkeit nach ein Amerikaner war. Er klagte neun italienische Generäle und Offiziere wegen Hochverrat, Irreführung der Behörden, Beweisunterdrückung und Zeugenbeeinflussung an. Eine Anklage wegen Mittäterschaft bei der Ermordung oder zumindest des Totschlags der 81 Insassen der DC 9 wurde nicht zugelassen, auch nicht wegen Zeugenbeseitigung. Natürlich kamen auch die eigentlichen Drahtzieher des Verbrechens, die Verantwortlichen aus CIA und anderen westlichen Geheimdiensten sowie der NATO, unter ihnen der damalige Staatsekretär Wörner, nicht vor die Schranken des Gerichts. Die Urteile fielen mild aus. Die Verurteilten kamen bald wieder auf freien Fuß, ihre Karrieren litten darunter nicht. Der verurteilte General Lamberto Bartolucci stieg später zum Generalstabschef des Verteidigungsministers auf.

Laut La Repubblica vom 21. September 2011 verurteilte ein Gericht in Palermo die italienische Regierung, den Angehörigen der Absturz-Opfer 100 Millionen Euro Entschädigung zu zahlen. Im Urteil hieß es, dass die italienischen Behörden durch "Unterlassungen" den Absturz gedeckt und vertuscht hatten.

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Quelle:
© 2023 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 22. September 2023

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