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NEUZEIT/148: Italien - Vor 30 Jahren wurde Aldo Moro ermordet (Gerhard Feldbauer)


Der Coup der P2-Loge

Vor 30 Jahren wurde der Reformpolitiker Aldo Moro ermordet.
Ein bis heute unglaublicher Politkrimi

Von Gerhard Feldbauer, Mai 2008


Am 9. Mai 1978 gegen zehn Uhr wird in der Via Caetano in Rom ein roter Renault R4 abgestellt. Seit dem frühen Morgen hat ein Kradfahrer für ihn eine Parklücke freigehalten. Es dauert noch über drei Stunden, bis man im Polizeipräsidium durch einen anonymen Anruf erfährt, daß sich im Kofferraum des Renault die Leiche Aldo Moros befindet. 55 Tage vorher, am 16. März, war der Führer der Democrazia Cristiana (DC) entführt und dabei sein fünfköpfiges Begleitkommando erschossen worden. Knapp eine Stunde nach dem Überfall hatten sich die Roten Brigaden (ital. Brigate Rosse, BR) zu der Tat bekannt.

Die Via Gaetano liegt im Zentrum von Rom. Nur wenige hundert Meter von dem abgestellten R4 entfernt befindet die DC-Zentrale. Bis zur Abgeordnetenkammer und zum Senat sind es etwa ein Kilometer, und auch der Quirinale, der Amtssitz des Staatspräsidenten, liegt nicht weit davon. Dieses immer schon gut bewachte Viertel ist seit der Entführung Moros von einem dichten Polizeikordon umgeben und durch zahlreiche Straßensperren abgeriegelt. Hier soll der Motorradfahrer unbemerkt etwa drei Stunden in der Nähe seiner Maschine auf den R4 gewartet haben? Der als gestohlen gemeldete Renault soll unbehelligt sein Ziel erreicht und auch noch drei Stunden dort gestanden haben, ohne Aufsehen zu erregen?


Eine Gladio-Operation

Es ist dies einer von den zahlreichen bereits unmittelbar nach der Entführung bekannt gewordenen Fakten, die verdeutlichten, daß die BR nicht die alleinigen Täter waren, sondern hinter ihnen mächtige Hintermänner agierten. Ihre Rolle kam ans Licht, als 1981 die von dem früheren Mussolini-Faschisten Licio Gelli in Zusammenarbeit mit der CIA und den italienischen Partnern gebildete Freimaurerloge P2 aufgedeckt wurde. Sie war die Zentrale, die das Komplott gegen Moro inszeniert und geleitet hatte. Im Rahmen der Spannungsstrategie war in die Operation die 1990 enttarnte geheime NATO-Truppe Gladio (Kurzschwert) einbezogen. Mit der Liquidierung des christdemokratischen Reformpolitikers wollte die P2 einen Colpo bianco (kalten Staatsstreich) einleiten und ein Regime faschistischer Prägung installieren. Hauptmotiv der Beseitigung Moros war, daß er - gegen die von den Faschisten für Italien betriebene "chilenische Lösung" - ein Regierungsabkommen mit den Kommunisten, die 1976 bei den Parlamentswahlen 34 Prozent erreichten, geschlossen hatte. Obwohl diese Zusammenarbeit die IKP geschwächt und politisch-ideologisch der Großbourgeoisie unterworfen hätte, hatten führende US-Kreise panische Angst, es könnte insbesondere die NATO und ihre Strategie des Rollback des Sozialismus durcheinanderbringen. Denn Moro wollte mit Moskau den Austritt Polens aus dem Warschauer Vertrag verhandeln und als Gegenleistung Italiens Ausscheiden aus der NATO bewerkstelligen. Flaminio Piccoli, sein Nachfolger als DC-Vorsitzender, schrieb bereits am 6. August 1978 in der Südtiroler Zeitung Alto Adige, daß Moro "ausgeschaltet wurde, weil er in den letzten drei Monaten in Gesprächen mit Amerikanern und den Russen seine Fähigkeit gezeigt hat, Initiativen zur Herstellung des nationalen Ausgleichs zu ergreifen".

Bei der Untersuchung des Attentats durch eine Parlamentskommission kam ans Licht, daß Mitglieder der P2 "in den hohen Rängen des Militärs, der Geheimdienste, der Pressewelt, der Finanzen, der Politik" saßen, darunter 43 Generäle, die gesamte Führungsspitze der Geheimdienste, der komplette Generalstab des Heeres, etwa 400 hohe Offiziere, drei Minister und drei Staatssekretäre der Regierung Andreotti. Die Kommissionsvorsitzende, Tina Anselmi, teilte mit, daß in den mit der Fahndung befaßten Stäben 57 P2-Mitglieder saßen, darunter fünf direkt im Krisenstab von Innenminister Cossiga, die alle Maßnahmen, welche zur Befreiung des DC-Vorsitzenden hätten führen können, verhinderten. Vertuscht wurde, daß 39 der am Tatort gefundenen Patronenhülsen aus Beständen der Spezialmunition für Gladio-Einheiten stammten. Schon am 18. März verbreitete die römische Repùbblica die Information eines Geheimdienstoffiziers, daß es sich bei dem Überfall und der Ermordung der Eskorte um "eine militärische Aktion" handelte, die "ein Glanzstück an Perfektion" darstellte, die nur "von Militärs mit ausgetüftelter Spezialausbildung" durchgeführt werden konnte. Der langjährige Gladio-Kommandeur, General Gerardo Serravalle, bestätigte 1991 diese Einschätzung. Auch der Chef der Brigate Rosse, Mario Moretti, räumte ein, in den BR habe es "keine herausragenden Schützen" gegeben.


Von Rom nach Warschau

Den Entführern war die Fahrstrecke Moros bekannt, die täglich wechselte und dem Chef der Eskorte jeweils erst am Morgen mitgeteilt wurde; am Tatort befand sich ein für die Ausbildung und Einschleusung von Agenten in die BR verantwortlicher Gladio-Oberst, der den Ablauf beobachtete; der leitende Staatsanwalt bildete keine Sonderkommission, sondern ermittelte allein, 14 Tage verschleppte er die kriminaltechnische Rekonstruktion am Tatort; Fotos von den unmaskierten Attentätern und ihren Fahrzeugen, die der Leiter einer KfZ-Werkstatt, der gerade ein Unfallauto fotografierte, geistesgegenwärtig gemacht hatte, ließ er verschwinden; Hinweisen auf einen BR-Stützpunkt, die sich später als richtig erwiesen, wurde nicht nachgegangen. Die Druckmaschine, auf der die BR ihre Kommuniqués vervielfältigte, stammte aus einer Geheimdienstabteilung; der diensthabende Offizier im Polizeipräsidium verschleppte die Auslösung der Fahndung; der Direktor des römischen Fernsprechamtes sorgte nach dem Überfall eine Stunde für den Ausfall der Telefonverbindungen, was die Koordinierung der Fahndung erschwerte; in den Hosenaufschlägen des ermordeten Moro wurde Sand gefunden, der von den Tolfa-Hügeln nördlich von Rom stammte, wo sich ein Gladio-Stützpunkt befand. Ministerpräsident Andreotti lehnte Verhandlungen mit den Entführern - bis dahin und danach auch wieder gängige Praxis - ab und lieferte seinen Parteivorsitzenden so dem angedrohten Tod aus.

Das Mitglied der Moro-Kommission Senator Sergio Flamigni schrieb in seinem Buch "Das Spinnennetz" (1993), daß die Untersuchungen ergaben, daß "der tatsächliche Chef der Brigate Rosse" der CIA-Agent Corrado Simoni war, der möglicherweise auch für den vatikanischen Geheimdienst Pro Deo arbeitete. Jedenfalls wurde der Agent nach der Beseitigung Moros bei der von Lech Walesa geführten Solidarnosc für die Untergrundarbeit gegen die kommunistische Regierung eingesetzt. Wie der Corriere della Séra am 14. März 1993 schrieb, wurde Simoni zusammen mit dem führenden Pro-Deo-Mann Abbé Pierre nach der Rückkehr aus Polen von Johannes Paul II. in Privataudienz empfangen.


Die USA wußten, wo Moro gefangengehalten wurde

In den USA war Aldo Moro wegen seiner Zusammenarbeit mit den Kommunisten einer regelrechten Mordhetze ausgesetzt. Als er 1974 als Außenminister in Washington weilte, drohten Präsident Gerald Ford und Außenminister Henry Kissinger, Italien in ein "zweites Chile" zu verwandeln und verteidigten so unverhüllt ihr Engagement beim Sturz Allendes und der Errichtung der militärfaschistischen Diktatur unter Pinochet. Hohe Sicherheitsbeamte drohten Moro mit dem Schicksal John F. Kennedys, wenn er seine Zusammenarbeit mit den Kommunisten nicht aufgebe. Der von Kissinger geleitete National Security Council nannte Moro den "Allende Italiens", einen "Kommunisten", "viel gefährlicher als Castro". Der Direktor des Center of Strategic and International Studies der CIA, Ray Cline, kündigte öffentlich an, daß "die verwirrende Situation in Italien durch die Geheimaktivitäten der CIA gelöst werden wird".

"Die Vereinigten Staaten wußten, wo Aldo Moro gefangengehalten wurde. Und Francesco Cossiga wußte darüber viel mehr, als er in diesen Jahren berichtete." Mit dieser Erklärung enthüllte im Oktober 2007 der achtzigjährige Giovanni Galloni, zur Zeit der Affäre Moro dessen Vizesekretär, die Verantwortung der höchsten US-Kreise für die Entführung und Ermordung des DC-Vorsitzenden. Galloni bestätigte ebenso die Infiltration der Brigate Rosse, von denen fünf Mitglieder, mehr oder weniger verantwortlich, die Kulisse der geheimdienstlichen Operation gebildet hätten.


Quellen:
Bücher des Autors mit umfangreich ausgewerteten italienischenQuellen:

"Agenten, Terror, Staatskomplott. Der Mord an Aldo Moro, Rote Brigaden und CIA". PapyRossa, Köln 2000
"Aldo Moro und das Bündnis von Christdemokraten und Kommunisten im Italien der 70er Jahre". Neue Impulse, Essen 2003
"Die Recherchen des Commissario Pallotta: Warum Aldo Moro sterben mußte. Eine Kriminalgeschichte nach Tatsachen". Offensiv-Verlag, Hannover 2008
[Hinweis der Schattenblick Redaktion:
im Schattenblick siehe auch unter MEDIEN -> ALTERNATIV-PRESSE
OFFENSIV/070: Warum Aldo Moro sterben musste 4/08]

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Quelle:
Gerhard Feldbauer, Mai 2008
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.
Erstveröffentlicht in "junge Welt" vom 3. Mai 2008


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2008