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DILJA/062: Südafrika - Statthalterstaat des Imperiums - Teil 1 (SB)


Statthalter westlicher Hegemonialmächte auf dem schwarzen Kontinent - Südafrika vor, während und nach der Apartheid


Teil 1: Die Wurzeln des heutigen Südafrika liegen in der Kolonialisierung Afrikas durch den imperialistischen Westen

Ohne die Okkupation, Ausplünderung, Unterwerfung und gewaltgestützte Inbesitznahme des Kontinents, der dem bereits vor Jahrhunderten industrialisierten Europa am nächsten lag und "Afrika" genannt wird, würde es heute keinen Staat Südafrika geben. Dies ergibt sich bereits sprachlogisch aus seiner Bezeichnung, setzt doch schon die Verwendung des Begriffs "Afrika" eine Außensicht voraus, wie sie beispielsweise die Römer einnahmen, als sie das Land um Karthago einst nach dem Stamm der Afri als "Africa" bezeichneten, woraus sich später die Anwendung des Begriffs für den ganzen Kontinent entwickeln sollte.

Die ursprünglichen und später kolonialisierten Bewohner "Afrikas" hätten dem von ihnen bewohnten Kontinent kaum diesen Namen gegeben, hätten sie sich nicht irgendwann gezwungen gesehen, Kultur und Sprache der neuen Herren zu übernehmen. Ebensowenig wären die Bantu, Xhosa, Ndebele oder Zulu, die vor der Kolonialisierung im geographischen Süden Afrikas lebten, auf die Idee gekommen, sich als "Südafrikaner" zu bezeichnen. Ein solcher Name hätte mit ihnen nicht das Geringste zu tun gehabt; er spiegelt das Interesse ausländischer Eroberer an einer schnellen Verständigung über den geographischen Fundort der neuen Beute. Die Bewohner Spaniens wären ebensowenig auf die Idee gekommen, sich als "Südwesteuropäer" zu bezeichnen, so als ob sie potentiellen Eroberern den Weg zu ihren Heim- und Wohnstätten hätten weisen wollen.

Das heutige Südafrika gilt als demokratisch und nicht-rassistisch, es hat sich - so zumindest will es der allgemeine Konsens glauben machen - von seiner finsteren Vergangenheit, sprich der Apartheid, gelöst. Um der Frage nachzugehen, ob ein solcher Standpunkt nicht in verdeckter Form eine Fortsetzung der Besatzungspolitik darstellt und ob Südafrika nicht noch heute die Rolle eines westlichen Brückenkopfes und Statthalters zur Kontrolle des gesamten Kontinents durch in etwa dieselben imperialistischen Mächte einnimmt, die diesen einst eroberten und unter sich aufteilten, erscheint es unumgänglich, die Kolonialisierung Afrikas in wenn auch groben Zügen nachzuzeichnen.

Dabei ist bezeichnend, in welch hohem Maß in der sogenannten "internationalen Gemeinschaft", wie das aus den ehemaligen Kolonialmächten erwachsene heutige Imperium sich gern nennt, jegliches Unrechtsbewußtsein für die von den eigenen Vorfahren verübten schwersten Verbrechen fehlt. So stellen beispielsweise Mitte der 70er Jahre erschienene Nachschlagewerke repräsentative Zeugnisse dar für die stille Kumpanei zwischen und die identischen Interessen der heutigen westlichen Staatenwelt und den damaligen Kolonialmächten. So wird in dem 1972 erschienenen dtv-Konversationslexikon (Bd. 10) unter dem Stichwort "Kolonie" mit großer Selbstverständlichkeit die Behauptung aufgestellt, aufgrund der "zunehmenden Bevölkerung" und der "ständig wachsenden Industrie" sei der "Besitz" von Kolonien für die Großmächte "erstrebenswert" geworden:

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts machte die zunehmende Bevölkerung der Großmächte den Besitz von Kolonien als Siedlungsraum, als Lieferanten von Lebens- und Genußmitteln, zur Gewinnung von Rohstoffen für die ständig wachsende Industrie und zur Erweiterung der Absatzmärkte erstrebenswert.

Mit anderen Worten: Europa glaubte, neuen Lebensraum zu benötigen - was lag da näher, als sich in jenen Regionen der Erde zu bereichern, die man schon seit langem durch die mit eben solchen räuberischen Absichten vorangetriebene Seefahrt erschlossen, das heißt mehr oder minder weitgehend für sich erobert hatte. Dabei zogen die europäischen Seemächte keineswegs an einem Strang, auch wenn sie dasselbe Interesse verfolgten. Jede Kolonialmacht versuchte, möglichst viel Terrain unter ihre Kontrolle zu bringen in einem zum Teil äußerst gewaltsam ausgetragenen Konkurrenzkampf zu den übrigen Räubern. Ihnen allen war gemein, die von ihnen als Beute identifizierten Kontinente (das betraf nicht nur "Afrika", sondern auch alle übrigen der heute in Fortsetzung der Kolonialgeschichte als "Dritte Welt" bezeichneten Kontinente) mitsamt den auf ihnen lebenden Menschen vollkommen zu mißachten.

Diese Verhältnisse fanden ihren sichtbarsten Ausdruck in der Sklaverei. Der Zugriff des Menschen auf den Menschen war hier total. Die Sklavenhaltergesellschaft maßte sich die vollständige Verfügung über die von ihr versklavten Menschen, ihr Leben und ihre körperliche Substanz an. Sklavenaufstände blieben bei all dem Elend, das die einträglichen Geschäfte zwischen europäischen Händlern und den von europäischen Auswanderern im Norden Amerikas unter nicht minder grausamer Unterwerfung der dort lebenden Menschen gegründeten Neuen Welt (USA) den zumeist dunkelhäutigen Opfern brachten, nicht aus. In der Geschichte der Herrschaft des Menschen über den Menschen hatte sich die schon im alten Rom bewährte Devise "divide et impera" (teile und herrsche) zu einem profunden Herrschaftswissen erhärtet, und so blieb es auch in der Frage der Sklaverei und Sklavenbefreiung nicht aus, daß die herrschenden Kräfte subtilere Formen erdachten und durchsetzten, um die "Sklaverei" beenden, das heißt in ein qualifizierteres und schwerer zu durchschauendes System überführen zu können.

So geschehen auch im Gebiet des heutigen Südafrika. Als im 17. Jahrhundert die ersten weißen "Siedler", wie die Raubritter bzw. -seefahrer jener Zeit genannt wurden, an der südlichsten Stelle des Nachbarkontinentes anlandeten, galt das Land am Kap noch als unwirtlich und in jeder Hinsicht uninteressant. Das Kap hatte eine hohe strategische Bedeutung nur deshalb, weil es auf halbem Wege nach Asien lag, wo die bevorzugten Handelsobjekte der damaligen Gesellschaften westeuropäischer Länder lagen. Da die Seefahrt wegen mangelnder Konservierungsmethoden auf frische Nahrungsmittel angewiesen war, ließ die Niederländisch-Ostindische Handelsgesellschaft am Südzipfel Afrikas eine Versorgungsstation errichten. Zu diesem Zweck erreichte der Niederländer Jan van Riebeeck, dem zuhause der Schuldturm drohte, 1652 das Kap. In Begleitung ehemaliger Strafgefangener und einer Kompanie wegen Disziplinlosigkeit entlassener Soldaten Ihrer Majestät errichtete van Riebeeck am Kap eine niederländische Versorgungsstation, die der Company Seereisen in "ihre" Kolonien auf Ceylon, in Indonesien und auf dem Malaiischen Archipel ermöglichte.

Von dort wiederum wie auch aus den übrigen niederländischen Kolonien Südostasiens, aus Indien, Madagaskar und Westafrika, wurden Sklaven ans Kap verbracht, um dort Aufbauarbeiten zu leisten. Noch heute zeugen die herrlichen Gärten rund um das Parlamentsgebäude in Kapstadt sowie die vielen Prunkvillen im Stadtkern von dieser, weit vor der Staatsgründung Südafrikas betriebenen Sklaverei. Die niederländische Handelsgesellschaft ließ historischen Dokumenten zufolge zwischen 1652 und 1808 rund 70.000 versklavte Menschen in die Region bringen. Als im Jahre 1838 die Sklaverei offiziell aufgehoben wurde, waren nur noch 38.000 am Leben. In der von Sklaven errichteten niederländischen Kapkolonie lebten neben vorwiegend niederländischen "Einwanderern" auch niederdeutsche Bauern und französische Hugenotten, sie nannten sich fürderhin "Buren", abgeleitet vom niederländischen Wort "boer" (Bauer).

Die niederländische Kolonialpracht, die bis dahin zulasten der Khoisan- und Bantuvölker durchgesetzt worden war - die in der niederländischen Kapkolonie ursprünglich lebenden Khoikhoin waren an den Rand gedrängt, die Buschleute erheblich dezimiert worden -, fand im Jahre 1806 ein abruptes Ende. Britannien, der noch größere Räuber, entriß den Niederländern ihre längst als ihr Eigentum empfundene Beute. Im Kampf um die Vorherrschaft zur See hatten die Briten im 17. Jahrhundert zunächst Spanien, dann auch die Niederlande verdrängen können. Im 18. Jahrhundert übernahmen die Briten die zuvor von Frankreich kolonialisierten Ländereien in Ostindien und Nordamerika. Den Niederländern entrissen sie nicht nur Kapland, sondern auch Ceylon. Das britische Empire wurde in Ostindien, aber auch nach Australien immer weiter ausgeweitet. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts kam es schließlich zum großen Showdown in Afrika - der Kontinent wurde vollständig aufgeteilt zwischen den westlichen Kolonialmächten. England verleibte seine "Besitzungen", wie die Kolonialmächte ihr Raubgut zu bezeichnen pflegten, dem sogenannten Britischen Reich ein, wozu auf dem afrikanischen Kontinent neben Betschuanaland, Rhodesien und den Burenstaaten auch noch Ägypten und der Sudan, Nigeria und Kenia gehörten.

Im Jahre 1806 schließlich annektierte Britannien die niederländische Kapkolonie. Die niederländisch stämmigen Buren sahen sich um die Pfründe ihrer bereits eineinhalb Jahrhunderte währenden Kolonialpolitik gebracht. Sie akzeptierten die britische Vorherrschaft nicht, mußten sich den Briten jedoch 1814 geschlagen geben. Rund fünftausend Buren verließen in einem "Großen Treck" von 1835 bis 1838 die Kapkolonie und zogen ins Landesinnere, um sich, da sie im Kampf gegen die Briten unterlegen waren, neue Beute zu suchen. Sie stießen bei ihrem Vormarsch auf die Ndebele und Zulu, gegen die sie sich nach schweren und blutigen Kämpfen militärisch durchsetzen konnten. Das auf diese Weise von den Buren, die sich als "Voortrecker" verstanden, geraubte Land wurde von ihnen annektiert. Die Kolonialisten bezeichneten diese Landnahmen als Staatsgründungen. Sie "gründeten", wie es im Brockhaus (2007) zur Geschichte Südafrikas formuliert wird, 1839 die Republik Natal, 1842 den Oranjefreistaat und 1852 Transvaal.

Die Briten sahen die niederländischen "Voortrecker" weiterhin als ihre militärische Vorhut an. Sie zogen nach und annektierten 1843 Natal und 1848 den Oranjefreistaat. Das Königreich der Zulu im nun britisch besetzten Natal verwickelte die britische Armee in schwere Kämpfe, mußte sich dieser im Jahre 1879 jedoch geschlagen geben. In dieser Zeit hatte sich in London offensichtlich die Erkenntnis durchgesetzt, daß es strategisch weitaus klüger und effizienter wäre, die Angehörigen der unterlegenen niederländischen Kolonialmacht in die eigene Besatzungspolitik einzubinden. Die Briten erkannten 1852 die "Unabhängigkeit" Transvaals und 1854 die des zuvor den Buren entrissenen Oranjefreistaats an. "Unabhängigkeit" bedeutet in diesem Zusammenhang natürlich nichts anderes, als daß der stärkere Räuber (England) die Raubinteressen des schwächeren Konkurrenten (den Buren) akzeptiert. Mit den Menschen, die in dem von beiden okkupierten Land lebten, hatte diese "Unabhängigkeit" nicht das Geringste zu tun.

Der Burgfrieden zwischen Briten und Buren währte allerdings nicht lange, wozu die Diamanten- und Goldfunde jener Zeit sicherlich beigetragen haben. Im Grenzgebiet der von beiden Kolonialmächten annektierten Regionen, zwischen der Kapkolonie und den Burenstaaten, wurden 1867 und 1869 Diamanten "gefunden", und wieder waren es die Briten, die diese für die ausländischen Raubritter nun höchst interessante Region (Griqualand West) 1871 unter ihre Kontrolle bringen konnten und zu einer Kronkolonie machten. Erste Goldfunde, 1871 bei Pietersberg und 1886 in der Nähe Johannesburgs, verschärften den Konflikt zwischen den Kolonialmächten. Das Britische Reich umfaßte nach einem fast einhundertjährigen Krieg gegen die Xhosa seit 1879 auch das Kaffernland. Betschuanaland wurde 1885, Rhodesien 1889/90 von den Briten vereinnahmt. Als C. Rhodes, "Premierminister" der Kapkolonie, die Expansion des britischen Empire immer weiter vorantrieb und 1895 versuchte, die Burenrepublik Transvaal, deren "Unabhängigkeit" die Briten 1852 noch akzeptiert hatten, unter britische Herrschaft zu bringen, mündete dieser Konflikt in den Burenkrieg.

Dieser währte von 1899 bis 1902 und endete mit der militärischen Niederlage der ihre "Selbständigkeit" verteidigenden Buren. Schon 1900 hatte der Burengeneral Cronje die Waffen strecken müssen; die Buren allerdings leisteten noch weitere zwei Jahre Widerstand und kapitulierten erst am 31. Mai 1902. Nachdem die Briten sich somit die Vorherrschaft über das südliche Afrika gesichert hatten, besannen sie sich der potentiellen Nützlichkeit der Buren für ihre im Kern gemeinsamen und identischen Kolonialinteressen. 1910 wurde einschließlich der im Burenkrieg eroberten ehemaligen Burenstaaten Natal, Oranjefreistaat und Transvaal die Südafrikanische Union als britisches Dominion deklariert.

Die weiße Bevölkerung dieser britischen Kolonie bestand zu 54 Prozent aus Buren, das waren rund eineinhalb Millionen Menschen. Ihnen überließ die britische Regierung die politische Führung des Dominions. Zuvor hatten die Briten Transvaal (1906) und dem Oranjefreistaat (1907) eine gewisse Selbstverwaltung eingeräumt, und da die Buren die britische Vorherrschaft nun akzeptierten, akzeptieren mußten, erwuchs daraus eine für beide Kolonialmächte bzw. deren Nachfolger einträgliche, wenn auch nicht unbedingt reibungslose Zusammenarbeit. 1931 lockerte London die Zügel noch weiter. Die Südafrikanische Union wurde in eine "Unabhängigkeit" entlassen - im Rahmen des britischen Commonwealth, von dem die britische Regierung behauptete, es sei eine Gemeinschaft gleichberechtigter Teile, so als hätte sich England als das Kernstück des britischen Kolonialimperiums tatsächlich auf gleicher Augenhöhe mit "seinen" ehemaligen Kolonien eingefunden.

In der Südafrikanischen Union regierte bis 1924 die pro-britische Südafrikanische Partei (SAP), die schießlich nach einer Wahlniederlage von der anti-britischen und in der Tradition der Buren stehenden Nationalen Partei (NP) abgelöst wurde. Die NP stellte von 1924 bis 1939 mit J. B. M. Hertzog "ihren" ersten Ministerpräsidenten. 1934 fusionierten die regierende NP und die nun oppositionelle SAP zur Vereinigten Partei (UP), in der die pro-britische Haltung dominierte mit der Folge, daß sich radikalere Buren zu einer neuen Nationalen Partei (NP) abspalteten. Ministerpräsident Hertzog, der bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges eine neutrale Position eingenommen hatte und beibehalten wollte, mußte zugunsten J. C. Smuts, der schon zwischen 1919 und 1924 das Land als pro-britischer Ministerpräsident regiert hatte, zurücktreten. Offensichtlich war der lange Arm Londons immer noch einflußreich genug, um das ehemals britische Kolonialgebiet, die formal unabhängige Südafrikanische Union, an der Seite Britanniens zur Teilnahme am Zweiten Weltkrieg zu zwingen.

Was aber war aus all den Menschen geworden, denen die zunächst niederländischen, dann britischen und schließlich niederländisch-britischen Kolonialherren den Lebensraum genommen hatten? Sie mögen geglaubt haben, daß ihre Interessen in der 1910 ausgerufenen Südafrikanischen Union irgendwie Berücksichtigung finden könnten. Wenig später, 1912, wurde der heute regierende "Afrikanische Nationalkongreß" (ANC) gegründet. Er hatte sich den von Mahatma Gandhi in Indien entwickelten Ideen eines gewaltfreien Protestes verschrieben und suchte durch an die Regierung gerichtete Petitionen die Lage der schwarzen Bevölkerung zu verbessern. Er tat dies fast fünfzig Jahre lang vergeblich und behielt dieses Konzept gleichwohl noch bis 1960 bei.

Die Widersacher des ANC, ob sie sich nun dem britischen Kolonialerbe zugehörig fühlten oder als Buren verstanden, behaupteten mit großer Selbstverständlichkeit die Vorherrschaft der Weißen oder vielmehr des nun in modifizierter Maskerade auftretenden Kolonialregimes, und ebenso selbstverständlich blieb es für sie, Südafrika als "ihr" Land zu verstehen und den in der offiziellen Kolonialzeit fest verankerten Zangengriff auf dessen Bewohner weder zu lockern noch zu lösen. Daß die weißen Nachkommen der westeuropäischen Besatzer diese Haltung wiederum nur einnehmen und aufrechterhalten konnten, weil sie als Speerspitze und Statthalterstaat des westlichen Imperiums im südlichsten Afrika nach wie vor eine für dessen Hegemonialbestrebungen höchst wichtige Funktion erfüllen, versteht sich vor dem historischen Hintergrund dieses Landes nahezu von selbst.

(Fortsetzung folgt)

10. Oktober 2007