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DILJA/074: Südafrika - Statthalterstaat des Imperiums - Teil 13 (SB)


Statthalter westlicher Hegemonialmächte auf dem schwarzen Kontinent - Südafrika vor, während und nach der Apartheid


Teil 13 - ANC und Nationalpartei spielen "guter Cop, böser Cop" - das Nachapartheid-Südafrika wurde auf dem Konsens gegründet, das durch den Befreiungskampf in Frage gestellte alte Herrschaftssystem zu sichern

Der südafrikanische Journalist Allister Sparks schilderte in seinem 1996 erschienenen Buch "Tomorrow is Another Country" (Morgen ist ein anderes Land), wie es wohl zu dem Schulterschluß zwischen dem Apartheid-Regime und Mandelas ANC gekommen sein könnte. Sparks zufolge sahen sich beide Seiten zu einer geregelten Streitbeilegung gezwungen. So habe es eine wegweisende Versammlung des ANC mit der rechtsgerichteten Generalität der südafrikanischen Armee - allem Anschein nach den tatsächlichen Herrschern des Landes?! - gegeben, bei der Mandela mit folgenden, an die Militärs gerichteten Worten den Durchbruch erzielt habe:

Wenn Sie Krieg wollen, muss ich ehrlich zugeben, dass wir Ihnen nicht auf einem Schlachtfeld gegenübertreten können. Wir haben nicht die Mittel dazu. Es wird ein langer und harter Kampf sein, viele Menschen werden sterben, und das Land endet vielleicht in Schutt und Asche. Aber zweierlei müssen Sie bedenken: Sie können nicht gewinnen, weil wir zu viele sind. Sie können uns nicht alle töten. Und Sie können nicht gewinnen wegen der internationalen Gemeinschaft. Diese wird sich mit uns verbünden und uns helfen.

(zit. aus: UNESCO Kurier, Nr. 12/1999, 40. Jahrgang, S. 14-15, Monatszeitschrift der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation)

Dagegen habe General Viljoen, so Sparks' Darstellung, nichts mehr einwenden können. Beide Männer hätten sich angesehen und der Wahrheit, nämlich voneinander abhängig zu sein, ins Auge geblickt. Diese Szene, womöglich noch als der Beginn einer wunderbaren Freundschaft überfrachtet, berührt den Gründungsmythos der heutigen Republik Südafrika, der noch immer glauben machen soll, daß es zwischen den Repräsentanten beider Seiten auf gleicher Augenhöhe eine friedensstiftende Übereinkunft zum Wohle aller Südafrikaner gegeben habe. Sparks' Schilderung zufolge sollen Mandelas ergreifende Worte auf dieser Versammlung von allen Generälen akzeptiert worden sein, was allerdings keineswegs als ein Einlenken der Militärs - wie weitgehend auch immer - interpretiert werden müßte. Weitaus plausibler und naheliegender wäre demgegenüber die Deutung, daß Mandela längst "seinen Frieden" mit dem Apartheid-Regime gemacht hatte - andernfalls womöglich gar nicht erst freigelassen worden wäre - und daß besagte Unterredung, sollte sie denn so oder ähnlich stattgefunden haben, bestenfalls eine Inszenierung in einem längst abgekarteten Spiel gewesen sein könnte.

Seit den 1990er Jahren ist bekannt, daß Nelson Mandela lange vor seiner 1990 erfolgten Haftentlassung in einem intensiven Dialog mit Repräsentanten des Regimes gestanden hatte. In diesem Zusammenhang ist ein schon in den 1980er Jahren verfaßtes Strategiepapier des Broederbundes, einer Art Denkfabrik der damaligen Apartheid-Regierung, durchaus aufschlußreich. In dieser unter dem vielsagenden Titel "Das Überleben der Afrikaaner" verfaßten Schrift wurde allem Anschein nach der spätere Verlauf der Ereignisse vorweggenommen. Der Broederbund hatte darin eine schrittweise zu vollziehende Veränderung des Apartheid-Staates hin zu einem demokratischen Südafrika angedacht und propagiert. Dieser "Wandel" sollte ein allgemeines, also auch für die schwarze Bevölkerung zugängliches Wahlrecht ebenso enthalten wie eine Übernahme der Regierungsverantwortung durch Menschen mit schwarzer Hautfarbe - all dies allerdings unter der Voraussetzung einer uneingeschränkten Sicherung der von der weißen Elite Südafrikas seit jeher beanspruchten (wirtschaftlichen) Vormachtstellung.

Der Schulterschluß zwischen Mandela und der Generalität Südafrikas würde dann bedeuten, daß Mandela, die Ikone des südafrikanischen Befreiungskampfes, sein Renommee als Gottvater des ANC eingesetzt hat, um diesen, aber auch die in der späteren Regierungsallianz miteingebundene Kommunistische Partei Südafrikas (SACP) sowie den Gewerkschaftsbund COSATU zur Akzeptanz dieser nach Maßgabe der Vordenker des Apartheid-Regimes unterbreiteten "Verhandlungslösung" zu bewegen. Mandelas Worte vor der Generalität entbehren ohnehin nicht einer gewissen Widersprüchlichkeit. So hält er den Apartheid-Generälen entgegen, daß sie "nicht gewinnen" könnten "wegen der internationalen Gemeinschaft", die sich mit dem ANC verbünden und ihm helfen würde. Hat Mandela denn nicht gewußt, daß eben diese "internationale Gemeinschaft", sprich die führenden Staaten der westlich-kapitalistischen Welt, den angeblich verfemten Apartheidstaat entgegen ihrer eigenen, noch dazu in ein gegen Südafrika verhängtes UN-Embargo gegossenen Behauptungen, militärisch wie finanziell am Leben erhalten hatte?

Hätte die "internationale Gemeinschaft", so sie sich den Apartheidstaat nicht wie eine inoffizielle, sozusagen paramilitärische Truppe gehalten hätte, um den Vorposten Südafrika als Stützpfeiler westlicher Hegemonie auf dem gesamten afrikanischen Kontinent unter allen Umständen zu erhalten, dem schon 1912 gegründeten ANC nicht schon längst "helfen" können, wenn sie dies nur gewollt hätte? Und wenn Mandela desweiteren zu den Generälen gesagt haben soll, daß diese nicht gewinnen könnten, weil "wir zu viele" sind und die Militärs "uns nicht alle töten" könnten, fällt doch auf, daß er diese Argumentation nur in einer Richtung aufgebaut hat. Wenn eine Minderheit die Mehrheit des Landes physisch nicht vernichten kann, weil es "zu viele" sind, kann dann nicht die Mehrheit umgekehrt der Minderheit ihre Bedingungen aufzwingen? Daß die Militärs erkannt hätten, daß sie von einem Führer der Widerstandsbewegung wie eben Nelson Mandela abhängig sind, weil womöglich nicht jeder einen solchen Kuhhandel akzeptiert hätte, mag noch plausibel erscheinen. Worin jedoch sollte, da Sparks' Schilderung zufolge beide Männer, Mandela und General Viljoen, sich in dem Bewußtsein ihrer wechselseitigen Abhängigkeit angesehen hätten, die "Abhängigkeit" Mandelas von den Militärs des Apartheidstaates bestanden haben?

Diese Fragestellungen berühren ein Kernproblem in der Geschichte der Herrschaft des Menschen über den Menschen, wie es schon an anderen Stellen der neueren Geschichte in Erscheinung getreten ist, weshalb es sich keineswegs um einen Spezialfall der politischen Historie im fernen Südafrika und seiner vermeintlich außergewöhnlichen Situation gehandelt hat. So wurde beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland mit einem "antifaschistischen" Gründungsmythos konzipiert, der jede Frage nach einer wie auch immer ausgestalteten Kontinuität zwischen dem NS-Staat und der 1949 gegründeten demokratischen Republik in den Verdacht übelster Nachrede stellt. Dabei sind die Argumente schwerlich vom Tisch zu fegen, so etwa die Tatsache, daß dieselben deutschen Großkonzerne, die einst Hitler und den Krieg gewollt, unterstützt und finanziert hatten, in der bundesdeutschen Republik noch dieselben Schlüsselpositionen einzunehmen in der Lage waren. Ein geflügeltes Wort aus dem linken Lager besagte deshalb, daß über den "Faschismus" schweigen solle, wer über den Kapitalismus nicht zu reden bereit sei.

Mit anderen Worten: Die herrschende Klasse holt den Knüppel aus dem Sack, sprich greift zu Diktatur und "Faschismus", um ihren Bestand zu sichern, sobald sie dies für erforderlich hält und kehrt dann, wenn der politische Gegner vernichtet wurde, am Boden liegt oder aufgegeben hat, zur "Demokratie" zurück - was selbstverständlich nicht bedeutet, daß sie den Knüppel nicht abermals aus dem Sack holen würde. Der politische Nutzwert des Begriffs "Faschismus" besteht dabei in erster und letzter Linie darin, daß sich die Vorstreiter dieses Systems zu Zeiten der "Demokratie" vom ihm vollständig distanzieren können. Sie leiten ihren Herrschaftsanspruch nicht zuletzt aus diesem, von ihnen so vehement behaupteten Gegensatz ab. Ein weiterer Vorteil bei der Etablierung einer solchen "Demokratie" besteht zudem darin, daß die Erinnerung an die "schlimmen Jahre" noch allgegenwärtig ist und als verhaltene Drohung auch weiterhin ihre Wirkung tut - besser und unangreifbarer, als dies der Fall wäre, wenn durch brutalste Repression nicht nur die Herrschaft gesichert, sondern unweigerlich auch ein Widerstandspotential geschaffen werden würde.

Mit der Geschichte und Gegenwart Südafrikas könnte all dies weitaus mehr zu tun haben, als dies angesichts des vorgehaltenen Konsenses, in der ANC-geführten Regierung eine Vorkämpferin für Frieden und Demokratie zu sehen, in der westlichen Welt erwartet werden würde. So wurden die ersten Jahre der Nachapartheid-Ära dominiert durch eine "Angst" vor einem Bürgerkrieg, wobei der Begriff "Bürgerkrieg" noch eine gezielte Irreführung darstellt, da die vermeintliche oder auch tatsächlich bestehende Gefahr gewaltsamer Auseinandersetzungen größeren Ausmaßes keineswegs von der zu einem gewissen Teil noch freudentaumelnden Anhängerschaft des ANC oder anderer Befreiungsorganisationen ausging, sondern von der extremen Rechten unter den "Weißen". Deren Anhänger sahen und sehen sich in bester bzw. schlechtester Kolonialmanier als die rechtmäßigen Herrscher des Landes, "ihres" Südafrikas, und schienen in der Zeit des Wandels drauf und dran gewesen zu sein, der aus ihrer Sicht viel zu "gemäßigten" Fraktion innerhalb der Nationalpartei um den letzten Apartheid-Präsidenten und späteren Nobelpreisträger, Frederik de Klerk, den Krieg zu erklären.

Es scheint, noch dazu aus rückwärtiger Sicht, schlechterdings unmöglich zu sein, ein solches Bedrohungsszenario auf seinen Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Die Angst vor einem Putsch von rechts, einer erneuten Machtergreifung des alten Regimes und seiner verhaßten und gefürchteten Folterer, wird so oder so seine politische Funktion, nämlich den größeren Schrecken zu verbreiten, demgegenüber der kleinere vorzuziehen und zu akzeptieren sei, erfüllt haben. Und so bliebe zu fragen: Wenn die extreme weiße Elite über gutorganisierte und bestens ausgerüstete Kampfverbände verfügte, die den angedrohten Bürgerkrieg als höchst real erscheinen ließen, wäre es dann nicht die vornehmste Aufgabe der ANC-geführten Drei-Parteien-Allianz gewesen, hier für Sicherheit zu sorgen und, um dem neuen Südafrika eine echte Entwicklungschance zu geben, diese militärische Bedrohung aus der Welt schaffen? Wer dem entgegenhält, daß ein solches Vorgehen unmittelbar in einen Bürgerkrieg, der ja unter allen Umständen verhindert werden sollte, um weitere Tote zu vermeiden, geführt hätte, wird dann allerdings schwerlich erklären können, wie bis heute von Versöhnung und einem gelungenen Friedensschluß die Rede sein kann, wenn doch das alte Regime mit der Waffe im Anschlag stand, bereit, jederzeit zuzuschlagen, sollte die seiner Vormachtstellung zugrundeliegende Eigentumsordnung entgegen der allem Anschein nach getroffenen Vereinbarungen doch noch angetastet werden.

Die latente Drohung eines Wiederauflebens der alten Apartheid-Verhältnisse mit all ihren Grausamkeiten wurde niemals beseitigt und erwies sich als höchst wirksam, um die angeblich "befreite" Bevölkerung Südafrikas all die bitteren Pillen schlucken zu lassen, die der Übergang in die neuen und doch alten Verhältnisse mit sich bringen würde. Die ANC-geführte Regierungsallianz sollte sich sogar noch, so makaber sich dies auf den ersten Blick auch anhören mag, als späte Nutznießerin der Apartheid erweisen. Intern wie auch gegenüber externen Kritikern ließ und läßt sich mit dem moralischen Pfund wuchern, das ehemalige Befreiungskämpfer nun einmal beanspruchen können. Jedwede Kritik an Regierungspolitik oder der Parteihierarchie wird als "Kampagne" gegen den ANC und damit den Apartheidwiderstand verunglimpft, und so war und ist das "neue" Südafrika in der Lage, als unbestreitbare Bastion gestandener Gutmenschen politische Entscheidungen durchzusetzen, die das Land längst in eine noch größere Armut als zu Zeiten der Apartheid manövriert haben.

Womöglich wurden jedoch die Verhältnisse in Südafrika während der Apartheid und danach von politischen Interessen beeinflußt, wenn nicht gar dominiert, die ihren Ursprung weit außerhalb des Landes in den Zentren der westlichen Welt haben. Zur selben Zeit, in der in Südafrika erste demokratische Wahlen stattfanden - 1994 -, nahmen die USA eine Korrektur ihrer Afrika-Politik vor. Die schon 1993 entwickelte neue Linie fand in der vom damaligen US-Präsidenten Bill Clinton am 5. Mai 1994 verfaßten Direktive PDD #25 ihren greifbarsten Niederschlag. Darin wurde festgelegt, daß US-amerikanische Truppen nur noch in Afrika eingesetzt werden würden, wenn "lebenswichtige US-Interessen" berührt seien. Was vergleichsweise handzahm erscheinen mag - und tatsächlich haben Teile der Friedensbewegung diese Direktive positiv bewertet -, beinhaltete im Klartext neben der fortgesetzten und unübersehbaren Kriegsandrohung zur Durchsetzung "lebenswichtiger" US-Interessen auf dem afrikanischen Kontinent wohl auch Optionen, um auf anderen (militärischen) und für Washington unaufwendigeren Wegen die klammheimliche Vorherrschaft des Westens zu sichern. Es bedarf nur geringer Phantasie oder vielmehr politischer Schlußfolgerung, um zu argwöhnen, daß das Mandela-Südafrika für die Rolle eines lokalen Statthalters US-amerikanischer Interessen auf dem afrikanischen Kontinent absolut prädestiniert war und diese Rolle auch mit großer Selbstverständlichkeit übernommen hat.

Die ANC-geführte Dreierallianz entledigte sich mehr oder minder geräuschlos ihrer antikapitalistischen Beimischungen und konnte dies auch tun, gerade weil sie als die aus dem Antiapartheid-Widerstand erwachsene neue Regierung über jeden politischen Zweifel erhaben zu sein schien. Zwischen "politischer" und "wirtschaftlicher" Macht zu unterscheiden, erwies sich als ein äußerst probates Mittel, um den Anfang der 1990er Jahre angeblich vollzogenen "Wandel" plausibel zu machen. Dabei zeichnete sich ein Bild ab, das unwillkürlich an bestens bewährte Verhörmethoden ("guter Cop, böser Cop") erinnert. Die Rollenverteilung liegt auf der Hand: Die mehr oder minder extreme Rechte unter der weißen Minderheit verlor, sieht man einmal von der unmittelbaren Regierungsverantwortung ab, in wirtschaftlicher und in gewisser Weise sogar militärischer Hinsicht kaum an Einfluß. Von Enteignung keine Spur, denn kein Großgrundbesitzer sollte gegen seinen Willen enteignet werden. Und da die "Sicherheitsorgane" des Apartheidstaates weitgehend ungeschoren blieben, vermochten sie, auch wenn sie in das "private" Sicherheitsgeschäft übergingen, in vielen Städten und Gemeinden allein durch ihre Präsenz eine gewisse Drohung zu verkörpern.

Die Gefahr eines Putsches von rechts war keineswegs gegenstandslos, doch die eigentlich brisante Frage besteht darin, ob diese Bedrohung nicht vom ANC akzeptiert und in gewisser Hinsicht sogar "gewollt" gewesen war, um die eigene, nun eigentlich auf eine umfassende und ernstzunehmende Befreiung von über dreihundert Jahren Fremdherrschaft hoffende Bevölkerung durch die Drohung mit dem noch größeren Knüppel gefügig zu machen. Der "Knüppel", der den Menschen Südafrikas bevorstand, war nämlich "dick" genug; und so sollte es nur wenige Jahre dauern, bis der Lack vom neuen ANC-Staat abgeblättert und einer Ernüchterung Platz gemacht hatte, die sich im weiteren Verlauf der absehbaren Zuspitzung der allgemeinen Armutsverhältnisse noch zu tiefgreifender Unzufriedenheit bis hin zu heller Wut steigern sollte. Eine "Kumpanei des Schreckens" zwischen den Anhängern des alten Apartheidstaates und der ANC-geführten Allianz zu vermuten, ist unterdessen so abwegig nicht, wie es auf den ersten Blick vielleicht erscheinen mag.

Der Anti-Apartheid-Widerstand, der wohlweislich niemals in Erscheinung getreten ist als unmißverständlich antikapitalistische und antiimperialistische Organisation, vollzog damit nicht mehr und nicht weniger als einen Prozeß der "Sozialdemokratisierung". So könnte man den Vorgang nennen, mit dem im alten Europa die SPD oder auch die Gewerkschaften "klassenkämpferische" Signale setzten und Versprechungen machten, um die unzufriedenen und womöglich rebellierenden Massen an sich zu binden, und im zweiten und wesentlichen Schritt den Schulterschluß mit der gegnerischen Klasse vollzogen - was sich diese, um eine tiefgreifende Befriedung der Lage zu erzielen, schon ein paar Bestechungsgroschen kosten ließ. In Südafrika erfüllte der Begriff der "Apartheid" auch in dieser Hinsicht seine ordnungspolitische Funktion, denn da das alte Regime ausschließlich von Menschen mit weißer Haut getragen worden war, konnte das Lösungsversprechen, nämlich durch eine mehrheitlich von Menschen mit schwarzer Haut gebildete Regierung eine fundamentale Verbesserung der Misere zu bewirken, eine so hohe Plausibilität erreichen.

Für die Klasse des herrschenden Kapitals, sowohl in nationalen wie auch im internationalen Rahmen, sollte sich dieser "Wandel" als eine - dieses Wortspiel sei erlaubt - ergiebigere Goldgrube erweisen als alle Goldbergwerke Südafrikas zusammengenommen. Der landesweite Widerstand gegen das alte Regime, der ohne die Machenschaften Mandelas und des ANC womöglich drauf und dran gewesen wäre, die Machtfrage in Südafrika nicht nur zu stellen, sondern mit einer befriedigenden Antwort für sich zu entscheiden, wirkte spätestens nach 1994 wie paralysiert. Er hätte ja, so hatte es den Anschein, gegen sich selbst rebellieren müssen! Daß es in jener Zeit zu heftigen Auseinandersetzungen, ja sogar mit Waffengewalt ausgetragenen Konflikten zwischen Schwarzen gekommen ist - so etwa im Jahre 1991 zwischen dem Mandela-ANC und der später mitregierenden Inkatha-Partei Buthulezis - wurde im allgemeinen abgeheftet als unschöne Begleiterscheinung eines schwierigen Übergangsprozesses.

Allem Anschein nach hat sich der ANC verpflichtet, von den geringfügigen Nachstellungen durch die "Wahrheitskommission" und die noch wesentlich selteneren Aktivitäten der Strafjustiz gegen die Folterer und Mörder des alten Regimes einmal abgesehen, den Apartheidsöldnern keine Schwierigkeiten zu machen. Da der Schulterschluß jedoch kein allein innersüdafrikanischer war, sondern, wie anzunehmen ist, auf einer massiven Intervention und Moderation durch die führenden westlichen Staaten, die das "Problem" Südafrika in einer ihnen genehmen Weise "gelöst" sehen wollten, blieben viele Fragen bis heute unbeantwortet und weitgehend ungestellt. Ein Beispiel: Bekanntlich wurde der schwedische Regierungschef Olof Palme 1986 in Stockholm auf offener Straße erschossen. Bis heute sind die Zusammenhänge - schon in den 1990er Jahren hatten die schwedischen Behörden eine Südafrika-Spur verfolgt, allerdings ohne daß es je zu einer Anklageerhebung gekommen wäre - nicht vollständig aufgeklärt; und so kann, zumal Palme als entschiedener Apartheidgegner in Erscheinung getreten ist, eine Täterschaft des Apartheid-Geheimdienstes keineswegs ausgeschlossen werden.

Vor nunmehr vier Jahren, am 20. Januar 2003, berichtete die schwedische Tageszeitung "Dagens Nyheter", daß der schwedischen Polizei von einer Gruppe von Südafrikanern eine Dokumentation ausgehändigt worden sei, derzufolge ein ehemaliger Geheimdienstagent Südafrikas den Mord an Palme begangen habe. Der Beschuldigte sei in den bisherigen Untersuchungen noch nicht aufgetaucht und hielte sich nicht mehr in Südafrika auf. Die schwedischen Behörden nahmen die Hinweise mit großer Zurückhaltung auf, da, wie die zuständige Staatsanwältin erklärte, die Gefahr einer Fälschung bestünde. Warum aber zeigten die Behörden Südafrika keinerlei Interesse an diesen Ermittlungen, die die südafrikanischen Informanten sozusagen privat im Auftrag eines schwedischen Geschäftsmannes durchgeführt hatten? Die Aufklärung des Mordes an Olof Palme, der den ANC unterstützt und das Apartheidregime harsch kritisiert hatte, müßte, sollte man meinen, im (politischen) Interesse des Nachapartheid-Südafrikas liegen. Die Behörden Südafrikas allerdings verhielten sich in diesem Fall so, als würde nach wie vor eine stille Übereinkunft, eine Bruderschaft des Schweigens oder auch des Schreckens, zwischen ihnen und den Chargen des ehemaligen Apartheidregimes bestehen.

(Fortsetzung folgt)

28. Januar 2008