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NEUZEIT/182: März 1919 - Blutige Niederschlagung des Generalstreiks in Berlin (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 3. März 2009

»Wie eine Feldschlacht«
März 1919: Blutige Niederschlagung des Generalstreiks in Berlin

Von Manfred Weißbecker


Ausgangspunkte des Weges der Weimarer Republik in den Untergang ließen sich bereits 1919 erkennen, nicht zuletzt auch in der grausam-blutigen Niederschlagung des Generalstreiks Berliner Arbeiter, den durchzuführen am 4. März vor 90 Jahren die Vollversammlung der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte beschlossen hatte. In ihm spiegelten sich Unzufriedenheit mit den Regierenden, Empörung und die Bereitschaft, sich von Staatsbürokratie und Militär nicht nehmen zu lassen, was in den ersten Revolutionstagen an neuen demokratischen und sozialen Rechten erreicht oder zumindest versprochen worden war. Zuvor hatte es bereits in vielen Teilen Deutschlands Streiks gegeben, auch bewaffnete Auseinandersetzungen, nachdem jeweils Truppen gegen die Streikenden aufmarschiert waren und bürgerkriegsähnliche Zustände herbeigeführt hatten. Große Teile der Arbeiterschaft sahen in den aus sozialem Protest erwachsenden politischen Streiks ein Mittel, die versprochene Sozialisierung entscheidender Betriebe und so einen Ausweg aus ihrer katastrophalen sozialen Situation zu bewirken. Das, was Nationalversammlung und die Regierung des Sozialdemokraten Philipp Scheidemann taten oder unterließen, stieß zunehmend auf Unverständnis und Kritik. Man verlangte von diesen energisches Handeln, erlebte indessen nur Sprüche, Ausflüchte und Versprechungen. Das Vertrauen zahlreicher Mitglieder und Anhänger in die Sozialdemokratische Partei schwand rasch dahin, nicht zuletzt auch deshalb, weil deren Führung alles tat, um das Wirkungsfeld der Arbeiterräte einzuschränken bzw. gänzlich aufzuheben.


Politische Forderungen

Den Streikenden ging es neben ihrem sozialen Anliegen hauptsächlich um politische Forderungen. So verlangten sie nachdrücklich eine Weiterexistenz der Arbeiter- und Soldatenräte, da von deren Recht auf Mitsprache in Regierungssachen, erst recht von ihrer Kontrollfunktion gegenüber der Regierung diese absolut nichts wissen wollte. Die Demokratie-Vorstellungen regierender Parteien und Politiker erlaubten keine Institution, die als Korrektiv ihrer Politik hätte wirken können. Sie setzten auf polizeiliche und militärische Gewalt, weshalb der Generalstreik auch auf eine Auflösung der Freikorpsverbände und die Aufstellung einer Arbeiterwehr zielten - und ebenso auf die Freilassung aller politischen Gefangenen und die Inhaftierung der Mörder von Liebknecht und Luxemburg. Gegen die Streikaktionen leiteten die Herrschenden einerseits eine propagandistische Offensive ein, die glauben machen wollte, die Sozialisierung »marschiere« bereits. Andererseits trafen sie umfangreiche polizeiliche und militärische Maßnahmen. Kaum war der Generalstreik beschlossen, verhängte das Preußische Staatsministerium den Belagerungszustand, die vollziehende Gewalt wurde Reichswehrminister Gustav Noske übertragen. Kommandeur jener rund 30 000 Mitglieder von Freikorps, die am 4. März die Hauptstadt besetzten, war der spätere Kapp-Putschist General Walter Freiherr von Lüttwitz. Am 5. März begannen seine Truppen - wie die bürgerliche Presse nicht ohne Freude berichtete - »mit allen Mitteln der Feldschlacht« die Stützpunkte revolutionärer Arbeitergruppen sowie der als unzuverlässig bezeichneten »Sicherheitswehren « einschließlich der Volksmarinedivision anzugreifen. Unter dem Druck der bewaffneten zehnfachen Übermacht mußten sich diese aus dem Zentrum Berlins zurückziehen. In den Stadtbezirken Friedrichshain und Lichtenberg dauerten die erbitterten Kämpfe bis zum 13. März an. Mehr als 1 000 Berliner Arbeiter fielen den terroristisch wütenden Garden zum Opfer.


Weißer Terror

Um Einsatz und Vorgehen des Militärs rechtfertigen zu können, scheute man weder irreführende Behauptungen noch Lügen. Noske berief sich auf die »Grausamkeit und Bestialität der gegen uns kämpfenden Spartakisten«, als er am 9. März befahl: »Jede Person, die mit den Waffen in der Hand gegen Regierungstruppen kämpfend angetroffen wird, ist sofort zu erschießen.« Bestialisch, so hieß es auch, sei die Ermordung von 60 bis 150 Beamten in Lichtenberg gewesen. Doch dies stellte sich rasch als ein bewußt lancierter Schwindel heraus. Tatsächlich waren zwei Kriminalbeamte ums Leben gekommen; einer in den bewaffneten Auseinandersetzungen, und über die Todesart des anderen konnte offiziell nichts festgestellt werden. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner war nicht gesucht worden. Wird in der geschichtswissenschaftlichen Literatur und in den Medien an jene Ereignisse erinnert, lassen sich unterschiedlichste Deutungen erkennen, sei es in der Darstellung dessen, was dem Generalstreik vorausgegangen war, oder der Erklärung seiner Ziele sowie der terroristischen Methoden, mit denen ihm ein bitteres Ende bereitet worden ist. So manche Darstellung gipfelt in der Behauptung, es habe sich nach dem »Spartakus-Aufstand« vom Januar 1919 um den zweiten Versuch der Kommunisten gehandelt, in Deutschland die politische Macht zu erringen. Inzwischen hat die Forschung zumindest für die Januar-Kämpfe eindeutig nachgewiesen, daß andere Kräfte in der Arbeiterbewegung initiativ geworden waren, überhöhte Forderungen wie die nach einem Rücktritt von Ebert und Scheidemann gestellt haben und als Träger gewalttätiger Aktionen zu bewerten sind. In Berlin gab es überhaupt nur einige hundert Mitglieder der KPD, deren Situation nach der Ermordung ihrer führenden Köpfe zudem sehr schwierig geworden war. Ihr Rückhalt in den Arbeiter- und Soldatenräten war eher gering, denn da dominierten Mitglieder und Anhänger der beiden sozialdemokratischen Parteien, der »Zentralrat der sozialistischen Republik Deutschland« bestand sogar lediglich aus Angehörigen der SPD.


Für die KPD war bewaffnete Gewalt zweitrangig

Wird geschrieben oder gelehrt, die Kommunisten hätten im März 1919 um die Macht gerungen, ist schlichte Unkenntnis, eher aber politische Desinformation erkennbar. »Laßt Euch nicht in unnütze Schießereien ein, auf die der Noske nur lauert«, verlangte die Führung der KPD in der Februar-Ausgabe der Roten Fahne. In sich noch wenig homogen und in Grundsatzfragen zerrissen, sah die Partei sich großen Schwierigkeiten gegenübergestellt. In seinem Brief vom 27. März an Lenin hielt Paul Levi, der nach der Ermordung von Leo Jogiches die Führung der Partei übernommen hatte, alle Streiks mit politischem Charakter »für unerwünscht«. Solange sie »partiell« blieben, würden die Mittel der Regierung reichen, sie zu unterdrücken. Es sei alles Mögliche zu tun, »um die Leute davon zurückzuhalten, der Regierung irgendeine Möglichkeit zum Blutvergießen zu geben«. Levi fügte hinzu: »Vom letzteren können wir die Proletarier - nicht aber die Regierung - zurückhalten. Vom Streik selbst nicht: die Arbeiter laufen buchstäblich von selbst aus den Betrieben, so groß ist die Erbitterung. Andererseits können wir natürlich der Streikbewegung auch nicht bremsend entgegentreten: zumal ja der Generalausstand allem Anschein nach in Deutschland aus einer immer schnelleren Folge von partiellen Ausständen herauswachsen wird. Es ist in Deutschland immerhin eine syndikalistische Strömung in gewissem Umfang vorhanden: Es ist manchmal nicht leicht, unsere Leute von solchen Torheiten zurückzuhalten. Zumal wir auch innerhalb unserer Organisation gewisse Versuche aus jenem Lager haben, die direkt auf Staatsstreiche innerhalb unserer Organisation hinausliefen.« Neuere Forschungen zum Wirken von Spartakusbund und KPD haben eindeutig festgestellt, daß in ihren Strategievorstellungen die Anwendung bewaffneter Gewalt eine zweitrangige Rolle spielte, auch wenn es dazu in Widerspruch stehende Äußerungen gegeben hat. Der Ruf von Verantwortungslosigkeit und Radikalität haftet ihr, die nach den Auseinandersetzungen im März faktisch in die Illegalität gedrängt wurde, weitgehend zu Unrecht an. Andererseits dachten und handelten 1919 jene, die dank der Revolution Regierungsgewalt hatten übernehmen können, im Grunde gemäß einer Parole aus den Jahren 1848/49: »Gegen Demokraten helfen nur Soldaten!« Nicht anders klang es, als Wilhelm II. von den jungen Männern, die im November 1891 in einer Potsdamer Kaserne zur Vereidigung angetreten waren, forderte: »Bei den jetzigen sozialistischen Umtrieben kann es vorkommen, daß Ich Euch befehle, Eure eigenen Verwandten, Brüder, ja Eltern niederzuschießen (...).« Auch im März 1919 wurde die alte Forderung nach strikter Trennung polizeilicher und militärischer Gewalt - ein unabdingbares Merkmal von Demokratie bei der Sicherung innenpolitischer Verhältnisse - über Bord geworfen. Das solcher Politik dienende Argument vom »roten Terror« in Deutschland und ebenso die wüste Beschimpfung der Revolutionäre als »Novemberverbrecher « beschworen in Deutschland auch danach immer wieder nationalliberale und konservative Kräfte, am schlimmsten schließlich die NSDAP.


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Quelle:
junge Welt vom 07.03.2009
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. April 2009