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NEUZEIT/185: April 1944 - Die Wende von Salerno (Gerhard Feldbauer)



junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 22. April 2009

Die Wende von Salerno

Geschichte. Im April 1944 setzte Italiens KP-Chef Palmiro Togliatti sein Konzept einer gegen Nazideutschland gerichteten Kriegskoalition durch. Welche Schlüsse können daraus für heutige Antikriegsbündnisse in Deutschland gezogen werden?

Von Gerhard Feldbauer

Nach dem Sturz Mussolinis durch eine Palastrevolte am 25. Juli 1943 beauftragte König Vittorio Emanuele III. Marschall Pietro Badoglio mit der Bildung einer Militärregierung. Die Verschwörer handelten unter dem Druck der antifaschistischen Kräfte, die sich mit der Kommunistischen Partei (IKP) an der Spitze zum Sturz der Diktatur formierten. Die herrschenden Kreise erkannten auch, daß Hitlerdeutschland nach Stalingrad den Krieg nicht mehr gewinnen konnte, und wollten sich in die absehbare Niederlage nicht hineinziehen lassen. Nach dem Sturz des »Duce« brachen sie mit der faschistischen Achse, schlossen einen Waffenstillstand und wechselten auf die Seite der Antihitlerkoalition. Daraufhin besetzte die Hitlerwehrmacht am 8. September 1943 Nord- und Mittelitalien und entwaffnete die italienischen Streitkräfte, die sich vielerorts dagegen erbittert zur Wehr setzten (siehe jW-Geschichte vom 6./7.9.2008). Im Inneren blieb das Ziel der Verschwörer jedoch, die faschistische Diktatur in eine autoritär-reaktionäre, auf Monarchie, Militär und Klerus gestützte umzuwandeln (siehe jW-Geschichte vom 19./20.7.2008).


Reaktionäres Konzept

Ihr Vorgehen fand die teils stillschweigende, teils offene Billigung der Alliierten. In den von ihnen besetzten Gebieten entfernten sie lediglich die faschistischen Präfekten aus ihren Ämtern, ließen ansonsten den faschistischen Machtapparat weitgehend unangetastet. Die reaktionäre Konzeption stieß auf den Widerstand der Mehrheit des nationalen Befreiungskomitees Comitato di Liberazione Nazionale (CLN), das auf Initiative der IKP am 8. September 1943 von Kommunisten, Sozialisten, den kleinbürgerlich-radikal-demokratischen Aktionisten, Christdemokraten, Republikanern und Liberalen gebildet worden war. Am entschiedensten trat ihr von Anfang die IKP entgegen.

Wie sollte man sich gegenüber Badoglio verhalten? Er war ein rücksichtsloser Vertreter der faschistischen Expansionspolitik gewesen, hatte als Befehlshaber der Kolonialarmee bei der Eroberung Äthiopiens 1935/36 das Giftgas Yperit eingesetzt, das zahlreiche der 275000 Opfer des Feldzugs tötete. 1940 erkannte er jedoch die Risiken eines Kriegseintritts Italiens an der Seite Hitlerdeutschlands, sprach sich dagegen aus und trat als Generalstabschef zurück. Während Feldmarschall Friedrich Paulus noch Hitlers Befehle zur Eroberung Stalingrads befolgte, traf Badoglio bereits im November 1942, noch vor der Niederlage der Wehrmacht an der Wolga, in Mailand in der Wohnung des Eisen- und Stahlkönigs Enrico Falck mit führenden Großindustriellen zusammen, um ein Ausscheiden Italiens aus dem Krieg zu erörtern.

Trotz der verfolgten reaktionären Ziele leisteten die Palastverschwörer als Vertreter realistisch denkender Kreise der Großbourgeoisie objektiv einen Beitrag zur Schwächung Hitlerdeutschlands und trugen zu einem früheren Ende des Krieges bei. Sie setzten dabei auch ihr Leben aufs Spiel. Am 22. August scheiterte ein von Hitler geplantes Kommandounternehmen zur Liquidierung der Badoglio-Regierung, das in Rom Marschall Ugo Cavallero leiten sollte. Mussolinis Schwiegersohn, Graf Ciano, wurde als Teilnehmer an der Palastrevolte am 11. Januar 1944 hingerichtet. Dieser Aspekt ist in der 2008 zu Recht geführten Diskussion über die verbrecherische Vergangenheit der Verschwörer vom Juli 1944 gegen Hitler nicht genügend berücksichtigt worden.


Absprache mit Stalin

Wie aus den Tagebüchern Georgi Dimitroffs hervorgeht, beriet Stalin in der Nacht vom 4. zum 5. März 1944 mit IKP-Generalsekretär Palmiro Togliatti (1893-1964) das weitere Vorgehen in Italien. Die UdSSR ging von der Erklärung der Moskauer Außenministerkonferenz (USA, Großbritannien, UdSSR) im Oktober 1943 »über Italien« aus, in der es hieß, »daß die gemeinsame Politik der Verbündeten in Italien zur völligen Vernichtung des Faschismus und zur Errichtung eines demokratischen Regimes führen muß«.(1)

In Moskau war man sich darüber im klaren, daß man die Badoglio-Regierung berücksichtigen mußte. Davon zeugte, daß der sowjetische Vertreter im Advisory Council of Italy, einem auf der Moskauer Konferenz geschaffener Beobachterrat, am 8. Januar 1944 mit Badoglios Außenminister zusammentraf, um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu sondieren. In London vermutete man nicht zu Unrecht, daß es Stalin um weitergehende Ziele ging, was den britischen Premier Winston Churchill veranlaßte, sich am 22. Januar unmißverständlich für die Beibehaltung der Monarchie zu erklären, sich vorbehaltlos hinter Badoglio zu stellen und einen Beitritt der Parteien des Nationalen Befreiungskomitees in die Regierung abzulehnen. US-Präsident Franklin D. Roosevelt sprach sich jedoch in einem Brief an Churchill am 13. März für den »Rückzug Emanuele III. von der Politik« und »für die Einbeziehung der Antifaschisten in die Regierung Italiens« aus. Einen Tag später gab die UdSSR im Alleingang die Anerkennung der Regierung Badoglios bekannt. Der Schritt wertete dessen Kabinett auf und durchkreuzte die Ziele westlicher Alliierter, an erster Stelle Großbritanniens, Italien als besetztes Land zu behandeln und ihm den Status eines gleichberechtigten Mitglieds der Antihitlerkoalition zu verwehren. Washington und London nahmen danach keine diplomatischen Beziehungen auf, ernannten statt dessen Hohe Kommissare für Italien. Vor diesem Hintergrund kamen sich Moskau und Badoglio näher. Schließlich konnte der Präsident für eine Regierungsbeteiligung der Parteien der Nationalen Befreiungskomitees gewonnen werden.

Am 27. März 1944 kehrte Togliatti aus dem Exil in der UdSSR nach Italien zurück. Vier Tage danach sprach er vor dem Nationalrat der Partei über die Stärkung der Einheit der antifaschistischen Kräfte und die Notwendigkeit der Bildung einer neuen Regierung, die den Charakter eines Übergangskabinetts haben und durch den Beitritt der großen Parteien gestärkt und so in die Lage versetzt werden sollte, die Volksmassen zum Krieg gegen Hitlerdeutschland zu mobilisieren. Togliatti ging von Antonio Gramscis (1891-1937) antifaschistischer Bündniskonzeption aus und vermied, die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft zum aktuellen Ziel zu erklären, da das die großbürgerlichen Verbündeten ausgeschlossen und offene Konfrontation mit Badoglio und dem König bedeutete hätte. Diese Strategie gründete zugleich auf dem Aufruf der Partei »an das italienische Volk« vom 8. September 1943, in dem es hieß: »Die Arbeiterklasse wird die Hauptkraft sein, die das italienische Volk zum Kampf führt, um für immer die Macht der imperialistischen Kräfte, die für den räuberischen Krieg und den Ruin der Nation verantwortlich sind, zu brechen. Deshalb darf die Demokratie, die wir meinen, den rechten Kräften nicht noch einmal erlauben, sich in ihr breitzumachen.«

Togliatti stieß dennoch auf Widerspruch - nicht nur in der eigenen Partei, sondern auch bei Sozialisten und Aktionisten, die forderten, das Ziel einer sozialistischen Gesellschaft klar zu benennen. Vor allem stellten sie zur Bedingung: den sofortigen Rücktritt des Königs, der Mussolini 1922 mit zur Macht verholfen und danach über 20 Jahre zu den Trägern der Diktatur gehört hatte, und die Anerkennung der Republik. Entscheidend trug Luigi Longo, stellvertretender Oberbefehlshaber der Partisanenarmee, dazu bei, den Regierungseintritt verständlich zu machen. »Wir sehen nur die politischen Unannehmlichkeiten einer Zusammenarbeit mit Badoglio, nicht aber die Schwäche eines nationalen Befreiungskrieges, ohne die von ihm kontrollierten und beeinflußten Kräfte«, argumentierte er. Longo erhielt die Unterstützung der Partisanenkommandeure, in deren Einheiten Antifaschisten aller Parteien Schulter an Schulter mit monarchistischen Soldaten und Offizieren kämpften, deren Oberbefehlshaber, formal gesehen, seit dem Sturz Mussolinis wieder der König war. Die Kommandeure, auch der IKP, stimmten zu, daß nicht die Beseitigung der Monarchie das sofortige Ziel sein könne, sondern die gemeinsame Front gegen die deutschen Okkupanten und ihre italienischen Helfershelfer.

Am 22. April traten am Regierungssitz in Salerno die Parteien des Nationalen Befreiungskomitees, ausgenommen die Republikaner, die einen solchen Schritt mit ihrer grundsätzlich antimonarchistischen Haltung als unvereinbar erklärten, in Badoglios Regierung ein. Die IKP übernahm zwei Ministerämter, darunter mit Togliatti eins ohne Ressort und das Landwirtschaftsministerium, das von Bedeutung für die im Süden anstehenden Agrarreformen war. Togliatti verzichtete auf den Volksfrontbegriff der Komintern und hob den Charakter einer »Regierung der nationalen Einheit«, die ein Bekenntnis zum Antifaschismus ablegte, hervor und sprach von einem »Governo Nazionale democratico di Guerra« (Nationaldemokratische Kriegsregierung«). In der Nr. 7/8 vom April 1944 ihrer Zeitschrift La nostra Lotta hieß es: »Wir sind für alles, was unser Land für den Krieg stärkt. Wir sind gegen alles, was es schwächt. In den Reihen der Patrioten, die für die Freiheit des Landes kämpfen, ist Platz für alle Italiener, soweit sie Liebe zu ihrem Vaterland und den heißen Wunsch empfinden, es zu befreien.« Das Ereignis ging als »Wende von Salerno« in die Geschichte ein.


Churchills Unmut

Togliatti wurde oft vorgeworfen, er habe sich mit dem Regierungseintritt auf ein Bündnis mit dem »Schlächter von Abessinien« eingelassen und obendrein einen riskanten Kompromiß geschlossen, weil der König vorher nicht seinen Rücktritt erklärt, sondern ihn unverbindlich nur angekündigt hatte. Die IKP setzte auf ihre starken Positionen in der Resistenza, den mit der Okkupation durch die Hitlerwehrmacht beginnenden bewaffneten Widerstand, und in deren Organ, dem Nationalen Befreiungskomitee.

Nach der Einnahme Roms durch die Alliierten am 4. Juni 1944 erntete Togliatti die Früchte seines Kompromisses. Unter dem Einfluß der Kommunisten, Sozialisten und Aktionisten zwang das Komitee den König, abzudanken und Kronprinz Umberto als Statthalter ohne die Rechte eines Staatschefs einzusetzen. Ferner wurde vereinbart, über die Staatsform nach Kriegsende zu entscheiden (dazu fand 1946 ein Referendum statt, das die Monarchie beseitigte). Gleichzeitig wurde Badoglio zum Rücktritt veranlaßt und der Liberale Ivanhoe Bonomi vom Nationalen Befreiungskomitee - und nicht vom Statthalter - zum Ministerpräsidenten berufen. Das Komitee bildete für die noch von der Hitlerwehrmacht besetzten Gebiete Norditaliens ein Regionalkomitee (Comitato di Liberazione Alta Italia), das der neue Premier mit Zustimmung der Alliierten als Regierungsorgan einsetzte.

Churchill äußerte in einem Telegramm an Stalin am 11. Juni seinen Unmut über die Ablösung Badoglios, den er »den einzig kompetenten Mann, mit dem wir es zu tun hatten« nannte. Er sei durch einen »Haufen überalterter und gefräßiger Politiker« ersetzt worden, die nun versuchten »die italienischen Ansprüche durchzusetzen«. In seinem Antworttelegramm verwies Stalin auf die Zuständigkeit des Advisory Council of Italy zu dieser Frage.(2)

Am 3. Juni 1944 entstand der einheitliche Gewerkschaftsbund Confederazione Generale Italiana del Lavoro (CGIL), in dem Kommunisten und Sozialisten die entscheidenden Funktionen besetzten. Das stärkte die Positionen der Arbeiterklasse als führender Kraft der Resistenza, vereitelte gleichzeitig den alliierten Versuch, die faschistischen Gewerkschaften in »Freie Gewerkschaften« umzuwandeln. Die CGIL war in den besetzten Gebieten in der Sabotage der Kriegsproduktion aktiv und trug im Frühjahr 1945 zur Vorbereitung des Generalstreiks und damit zum bewaffneten Aufstand bei. Im Dezember 1944 nahm die von Kommunisten und Sozialisten gemeinsam wahrgenommene Führung der Partisanenarmee mit dem angloamerikanischen Kommando in Italien offizielle Beziehungen auf.


Gramscis »Blòco stòrico«

Mit der »Wende von Salerno« scheiterten die Pläne reaktionärer Kreise aus den USA und Churchills zur Konservierung der faschistischen Machtstrukturen. Die IKP, die zu einer Massenpartei anwuchs, wurde führende Kraft des Nationalen Befreiungskomitees. Durch die Ablehnung der Sozialfaschismusthese der Komintern hatte sie 1934 ein Aktionseinheitsabkommen mit den Sozialisten zustande gebracht, das im Juli 1937, während des gemeinsamen Kampfes gegen den Franco-Faschismus, mit einem klaren antiimperialistischen Bekenntnis vertieft wurde (Beseitigung des Faschismus und Kapitalismus, Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft). Das einheitliche Handeln der Arbeiterparteien zog erhebliche kleinbürgerliche Schichten und Angehörige der Intelligenz auf ihre Seite und war eine wesentliche Bedingung für das Zustandekommen der antifaschistischen Einheitsregierung. Der Einfluß der IKP basierte des weiteren auf ihrer entscheidenden Rolle in der Partisanenarmee, deren Aufbau vor allem ihr Werk war. Anfang 1944 führten die Partisanen in den besetzten Gebieten Operationen, die 15 Divisionen der Wehrmacht banden. In den Westalpen und den Nordapenninen entstanden im Frühjahr 1944 zwei Partisanenrepubliken und danach zeitweise 15 befreite Gebiete, in denen die örtlichen Organisationen der Nationalen Befreiungskomitees die Macht ausübten und antifaschistisch-demokratische Umgestaltungen einleiteten. Die Partisanenarmee wuchs bis zum Ende des Krieges auf 256000 reguläre Kämpfer an. Die IKP stellte mit ihren Garibaldi-Brigaden davon 155000 und brachte mit 42000 von insgesamt 70000 Gefallenen auch die meisten Opfer.

In Salerno entstand de facto jener »Blòco stòrico«, jener historische Block, der in Gramscis nationaler Bündniskonzeption einen zentralen Stellenwert einnahm, und zwar mit dem Einschluß monarchistischer und großbürgerlicher Kreise in größeren Dimensionen, als sein theoretischer Begründer seinerzeit konzipiert hatte. Wenn die IKP in der Nachkriegsentwicklung versuchte, in ihrer Bündnispolitik gegen die wiedererstehende faschistische Gefahr an die antifaschistische Einheitsregierung anzuknüpfen, ist jedoch die historisch konkrete Situation zu sehen. In Salerno entstand eine Allianz, die sich gegen die deutschen Okkupanten richtete, für welche die Faschisten der Salò-Republik (3) nur noch Erfüllungsgehilfen waren. Es war die Stoßrichtung gegen Hitlerdeutschland, die die »Wende von Salerno« ermöglichte. Die antifaschistische Einheitsregierung war eine Widerspiegelung der Antihitlerkoalition. Als das Ziel dieses Kampfes mit dem Sieg über die deutsche Besatzungsmacht wegfiel, verlor das Bündnis seinen wesentlichen Inhalt und zerfiel. Nicht zuletzt, weil auch die Antihitlerkoalition auseinanderbrach.


Schlußfolgerungen für heute

Kann die »Wende von Salerno« für heute Erfahrungen vermitteln? An erster Stelle wäre zu schlußfolgern, daß angesichts der gegenwärtigen Militarisierung der EU und weltweiter, imperialistischen Expansionszielen dienender, völkerrechts- und grundgesetzwidriger Kriegseinsätze der Bundeswehr es in der Antikriegsfrage keine Begrenzung der Bündnisbreite geben dürfte. Einer der bekanntesten Kriegsgegner, der Bundeswehroberstleutnant Jürgen Rose, schrieb in der Zweiwochenzweitschrift Ossietzky im Januar 2009: »Das Verhalten der militärischen Führung wird nicht mehr unbedingt von vorbehaltloser Bereitschaft zum Kriege bestimmt, sondern oftmals eher von Vorsicht und Zurückhaltung.« Es ist nicht auszuschließen, daß, wenn die Verluste steigen und die Niederlagen zunehmen, die Antikriegshaltung in der Öffentlichkeit noch mehr an Gewicht gewinnt, solche Stimmen wie Roses zunehmen und sich auch höhere Dienstgrade zu Wort melden. Ähnliches dürfte, wenn zur Zeit auch noch in Ausnahmefällen, auf Politiker - sogar aus den Reihen der CDU - zutreffen. Der frühere Staatssekretär im Verteidigungsministerium und heutige Verteidigungsexperte der CDU, Willy Wimmer, forderte im Oktober 2008 einen sofortigen Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan, weil die US-Amerikaner die Bundesrepublik »mit ihrer verhängnisvollen Politik immer tiefer in diesen Sumpf« ziehen. »Die deutschen Soldaten sind keine Handelsware für US-Generäle«, so Wimmer weiter.

Wenn sich realistisch denkende Kräfte bürgerlicher Parteien zu einer Regierungskoalition, die deutsche Soldaten von allen Kriegsschauplätzen abzieht und aus der NATO austritt, zusammenfänden, könnte eine Beteiligung der Partei Die Linke an ihr gutgeheißen, ja sogar erforderlich werden.

In diesem Zusammenhang stellen sich jedoch weitere Lehren der »Wende von Salerno«, von denen hier aus Platzgründen nur einige wesentliche genannt werden können: Die Kräftekonstellation und die Haltungen der Linken in der Bundesrepublik unterscheiden sich heute grundsätzlich von der in Italien 1944. Da die DKP derzeit über keine direkten Möglichkeiten des Einflusses auf Bundesregierungs- und Parlamentsebene verfügt, müßte ihren Platz die Linkspartei einnehmen. Über ihre Stärke im Parlament und ihre dadurch hoffentlich wachsenden Möglichkeiten werden die Bundestagswahlen 2009 Auskunft geben.

Dazu ist ihr anzuraten, daß man mit Antikriegspositionen, auch das ist eine Lehre von Salerno, zusätzlich Stimmen gewinnen kann. Eine weitere lautet »Aktionseinheit« oder, wem dieser Begriff heute suspekt ist, »Zusammenarbeit«, »Bündelung linker Kräfte«, in erster Linie mit der konsequentesten Antikriegskraft, der DKP. Derzeit scheint die Linkspartei jedoch dazu kaum bereit, liebäugelt eher mit der völlig verbürgerlichten und heruntergewirtschafteten SPD, die natürlich nicht im geringsten mit den auf antiimperialistischen und revolutionären Positionen stehenden italienischen Sozialisten von damals verglichen werden kann. Mit antikommunistischen Positionen, wie sie Die Linke häufig bezieht, kann man perspektivisch keine erfolgreiche Antikriegspolitik betreiben. Ein Gesichtspunkt ist unbedingt noch zu erwähnen. Eine revolutionäre Linke kann ihre grundsätzlichen sozialistischen Ziele zwar zurückstellen, darf sie aber nie verheimlichen oder gar aufgeben.


Anmerkungen:

(1) Geschichte der sowjetischen Außenpolitik, Bd. I, 1917 bis 1945, Berlin (DDR) 1969, S. 498 f.

(2) Andrei A. Gromyko u. a. (Hg.): Briefwechsel Stalins mit Churchill, Attlee, Roosevelt und Truman 1941-1945, Berlin (DDR) 1961, S. 284 f.

(3) Von Mussolini nach seinem Sturz unter dem Besatzungsregime Hitlerdeutschlands gebildete Pseudorepublik mit Sitz in Salò am Gardasee


Von Gerhard Feldbauer erschien im letzten Jahr das Buch »Geschichte Italiens. Vom Risorgimento bis heute«, PapyRossa Verlag, Köln, 360 S., brosch., 19,90 Euro


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Quelle:
junge Welt vom 22.04.2009
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. April 2009