Schattenblick →INFOPOOL →GEISTESWISSENSCHAFTEN → GESCHICHTE

NEUZEIT/160: Die Nakba, die Katastrophe von 1948 (inamo)


inamo Heft 54 - Berichte & Analysen - Sommer 2008
Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten

Die Nakba, die Katastrophe von 1948

Von Nur Masalha


Die ethnische Säuberung, die die Nakba, die Katastrophe im Bewusstsein der Palästinenser ausmacht und die in die Gründung des Staates Israel auf rund 78% des historischen Palästina mündete, war im Ergebnis die Zerstörung großer Teile der palästinensischen Gesellschaft und großer Teile der arabischen Landschaft durch eine vorrangig europäische Siedlergemeinschaft, die nach Palästina in der Zeit von 1882 bis 1948 eingewandert war. Der Krieg 1948 wurde von der zionistischen Führung in messianischen Begriffen als "miraculous clearing of the land" und als Befreiungskrieg präsentiert. In den Gebieten, die Israelis 1948 besetzten, wurden ungefähr 90% der Palästinenser vertrieben: viele mit Mittel der psychologischen Kriegsführung und/oder durch direkten militärischen Druck. Der Krieg erwies sich als Gelegenheit, einen jüdischen Staat ohne Araber zu begründen.

In der zionistischen Version des 1948er Krieges werden die Ereignisse als Kampf des jüdischen David gegen den arabischen Goliath dargestellt. Das offizielle Narrativ der israelischen Kultur zeichnet den Israel-Palästina-Konflikt als Krieg der Wenigen gegen die Vielen. Seit dem frühen 20sten Jahrhundert gründet die Historiographie diese Erzählung der "Wenigen gegen die Vielen" auf den biblischen Bericht von Joshuas Eroberung des antiken Palästina. Israelische Mainstream-Historiker portraitieren den 1948er Krieg anhaltend als verzweifelten, heldenhaften und am Ende siegreichen jüdischen Kampf gegen übermächtige Umstände. Israelische Historiker und Autoren haben den jüdischen Glauben in eine säkulare Ideologie umgewandelt, indem sie biblische Quellen und Mythen übernommen und umgedeutet und sie dann als Propaganda in der Zeit nach 1948 eingesetzt haben. Die Wenigen, die die Vielen aufgrund ihrer Tapferkeit und ihrer Überzeugung besiegt haben, waren diejenigen europäischen zionistischen Siedler, die den Kampf des antiken Israel nachmachten und in dem die Palästinenser und die Araber im Allgemeinen die Verkörperung der verschiedenen antiken Gegner waren. Der zionistische Kampf ist eine erneute Aufführung antiker, biblischer Kämpfe und Kriege.

Seit den späten 80er Jahren des 20sten Jahrhunderts erfährt das David-gegen-Goliath-Motiv eine immer stärkere Beachtung in den westlichen Medien. Viele der Mythen, die sich um die Gründung des Staates Israel ranken, sind mittlerweile von revisionistischen israelischen Historikern wie Simcha Flapan, Benny Morris, Ilan Pappé und Avi Shlaim hinterfragt worden. Darüber hinaus hat die jüngste Geschichtsforschung zum Israel-Palästina-Konflikt gezeigt, dass die 1948er Katastrophe nur der Höhepunkt einer mehr als 50-jährigen Phase zionistischer Pläne und brutaler Gewalt war.


Zionismus ist Kolonialismus

Zionismus bedeutet gemeinhin die im Kern seit 2000 Jahren unveränderliche Sehnsucht nach jüdischer politischer und religiöser Selbstbestimmung im Heiligen Land. Da der politische Zionismus tatsächlich in der Gründung des Staates Israel kulminierte, wird häufig behauptet, dass eben diese historische Wirklichkeit rückblickend die unveränderliche Essenz des Zionismus bestätigt habe.

Im Gedächtnis der Palästinenser sind vor allem die brutalen Methoden, die zur Verwirklichung des Staates eingesetzt wurden, geblieben. In ihnen hat sich die tatsächliche Genealogie und die eigentliche Herkunft des Zionismus gezeigt. Die Palästinenser sind das Opfer einer europäischen Siedlerbewegung, die als Kolonialistenbewegung im 19ten Jahrhundert in die Levante kam. Klammert man einmal seine nationalistische Ideologie aus, folgte der politische Zionismus der Grundlinie aller kolonialistischen Projekte in Afrika, Asien und Latein Amerika: Europäer kolonisieren das Land anderer Menschen und beseitigen bzw. unterdrücken die einheimische Bevölkerung in eben diesen Ländern.

Der Staat Israel wurde auf biblischen Symbolen und Legenden und dem modernen zionistischen Mythos aufgebaut. Ein zentrales Element des zionistischen Gründungsmythos ist die Rede von einem Land, das bis zur Ankunft der europäischen jüdischen Siedler so gut wie leer, verlassen und öd war und das nur darauf wartete, fruchtbar gemacht und von Israel besiedelt zu werden; das Land war das rechtmäßige Eigentum der "zurückkehrenden Juden". Neben dieser These vom leeren Land gibt es weitere wichtige Element des zionistischen Gründungsmythos: die Verneinung des Exils, die Rückfindung zur Geschichte und die Rückkehr ins Land Israel. Die Verneinung des Exils erlaubt es den Zionisten eine ungebrochene Linie zwischen dem antiken Palästina und dem Palästina von heute zu ziehen; das alte wird in der Wiederbesiedlung quasi erneuert. Diese Narrative sind Kernbestandteile des staatlichen Erziehungswesens und finden sich in zahlreichen israelischen Kinderbüchern wieder.


Der Mythos vom "Land ohne Volk"

Die Bilder und Formulierungen vom unterbevölkerten und ungenutzten Land erlaubten denjenigen, die sie verbreiteten, einen einfachen und selbsterklärenden Zionismus. Der Mythos passte nicht nur zur Rechtfertigung zionistischer Landnahme, sondern half auch die Gewissen derjenigen israelischen Juden zu erleichtern, die mit der Enteignung der Palästinenser vor, während und nach 1948 Probleme hatten: wenn das Land "leer" gewesen sei, dann hat es wohl auch kein zionistisches Unrecht gegeben.

Für den zionistischen Siedler, der gekommen war um das Land "zurückzunehmen", waren die einheimischen Bewohner, die für Enteignung in Frage kamen, meist unsichtbar. Wie alle anderen europäischen Siedler- und Kolonialbewegungen, musste auch der Zionismus die einheimische Bevölkerung dämonisieren und entmenschlichen um deren Enteignung und Umsiedlung zu legitimieren. Folgerichtig wurden die Palästinenser als hinterhältig, unehrlich, faul, betrügerisch, Lügner, Mörder und sogar als Nazis diffamiert. Die zionistische Geschichtsschreibung liefert zahlreiche Stellen, die belegen, dass von Beginn des Yishuv in Palästina eine Haltung unter den Zionisten gegenüber der einheimischen palästinensischen Bevölkerung vorherrschte, die von Gleichgültigkeit und rassistischer Überheblichkeit bis zur ausgesprochenen Ablehnung der nationalen Rechte der Palästinenser reichte. Das Ziel war, die Bevölkerung zu entwurzeln und in die benachbarten arabischen Staaten zu transferieren.

Die Zionisten dachten natürlich nicht tatsächlich, dass das Land unbesiedelt sei. Selbstverständlich gab es Menschen in Palästina, aber eben keine, die es wert waren, beachtet zu werden im Kontext weißer Überlegenheit, die das Denken der damaligen Zeit in Europa ausmachte. In diesem Zusammenhang ist eine Bemerkung von Chaim Weizmann an Arthur Ruppin, Leiter der Kolonisierungsabteilung der Jewish Agency, aufschlussreich. Als Weizmann von Ruppin nach den Palästinensern gefragt wurde und wie er (Weizmann) 1917 die Balfour-Erklärung erhalten habe, antwortete dieser; "Die Briten sagten uns, das es ein paar hunderttausend Neger [kushim in Hebräisch] gäbe und diese hätten keinen Wert."(1)

Solche und ähnliche Äußerungen durch Chaim Weizmann, Israel Zangwill und andere führende Zionisten pflanzten in die zionistische Seele die rassistische Idee eines leeren Landes ein - leer nicht im Sinne einer tatsächlichen Abwesenheit von Menschen, sondern leer im Sinne einer kulturellen Ödnis. Letztere rief geradezu nach einer zionistischen Kolonisierung. Wie aber umgehen mit der de facto Anwesenheit der Palästinenser?


Bevölkerungstransfer als Realpolitik

Der Euphemismus "Bevölkerungstransfer" bezeichnet die organisierte Überführung der arabischen Bevölkerung in Palästina in benachbarte oder entferntere Länder, Häufig von seinen Befürwortern als Bevölkerungsaustausch, als arabische Rückkehr nach Arabien, als Emigration, als Umsiedlung und als Ansiedlung von Palästinensern in arabischen Ländern bezeichnet, ist der Gedanke als Lösung der zionistischen Landfrage tief im zionistischen Mainstream und im Yishuv verankert. Obgleich der Wunsch unter den zionistischen Führern, die arabische Frage durch Transfer zu lösen bis 1948 unverändert geblieben war, haben sich die Modalitäten eines Transfer über die Jahre entsprechend der Umstände geändert. Seit etwa Mitte der 1930er Jahre haben die Transfer-Komitees des Yishuv verschiedene Pläne vorgelegt, die alle in der einen oder anderen Form die Länder Jordanien, Syrien und den Irak als Aufnahmeländer nennen.

Die Rechtfertigungen für die Transfer-Pläne in den 30er Jahren wurden die Eckpunkte auch derjenigen Argumentationen nach 1948 und im Zuge der 1967er Besetzung der Westbank und des Gaza-Streifens, Nach 1967 bekräftigten die zionistischen Territorialmaximalisten und die Befürworter eines Transfers in aller Öffentlichkeit, dass an der Idee an sich nichts Unmoralisches sei. Sie behaupteten, dass Palästinenser keineswegs ein eigenes Volk seien, sondern lediglich Araber, bzw. arabische Bevölkerung oder eine arabische Gemeinschaft, die historisch zufällig im Land Israel anwesend sei.

Eng verbunden mit dieser Idee der Nicht-Existenz der Palästinenser als Nation und ihrer Unverbundenheit mit dem Boden Palästinas war die Idee, die Palästinenser gehörten einer arabischen Nation mit einem weiten Territorium und vielen Ländern an. Ben-Gurion sagte 1929, "Jerusalem ist für die Araber nicht das gleiche wie für die Juden. Die Araber bewohnten schließlich viele großartige Länder (2). Wenn also die Palästinenser keine eigene, bestimmte Nation bildeten, wenn sie wenig Bezug zu Jerusalem hätten, wenn sie kein integraler Bestandteil des Landes seien und wenn sie keine historische Bindung an das Land hätten, dann könnten sie doch ohne große Probleme in andere arabische Länder transferiert werden. Wenn die Palästinenser also nur eine lokale Gruppe einer größeren arabischen Bevölkerung seien, dann seien sie als solche auch gar nicht die Konfliktpartei für Israel; der Staat könne also rechtmäßig über ihre Köpfe hinweg entscheiden.

Im Gegensatz zu ihrer Propaganda des unterbevölkerten Landes, der kulturellen Ödnis und des Anspruchs, die Wüste zum Erblühen zu bringen, wussten die Zionisten nicht nur von Anfang an, dass es Menschen im Land gab, sondern dass es diese in großen Zahlen gab. Israel Zangwill hatte Palästina 1897 besucht und dort die demographische Realität Aug in Aug wahrgenommen, 1905 referierte er vor einer Gruppe von Zionisten in Manchester: "Palästina hat bereits seine Einwohner. Die Provinz Jerusalem ist doppelt so dicht besiedelt wie die Vereinigten Staaten. Es gibt 52 Menschen pro Quadratmeile, davon höchstens 25% jüdisch".(3)

Einer der begeisterten Befürworter einer Transfer-Lösung war David Ben-Gurion. In einem Tagebucheintrag vom 12. Juli 1937 wird seine Begeisterung nicht nur für den Transfer, sondern für einen erzwungenen Transfer deutlich: "Der verpflichtende Transfer von Arabern aus den Tälern des vorgeschlagenen jüdischen Staates könnte uns geben, was wir niemals hatten, selbst damals nicht, als wir in der Zeit des ersten und zweiten Tempels auf eigenen Beinen standen."

Der fromme Wunsch und der naive Glaube des frühen Zionismus, dass die Palästinenser sich über die Grenzen verflüchtigen würden, so Herzl, oder dass sie einfach ihre Zelte zusammenlegten und gingen, so Israel Zangwill, mussten schon bald realistischeren Einschätzungen weichen. Zwischen 1937 und 1948 gab es deshalb zahlreiche geheime Unterredungen auf höchster Ebene der zionistischen Bewegung zum Thema Transfer; in der Zionist Agency Executive, auf dem 20sten Zionistenkongress und der World Convention of Ihud Po'alei Tzion, dem obersten Forum der zionistischen Arbeiterbewegung, sowie in weiteren offiziellen und halboffiziellen Transferkomitees.

Seit Ende der 30er Jahre beinhalteten die Transfer-Pläne Vorschläge für Agrargesetzgebungen, Einschränkungen der Staatsbürgerschaften und verschiedene Steuern, die alle geartet waren, Palästinenser zu ermuntern, freiwillig zu gehen. Allerdings blieben die Pläne und Vorschläge während der 30er und 40er Jahre meist noch reserviert für Gespräche mit britischen und bisweilen auch US-amerikanischen Diplomaten. Die zionistische Führung hütete sich, die hochbrisanten Vorschläge öffentlich zu verbreiten. Die zionistische Führung wurde darüber hinaus nicht müde, zu versuchen, den Bericht der Royal-Peel-Kommission von 1937, der eine Teilung Palästinas zwischen Arabern und Juden vorsah, zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Es ist von der allgemeinen Geschichtsschreibung weitgehend nicht erkannt worden, dass der wichtigste Transfer-Vorschlag, der an die Kommission gereicht wurde - derjenige, der die finale Stellungnahme der Peel-Kommission maßgeblich beeinflusste - von der Jewish Agency als Teil eines Memorandums eingereicht wurde, das einen expliziten Absatz über den Transfer von Arabern nach Jordanien enthielt.


Der Krieg 1948

Die neue Historiographie Israel-Palästinas zeigt, dass in Wahrheit die israelische Armee während des 1948er Krieges der regulären ebenso wie der irregulären arabischen Armee, soweit sie im umstrittenen Gebiet tatsächlich im Einsatz war, zahlenmäßig überlegen war. Die Schätzungen schwanken, aber man kann davon ausgehen, dass am 15. Mai 1948 Israel 35000 Soldaten im Einsatz hatte, während auf arabischer Seite lediglich 20-25000 Soldaten in Betracht kommen. Im Verlauf des Krieges importierte Israel Geschütze, Panzer und Flugzeuge aus den Ostblock-Staaten; das hat die Balance entscheidend für Israel beeinflusst. Während der zweiten Jahreshälfte 1948 waren die Israelis den Palästinensern und der arabischen Armee nicht nur an Zahlen sondern auch in puncto Feuerkraft überlegen. Die arabische Armee, die Israel 1948 gegenüber stand war eine der uneinigsten, schlecht organisertesten und zusammen gezimmerten Koalitionen in der Geschichte des Krieges. Der Ausgang des 1948er Krieges war kein Wunder, sondern das Ergebnis des israelisch-arabischen Kräfteverhältnisses. Die Haganah zerstörte in verschiedenen Gegenden vollständig die arabischen Dörfer.

Die Transfer-Pläne wurden allgemein akzeptiert und im Geheimen weiter verbreitet, was ein ideologisch begründetes Verständnis vom Umgang mit der einheimischen Bevölkerung nahelegt. Ben-Gurion erscheint in den Quellen ganz klar als Befürworter eines Zwangstransfers in den späten 30er Jahren und als Befürworter der Vertreibung 1948. 1948 brauchte man keine Regierungsdirektive um die Palästinenser zu vertreiben. Ben-Gurion und weitere zionistische Militärführer wie beispielsweise Yigal Allon, Moshe Carmel, Yigael Yadin, Moshe Dayan, Moshe Kalman und Yitzhak Rabin spielten eine Schlüsselrolle in den Vertreibungen. Jeder, auf jeder Ebene der militärischen und politischen Entscheidung verstand, dass das Ziel ein jüdischer Staat ohne große arabische Majorität sein würde.

Ben-Gurion propagierte zwei Mythen: die angeblichen Befehle der benachbarten arabischen Staaten und des Hadsch Amin Al-Husseini, des Mufti von Jerusalem. Diese hätten den Palästinensern befohlen, ihre Häuser zu verlassen und versprochen, den Staat Israel durch die arabische Armee zu zerstören und die Juden, tot oder lebendig, in das Meer zu treiben. Ben-Gurion hat nie eine Quelle für diese Behauptung genannt. Seit dem zweiten Weltkrieg ist die Shoah als Legitimierung des Zionismus benutzt worden. Die Formulierung "die Juden ins Meer treiben" - eine sehr emotionale Formulierung, die die Erinnerung an den Holocaust hochbringt - hat seitdem eine beinahe mystische Dimension erreicht und wird andauernd von Israelis und Zionisten gebraucht, um die Politik Israels gegen die Palästinenser sowie die anhaltende Besetzung der Westbank, des Gaza-Streifens und Ostjerusalems zu rechtfertigen.

Ben-Gurion und seine Kommandeure haben die Palästinenser umgekehrt zwar nicht ins Meer getrieben, aber sie haben sie aus ihren Häusern und Dörfern und von ihrem angestammten Boden vertrieben. Die Ironie von Ben-Gurions zynischer Formulierung sollte nicht verkannt werden: er erwartete Solidarität angesichts einer fiktiven Absicht auf Seiten der Palästinenser und Araber während er seine eigene direkte und persönliche Verwicklung in die ethnische Säuberung des Landes von Palästinensern verschwieg.


Zionistische Hegemonialpolitik

1948 wurden mehr als die Hälfte aller Palästinenser aus ihren Dörfern und Siedlungen in überwiegender Weise als Folge bewusster israelischer Politik des Transfers und der ethnischen Säuberung vertrieben. Der Name Palästina verschwand von der Landkarte. Um die Umwandlung des Landes zu vervollständigen, ist 1948 ein geheimes Transfer Komitee offiziell vom israelischen Kabinett ernannt worden um die Ansiedlung der palästinensischen Flüchtlinge in den arabischen Nachbarstaaten zu organisieren. Das dreiköpfige Komitee bestand aus Ezra Danin, einem vormaligen Geheimdienstoffizier der Haganah und seit Juli 1948 leitendem Berater des Außenministeriums in Sachen arabischer Angelegenheiten; Zalman Lifschitz, Berater des Premierministers in Sachen Landfragen und aus Yosef Weitz, Direktor der Siedlungsabteilung des Jüdischen Nationalfonds als Vorsitzendem des Komitees.

Diese drei waren die Hauptverantwortlichen für die Propaganda und die Mythen, welche die Flüchtlinge betrafen. Sie taten alles um die palästinensische Bevölkerung in Israel zu verringern. Im Oktober 1948 begründeten Weitz und seine Kollegen folgende Punkte: die Flüchtlinge seien an einer Rückkehr zu hindern, arabische Dörfer seien zu zerstören, jüdische Siedler seien in arabischen Dörfern anzusiedeln, arabisches Land sei an jüdische Siedler zu verteilen, Juden seien aus Irak und aus Syrien zu evakuieren und Wege seien zu finden, die palästinensischen Flüchtlinge durch die arabischen Staaten aufnehmen zu lassen. Insgesamt solle eine Propaganda Kampagne gestartet werden, die Flüchtlinge von einer Rückkehr abzuhalten und sie in dieser Hinsicht zu entmutigen.

Premierminister Ben-Gurion hat diesen Vorschlägen zugestimmt. Persönlich war er der Ansicht, dass alle Palästinenser am Besten im Irak anzusiedeln seien und nicht verstreut in den verschiedenen Ländern. Flüchtlingslager im benachbarten Jordanien lehnte er ebenfalls ab.(4)

Ein umfassende Studie palästinensischer Wissenschaftler unter der Leitung von Walid Khalidi hat die Zerstörung von 418 Dörfern innerhalb der Waffenstillstandslinie von 1949 dokumentiert. Die Studie listet die Umstände der Besetzung jedes einzelnen Dorfes, der Entvölkerung und dessen, was übrig geblieben ist. Das Team von Walid Khalidi hat alle bis auf vierzehn Dörfer besucht und Berichte sowie Fotographien angefertigt. Das Ergebnis ist sowohl eine monumentale Studie als auch eine Art Denkmal. Es ist die Anerkennung und Erinnerung an das Leid hunderttausender palästinensischer Flüchtlinge.(5) Von den 418 entvölkerten Dörfern sind 293 vollständig und 90 zu einem großen Teil zerstört worden. Sieben existieren heute noch, sind aber von israelischen Siedlern besetzt. Einige wenige der verstreuten arabischen Dörfern sind erhalten geblieben und mit großem Aufwand restauriert und geschützt, aber nicht mehr von Palästinensern bewohnt. Es handelt sich um sogenannte Künstlerkolonien.

Die Zerstörung der palästinensischen Dörfer und die systematische Tilgung der Palästinenser aus der Geschichte und der Kartographie zeigen sich in der Tilgung der Namen der zerstörten Dörfer von den Landkarten. Die historischen arabischen Namen von bestimmten landschaftlichen Besonderheiten wurden durch neu erfundene hebräische ersetzt. Manche dieser Namen haben biblische Konnotation um ihnen den Anstrich der Tradition zu geben.

Das Verschwinden Palästinas im Jahre 1948, die Tilgung der demographischen und politischen Realitäten des historischen Palästina und die Streichung der Palästinenser aus der Geschichte zeigt eine Kerndifferenz im zionistischen Denken, nämlich die Differenz von Leugnung und Bestätigung. Die Tilgung des historischen Palästina von den Landkarten war nicht nur gemeint als Stärkung des neu gegründeten Staates, sondern auch um den Mythos vom ungebrochenen Band zwischen den Tagen der antiken Israeliten und dem modernen Staat Israel zu betonen. Die zionistischen Projekte der Zeit nach 1948 konzentrierten sich auf die Hebräisierung und Judaisierung der palästinensischen Geographie. Das zentrale Mittel war die Umbenennung von historischen Stätten, Plätzen und Ereignissen. Die neuen hebräischen Namen verkörperten eine ideologische Stoßrichtung und politische Ziele, die bewusst in das zionistische Hegemonieprojekt eingebaut werden konnten.


Nur Masalha, School of Theology, Philosophy and History; St Mary's University College (University of Surrey), England.


Anmerkungen:

(1) Yosef Heller, 1984 Bamavak Lemendinah: Hamediniyut Hatziyonit Bashanim 1936-48 [The Struggle for the State: The Zionist Policy 1936-48], Jerusalem 1984, (Hebräisch), S. 140.

(2) Shabtai Teveth, Ben-Gurion and the Palestinian Arabs, Oxford: Oxford University Press, 1985, S. 39.

(3) Israel Zangwill, Speeches, Articles and Letters; London: Soncino Press, 1937, S. 210.

(4) Benny Morris, 'Operation Dani and the Palestinian Exodus from Lydda and Ramle in 1948', Middle East Journal 40, no. 1 (Winter): 1986-87, S. 549 f.

(5) Walid Khalidi (ed.), All That Remains: The Palestinian Villages Occupied and Depopulated by Israel in 1948, Washington D.C.: Institute for Palestine Studies, 1992.


*


Inhaltsverzeichnis - inamo Nr. 54, Sommer 2008

Gastkommentar:
- Das Abkommen von Doha: Nur ein kurzes Atemholen, von Ahmad Hissou

60 Jahre Nakba:
- Die Nakba, die Katastrophe von 1948, von Nur Masalha
- Die Dorfdossiers, von Ilan Pappé
- Die Schaffung des palästinensischen Flüchtlingsproblems, Saleh Abdel Jawad
- Indigener Widerstand und israelische Politik während der Post-Nakba Zeit,
   von Nur Masalha
- Formen palästinensischer Selbstorganisation, von Katja Hermann
- Saffuriyya 1948 und 2005, von Isabelle Humphries
- Vorübergehender Schutz für palästinensische Flüchtlinge: Ein Vorschlag,
   von Susan Akram/Terry Rempel
- Kopenhagen: 6. Konferenz der Palästinenser in Europa,
   von Oliver F. Hashemizadeh
- Die Tilgung der Erinnerung, von Gabriel Piterberg
- 1948 Erinnerungen an eine Palmach-Soldatin, von Tikva Honig-Parnass

Extraordinary Renditions:
- Verschleppung und Folter als Programm, von Heiner Busch
- Fälle

Berlin:
- "Business as usual"? Neokonservatives Kriegsgetrommel in Berlin,
   von Ali Fathollah-Nejad

Islam:
- Richtlinie für die Ausübung islamischer Kulthandlungen im Weltall,
   von Nils Fischer

Wirtschaftskommentar:
- Irans wirtschaftliche Miseren, von Mohssen Massarrat

Zeitensprung:
- 15. November 2003: Bremers "Demokratiekonzept" scheitert am Eingreifen Sistanis,
   von Gilbert Achcar

Ex libris:
- Torture and the Twilight of Empire. From Algiers to Baghdad.
- The Israel Lobby and U.S. Foreign Policy.
   Von Werner Ruf - Michael Bröning

Nachrichten//Ticker//


*


Quelle:
INAMO Nr. 54, Jahrgang 14, Sommer 2008, Seite 4 - 7
Berichte & Analysen zu Politik und Gesellschaft des Nahen und
Mittleren Ostens
Herausgeber: Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten e.V.
Redaktion: INAMO, Postfach 310727, 10637 Berlin
Telefon: 030/864 218 45
E-Mail: redaktion@inamo.de
Internet: www.inamo.de

Die inamo erscheint vierteljährlich, sie kann zum Preis
von 21 Euro inkl. Versand (innerhalb Deutschlands) bei
der Redakion abonniert werden.

inamo e.V. ist auf Unterstützung angewiesen.
Spenden sind willkommen.


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. August 2008