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NEUZEIT/208: Zwangskollektivierung und bäuerlicher Widerstand in der DDR (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 333 - Mai 2010,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

"Nicht das Ende der Geschichte"

Vor 50 Jahren legte die Zwangskollektivierung den Grundstein
für die heutige industrielle Agrarstruktur des Ostens

Von Claudia Schievelbein


Ironie der Verzweiflung spricht aus den Namensvorschlägen für neugegründete landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) Anfang der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, die in den Akten der Bundesbehörde für die Unterlagen des Staatsicherheitsdienstes der ehemaligen DDR dokumentiert sind: "LPG Bauernfang", "LPG Verlorenes Glück" oder gleich "LPG Untergang" hatten sich die neuen Genossen für ihre LPG ausgedacht und drückten damit aus, was sie von der Art und Weise der Durchsetzung, aber auch von der Idee der kollektivierten Landwirtschaft des SED-Regimes hielten. Vorangegangen war das, was unter dem beschönigenden Titel des "sozialistischen Frühlings auf dem Lande" im April 1960 seinen Höhepunkt gefunden hatte. Durch die ineinandergreifenden Elemente der Bodenreform 1945, die die sogenannten Junker mit mehr als 100 ha Land enteignete und der dann in den fünfziger Jahren folgenden Zwangskollektivierung allen Bauernlandes entstanden Strukturen, wie sie alle sozialistischen Denker und Lenker in ihren Weltentwürfen vorsahen - Bauern als Werktätige auf dem Acker des Volkes, ohne eigenes Eigentum an Produktionsgütern, so beschrieb es Historiker Jens Schöne auf einer gemeinsam von den Landesbeauftragten für die Unterlagen der Stasi und der AbL durchgeführten Tagung in Berlin. Dass die meisten Bauern und Bäuerinnen aufgrund ihrer Tradition und Sozialisation Probleme mit so einer Weltsicht haben, wurde deutlich, als Zeitzeugen aus jener Zeit vor 50 Jahren berichteten.


"Aufklärer" unterwegs

Bei Siegfried und Doris Goldbach standen eine ganze Nacht Lautsprecherwagen auf dem Hof und beschallten die Bauersleute mit "aufklärerischen" Parolen. Am nächsten Morgen dann wurde der Bauer, der sich nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft einen Hof mit 50 ha Land neu aufgebaut hatte, auf das Gemeindeamt zitiert. Dort wurde ihm Zuchthaus angedroht, wenn er nicht endlich als letzter des Dorfes in die LPG eintreten würde. Manfred Probst war 14 Jahre alt, als im Frühjahr 1960 die sogenannten Aufklärer auf den elterlichen Hof bei Dresden kamen und seinen Vater bedrängten. "Es war ein frühes Frühjahr, mein Vater musste arbeiten und wurde diese Leute nicht los. Einmal hat er beim Abdrehen der Drillmaschine den Hund von der Leine gelassen, weil er es nicht mehr ertragen konnte. Nachts saß dann der Rat des Kreises bei uns im Wohnzimmer, mein Vater lebte nur noch in Angst, ihm wurde massiv gedroht. Schließlich unterschrieb er, strich aber das Wort "freiwillig" im LPG-Beitrittsdokument." Kurz danach flüchtete Probst mit seiner Familie in den Westen, in den Flüchtlingslagern trafen sie auf viele Bauernfamilien mit gleichem Schicksal.


Gehen oder Bleiben?

Das Dilemma, in dem die steckten, die gingen, aber auch die, die blieben, beschrieb Soziologe Falco Werkentin. Viele Bauern und Bäuerinnen konnten aus ihrer Sozialisiation heraus nicht einfach ihren Hof verlassen, den Acker nicht mehr bestellen, oder das Vieh nicht mehr versorgen, also in Streik treten oder fliehen. Es kam vielerorts zu Solidaraktionen der Bauern untereinander, wenn das Regime einzelne durch Repressionen gefügig machen wollte oder bei Nichtablieferung des Pflichtsolls, also eines bestimmten Ernteanteils, mit der Enteignung des Hofes drohte. "Die Geschichte der Zwangskollektivierung ist die Geschichte bäuerlichen Widerstandes", so Werkentin. Er dokumentiert den Schauprozess eines säumigen Bauern, der enteignet und ins Zuchthaus gesteckt wurde. Berufskollegen verhalfen ihm zur Flucht, gingen aber selbst wieder auf ihre Höfe zurück. Nun erwartete sie dasselbe Schicksal aus Enteignung und jahrelangem Zuchthaus. Überwachung durch die Stasi, das zeigt die umfassende Dokumentation der Vorgänge, war allgegenwärtig. Die Stasi-Akten dokumentieren auch, dass nach dem Ende des "sozialistischen Frühlings" noch lange keine Ruhe auf den Dörfern einkehrte. Daniela Münkel von der Bundesbehörde für die Stasiunterlagen wusste in der Folgezeit von verhinderten LPG-Gründungsversammlungen oder Austrittsversuchen aus der neuen Genossenschaft zu berichten. Die große Flucht der Bauern und Bäuerinnen 1960 wird von den befassten Historikern in direkten Zusammenhang mit dem ein Jahr später stattfindenden Mauerbau gebracht. Nach dem massiven Weggang der Bauern und Bäuerinnen und den verhältnismäßig unproduktiveren neuen Agrargroßstrukturen wurden Lebensmittel knapp und die Unzufriedenheit mit dem System groß.


Unrecht bis heute

Auf Gedenkfeiern zum Mauerbau nächstes Jahr werde dieser Zusammenhang kaum eine Rolle spielen, mutmaßte Jörg Gerke, Bauer und Buchautor. "Jeder ostdeutsche Agrarpolitiker findet die Kollektivierung gut", so seine These, da die ostdeutsche Agrarstruktur bis heute als Erfolgsmodell gegenüber der "Museumslandwirtschaft" des Westens gehandelt werde. Deshalb und weil die alten Kader, die Nomenklatura der SED, wie es Sozialwissenschaftler Uwe Bastian nannte, auch nach der Wende weiter funktionierten, blieben die alten LPG-Strukturen nach 1990 erhalten. Politik und Medien richteten sich an ihren Bedürfnissen aus, Geld und Flächen blieben mehr oder weniger dort, wo sie waren. Besonders deutlich wurde und wird das bis heute an der Flächenvergabepraxis der ehemaligen Treuhand, jetzigen Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG), deren politische Rahmenbedingungen kontinuierlich dafür gesorgt haben, dass Neu- oder Wiedereinrichter ohne Kaderverbindungen kaum eine Chance bekommen, Land aus dem ehemaligen Volkseigentum der DDR zu pachten oder zu kaufen. Biologe Hans Dieter Knapp und Geograph Helmut Klüter konnten in ihren Beiträgen eindrucksvoll deutlich machen, dass es mit der vermeintlichen Überlegenheit der agrarischen Großstrukturen so weit her nicht ist. Sie gingen und gehen einher mit einem massiven Verlust an Biodiversität, Degradation des Bodens und zahlreichen negativen Umweltauswirkungen. "Die Kollektivierung hat nicht nur Bauernstand und ländliche Kultur verändert, sondern in der Folge die Kulturlandschaft in einen agrarindustriellen Produktionsraum verwandelt", so Hans Dieter Knapps Resümee. Helmut Klüter attestiert den großen Strukturen keineswegs die ökonomische Vorzüglichkeit, die ihnen gerne zugeschoben wird. Zwar bekommen die Großbetriebe das meiste Geld aus Brüssel, aber sie beschäftigen damit die wenigsten Menschen und haben die geringste Produktivität im Vergleich zu kleineren Strukturen. Landwirtschaft verliere seine Rolle als tragende Wirtschaftskraft im ländlichen Raum, so Klüter, und verliere durch ihre industriellen Strukturen gegenüber dem anderen Wirtschaftszweig auf dem Land, dem Tourismus. Landwirtschaft mit dem Tourismus und auch mit der Kulturlandschaft wieder in Einklang zu bringen, gelinge nur durch eine Umverteilung der Agrarsubventionen mit einer Anbindung der Zahlungen an die Arbeitskräfte, so die Schlussfolgerungen des AbL-Vorsitzenden Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf. "Dies ist nicht das Ende der Geschichte", so Graefe zu Baringdorf und irgendwann werde sich der Geschäftsführer der BVVG, Wolfgang Horstmann (der mittlerweile im Publikum saß), sagen lassen müssen, dass er seine Position nicht genutzt habe und mitverantwortlich sei für die Ungerechtigkeiten.


Bleibende Herausforderung

"Kulturen, die ohne die Bauern auskommen wollten, haben es nie lange gemacht", so Graefe zu Baringdorf, es zeige sich, dass agrarindustrielle Strukturen ein volkswirtschaftliches Desaster seien und geschichtlich keinen Bestand haben werden. Als "bleibende Herausforderung" bezeichnete der Landesbeauftragte für die Stasiunterlagen in Sachsen, Michael Beleites, in seinem Schlusswort den Umgang mit der Agrarstruktur des Ostens, der geschichtlichen Aufarbeitung, Öffentlichmachung und die Arbeit in die Zukunft. Diese Herausforderung müsse man als gesamtgesellschaftliches Thema annehmen.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 333 - Mai 2010, S. 3
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juni 2010