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DILJA/076: Südafrika - Statthalterstaat des Imperiums - Teil 15 (SB)


Statthalter westlicher Hegemonialmächte auf dem schwarzen Kontinent - Südafrika vor, während und nach der Apartheid


Teil 15: Teile und herrsche - Wie es dem ANC gelingen konnte, den Apartheidwiderstand zu neutralisieren und die Politik des alten Regimes in neuen Gewändern fortzusetzen

"Apartheid" bedeutet auf Afrikaans "Trennung", also keineswegs "Rassentrennung", wie der Begriff weltweit noch heute benutzt und verstanden wird. Weit über die Grenzen der Republik Südafrika hinaus wird "Apartheid" synonym gesetzt mit dem fraglos jeden Menschenrechtsansprüchen spottenden staatlichen Repressionsapparat, mit dem bis 1994 die "weiße" oder vielmehr westlich-kapitalistische Herrschaft im Kapstaat aufrechterhalten wurde. Dieser Hegemonialanspruch wurde mit dem "friedlichen" Übergang zum ANC-Staat keineswegs beendet, sondern beibehalten und in Hinsicht auf die Verfügungsverhältnisse sogar noch auf eine qualitativ höhere Stufe gebracht. Die Effizienz eines Herrschaftssicherungssystems steht und fällt keineswegs allein mit der Bereitschaft seiner Repressionsorgane, mit gewalttätigen Mitteln aller Art jeden Widerstand und Protest zu unterdrücken und zu kriminialisieren sowie durch generellen Terror die Bevölkerung einzuschüchtern, um schon den bloßen Gedanken an oppositionelle Aktivitäten im Keim zu ersticken.

In der Geschichte der Herrschaft des Menschen über den Menschen hatten die jeweiligen Machthaber längst die "Erkenntnis" gewonnen, daß Gewalt und Terror nicht annähernd so wirksam sind wie Gewalt und Terror, wenn diese mit der Aussicht auf Besserung verknüpft werden. Mit anderen Worten: Das Prinzip Hoffnung stellt das bittersüße Gift dar, mit dem sich gewaltgestützte Systeme jeder Art ungleich effizienter am Leben erhalten lassen. Schon im alten Rom hatten die damaligen Herrscher den hohen Wert des "Teilens und Herrschens" (divide et impera) erkannt und in dementsprechende Maßnahmen mit dem Ziel, die Untertanen gegeneinander auszuspielen und darüber gefügig zu halten, umgesetzt.

Da es der schwarzen Bevölkerungsmehrheit keine begründete Aussicht auf Teilhaberschaft bieten wollte oder bieten zu können glaubte, hatte das Apartheidregime Südafrikas - wenn man so will - in dieser Hinsicht den Bogen überspannt; es stellte in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gewissermaßen einen Anachronismus der Geschichte dar. Folter- und Mordopfer in großer Zahl, ein Millionenheer entrechteter und gedemütigter Menschen stellten ein "Problem" dar nicht etwa, weil die (weißen) Machthaber in Pretoria oder auch Übersee nach jahrhundertelanger Kolonialgeschichte doch noch so etwas wie ein Gewissen gezwickt hätte, sondern weil es auf diese Weise niemals hätte gelingen können, eine tragfähige Einbindung der Südafrikaner schwarzer Hautfarbe in diesen Staat durch irgendwie begründbare Perspektiven auf eine Verbesserung ihrer Lage zu bewerkstelligen.

Da das "Prinzip Hoffnung" nicht oder auf jeden Fall nicht ausreichend berücksichtigt worden war, mußte das eigentliche Standbein politischer Herrschaft, nämlich Gewalt, in so großem Maße eingesetzt werden, daß das Erwachsen eines immer größeren und immer entschlosseneren Widerstandes nicht ausbleiben konnte. Mit dem "friedlichen Übergang" Anfang der 1990er Jahre wurde die Reißleine gezogen, um diesen Mangel zu beheben und - wie dann auch geschehen - den Staatsapparat unter einer nun schwarzen Führung zu festigen, damit ihm kein nennenswerter Widerstand mehr entgegenschlage. Die "Apartheid", nun verstanden als "Trennung" etwa zwischen einer kleinen Minderheit, welcher Hautfarbe ihre Mitglieder auch immer sein mögen, und einem millionenstarken Heer von Habenichtsen, für deren physisches Überleben sich der neue Staat letztlich genausowenig stark machte wie das alte Regime, wurde 1994 nicht im mindesten beendet.

Das bittersüße Gift der Hoffnung entfaltete jedoch seine volle Wirksamkeit, stellte doch nicht zuletzt die überwiegend schwarzhäutige Führungselite des ANC, nun in hochbezahlte Regierungs- und Verwaltungsposten aufgerückt, durch ihre eigene Existenz scheinbar unter Beweis, daß auch Menschen mit schwarzer Haut im neuen Südafrika "etwas werden" konnten. Dabei handelte es sich um eine auf die Verhältnisse des Kapstaates feinabgestimmte Variante des ewigen Tellerwäscher-Mythos kapitalistischer Gesellschaften, durch den die unüberbrückbaren Klassengrenzen (Apartheid) als durchlässig dargestellt werden, um die Angehörigen der unterdrückten und ausgebeuteten Klasse besser gegeneinander ausspielen zu können. Dieser Mythos stellte so etwas wie eine propagandistische "Antwort" auf linke Ansätze dar, die daraus die Schlußfolgerung zogen, dem Streben nach einem individuellen gesellschaftlichen Aufstieg, das unter diesen Voraussetzungen nur zu Lasten anderer erfolgreich sein kann, zugunsten eines Befreiungskampfes der eigenen Klasse den Laufpaß zu geben.

Der schon 1912 gegründete Afrikanische Nationalkongreß (ANC) nun hat zeit seines Lebens eine Doppelstrategie verfolgt. Er war zu keinem Zeitpunkt eine sozialistische oder kommunistische Organisation oder Partei, konnte und wollte sich jedoch ebensowenig mit aller Deutlichkeit als antikommunistisch oder antisozialistisch erkennen geben. Dies wäre einem politischen Selbstmord gleichgekommen, weil es gar nicht ausbleiben konnte, daß sich viele Menschen, die sich aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert und unterdrückt sahen, in ihrem Protest linken Inhalten und Programmatiken annäherten, sich ihrer bedienten und hier ihre politische Heimat und ihr politisches Selbstverständnis fanden. Die Soweto-Generation der 1970er Jahre beispielsweise wäre gar nicht auf die Idee gekommen, zwischen ihrem Kampf gegen den Apartheidstaat und antikapitalistischer Arbeit einen Unterschied machen zu können oder auch nur zu wollen. Hätte der ANC all diesen Menschen die Tür versperrt, hätte er wohl niemals die Führungsposition innerhalb des Apartheidwiderstandes einnehmen können, weil sich die Aktivisten dann anderen Organisationen und/oder Parteien zugewandt oder eigene Formen des Zusammenschlusses entwickelt hätten.

Die Bündnispolitik des ANC, der klug genug war, linkes Gedankengut bis zu einem gewissen Grade beim eigenen Parteivolk zu akzeptieren, war ebenfalls von der taktischen Überlegung getragen, sich weder den Gewerkschaftsbund COSATU (Congress of South African Unions) noch die kommunistische Partei SACP (South African Communist Party) zum politischen Gegner machen zu wollen. Dies hatte zunächst pragmatische Gründe, da im Kampf gegen das militärisch und wirtschaftlich haushoch überlegene Regime nur ein gebündeltes Vorgehen aller oppositionellen Kräfte erfolgversprechend sein konnte.

Im Zuge dessen wurde jedoch eine organisatorische Einbindung und eine politische Vereinnahmung vollzogen, die ihre volle Wirkung erst nach der Stunde X, sprich dem Ende des verhaßten Regimes, entfalten konnte. Der ANC hat es vor, während und nach seiner Übernahme der Regierungsgeschäfte im Jahre 1994 verstanden, die Entstehung einer wirksamen Linksopposition außerhalb der eigenen, ebenfalls politisch gesäuberten Organisation zu verhindern. COSATU und SACP, Weggefährten aus der Zeit des Apartheidwiderstandes, wurden in die neue ANC-Welt - so gut es ging und so weit diese es zuließen - eingebunden und auf diese sozusagen "friedliche" Weise neutralisiert.

Schon 1990 hatte der ANC mit dem Gewerkschaftsbund COSATU sowie der kommunistischen Partei SACP eine Dreier-Allianz ("Tripartite Alliance") gebildet. Zu diesem Zeitpunkt - offiziell stand Südafrika noch bis 1994 unter der Regierung des letzten Apartheidpräsidenten Frederic de Klerk - war die vom Regime mit dem im Februar 1990 freigelassenen Nelson Mandela und dem von ihm dominierten ANC ausgehandelte Kompromißlösung schon in trockenen Tüchern, und so kann vermutet werden, daß der ANC seine potentiell stärksten Gegner in den eigenen Reihen - COSATU und SACP - noch stärker an sich binden wollte, um deren späteres Ausscheren aus der Einheitsfront zu verhindern bzw. zu erschweren. 1990 überschlugen sich dann die Ereignisse, angeblich ausgelöst durch die für den Apartheidwiderstand verbindliche Zusage eines ANC-Führers, der sich seit einem Vierteljahrhundert in der Gewalt des Regimes befand (Mandela), zum "Verzicht auf Waffengewalt".

Dies soll den "Durchbruch" bei den schon seit mehreren Jahren mit der Regierung geführten Verhandlungen über ein Ende der Rassentrennung bewirkt haben. In der Folge wurde nicht nur der ANC wieder zu- und Mandela freigelassen. Im Juni 1990 wurde der über ganz Südafrika verhängte Ausnahmezustand sowie das allgemeine Verbot politischer Parteien aufgehoben. Somit konnte nicht nur der ANC wieder legal arbeiten, sondern auch die seit 40 Jahren verbotene Kommunistische Partei SACP, die am 29. Juli 1990 erstmals wieder einen legalen Parteikongreß abhielt. Ihre Legalisierung war keineswegs unumstritten, stellten doch die Rechten im eigenen Lande sowie ausländische "Kalte Krieger" an Nelson Mandela recht unverblümt die Forderung, das Verbot der SACP weiterhin bestehen zu lassen. Mandela hingegen verfügte über genügend politische Instinkte, um sich gerade dieser Forderung vehement zu widersetzen. Bei einer seiner großen Reden dieser Zeit im Fußballstadion von Soweto brach er scheinbar eine Lanze für die kommunistischen Kampfgenossen. Er schilderte mit großem Respekt die Geschichte der SACP, lobte ihren Widerstandskampf und ihre Partnerschaft mit dem ANC und vertrat im übrigen den Standpunkt, daß in Südafrika keine Demokratie würde entstehen können, wenn solch eine legitime politische Partei mit einem undemokratischen Verbot belegt werden würde.

Bei solchen Worten konnte jedem Apartheidgegner warm ums Herz werden, verhießen sie doch den Anbruch einer neuen, in dem seit Jahrhunderten kolonialisierten Südafrika nie dagewesenen Zeit. Schon bei Mandelas Freilassung, die vielfach synonym gesetzt wurde mit einem Sieg über das alte Regime, hatte der Jubel zunächst keine Grenzen gekannt. Arbeiter des südafrikanischen Mercedes-Werkes bauten "ihrem Führer" (Mandela) in ihrer Freizeit - zum großen Entsetzen europäischer Antiapartheid-Aktivisten - einen Mercedes und damit das klassische Statussymbol des westlichen Kapitalismus. So ganz nebenbei werteten sie damit einen Konzern auf, der nicht nur das UN-Embargo gebrochen, sondern dem Regime gepanzerte Fahrzeuge für die Aufstandsbekämpfung in Soweto und anderswo geliefert hatte. Shell Südafrika, ein weiteres blockadebrechendes und damit die alte Apartheid unterstützendes Unternehmen, bewies ebenfalls politisches Fingerspitzengefühl und verkaufte dem ANC 1990 das Shell House in Johannesburg, wo dieser fortan residierte.

Die 1990 vollzogene Einbindung der SACP sowie des Gewerkschaftsbundes COSATU in die ANC-geführte "Tripartite Alliance" mündete 1994 nach den ersten freien Wahlen keineswegs in einer aus diesem Dreigespann gebildeten ersten Regierung. Stattdessen bildete der ANC 1994 mit der Nationalpartei (NP) de Klerks (!) sowie der Inkatha-Freiheitspartei (IFP) eine "Regierung der Nationalen Einheit", aus der sich die 1999 in Neue Nationalpartei (NPP) umbenannte und 2005 schließlich aufgelöste NP schon 1996 verabschieden sollte, um in die Opposition zu gehen. Gleichwohl hätte diese Einheitsregierung in den ersten Jahren ihres Bestehens kaum ohne die Unterstützung der Dreierallianz ANC, COSATU und SACP bestehen können. Der Gewerkschaftsbund COSATU, in dem rund 40 Prozent der gesamten Arbeiterschaft organisiert waren, hätte in den frühen 1990er Jahren das Potential gehabt, dem ANC die Führungsrolle bei der Gestaltung des Nachapartheid-Südafrikas streitig zu machen.

In dieser Übergangszeit gelang es dem ANC, sich in Hinsicht auf die starken COSATU-Gewerkschaften wie auch auf die in der Tradition des Apartheidwiderstandes ohnehin verbrüderte SACP als beeinflußbar darzustellen. Viele Kommunisten und Gewerkschafter werden der Dreierallianz in dem Glauben zugestimmt haben, auf diesem Weg in der neuen ANC-Regierung die eigenen Politikvorstellungen einbringen und früher oder später auch durchsetzen zu können. Das im engsten Wortsinn vielversprechende Umbau- und Entwicklungsprogramm ("Reconstruction and Development Programme" - RDP), mit dem der ANC 1994 zu den ersten freien Parlamentswahlen angetreten war und diese dann hatte gewinnen können, war maßgeblich von COSATU entwickelt worden.

In der 1994 gebildeten Regierung übernahm Jay Naidoo, bis dahin COSATU-Generalsekretär, sogar als Minister die Verantwortung für das Umbauprogramm. Doch das RDP sollte sich schon bald als bloßes Blendwerk erweisen. Nur zwei Jahre später, 1996, wurde es ersatzlos gestrichen, Naidoos Ministerium wurde aufgelöst. Dies war keine Personal-, sondern eine inhaltliche Entscheidung. Die durch das zwei Jahre zuvor durch das RDP-Reformversprechen aufgebaute Maske eines irgendwie sozialen Staates, der die tiefen Wunden der Apartheid heilen und selbstverständlich der Grundversorung der schwarzen und verarmten Bevölkerungsmehrheit oberste Priorität einräumen würde, wurde fallengelassen. Großgeschrieben wurde von nun an ganz ungeniert der Begriff "wirtschaftliche Stabilität", worunter eben nicht eine allgemeine soziale Entwicklung, sondern eine strikt an den Interessen der Unternehmen ausgerichtete Wirtschaftspolitik verstanden wurde.

Als die Regierung Mandela infolge ihres nun offenen Eintretens für eine "neoliberale" Politik ein (noch) arbeitgeberfreundlicheres Arbeitsgesetz verabschiedete, verstanden viele Gewerkschafter und ANC-Aktivisten die Welt nicht mehr und begannen, den Ausstieg COSATUS aus der mit dem ANC eingegangenen Dreierallianz zu fordern. "Ist es das, wofür wir unseren Kopf hingehalten haben?" fragte beispielsweise Patrick Gxilishe von der Metallarbeitergewerkschaft NUMSA, der wegen seiner politischen Arbeit in den 1980er Jahren entlassen worden war und sich und seine Kollegen nun mit der Aufforderung Mandelas zu Arbeitsdisziplin und Streikverzicht konfrontiert sah.

Der ANC, in Südafrika seit 1960 verboten und auch in der westlichen Welt dreißig Jahre lang als "terroristische Organisation" diffamiert, hatte sich ab 1990 und vollends mit der Übernahme der Führungsposition in der nun "demokratischen" Regierung der Nationalen Einheit ab 1994 als williger Helfer eines Imperiums erwiesen, das nach dem Niedergang des Sowjet-Sozialismus nur umso begieriger nach der Weltherrschaft strebte und dabei nicht einen Winkel der Erde - auf dem afrikanischen Kontinent so wenig wie irgendwo anders - auszulassen oder auch nur zu vernachlässigen gedachte. Der wesentliche Unterschied zwischen der letzten Apartheidregierung de Klerks und ihrer von Mandela angeführten Nachfolgeadministration bestand nicht in erster Linie in dem Ausmaß freigesetzter Repressionsgewalt, sondern in der von der ANC-Führung vollzogenen Neutralisierung antikapitalistischer und antiimperalistischer Inhalte innerhalb der Widerstandsbewegung.

Im ANC-Staat konnte in einem Ausmaß Tabula rasa gemacht werden mit linken oder auch nur radikaleren Gewerkschaftspositionen, von dem die herrschenden Eliten anderer kapitalistischer Staaten nur träumen können. Immer wieder wucherten die tonangebenden ANC-Repräsentanten mit dem Pfund, das ihnen als ehemaligen Widerstands- und Befreiungskämpfern zuzustehen schien und auch zugebilligt wurde. Dabei hatten, ohne daß dies in Südafrika oder im Ausland für größeres Aufsehen gesorgt hätte, uneinsichtige Aktivisten das Nachsehen, die ihrerseits nicht minder aufopferungsvoll den Apartheidstaat bekämpft hatten. Dies müssen nicht unbedingt Mitglieder der kommunistischen Partei gewesen sein, deren Funktionäre in einem durchaus mit dem ANC vergleichbaren Ausmaß der Verlockung prallgefüllter Fleischtöpfe erlegen sind. So hatte sich in Südafrika schon bald nach der Wende der Begriff, auf den "Gravy Train" (den "Zug mit der fetten Sauce") aufzuspringen eingebürgert für die Entwicklung, die viele ehemalige Widerstandskämpfer nahmen, nachdem sie als Regierungs- und Verwaltungsbeamte zu stattlichen Einkommen gekommen waren. "Sie haben uns vergessen", sagten die vielen, die bei der Zuteilung der wenigen Privilegien unberücksichtigt geblieben waren.

In der darauffolgenden Legislaturperiode von 1999 bis 2004 (der ANC hatte bei den Parlamentswahlen im Juni 1999 um nur ein Mandat die Zweidrittelmehrheit verfehlt; Thabo Mbeki, seit 1997 ANC-Vorsitzender, löste den nicht mehr kandidierenden Nelson Mandela ab und wurde neuer Staatspräsident) wurde die Kommunistische Partei voll in die Regierungsverantwortung eingebunden. Die SACP stellte mit Geraldine Fraser-Moleketi (Ministerin für öffentliche Dienste und Verwaltung), Jeff Radebe (Minister für Staatsbetriebe), Alec Erwin (Minister für Handel und Industrie), Essop Pahad (Minister im Präsidialamt), Ronnie Kasrils (Minister für Wasser und Forsten), Sydney Mufamadi (Minister für Provinzen und Kommunen) und Charles Nqakula (Minister für Sicherheit) gleich sieben Kabinettsmitglieder mit keineswegs unwichtigen Ministerien. Die SACP - zwei Minister, Fraser-Moleketi und Radebe gehörten sogar dem Zentralkomitee der Partei an - ließ sich vollkommmen kompromittieren. Wollte sie nun noch den Anspruch erheben, "kommunistische" Politik zu betreiben in der Weise, in den Verteilungskämpfen zwischen arm und reich als Partei der Armen und Habenichtse in Erscheinung zu treten, war dies nur möglich auf der Basis einer vollständige Adaption des ideologischen Kernaxioms kapitalistischer Gesellschaftssysteme, demzufolge die Klasse der Unternehmen gefördert werden müsse, damit es in der Folge auch den armen Menschen gutgehe.

Das SACP-Mitglied Alec Erwin zeichnete als Minister für Handel und Industrie sogar direkt verantwortlich für das neoliberale Wirtschaftsprogramm GEAR ("Growth, Employment and Redistribution"), durch das 1996 das gewerkschaftsnahe Aufbauprogramm RDP abgelöst worden war, und trieb damit die Verarmung und Verelendung der südafrikanischen Massen aktiv voran. Die Zielvorgaben dieses Regierungsprogrammes - Wachstum, Arbeit und Umverteilung - bedeuteten mitnichten, daß die ANC-Regierung sich selbst in die Pflicht nehmen lassen wollte, für "Wachstum", "Arbeit" und eine "Umverteilung" von oben nach unten zu sorgen. Aus dem vom alten Regime nahezu unverändert übernommenen Regierungs- und Verwaltungsapparat wurden noch die Bestandteile entfernt, die materielle Versorgungsansprüche hätten begründen können. Keine zehn Jahre später sollte sich das Programm GEAR, bei dem mit der Weltbank eine führende Agentur des westlichen Imperialismus die neue Regierung Südafrikas "beraten" hatte, als völliger Fehlschlag erwiesen haben.

Zwar hatte es makroökonomische Resultate gezeitigt, die - wenn auch nur in gezielt herbeigeführter Verkennung der tatsächlichen Lage - als Erfolg eingestuft wurden und in den Folgejahren zu weiteren Wahlerfolgen des ANC genutzt werden konnten. Doch sind die erwirtschafteten "Erfolge" bestenfalls geeignet, ungeachtet der tatsächlich noch zugespitzten Verarmung und Verelendung der Bevölkerungsmehrheit bei dieser Hoffnungen zu schüren und Perspektiven auf eine Besserung der Lage zu nähren - mehr nicht. Auf der 51. Nationalen Konferenz des ANC, dem höchsten, nur alle fünf Jahre tagenden Parteigremium, die vom 16. bis 20. Dezember 2002 im Burenstädtchen Stellenbosch abgehalten wurde, konnte der ANC bei der eigenen Parteibasis hohe Zustimmungswerte auch für seine Wirtschafts- und Sozialpolitik erzielen. Über dreitausend Delegierte aus allen neun Provinzen zeigten eine große Bereitschaft, sich durch die "Erfolgsgeschichte" der Regierung blenden zu lassen bzw. durch deren fortgesetzte Unterstützung die eigenen Fleischtröge zu sichern.

Auf dem Parteitag wurde der vermeintliche Wirtschaftsaufschwung, bezogen auf einen Höhenflug der Landeswährung Rand um 38 Prozent sowie stetig ansteigende Goldpreise, woraus sich auf dem Papier eine gute Wirtschaftsbilanz Südafrikas für das Jahr 2002 ableiten ließ, der eigenen Regierung ans Revers geheftet. Finanzminister Trevor Manuel, der wie wohl kein zweites Kabinettsmitglied für die vollständig neoliberale Kehrtwende verantwortlich zeichnete, erhielt in Stellenbosch bei der Wahl der Mitglieder des Nationalen Exekutivkomitees (NEC), des 100-köpfigen, sozusagen zwischen den Parteitagen "regierenden" und damit eigentlich wichtigsten Organ des ANC, sogar die meisten Delegiertenstimmen.

Dabei fiel die tatsächliche Bilanz nach zwei Perioden ANC-geführter Regierungspolitik verheerend aus. Das seit 1996 vom ANC verfolgte Umverteilungsprogramm (von unten nach oben!) GEAR hatte zur Vernichtung von Arbeitsplätzen und einem starken Anwachsen der Arbeitslosigkeit auf rund fünf Millionen Arbeitssuchende (rund 40 Prozent der Menschen im erwerbsfähigen Alter) sowie zu einer verstärkten Polarisierung der Einkommen geführt. Mit anderen Worten: Immer weniger Südafrikaner wurden immer reicher, während immer mehr Menschen, an denen die Klasse des Kapitals kein Verwertungsinteresse mehr hatte, immer ärmer wurden. Dies führte bei COSATU zu immer massiveren Protesten. Bei Massenveranstaltungen, die in den Folgejahren Monat für Monat abgehalten wurden, sprach der Gewerkschaftsbund in Anspielung auf die Apartheidgeschichte des Landes von einem "Blutbad auf dem Arbeitsmarkt".

Daß der Gewerkschaftsbund wortradikal in Erscheinung trat, bedeutete jedoch mitnichten, daß er die mit dem ANC und der SACP eingegangene Dreierallianz aufgekündigt hätte. Er fungierte als Sprachrohr des wachsenden Millionenheeres unzufriedener und auch wutentbrannter Menschen, die früher oder später dem ANC-Staat womöglich die Gefolgschaft hätten aufkündigen können. Schon 2001 hatte COSATU einen ersten Antiprivatisierungsstreik durchgeführt und ein Jahr später, am 1. und 2. Oktober 2002, zum Generalstreik aufgerufen. Zwelinzima Vavi, Generalsekretär von COSATU, hatte bei diesem Streik die Forderungen der Gewerkschaft folgendermaßen umrissen: "Unsere Forderungen sind moderat: daß die grundlegenden Versorgungsleistungen nicht privatisiert werden sollen und daß bei jedem Umstrukturierungsvorschlag erst einmal eine gründliche Studie durchgeführt werden soll."

COSATU und SACP betätigten sich als politische Feuerwehr des ANC-Staates, indem sie sich dem Anschein nach außerhalb der Regierung positionierten gerade soweit, um einigermaßen glaubwürdig "kritische Positionen" vertreten und die vom ANC mehr und mehr enttäuschten Menschen an sich binden zu können. Dabei hatte gerade auch die Kommunistische Partei die Privatisierung nicht nur mitgetragen, sondern durch eigene Minister aktiv durchgesetzt - so etwa durch Jeff Radebe, der als "Minister für Staatsbetriebe" der 1999 gebildeten ANC-Regierung angehört und in dieser Funktion die weitere Privatisierung der noch in Staatsbesitz befindlichen Betriebe vorangetrieben hatte. Wie ein ungeschriebenes Gesetz schien den gesamten ANC-Staat die Direktive zu durchziehen, unter keinen wie auch immer gearteten Umständen Widerstand nicht nur nicht gegen die Regierung, sondern auch nicht gegen deren Wirtschafts- und Sozialpolitik zu leisten oder zu unterstützen.

Daß diese bittere Pille auch von COSATU und SACP längst geschluckt worden sein mußte, war in Südafrika so etwas wie ein offenes Geheimnis. So schrieb John Battersby, der Herausgeber der "Sunday Independant", der als Vertrauter des seit 1999 regierenden Präsidenten Tabo Mbeki galt, am 28. Juli 2002 in seiner Zeitung in Hinsicht auf den Jahresparteitag der SACP: "Wenn es Ernst wird, dann vertritt die SACP die landlosen und wohnungslosen Massen auch nicht besser, als ANC und Cosatu die arbeitslosen Massen vertreten, wie auch immer die Rhetorik von den 'Ärmsten der Armen' lautet ... Die Allianz repräsentiert die Elite und aufkommende Mittelklasse."

Man gab vor, durch eine konsequent an den Interessen der Unternehmen ausgerichteten Wirtschafts- und Sozialpolitik für die Menschen Südafrikas das Beste herauswirtschaften zu wollen und setzte somit voll auf die Karte "Kapitalismus". Da es sich hierbei um kein für Südafrika spezifisches Phänomen politischer Herrschaftsausübung handelte und im Kapstaat in kürzester Zeit wie in einer Art gesellschaftlichem Mikro-Kosmos lediglich Abläufe wie in einem Zeitraffer abgespult wurden, die an vielen Stellen der Geschichte der Herrschaft des Menschen über den Menschen bereits erkennbar geworden waren, konnte es nicht ausbleiben, daß die Realität die gegebenen Versprechen ein- und überholte. So hatte der ANC bei den ersten "demokratischen" Wahlen von 1994 versprochen, durch den Bau von einer Million "menschenwürdiger" Wohnungen einen Ersatz für die Ghetto- Behausungen zu schaffen. Zwei Jahre später, bis zum März 1996, waren statt der versprochenen einen Million gerade einmal 12.000 Wohnungen gebaut worden. Viele dieser Billighäuser wiesen zudem schon bei ihrer Fertigstellung erhebliche Baumängel auf, und so kam auch das Wohnungsbauministerium nicht umhin, über die Hälfe der Neubauten als eigentlich unzureichend ("sub standard") zu klassifizieren.

Südafrika kam zu Zeiten der sogenannten Nachapartheid mit schlimmeren Folgen als je zuvor "im Kapitalismus" an. Als Nelson Mandela 1999 das das Amt des Staatspräsidenten abgab, lobte er sich und seine Regierung in seiner Abschiedsrede unter anderem auch dafür, daß in den ersten fünf Jahren nach der Apartheid der Anteil der Bevölkerung, der einen sicheren Zugang zu Trinkwasser habe, von 70 auf 80 Prozent gesteigert worden sei. Nach Mandelas Angaben - die unberücksichtigt ließen, daß die Hälfte der in dieser Zeit neuverlegten Wasserleitungen bereits wieder defekt waren - hatte nach fünf Jahren ein Fünftel der Bevölkerung noch immer keinen Zugang zu Trinkwasser. Das umstrittene GEAR-Programm bedeutete, daß der Staat nicht mehr selbst als Versorgungsunternehmen in Erscheinung trat wie noch - wenn auch auf eine die Menschen nicht-weißer Hautfarbe extrem benachteiligende Weise - zu Zeiten der offenen Apartheid. Die Basisversorgungsdienste wurden nicht mehr subventioniert mit der Folge, daß die Gebühren für Wasser und Strom in die Höhe schnellten.

Die Folgen waren katastrophal: In den ersten acht Jahren der Nach- oder vielmehr Neo-Apartheid wurde zehn Millionen Südafrikanern Strom und Wasser abgestellt, weil sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen konnten. Zwei Millionen Menschen verloren wegen nicht bezahlter Mieten ihre Wohnungen. Die städtischen Verwaltungen betrieben die Abschaltmaßnahmen bald mit mehr Aufwand als die eigentlichen Versorgungsleistungen. Im Großraum Kapstadt wurde zwischen 1999 und 2000 75.000 Haushalten der Wasserhahn abgedreht. In Soweto wurde nach den Parlamentswahlen von 1999, die dem ANC eine ansehnliche, wenn auch nicht eine Zwei-Drittel-Mehrheit beschert hatten, 20.000 Haushalten die Stromzufuhr gekappt. Ein Manager des Stromkonzerns Eskom, Brian Johnson, kündigte zugleich an, man werde "mindestens 75 Prozent der Einwohner von Soweto vom Netz nehmen."

Um den Strom- und Wasserverbrauch der Ghettobevölkerungen "besser kontrollieren" zu können, wurde sogar vorgeschlagen, die Bewohner der heruntergekommenen Apartheid-Ghettos, aus denen nun die Viertel der Ärmsten geworden waren, aus ihren Häusern, die dann gewinnbringend verkauft werden könnten, zu vertreiben und in "Armenhäuser" umzusiedeln. Die grassierende Arbeitslosigkeit sowie die Baufälligkeit vieler Häuser führten beispielsweise in Kapstadt dazu, daß die Bewohner ihre eigenen, geringfügigen finanziellen Mittel aufbringen mußten, um eingestürzte Decken und geborstene Leitungen zu reparieren. Kamen sie dadurch in Mietrückstand, machten die Banken mit Rückendeckung der Regierung von ihren Rechten Gebrauch: Die "säumigen" Mieter wurden zwangsumgesiedelt in Behausungen, für die sich der Begriff "Hundehütte" schnell einbürgern sollte.

Zu offiziellen Apartheidzeiten galten 28 Prozent der Familien in Südafrika als arm; zehn Jahre später ist diese Zahl auf ein Drittel angewachsen. Das Heer der Arbeitslosen ist von 2,3 Millionen (1995) in der Neo-Apartheid um weitere 1,6 Millionen auf 4,2 Millionen (2002) angewachsen. Die Einkommen der Haushalte schwarzer Menschen sind zwischen 1995 und 2000 um etwa 19 Prozent zurückgegangen, die Einkommen der Haushalte von Menschen mit weißer Hautfarbe hingegen sind in demselben Zeitraum um 15 Prozent angestiegen. Die Trennung anhand der Hautfarben ist einer nicht minder rigorosen Trennung anhand der Einkommensverhältnisse und gesellschaftlichen Positionen gewichen, und es liegt auf der Hand zu argwöhnen, daß dieselben Menschen, die vor 1994 schwarz und arm gewesen waren, nach 1994 schwarz und arm geblieben oder noch ärmer geworden sind.

Es versteht sich fast von selbst, daß eine solche Umverteilungspolitik zu Lasten der ohnehin Armen und zugunsten einer sehr kleinen Elite und einer ebenfalls kleinen neuen schwarzen Mittelschicht nicht ohne Repressialien auch innerhalb des ANC und seiner Partner durchgesetzt werden konnte. Auf dem bereits erwähnten 51. Parteikongreß des ANC im Dezember 2002 in Stellenbosch war Tabo Mbeki, ANC-Vorsitzender seit Dezember 1997 und Staatspräsident seit Juni 1999, zum Frontalangriff gegen links übergegangen. Er forderte COSATU und SACP ultimativ auf, sich entweder der Disziplin des ANC zu beugen oder die Allianz zu verlassen. Er nannte beide Partner "linke sektiererische Fraktionen" und erklärte, er werde die "falsche Charakterisierung der Bewegung und ihrer Politik" durch diese beiden Organisationen nicht mehr tolerieren. Ein scharfer und immer schärferer Wind wehte all jenen entgegen, die es sich nicht nehmen lassen wollten, inner- wie außerhalb des ANC gegen dessen neoliberale Politik zu protestieren.

Die "Systemauseinandersetzung", die im weltweiten Maßstab allem Anschein nach schon 1989/90 vom Kapitalismus gewonnen werden konnte, wiederholte sich wie in einem Mikrokosmos nicht nur in Südafrika, sondern auch innerhalb des ANC. ANC-Funktionäre repräsentierten einen Antikommunismus, der direkt aus den Schreibstuben des sogenannten Kalten Krieges entnommen zu sein schien. In einem 2002 im ANC zirkulierenden Papier hatte Jabu Moleketi, Finanzminister von Gauteng, die Kommunistische Partei (SACP) als "rote Gefahr" bezeichnet. Die SACP-Mitglieder wurden als "Wölfe im Schafspelz" und "Ultralinke" diffamiert; ihnen wurde unterstellt, von Südafrika aus einen "weltweiten proletarischen Kampf gegen den Kapitalismus" führen zu wollen. Wer immer die ANC-Führung zu kritisieren wagte, wurde als Instrument einer kontrarevolutionären Kampagne gegen den ANC diskreditiert, mochten seine Kritikpunkte und Argumente auch noch so moderat und/oder auf die Privatisierungspolitik beschränkt gewesen sein.

So kursierte im Oktober 2002 im ANC ein Papier, in dem die politischen Kontrahenten, zu denen neben COSATU und SACP auch das Anti-Privatisierungs-Forum sowie die Kampagne 'Jubilee 2000' gezählt wurden, als "Fremde in unserem Land" bezeichnet wurden, die einer "internationalen Koalition" angehörten, die auf den "Sieg des Sozialismus" abziele. Die ANC-Führung scheute nicht davor zurück, die Kritik von links in eine Ecke mit der kolonialen Apartheid zu stellen. So hieß es in dem ANC-Papier von 2002: "Diese Gegner des Neoliberalismus führen ihre Kampagnen auf eben der politischen Plattform, die von den politischen Vertretern des Kolonialismus, der weißen Minderheitsherrschaft und des weißen Kapitals erarbeitet und öffentlich präsentiert worden sind." Und Präsident Mbeki avancierte schnell zum Wortführer solcher Diffamierungen. Die politische Klugheit eines Nelson Mandelas, der auf die kommunistischen wie gewerkschaftlichen ehemaligen Kampf- und jetzigen Bündnisgenossen nichts kommen lassen wollte, um sie an sich zu binden und als mögliche Gegner schon im Ansatz zu neutralisieren, ging Tabo Mbeki vollkommen ab.

Er wetterte innerhalb des ANC gegen "Ultralinke" und suchte die Kritiker des NEPAD ("New Partnership for African Development", Neue Partnerschaft für afrikanische Entwicklung - ein Regierungsprogramm, mit dem Südafrika seine Vormachtstellung in dem gesamten Kontinent über die Schiene Entwicklung festigen wollte) als "selbsternannte Verfechter von Demokratie" zu verhöhnen, die von der Entwicklung Afrikas keine Ahnung hätten. Die Gewerkschaften sahen sich in die Defensive gedrängt und beeilten sich zu erklären, daß sie mit ihren Antiprivatisierungsstreiks keineswegs eine Majestäts-, Pardon, ANC-Beleidigung hätten begehen wollen. So erklärte Silumko Nondwangu von der Metallarbeitergewerkschaft Numsa im Dezember 2002 in der "Sunday Times" zu dem im Oktober durchgeführten, zweitägigen Generalstreik: "Er war gegen Übergriffe des Neoliberalismus gerichtet, die sich in wachsender Armut, Arbeitslosigkeit und, grundsätzlicher noch, in Versuchen äußerten, den demokratischen Staat an die Erfordernisse des Marktes zu verpfänden."

Doch Erklärungen und Beteuerungen dieser und ähnlicher Art fruchteten nichts. Der ANC-Apparat war angetreten, die neoliberale Linie, die mit Sicherheit nicht in den eigenen Hinterstübchen ausgebrütet, sondern ihm von westlichen Beratern eingeflüstert oder bereits bei den Vorverhandlungen des "friedlichen Übergangs" mit ausgehandelt worden war, gegen jeden Widerstand durchzusetzen. Trevor Ngwane mußte wegen seiner abweichenden Positionen den ANC sogar verlassen. Er trat wenig später im Anti-Privatisierungs-Forum in Erscheinung und kritisierte Präsident Mbeki im September 2002 auf dem in Johannesburg abgehaltenen UN-Gipfel über nachhaltige Entwicklung öffentlich. Ngwane erklärte, Mbeki würde für "De Beers" und "Anglo American" arbeiten und nicht für die Armen Südafrikas. Auf diese wie jede andere Kritik reagierte der Präsident sehr scharf. Von einem offenen und, wenn man so will, demokratischen Diskussionsprozeß konnte innerhalb des ANC nicht die Rede sein.

Über die "linken Sektierer" sagte Mbeki auf einer ANC-Konferenz im September 2002: "Sie beschuldigen unsere Bewegung, die arbeitenden Menschen im Stich gelassen zu haben, und sagen, wir hätten eine neoliberale Politik angenommen und setzten sie um." Wie aber ließe sich dieser Vorwurf inhaltlich entkräften? Gar nicht. Eine inhaltliche und kontroverse Debatte fand nicht statt. Die Repression gegen links ging sogar so weit, daß sogar Mitglieder, die sich bei aller Kritik unterm Strich noch für den ANC stark machten, mundtot gemacht wurden. Jeremy Cronin, Theoretiker und stellvertretender Generalsekretär der SACP, hatte im Januar 2002 in einem Interview mit der irischen Politikdozentin Helena Sheehan gewisse ANC-kritische Äußerungen gemacht. Dabei hatte er die von dem linken Kanadier John Saul geäußerte Kritik - dieser hatte die hohe Arbeitslosigkeit in Südafrika sowie die Korruption innerhalb der Regierung angeprangert - noch zu entkräften versucht. Cronin hatte sich gegen Sauls Standpunkt, der ANC sei eine "mehr und mehr stalinistische Organisation, die die Revolution betrogen" habe, ebenso verwahrt wie gegen dessen Schlußfolgerung, nämlich daß die "Linke in Südafrika ohne den ANC weitergehen" müsse. Cronin hatte in diesem Interview allerdings zugestanden, daß es im ANC Tendenzen gäbe, sich von den Massen zu entfernen und sich in eine Richtung zu entwickeln, in der er den Kontakt zu den Massen verlieren könnte. Cronin verhehlte auch nicht, daß Linke im ANC "heruntergemacht" und heftiger Kritik des Präsidenten ausgesetzt wurden, was im übrigen schon zu Zeiten Mandelas begonnen hätte.

Kurz vor dem 11. Parteikongreß der SACP Ende Juli 2002 ging das ANC-Büro Mbekis zum Großangriff auf Cronin über. Auf einer Pressekonferenz wurde er der "vorsätzlichen Verbreitung von Lügen" angeklagt und als "nicht vertrauenswürdiger Weißer" verunglimpft. In der vielgelesenen Tageszeitung "Sowetan" sprach das ANC-Exekutivmitglied Dumisani Makhaye dem "weißen Messias" (Cronin) jedes Recht zur Kritik am ANC ab. Dem schloß sich die Jugendliga des ANC an; sie sprach Cronin, der sieben Jahre wegen seiner Untergrundarbeit während der Apartheid im Gefängnis gesessen und lange für den ANC gekämpft hatte, jegliche Loyalität ab. Hinter verschlossenen Parteitüren ging diese Auseinandersetzung weiter mit dem Ergebnis, daß Cronin sich für sein der irischen Apartheidgegnerin gegebenes Interview vor der ANC-Exekutive entschuldigen mußte; andernfalls hätte er sich einem Disziplinarverfahren unterwerfen müssen oder wäre gleich aus dem ANC ausgeschlossen worden. Die Hardliner im ANC versuchten sogar, Cronin, aber auch den SACP-Generalsekretär Blade Nzimande, von der Kandidatenliste für das Nationale Exekutivkomitee (NEC) des ANC streichen zu lassen. Dieser Winkelzug politischer Repression blieb allerdings erfolglos; bei den Neuwahlen zum NEC auf dem ANC-Parteikongreß im Dezember 2002 in Stellenbosch kamen sowohl Nzimande als auch sein Stellvertreter Cronin auf gute Plätze.

Präsident Mbeki, der vor diesem Parteitag noch gedroht hatte, sowohl die Kommunisten als auch die Arbeitertraditionen vollständig aus dem ANC entfernen zu wollen, um sich vollkommen ungestört der weiteren wirtschaftlichen Einbindung Südafrikas in die neue globale Weltordnung widmen zu können, mußte nach dem Kongreß allerdings ein wenig zurückrudern. Die ANC-Basis hatte sich nicht bereit gezeigt, eine solche Säuberung mitzutragen. Kgalema Motlanthe, Generalsekretär des ANC, suchte die Lage nach Stellenbosch mit den Worten zu charakterisieren: "Wenn der ANC seine Linken verliert, wird er nicht mehr in der Lage sein, zu fliegen."

Schön formuliert. Es bedeutete allerdings nichts anderes, als daß die nun scheinbar wieder vorhandene Bereitschaft Mbekis und seiner Gesinnungsfreunde, die "Linke" innerhalb des ANC in einem sozialdemokratischen Rahmen weiterhin gewähren zu lassen, einzig und allein auf einem taktischen Kalkül beruhte. Im Dezember 2002 ist die ANC-Elite lediglich an die Einsicht erinnert worden, eine imperialistische, neoliberale Politik im internationalen Kontext besser unter Einbindung "linker" Kräfte durchsetzen zu können. Welch ein Narr hätte damals auch schon geglaubt, daß die vermeintlichen kleinen Siege der mit dem ANC zutiefst verflochtenen Kommunisten oder auch der Gewerkschaften tatsächlich zu einer Zäsur in der neoliberalen Politik Südafrikas hätten führen können?

(Fortsetzung folgt)

15. Februar 2008