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DILJA/092: Srebrenica oder die Zerschlagung Jugoslawiens - Teil 9 (SB)


Das "Massaker von Srebrenica" - nachgelieferte Letztbegründung für die gewaltsame Zerschlagung Jugoslawiens und Präzedenzfall der humanitär bemäntelten Kriegführung westlicher Hegemonialmächte


Teil 9: Frühsommer 1995 - Der Countdown läuft. Die bosnisch-serbischen Truppen werden dazu verleitet, die ihnen kampflos überlassene Stadt Srebrenica einzunehmen als unverzichtbare Voraussetzung für das allem Anschein nach vom Westen gewollte "Massaker"

Es mag dahingestellt bleiben, was den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic 1994 dazu veranlaßte, die Unterstützung der bosnischen Serben einzustellen und sie dazu zu drängen, den von der internationalen Gemeinschaft favorisierten Teilungsplan für Bosnien zu akzeptieren. Wie bereits berichtet, hatte er im Frühjahr 1993, als die Lage in und um Srebrenica zwischen der bosnisch-muslimischen und der bosnisch-serbischen Armee bereits sehr angespannt war, weshalb für den Fall einer Einnahme der Stadt durch die serbischen Kräfte die dortige Zivilbevölkerung in höchstem Maße gefährdet schien, seinen politischen Einfluß auf die bosnischen Serben geltend gemacht, um eben dies zu verhindern. Spekulationen darüber, ob Milosevic, der sich aufgrund seiner politischen Grundpositionierung wohl die geringsten Illusionen darüber gemacht haben wird, mit welchen (ausländischen) Kräften der in einen inneren Zermürbungs- und Zergliederungsprozeß manövrierte sozialistische Vielvölkerstaat eigentlich zu kämpfen hatte, geglaubt haben könnte, durch ein eher defensives Vorgehen dieses äußerst perfide, auf Jugoslawien in seinem Kernbestand abzielende Angriffskomplott sich totlaufen lassen zu können, sind letztlich müßig.

Tatsache ist, daß Milosevic niemals "die nationale Karte" gespielt hat und daß es schon ein grotesker Widersinn der gesamten Geschichte ist, ausgerechnet ihn als "serbischen Nationalisten" anprangern zu wollen, der in Jugoslawien zu Lasten der übrigen Völker ein Großserbien habe errichten und durchsetzen wollen. Milosevic wird unter den an diesem Konflikt beteiligten jugoslawischen Politikern und militärischen Verantwortungsträgern sicherlich am allermeisten zu denjenigen zu zählen gewesen sein, die sich voll und ganz darüber im klaren waren, daß die Ethnifizierung dieses Konflikts allein im Interesse derjenigen ausländischen Kräfte lag, die insgeheim auf die völlige Zerschlagung Jugoslawiens hinarbeiteten. Ein militärischer Frontalangriff gegen Jugoslawien hätte nahezu zwangsläufig zu Verlusten an Menschenleben auch auf seiten der westlichen Angreifer geführt, weshalb er in deren eigenen Ländern politisch schwer vermittelbar und nur mit massiven repressiven Maßnahmen durchsetzbar gewesen wäre. Er hätte aber auch zu massiver militärischer Gegenwehr Jugoslawiens geführt, steht doch der ehemalige Tito-Staat ganz in der Tradition eines antifaschistischen Widerstands, der sich schon mehrfach gerade auch deutschen Bombenangriffen ausgesetzt gesehen hatte.

Da eine solche Option, und sei es aus taktisch-strategischen Überlegungen, schon im Ansatz verworfen werden mußte, war die "völkische Karte" das Gebot der Stunde, weil sie, einmal gezogen, unter Ausnutzung, Verfestigung und Intensivierung scheinbar ethnischer Konflikte bis hin zu Haß, Gewalt und Völkermord, nahezu die Gewähr dafür lieferte, schwerlich wieder eingedämmt werden zu können. Nachdem der sogenannte bosnische Bürgerkrieg ausgebrochen und zu tiefsten Gräben zwischen Kroaten und muslimischen Bosniern auf der einen und den bosnischen Serben auf der anderen Seite geführt hatte, könnte Milosevic geglaubt haben, durch die Akzeptanz des Teilungsplans die Kämpfe beenden und auf der Basis eines solchen Friedens oder zumindest Waffenstillstands vertrauensbildende Maßnahmen zwischen den verfeindeten Volksgruppen in die Wege leiten oder unterstützen zu können, um auf diesem Wege den Fortbestand zumindest Rest-Jugoslawiens abzusichern.

Derlei Überlegungen und Fragestellungen sind allerdings nutzlos, solange sie die ungenannten Beteiligten dieses Bürgerkrieges, nämlich die westliche Staatengemeinschaft und die NATO als ihren militärischen Arm, ausklammern. Im Frühjahr 1995 spitzten sich die Ereignisse im Bosnienkrieg und insbesondere in der Region um Srebrenica abermals zu. Wie berichtet, hatten die von den USA unter Bruch des UN-Waffenembargos organisierten Waffenlieferungen an die bosnischem Muslime, die auch nach Srebrenica gelangten, die von Naser Oric kommandierte Stadtgarnison in die Lage versetzt, ihre Angriffe auf das serbisch kontrollierte Umland zu verstärken. In dieser Situation, die der vom Frühjahr 1993 glich, intensivierte die bosnisch-serbische Armee ihrerseits ihre Gegenangriffe, freilich ohne zu realisieren, daß sie mit der Einnahme Srebrenicas letztlich in eine ihr von langer Hand geplante und eingefädelte Falle laufen würde.

Ratko Mladic, damaliger Oberbefehlshaber der bosnisch-serbischen Armee, der wie auch der inzwischen von Serbien nach Den Haag ausgelieferte Radovan Karadzic, damaliger Präsident der (bosnischen) Republika Srpska, bereits am 25. Juli 1995 wegen der Verbrechen von Srebrenica angeklagt wurde, wollte die Nachschubwege der muslimischen Truppen in der Enklave Srebrenica unterbinden. Die Stadt wurde abermals von den bosnischen Serben blockiert, worunter die Zivilbevölkerung zu leiden hatte. Doch auch die dort stationierten UNPROFOR-Truppen wurden in ihrem Bewegungsraum beeinträchtigt. So sollen UN-Soldaten, die die Schutzzone Srebrenica verließen, um Material- und Lebensmittelnachschub für ihre Truppe zu organisieren, von den bosnischen Serben am Wiederbetreten der Stadt gehindert worden sein, wodurch sich die Zahl der in der Stadt befindlichen UN-Soldaten von zunächst 600 auf nur noch 400 reduzierte.

Der Journalist Andreas Zumach wiederum berichtete im Oktober 1995 in der "taz", daß im Weltsicherheitsrat in geschlossener Sitzung am 24. Mai 1995, also eineinhalb Monate vor der eigentlichen Srebrenica-Katastrophe im Juli 1995, auf Betreiben von UN-General Janvier darüber diskutiert worden sei, den bosnischen Serben die Enklave Srebrenica zur "Grenzbegradigung" zu überlassen. Als Begründung soll angeführt worden sein, daß diese langfristig nur mit einem großen Aufwand hätte geschützt werden können. Der akribische Bericht des Niederländischen Instituts für Kriegsdokumentation (NIOD) vom April 2002 bestätigte sechs Jahre später, daß eine solche Debatte im Sicherheitsrat stattgefunden hatte und fügte noch die Information hinzu, daß einzig UN-General Janvier und der damalige UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali für einen Rückzug der bosnischen Muslime aus Srebrenica votiert hätten.

Die den Sicherheitsrat dominierenden Kräfte haben demnach den sich abzeichnenden Weg in die Katastrophe bevorzugt. Am 11. April 2002 trat der Journalist Andreas Zumach abermals durch einen in der "taz" veröffentlichten Bericht in Erscheinung, demzufolge die westlichen Regierungen, aber auch die Vereinten Nationen bereits im März 1995 von den Plänen der serbisch-bosnischen Armee für einen Angriff auf die Enklave Srebrenica "gewußt" hätten. Doch was heißt "gewußt"? Dieser vielfach als "ungeheuerlich" bewertete Vorwurf würde sich darauf beziehen, daß die UN als vermeintliche Schutzmacht Srebrenicas über den (angeblich) bevorstehenden Angriff der bosnisch-serbischen Armee schon Monate zuvor informiert gewesen sein soll, ohne in der Folgezeit auch nur die geringsten militärischen Anstrengungen zu unternehmen, dem Schutzversprechen auch nachzukommen. Über diesen Punkt könnte durchaus kontrovers diskutiert werden; er ließe jedoch die keineswegs auszuschließende Möglichkeit, daß das spätere "Massaker" von den westlichen Staaten absichtlich herbeigeführt worden sein könnte, nach wie vor außer acht.

Der NIOD-Bericht enthält im übrigen Belege dafür, daß die westlichen Großmächte vorab informiert waren. In ihm wird einschränkend festgestellt, daß die angenommene Mitwisserschaft des Westens zwar eine plausible Erklärung der Ereignisse wäre, jedoch keineswegs bewiesen werden konnte. In dem Srebrenica-Untersuchungsbericht, den die Vereinten Nationen selbst am 15. November 1999 unter der Regie von UN-Generalsekretär Kofi Annan veröffentlichten, wurde die mögliche Mitwisserschaft westlicher Staaten als "Verschwörungstheorie" abgetan, was die Glaubwürdigkeit dieses Berichts nicht unbedingt erhöht, zumal Kofi Annan selbst zur fraglichen Zeit in die Ereignisse involviert war. Nach den von Andreas Zumach im April 2002 veröffentlichten Angaben ist Kofi Annan, der im Jahre 1995 als Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen für deren "Peace Keeping Operations" zuständig war, persönlich zu dem Kreis der westlichen Mitwisser zu zählen.

Der Vorwurf, der Westen hätte sozusagen Vorabwissen gehabt und sei gleichwohl untätig geblieben, mag zwar in den Ohren derer, die von dessen friedlichen und humanitären Absichten und Zielsetzungen faktenresistent überzeugt sind, ungeheuerlich klingen. Tatsächlich jedoch scheint auch er Bestandteil einer Vernebelungskampagne zu sein, weil er den aktiven Part der NATO-Staaten auf dem Weg in das "Massaker" gezielt außen vor läßt. Mit Untätigkeit allein ist die (Mit-) Verantwortung westlicher Staaten sowie der UN an den späteren Ereignissen und ihren Toten allein nicht zu erklären.

So sei an dieser Stelle an die Presseerklärung der International Strategic Studies Association (ISSA) anläßlich des Bosnien-Besuchs des früheren US-amerikanischen Präsidenten Bill Clinton im September 2003 erinnert. Bei der ISSA handelt es sich um einen der pro-serbischen Parteinahme gewiß unverdächtigen, konservativen US-amerikanischen Think Tank, der die bis heute als scheinbar gültige historische Wahrheit behandelte Zahl von sieben- bis achttausend von bosnischen Serben ermordeten Muslimen in Srebrenica für "weit übertrieben und durch Beweise nicht gestützt hält". Die konservativen US-Experten der ISSA wiesen im Jahre 2003 auch darauf hin, daß es die Regierung Clinton war, die während des bosnischen Bürgerkrieges mehrere tausend "Gotteskrieger" aus dem Iran, aus Afghanistan und dem Nahen Osten in die Kriegsregion eingeschleust hatte, um mit ihnen die Armee der bosnischen Muslime zu unterstützen.

Im Mai 1995 kam es im bosnischen Bürgerkrieg zu einem militärischen Großereignis und einer humanitären Katastrophe, die, obwohl sie ein den späteren Schrecken von Srebrenica voll und ganz vergleichbares Ausmaß erreichten, auf ein beredtes Desinteresse in den westlichen Hauptstädten sowie den von den Interessen dieser Länder dominierten Medien stießen. Die kroatische Armee, die von den USA bewaffnet, ausgebildet und logistisch unterstützt wurde, griff Westslawonien, eine andere, an der Westflanke der bosnischen Serbenrepublik auf kroatischem Gebiet gelegene UN-Schutzzone an und verübte an der dort lebenden, überwiegend serbischen Zivilbevölkerung schwere Verbrechen. Die kroatischen Truppen überrannten die Schutzzone, deren Bevölkerung brutal vertrieben wurde. Charles Boyd, damaliger stellvertretender NATO-Kommandeur, sollte ein halbes Jahr später, im Herbst 1995, in "Foreign Affairs" dazu feststellen, daß "über 90 Prozent der Serben in Westslawonien von ethnischen Säuberungen betroffen waren, als kroatische Truppen im Mai die UN-Schutzzone überrannten".

Diese Operation des kroatischen Militärs mit dem Namen "Flash" ("Mündungsfeuer"), die von US-Präsident Clinton sogar genehmigt worden sein soll, stellte einen direkten Angriff auf die Zivilbevölkerung Westslawoniens, auf Kinder, Frauen und Männer, dar. Es gibt Berichte, denen zufolge viele Serben, die versucht hatten, vom Süden der Schutzzone aus zur nach Bosnien führenden Sava-Brücke zu fliehen, unter dem schweren Panzer-, Artillerie- und Luftwaffenbeschuß der kroatischen Armee starben. Der kroatische Verteidigungsminister Gojko Susak gab die Zahl der serbischen Toten mit 450 an, während die Serbisch-Orthodoxe Kirche von mehreren tausend Toten unter der serbischen Zivilbevölkerung Westslawoniens ausgeht. Eine Intervention der NATO, die auf der Basis der zu diesem Zeitpunkt bereits ergangenen UN-Resolution möglich gewesen wäre, erfolgte nach der gewaltsamen Eroberung Westslawoniens und der ethnischen Vertreibung der dort zuvor lebenden serbischen Bevölkerung nicht.

Lord David Owen, der Sondergesandte der EU, stellte dazu fest, daß die "Hinnahme der Eroberung Westslawoniens durch die kroatische Regierung" den bosnischen Serben grünes Licht gegeben hätte, nun ihrerseits die UN-Schutzzonen Srebrenica und Zepa anzugreifen. Dies ist gleichermaßen zutreffend und unzutreffend, denn keineswegs können beide Angriffe "über einen Kamm geschoren" werden, gibt es doch zwischen ihnen erhebliche Unterschiede. Zum einen stellten die Ereignisse von Srebrenica, wie im Verlauf dieser Artikelserie noch dezidiert erläutert und diskutiert werden wird, ungeachtet der begangenen Kriegsverbrechen nicht unbedingt "ethnische Säuberungen" dar, die von den bosnischen Serben an der muslimischen Bevölkerung Srebrenica begangen worden wären.

Die Vertreibung der serbischen, angeblich unter dem Schutz der UN stehenden Zivilbevölkerung Westslawoniens hingegen kann sehr wohl als ethnische Vertreibung bezeichnet werden, wobei bei ihr noch erschwerend hinzu kommt, daß die kroatische Armee - im Unterschied zu der bosnisch-serbischen um Srebrenica - zuvor keineswegs aus der Schutzzone Westslawonien heraus angegriffen worden war. Zudem muß es triftige und eigentlich auch auf der Hand liegende Gründe dafür gegeben haben, daß die in Westslawonien verübten Verbrechen der kroatischen Armee keinerlei Reaktionen, Sanktionen oder gar Interventionen des Westens nach sich zogen, so daß beinahe der Eindruck hätte entstehen können, sie hätten überhaupt nicht stattgefunden.

Die Einnahme Srebrenicas durch die bosnisch-serbische Armee, bei der noch der überaus seltsam anmutende Umstand hinzu kommt, daß die muslimische Armee die von muslimischen Zivilisten überfüllte Stadt ihren Erzfeinden kampflos und ohne jeden Widerstand oder auch Schutz überlassen hatte, könnte sehr wohl in Reaktion auf die für die kroatischen Angreifer folgenlos gebliebene Einnahme Westslawoniens erfolgt sein. Die Frage, ob die serbisch-bosnische Führung die Einnahme Srebrenicas tatsächlich von langer Hand vorbereitet und dann im Juli 1995 angeordnet hat oder ob serbische Kommandanten vor Ort sich zur Einnahme entschlossen, als sie die Stadt von gegnerischen Kämpfern verlassen vorfanden, ist damit allerdings noch überhaupt nicht gestellt, geschweige denn beantwortet.

(Fortsetzung folgt)

18. September 2008