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DILJA/090: Srebrenica oder die Zerschlagung Jugoslawiens - Teil 7 (SB)


Das "Massaker von Srebrenica" - nachgelieferte Letztbegründung für die gewaltsame Zerschlagung Jugoslawiens und Präzedenzfall der humanitär bemäntelten Kriegführung westlicher Hegemonialmächte


Teil 7: 1993-1994 - Die weitere Vorgeschichte des "Massakers von Srebrenica". Ein wirksamer Schutz der "UN-Schutzzone" Srebrenica wird nicht gewährleistet. Die einseitige Bezichtigung der bosnischen Serben wird international forciert

Im April 1993 soll es, wie Zeugen aus der bosnisch-muslimischen Führung nach einem Treffen mit ihrem Präsidenten Alija Izetbegovic im September desselben Jahres berichteten, eine geheimgehaltene Absprache zwischen dem damaligen US-Präsidenten Bill Clinton und Izetbegovic darüber gegeben haben, daß Clinton den bosnischen Muslimen eine NATO-Luftunterstützung nur zusagen wollte für den Fall, daß es zuvor ein von den bosnischen Serben an den Bewohnern Srebrenicas verübtes Massaker mit 5.000 Toten geben würde. Ein unmittelbarer Beweis dafür, daß eine solche Unterredung tatsächlich stattgefunden hat, wird sich ebenso schwer erbringen lassen wie ein Gegenbeweis, und so kann nach derzeitigem Kenntnisstand eine solche Absprache zumindest nicht ausgeschlossen werden.

Im selben Monat, am 16. April 1993, war die von Flüchtlingen überfüllte Stadt Srebrenica, für deren Bewohner nicht nur die Vereinten Nationen, sondern auch Milosevic Schlimmstes befürchteten, sollte sie von der bosnisch-serbischen Armee eingenommen werden, vom Weltsicherheitsrat durch Resolution 819 zur Schutzzone erklärt worden. Wäre es tatsächlich darum gegangen, die Bewohner der Stadt vor Racheakten der bosnischen Serben zu schützen, die ihrerseits immer und immer wieder aus der Stadt heraus angegriffen und insofern zu einem Gegenangriff provoziert worden waren, hätten dieser Erklärung umfangreiche Schutzmaßnahmen folgen müssen. Tatsächlich jedoch versprach der Weltsicherheitsrat weitaus mehr, als er einzuhalten und zu gewährleisten bereit war, und da in diesem Gremium die USA und die westeuropäischen Atomstaaten Britannien und Frankreich eine durchaus dominierende Position einzunehmen imstande sind, ist es keineswegs abwegig anzunehmen, daß die Vereinten Nationen in die Gesamtstrategie der NATO-Staaten zur Zerschlagung Jugoslawiens fest eingebunden worden waren und das Ihre zur Eskalation des bosnischen Bürgerkrieges in Hinsicht auf eine Teilung des Landes sowie eine ethnische Begradigung der Gebiete beigetragen haben.

Zunächst einmal versprach Resolution 819 einen gewissen Schutz, besagte sie doch, daß alle Kriegsparteien die Stadt und die umliegende Region als "safe area" zu betrachten hätten und daß jeder Angriff auf Srebrenica und jeder andere "unfreundliche Akt" zu unterbleiben hätte. Zwei Tage später, am 18. April 1993, rückten die ersten 170 UN-Soldaten, mehrheitlich Kanadier, in die Stadt ein. Sie waren nur leicht bewaffnet, ihr Mandat entsprach ganz dem einer sogenannten Friedensmission, die durch ihre bloße Anwesenheit das Wiederaufflammen der Kampfhandlungen zwischen gegnerischen Parteien, die mit dem UN-Einsatz einverstanden sind, verhindern sollen. Einen echten Kampfeinsatz für den Fall, daß die bosnische-serbische Armee die von ihrem ärgsten Widersacher, dem bosnisch-muslimischen Kommandeur Naser Oric gehaltene Stadt unter Einsatz all ihrer verfügbaren Kräfte angreifen würde, hätte dieses Kommando weder leisten können noch sollen.

Und wie um womöglich aufkeimende Zweifel an der Ernsthaftigkeit des vom Weltsicherheitsrat erfolgten Beschlusses, die von Zivilisten überfüllte Stadt zu schützen, zu zerstreuen, wurde in weiteren UN-Resolutionen (Resolution 824 vom 6. Mai 1993 und Resolution 836 vom 4. Juni 1993) der Status der Stadt als Sicherheitszone noch einmal unterstrichen. Mit letzterer Resolution wurde das Mandat der UN-Truppen erweitert, indem ihnen die Anwendung von Waffengewalt zugebilligt wurde - allerdings nur dann, wenn sie angegriffen werden würden. Im Klartext bedeutete dies, daß die UNPROFOR-Soldaten nur sich selbst, nicht jedoch die zum überwiegenden Teil aus Flüchtlingen bestehenden, in der Stadt lebenden Menschen hätten beschützen dürfen.

Gleichwohl blieb der von vielen Seiten befürchtete serbische Großangriff aus. Ja, die Lage entspannte sich sogar. Die Gefechte zwischen der bosnisch-muslimischen und der bosnisch-serbischen Armee gingen in der Region in Zahl und Intensität zurück, und so konnte nach Errichtung der UN-Schutzzone von einer wenn auch fragilen relativen Stabilität gesprochen werden, die mit einer tatsächlichen Sicherheit für die in Srebrenica lebenden Menschen natürlich nicht verwechselt werden durfte.

Die UN-Truppen und namentlich ihre personelle Aufstockung sowie ihre Mandatierung blieben umstritten. Am 14. Juni 1993 hatte UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali eine Aufstockung auf 34.000 UN-Soldaten gefordert, doch bewilligt wurde vom Weltsicherheitsrat am 18. Juni eine Truppenerweiterung um lediglich 7.600 Soldaten. Warum? Diese Frage mutet banaler an, als sie tatsächlich ist. Zunächst einmal liegen die Gründe auf der Hand, zumal der UN-Einsatz im bosnischen Bürgerkrieg in jener Zeit umstritten war zwischen den Staaten, die selbst Truppen stellten, und jenen, die dies eben nicht taten. Die Angst um die Sicherheit der eigenen Soldaten, die bei einem Kampfeinsatz gegen die bosnisch-serbische Armee massiv gefährdet werden würden, ließen die Truppenstellerstaaten deutlich zurückhaltender auftreten als diejenigen, die im Ernstfall keine "eigenen" Toten zu befürchten hatten. Doch waren dies - neben dem in der damaligen Diskussion ebenfalls vorgebrachten Argument, die Kosten solcher Friedenseinsätze müßten reduziert werden, was ebenfalls gegen eine massive Truppenerweiterung sprach - tatsächlich die ausschlaggebenden Gründe für die Tatsache, daß von einem militärisch effizienten Schutz der Enklave Srebrenica nicht im mindesten die Rede sein konnte?

Dies kann und muß bezweifelt werden, solange nicht definitiv ausgeschlossen werden kann, daß die USA und mit ihnen womöglich auch EU und UN insgeheim daran interessiert waren und sogar aktiv darauf hingearbeitet haben könnten, in Srebrenica ein Massaker als Interventionsvorwand zu schaffen. Die Umsetzung der im Juni 1993 bewilligten Truppenaufstockung ging dann recht schleppend vonstatten. Das erste niederländische Bataillon, "Dutchbat I", erreichte die Stadt erst ein dreiviertel Jahr später im März 1994. Im Juli 1994 wurde "Dutchbat I" von "Dutchbat II" abgelöst, dem wiederum im Januar 1995 "Dutchbat III" folgte. Derweil lief, obwohl zu diesem Zeitpunkt Verbrechen, die bosnisch-muslimische Truppen in serbischen Dörfern verübt hatten, bereits bestens dokumentiert worden waren, die einseitige Bezichtigung der bosnischen Serben mit internationaler Unterstützung auf Hochtouren.

Eine solche Schieflage ist keineswegs mit dem tatsächlichen Kriegsgeschehen zu begründen, in dem längst genug Haß und Gewalt provoziert und freigesetzt worden waren, um allen kriegsbeteiligten Parteien Menschenrechtsverletzungen vorzuwerfen. Die bosnischen Muslime, aber auch die mit ihnen verbündeten Kroaten konnten sich jedoch der mehr oder minder offenen Unterstützung der NATO-Staaten erfreuen ganz im Gegensatz zu den bosnischen Serben, weshalb zu vermuten ist, daß die Frage von Menschenrechtsverletzungen und ihrer Instrumentalisierung zu etwaigen militärischen Interventionen fester Bestandteil westlicher Eskalationsstrategien war und keineswegs aus einer neutralen Position heraus gestellt wurde. Die sogenannte internationale Staatengemeinschaft allerdings hatte die scheinbar übergeordneten, neutralen Instanzen und Institutionen auf ihrer Seite bzw. befand sich in der Position, derlei Instrumente eigens zu diesen Zwecken einrichten zu können.

So wurde inmitten des Bosnienkrieges, am 25. Mai 1993, das Internationale Tribunal für Ex-Jugoslawien in Den Haag eingerichtet - unter Bruch des Völkerrechts, wie eigentlich hinzuzufügen wäre, denn keineswegs ist der Weltsicherheitsrat durch die Charta der Vereinten Nationen dazu mandatiert, nach eigenem Belieben für solche Zwecke Gerichte einzusetzen. Die Einrichtung dieses gleichwohl durch UN-Resolution 827 geschaffenen Tribunals ging maßgeblich auf Betreiben einer keineswegs "neutralen" Politikerin zurück, nämlich Madeleine Albrights, der damaligen US-Außenministerin. Da die USA zudem ihren Einfluß geltend gemacht hatten, um die vom UN-Generalsekretär geforderte massive Truppenaufstockung der UN-Kontingente weitestgehend zu blockieren, ist der Verdacht, die Clinton-Regierung könnte insgeheim bei ihren bosnisch-muslimischen Verbündeten das dann 1995 erfolgte "Massaker von Srebrenica" vorab bestellt haben, noch schwerer von der Hand zu weisen.

Hinzu kommen die Vorwürfe, die der Regierung Izetbegovic aus den eigenen Reihen gemacht wurden. Hier wäre insbesondere einer der prominentesten muslimischen Politiker zu nennen, nämlich der Vorsitzende der regierenden Izetbegovic-Partei, SDA, in Srebrenica, Ibran Mustafic. Er hatte versucht zu fliehen, war allerdings von der bosnisch-serbischen Armee gefangengenommen worden. Für die bosnischen Serben war er ein "dicker Fisch", stand er doch auf der serbischen Liste der Verantwortlichen für von den Muslimen verübte Kriegsverbrechen weit oben auf Platz 3. Mustafic kam allerdings recht unspektakulär wieder frei; er wurde im April 1996 von den bosnischen Serben gegen einen ihnen wichtigen Kriegsgefangenen auf muslimischer Seite, den serbischen Oberst Aleksa Krsmanovic, ausgetauscht.

Gegenüber muslimischen Medien, so dem Magazin "Slobodna Bosna", von dem gesagt wird, es stehe der muslimischen Polizei nahe, erhob Mustafic schwere und schwerste Vorwürfe gegen die eigene politische Führung, sprich gegen Präsident Izetbegovic, sowie das Militär. In einem zwei Monate nach seiner Freilassung, am 17. Juni 1996, in der "Slobodna Bosna" erschienenen Interview stellte Mustafic die Behauptung auf, daß Srebrenica in einem Komplott von der bosnischen Präsidentschaft sowie dem Oberkommando verraten worden war (*):

Das Szenario für den Verrat an Srebrenica wurde bewusst vorbereitet. Leider waren die bosnische Präsidentschaft und das Armeeoberkommando an diesem Geschäft beteiligt. Hätte ich Befehle erhalten, die serbische Armee von der entmilitarisierten Zone aus anzugreifen, hätte ich abgelehnt, diesen Befehl ohne Nachzudenken auszuführen, und hätte den Menschen, der diesen Befehl erlassen hatte, aufgefordert, seine Familie nach Srebrenica zu bringen, damit ich ihm ein Gewehr geben und einen Angriff aus der entmilitarisierten Zone heraus inszenieren lassen kann. Ich wusste, dass solche beschämenden, kalkulierten Manöver unser Volk in die Katastrophe führen würden. Der Befehl kam aus Sarajevo.

Warum hätte Mustafic nach seiner Freilassung zugunsten der bosnischen Serben lügen oder ihnen in sonstiger Hinsicht dienlich sein sollen? Für eine solche These gibt es nicht den geringsten Anhaltspunkt, während sehr wohl plausibel nachzuvollziehen ist, warum ein führender muslimischer Politiker wie Mustafic mit den Befehlen aus Sarajewo, die er als höchst verhängnisvoll für die muslimische Bevölkerung Srebrenicas erkannt hat, nicht einverstanden sein konnte. Mustafic sprach in dem besagten Interview jedoch auch über die dem eigentlichen Massaker vorausgegangenen Zeit, in der Srebrenica als UN-Schutzzone ausgewiesen worden war. Bezogen auf diese Zeit erhob er ebenfalls schwere Vorwürfe gegen die eigene Führung, der er vorwarf, mit Hilfe einer Gruppe von "Kriminellen" (womit er den für seine Grausamkeit berüchtigten Stadtkommandeur Naser Oric und die von ihm befehligten Milizen meinte) und auf Kosten der in der Stadt lebenden Menschen, von denen viele, so Mustafic, noch leben könnten, hätten die "Kriminellen" (um Oric) ihn nicht daran gehindert, den Plan zu durchkreuzen und die Befolgung der Befehle aus Sarajewo zu verhindern, eine "ethnische Frontbegradigung" zu vollziehen.

Damit hat es folgende Bewandnis: Die bosnischen Serben hatten bereits 1993 einen vertraglich vereinbarten Austausch von Territorien und Bevölkerungen entsprechend ihrer ethnischen Zugehörigkeit vorgeschlagen. Dies lag im Grunde voll und ganz auf der Linie der antijugoslawischen Allianz zwischen dem Westen und den ihm zuneigten Bürgerkriegsparteien, hätte jedoch einer militärischen Eskalation, sprich dem allem Anschein nach beabsichtigten "Massaker von Srebrenica", entgegengewirkt und dessen Entstehen erschwert. So ergab sich die in sich eigentlich vollkommen widersprüchliche Lage, daß die von den bosnischen Serben angebotene Evakuierung der muslimischen Bevölkerung nach anfänglicher Umsetzung durch die Vereinten Nationen abgelehnt und blockiert wurde, obwohl - allerdings erst nach den Ereignissen vom Juli 1995, die als die "Massaker von Srebrenica" in die Geschichtsbücher eingehen sollten - später eine solche ethnische Begradigung vollzogen wurde.

Dies muß einem Politiker wie Ibran Mustafic als der reinste Irrsinn vorkommen, denn mit gutem Grund sagte er 1996, daß viele Menschen noch leben würden, hätte man die Evakuierungen der muslimischen Bewohner Srebrenicas 1994 und 1995 durchgeführt. Mit dem an sich zutreffenden Argument, dies würde einer Teilung der Republik und ethnischen "Säuberungen" Vorschub leisten, wurden diese Maßnahmen abgelehnt von Kräften, die ihrerseits nicht minder an einer "ethnischen Frontbegradigung" interessiert waren, jedoch nur zu ihren Bedingungen. Mustafic widersprach im übrigen auch dem gängigen Bild von den mordlustigen serbischen Eroberern Srebrenicas und führte dafür das schlichte, aber bestechende Argument an, warum sie, wären sie die durch und durch grausamen Rächer, als die sie dargestellt werden, dann ausgerechnet ihn, einen hochrangigen muslimischen Politiker, wieder freigelassen hätten? In dem besagten Interview erklärte Mustafic auch noch, daß er von Leuten, die "der kroatischen Staatssicherheit nahestehen und Kontakte zu den Serben haben", gehört habe, daß sich "an verschiedenen Orten noch 5.600 Überlebende aus Srebrenica befinden".

Wenn sich also in der Frage ethnischer Frontbegradigungen, die schließlich auch von der sogenannten internationalen Gemeinschaft immer wieder eingefordert worden waren, die bosnischen Serben mit ihren Bürgerkriegsgegnern sehr wohl hätten treffen können, warum konnte dann der vermeintliche Bürgerkrieg in Bosnien nicht beigelegt werden? Angesichts der dominierenden Rolle, die die USA in diesem Konflikt aus wenn auch verdeckter Position heraus gespielt haben, liegt die Vermutung nahe, daß eine friedliche Beilegung der angeblich ethnischen Konflikte nicht mit den Zielvorstellungen Washingtons übereinstimmte. Deren Umsetzung hätte angesichts der hochgestachelten Haßgefühle und Rachegelüste, mit denen der Konflikt initiiert, angeheizt und hochgekocht worden war, der seine Wurzeln keineswegs in den unterschiedlichen Volkszugehörigkeiten der im ehemaligen Jugoslawien lebenden Menschen hatte, dann zum Erliegen hätten kommen können, noch bevor das eigentliche Ziel erreicht war.

Jugoslawien sollte als Gesamtstaat und Vorzeigemodell eines alternativen Sozialismus zerstört werden, und um den mit der Abspaltung der ersten Teilrepubliken eingeschlagenen und durch die einseitige Anerkennung dieser Sezessionen durch die damalige Bundesrepublik Deutschland forcierten Auflösungsprozeß, dem der bosnische Bürgerkrieg nahezu zwangsläufig folgte, bis zu seinem gewünschten Ende bringen zu können, durfte nicht auf halber Strecke Halt gemacht werden. Das "Massaker von Srebrenica", über das noch eine Menge zu berichten sein wird, sollte das Fanal werden, um mit letztlich militärischer Gewalt auch das restliche Jugoslawien zerstören zu können - wie es dann mit dem NATO-Krieg von 1999 geschah, der nicht zuletzt auch damit begründet wurde, ein "zweites Srebrenica", diesmal verübt von den serbischen Bösewichtern an den Kosovo-Albanern, zu verhindern.

(*) zitiert aus: Srebrenica und die Politik der Kriegsverbrechen,
eine Analyse von George Bogdanich, vom 17. Juni 2005,
www.free-slobo.de/notes/050617gb.pdf

(Fortsetzung folgt)

16. September 2008