Berliner Mauer, Geschichtsrevisionismus und Siegerjustiz
Von Hans Fricke, Juni 2011
Inhalt:
1. Die Berliner Mauer; Gründe für ihren Bau und ihre Einordnung in den Kalten Krieg
2. Das Märchen von der "innerdeutschen" Grenze und seine Funktion
3. Die Legende vom "Schießbefehl"
4. Schlussbemerkungen
Anlagen
1. Die Berliner Mauer; Gründe für ihren Bau und ihre Einordnung in den Kalten Krieg
Die Behandlung der Staatsgrenze der DDR und das an ihr herrschende Regime - die militärische Sicherung der Grenze am 13. August 1961 eingeschlossen - durch Politiker, Historiker und Medien der BRD widerspiegelt deren Bemühen, Geschichte vom Ende her erklären zu wollen. Diese Art des Umgangs mit deutsch-deutscher Vergangenheit ist verbreitet, verleiht sie doch vielen Menschen ein wenig von dem Gefühl der Gewissheit, alles erklären zu können, ein Gefühl, das derzeit so selten zu haben ist.
Würden sie die Geschichte von ihrem Anfang her erklären, wie es jede seriöse Geschichtsschreibung gebietet, dann müssten sie zugeben, dass die drei westlichen Besatzungsmächte mit aktiver Unterstützung westdeutscher Parteien, allen voran der von Jugend an als Separatist bekannte Konrad Adenauer, mit den Schritten: separate Währungsreform, Verkündung des Grundgesetzes und Wahl zum ersten Deutschen Bundestag aus machtpolitischen Gründen die Spaltung Deutschlands vollzogen, die 17 Millionen Bewohner der Ostzone und Ostberlins gegen ihren und den Willen der Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung sowie den Widerstand der Sowjetunion aus dem, wie es damals hieß, "Deutschland als Ganzes" ausgeschlossen und damit eine große Verantwortung für die Folgen dieser Maßnahmen, zu denen auch die Gründung der DDR und die Staatsgrenze zwischen der DDR und der BRD sowie zwischen der DDR und Berlin (West) gehörten, auf sich geladen haben. Die Gründung der DDR, die zweifelsfrei als Antwort auf die Gründung des westdeutschen Separat-Staates erfolgte, als "Staatsstreich" zu bezeichnen, wie es die bundesdeutsche Geschichtsschreibung tut, ist eine Verfälschung der Geschichte, wie sie unverfrorener kaum sein kann. Heute erleben wir täglich, dass das schwierige, bisweilen quälende Erinnern als Kontrapunkte zur derzeit so weit verbreiteten Klarheit der Urteile nicht sonderlich beliebt ist. Um die Maßnahmen des 13. August 1961 und die Haltung vieler DDR-Bürger zu ihnen heute verstehen zu können, ist es notwendig, sich an die damalige weltpolitische, aber auch innenpolitische Lage der DDR zu erinnern:
Der Kalte Krieg war Ende der fünfziger /Anfang der sechziger Jahre allüberall. Vieles deutete darauf hin, dass die Systemauseinandersetzung auf eine gefährliche Zuspitzung hinsteuert. Man hatte das Gefühl, als würde die Entwicklung bald außer Kontrolle geraten, mit allen sich daraus ergebenden Gefahren. Von 1955 bis 1959 führten die USA über der Sowjetunion mit ihrer "U-2" wenigstens fünfzig Spionageflüge durch. Als der US-Pilot Power in großer Höhe von der sowjetischen Luftabwehr abgeschossen wurde und in Gefangenschaft geriet, waren die Spionageflüge über der UdSSR für die CIA bereits zu einer Routinesache geworden. Nach diesem ernsten Zwischenfall verstieg Präsident Eisenhower sich zu der ungeheuerlichen Behauptung, die USA hätten das Recht, Flugzeuge über sowjetisches Territorium zu schicken. Unter Eisenhower konnten CIA-Chef Allan Dulles und seine Spezialisten für "verdeckte Aktionen" praktisch alles tun, was sie wollten. Präsident Carter sprach 1980 in diesem Zusammenhang von jahrelangem Machtmissbrauch der CIA. Anfang 1961 versuchte der amerikanische Geheimdienst eine Invasion Kubas. Ziel war es, die unbequeme Castro-Regierung, die es der US-Administration immer schwerer machte, ihre bisherige Machtpolitik gegenüber den mittel- und südamerikanischen Staaten fortzusetzen, mit militärischen Mitteln zu stürzen.
Die Operation in der Schweinebucht wurde für die USA zu einem Desaster und für die CIA zu einer internationalen Blamage. Daran konnte auch die anschließende wütende Erklärung Kennedys nichts mehr ändern, er würde die CIA am liebsten "in tausend Stücke schlagen und in alle Winde zerstreuen". Immerhin hatte die CIA bis dahin, entweder auf Weisung, mit Billigung oder stillschweigender Duldung der US-Präsidenten, bereits weltweit eine Vielzahl friedensgefährdender verdeckter Operationen durchgeführt. Dieses militärische Hasardspiel der US-Administration führte zu einer dramatischen Verschlechterung der Beziehungen zwischen den USA und der Sowjetunion. Im Ergebnis der Konsultationen mit der Castro-Regierung entschloss sich die Sowjetunion, auf Kuba Raketen-Abschussrampen zu errichten. Der Krieg stand so dicht bevor, dass im Weißen Haus schon über die Liste derjenigen diskutiert wurde, die in den Atombunker der Regierung mitkommen sollten.
Rückblickend ist also einzuschätzen: Diese den Weltfrieden aufs höchste gefährdende Entwicklung hatte ihren Ausgangspunkt nicht im Machtstreben der Sowjetunion, sondern in Versuchen der USA, die sozialistische Entwicklung Kubas mit Hilfe militärischer Gewaltakte aufzuhalten. Die damalige weltpolitische Lage, das Scheitern der Pariser Gipfelkonferenz und die immer instabiler werdende Lage in Berlin waren der Hintergrund für den Beschluss der Staaten des Warschauer Vertrages, die offene Grenze zu Westberlin zu schließen.
Es kennzeichnet die "Seriosität" des 65 Seiten umfassenden "Gesamtkonzept zur Erinnerung an die Berliner Mauer" des Berliner Senats, dass es seinen Verfassern offenbar an Courage fehlte, wenigstens den Wortlaut der Erklärung der Warschauer Paktstaaten zu den Gründen der militärischen Sicherung der Staatsgrenze der DDR der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Die Insellage Westberlins, das nicht von Bonn regiert werden durfte und alliiertem Militärstatus unterlag, bot die Voraussetzung, ihm eine dominierende Rolle im Kalten Krieg einzuräumen. So wurde Westberlin zum Tummelplatz all jener Kräfte, die sich zum Kampf gegen die DDR verschworen hatten. Über 80 Zentralen von Geheimdiensten sowie Organen des subversiven Kampfes, einschließlich der psychologischen Kriegsführung und der politisch-ideologischen Diversion, waren dort angesiedelt. Allen voran die Westalliierten Truppenkontingente mit einem umfangreichen Potential von Einheiten und Mitteln der elektronischen Kampfführung, deren Aktionsradius weit über das Territorium der DDR hinaus reichte. Analog verhielt es sich mit den Aktivitäten der westlichen Geheimdienste, die unterstützt von Agenturen in der DDR und anderer Warschauer Vertragsstaaten ein weit verzweigtes Abhörnetz in Westberlin mit Stationen auf dem Teufelsberg, dem Flughafen Tempelhof, dem Fernsehturm im Grunewald sowie Horchposten in Marienfelde, Gatow, Tegel und Spandau betrieben und Westberlin zu einer Spitzelburg gegen Osteuropa ausbauten. Allein 117 militärische Organisationen, die Mehrzahl von ehemaligen faschistischen Wehrmachts- und SS-Offizieren geführt, wie beispielsweise der "Stahlhelm", der "Kyffhäuser-Bund", der "Verband deutscher Soldaten", der "Bund ehemaliger Fallschirmjäger" sowie Vereinigungen der Waffen-SS waren in der "Frontstadt" Westberlin aktiv. Die von dort aus geplanten, organisierten und ausgegangenen Verbrechen und Straftaten gegen die DDR und ihre Verbündeten füllen ganze Archive, insbesondere die von der Birthler-Behörde verwalteten, eingeschlossen die wohlweislich unter sicherem Verschluss gehaltenen. Fazit: Es gab auf der Erde keinen Ort, wo so viele Spionage- und Wühlzentren fremder Staaten konzentriert waren und wo sie sich so ungestraft betätigen konnten wie in der damaligen "Frontstadt" Westberlin, deren Regierender Bürgermeister Ernst Reuter stolz auf die Rolle seiner Stadt als "Pfahl im Fleisch der DDR" war.
Zur Kennzeichnung der Situation vor der Schließung der Grenze zu Westberlin gehört auch die gezielte Abwerbung von Fachkräften der DDR. Mitte Juli 1961 hatte Adenauer persönlich in Köln mit Mitgliedern der CDU im Europarat über die verstärkte Abwerbung von Arbeitskräften aus der DDR und die Erhöhung der Finanzmittel für die Abwerbeorganisationen beraten. Das Geld sollte mit Hilfe des "Sonderverbindungsausschusses für Flüchtlinge" und des "Ausschusses für Bevölkerungs- und Flüchtlingsfragen" des Europarates beschafft werden. Die Bundesregierung hatte bis dahin 4,5 Millionen Dollar und 11,1 Millionen DM erhalten. Adenauer verwies darauf, dass der Bundesverband der Deutschen Industrie seine Geldmittel für die Abwerbung bedeutend erhöht hatte. Dazu kam ein ganzes "Abwerbungsförderungsprogramm" mit einer Sonderfinanzierung des Wohnungsbaus, Unterhalts- und Hausratshilfen sowie Existenzaufbau- und Wohnungsbaudarlehen aus dem Härtefonds des Lastenausgleichs. Schließlich wurde auch der Flüchtlingsausweis C (politische Zwangslage mit Anerkennung ohne Überprüfung - sonst nur für religiöse Gruppen) verliehen.
Das Hilfswerk der evangelischen Kirchen Deutschlands gab einen "Leitfaden für Sowjetzonenflüchtlinge" heraus. Erhebliche Aktivitäten wurden auch von den verschiedenen Flüchtlingsorganisationen, Landsmannschaften und vielen anderen Verbänden entfaltet. Massive Unterstützung erfuhr dies alles durch die vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen mit dem Bundespresseamt und dem Verteidigungsministerium vereinbarte Verstärkung der "psychologischen Kriegführung" gegen die DDR. Die Mehrzahl derer, die aus der DDR abwanderten, darunter viele gezielt abgeworbene Bürger, versprach sich vom Wechsel in die BRD bzw. nach Westberlin bessere Lebensverhältnisse oder (aus ihrer Sicht) eine günstigere Entwicklungsperspektive. Das waren somit überwiegend "Wirtschaftsflüchtlinge" und nicht, wie permanent behauptet, "politische Flüchtlinge". Zweifellos gab es solche auch. Sie stellten jedoch eine marginale Minderheit dar. Nach der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ist ein politischer Flüchtling eine Person, die sich "aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe oder der politischen Meinung außerhalb des Landes ihrer Nationalität befindet". Das traf für die Mehrheit der einstigen DDR-Bürger nicht zu. Insofern waren sie keine "Flüchtlinge". Da diese Bezeichnung aber gut zum politischen Kampfbegriff "Unrechtsstaat" passt, wird sie im bundesdeutschen Sprachgebrauch für alle, die der DDR aus welchen Gründen auch immer den Rücken kehrten, verwendet. Es kann als gesichert gelten, dass Abwanderung und Abwerbung als Teil des gegen die DDR geführten Wirtschaftskrieges (neben den Embargomaßnahmen) die DDR-Volkswirtschaft am härtesten trafen und ein nicht ausgleichbares Defizit hinterließen. Siegfried Wenzel, ehemaliger Stellvertreter des Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission der DDR, stellte dazu fest: "Für die BRD ist dieser Zufluss von 'Humankapital' in Größenordnungen von fast zwei Millionen ein einmaliger Aktivposten, der überhaupt nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Man muss berücksichtigen, dass es sich bei den Übersiedlern aus der DDR in die BRD zu einem großen Teil um gut ausgebildete Facharbeiter sowie um akademisch Ausgebildete, wie Ärzte, Rechtsanwälte, Ingenieure, gehandelt hat, deren Ausbildung oftmals vom Staat, d.h. der gesamten Gesellschaft der DDR, finanziert worden war. Es gab viele, die ihre Einstellungsverträge von westlichen Firmen bereits während des Studiums erhielten, als sie noch Wohnung, Stipendien und zum Teil großzügige soziale Sicherung in der DDR in Anspruch nahmen. Das trifft vor allem auf die Zeit vor 1961 zu. Die Wirkung der Eingliederung dieses personellen Zuwachses für die Wirtschaftskraft der BRD war natürlich eine ganz andere, als die der etwa 0,5 Millionen ausländischer Gastarbeiter, die bis 1961 aus Spanien, Portugal, der Türkei und Italien in die BRD gekommen waren. Die bis zu 1,5 Millionen Übersiedler aus der DDR sprachen die gleiche Sprache, waren oft in einem mehr oder minder adäquaten Bildungssystem zu hochqualifizerten Fachkräften ausgebildet und entstammten dem gleichen Kulturkreis." Wenzel vertritt die Auffassung, dass die Marschallplan-Hilfe und die "Kader" aus der DDR in der BRD maßgeblich für den Produktivitäts- und Effektivitätsunterschied zwischen BRD und DDR verantwortlich waren.
Doch die Zeiten, wo jeder "Ostflüchtling", noch dazu, wenn er aus der DDR kam, als politisches Kapital, besonders aber als ökonomischer Zugewinn betrachtet wurde und deshalb auch jegliche Angriffe gegen die Staatsgrenze der DDR hoch im Kurs standen, sind lange schon vorbei. Heute ist Abschottung europäisches Konzept. Niemand in der BRD möchte gern an das Jahr 1986 erinnert werden. Damals hatte die Kohl-Regierung ernsthafte soziale Probleme und entsprechend hoch schlugen die Wellen der Asylhysterie. Deshalb ersuchte der SPD-Kanzlerkandidat Johannes Rau SED-Generalsekretär Erich Honecker, das "Loch in der Berliner Mauer", durch das Flüchtlinge nach Westberlin einreisten, dicht zu machen. Welch ein Sündenfall: Gemeinsam mit dem "SED-Regime" den "Fluchtweg" über Berlin zu versperren. Es gehört zum System der Irreführung der Menschen, den Eindruck zu erwecken, als ob generell zwischen der Haltung der Bevölkerung der DDR und den am 13. August 1961 durchgeführten Sicherungsmaßnahmen ein unüberbrückbarer Gegensatz bestanden hätte. Deshalb wird der von Jahr zu Jahr zunehmende Frust der Ostberliner und ihrer Besucher aus den Bezirken der DDR bewusst verschwiegen, die erleben mussten, wie Ostberliner Friseur-Salons voller Westberliner Frauen waren, die sich für ein Butterbrot frisieren ließen, wie Westberliner und ihre Gäste aus der BRD für Pfennige ihrer Währung generös in Ostberliner Gaststätten speisten, für ihre Trinkgelder in Gaststätten, Theatern und anderswo die besten Plätze erhielten, wogegen die hart arbeitenden Ostberliner und Bürger aus den Bezirken vor den Türen standen; wie Westberliner Schieberringe für wenig Westgeld wertvolle optische Geräte und andere hochwertige Bedarfsartikel in Ost-Berlin einkauften, um diese Dinge mit hohen Profitraten in Westberlin oder Westdeutschland zu verhökern. Das Gefühl, im eigenen Land zweitklassiger Bürger zu sein, dessen Geld gegenüber der D-Mark kaum eine Chance hatte, und das Bewusstsein der enormen Schädigung der DDR-Volkswirtschaft durch Währungsspekulanten nahm von Monat zu Monat zu. "Endlich", so hörte man damals im Hinblick auf den Mauerbau vielerorts, "hat man den Tausenden Schmarotzern und Währungsspekulanten den Hahn zugedreht". Viele Ostberliner und Bürger aus den angrenzenden Gebieten der DDR, vor allem aus dem Raum Potsdam, arbeiteten in Westberlin. Ihren Lohn in D-Mark tauschten sie in einer der unzähligen Westberliner Wechselstuben zu einem hohen Kurs in Mark der DDR um. Der Regelkurs lag bei 1 : 4. Im Durchschnitt verdiente 1960 ein DDR-Bürger 580 Mark der DDR. Jene, die zu ihrem Arbeitsplatz bei angenommenem gleichen Lohn nach Siemensstadt in Westberlin fuhren, tauschten ihren D-Mark-Verdienst und triumphierten so gegenüber ihren Wohnnachbarn mit 2320 Mark der DDR. Und es waren nicht nur die "Grenzgänger". Auch alle in die DDR Einreisenden konnten sich von deren Warendecke profitabel bedienen, zumal die Regierung der DDR zur Herbeiführung eines höheren Lebensstandards etliche Preissenkungen beschloss. Abgesehen davon, dass es besonders die Bevölkerung der Hauptstadt der DDR überdrüssig war, gegen Vorlage des Personalausweises einkaufen zu müssen, um den Abkäufen durch Westberliner, die vom Schwindelkurs profitierten und die die Dienstleistungen zum Nachteil der Ostberliner in Anspruch nahmen, entgegenzuwirken, von den "Grenzgängern" ganz zu schweigen, erkannte sie andererseits zunehmend den immensen volkswirtschaftlichen Schaden, der durch Abwanderung und Abwerbung von Fachkräften entstand. Und immer mehr Bürger waren sich auch der Gefahren bewusst, welche durch subversive Angriffe von Westberliner Seite ausgingen und mit welcher Zielsetzung sie gegen die DDR geführt wurden. So waren große Teile der Bevölkerung - auch der Grenzbevölkerung - von der Notwendigkeit überzeugt, mit ihren Mitteln und Möglichkeiten einen Beitrag zur Sicherung der DDR leisten zu können. So arbeiteten allein im Bereich des Grenzkommandos Mitte (Berlin) 1300 bis 1500 ehrenamtliche Bürger in Grenzsicherheitsaktiven mit. 600 Freiwillige Helfer der Grenztruppen und zirka 3000 Helfer der Deutschen Volkspolizei waren bemüht, die Arbeit der Grenztruppen bzw. der Deutschen Volkspolizei zum Schutz der Staatsgrenze zu unterstützen. Etwa 140 000 Bewohner der Grenzgebiete akzeptierten die hohen Belastungen und Anforderungen, die durch die Nähe der Staatsgrenze für sie entstanden. Großes Verständnis zeigten ganze Wohnbereiche: Sandkrug, Klein-Glienicke, Stolpe-Süd, die sie faktisch selbst sicherten.
Die Entwicklung vor dem 13. August 1961, auf die sowohl im "Gesamtkonzept zur Erinnerung an die Berliner Mauer" als auch in den Gedenkreden bundesdeutscher und Westberliner Politiker aus durchsichtigen Gründen nicht eingegangen wird, veranlassten den lange Zeit auch in der BRD hochgeschätzten DDR-kritischen Schriftsteller Stefan Heym, 1996 in "Ein deutsches Bauwerk - Einführende Bemerkungen eines Reiseführers vor einem Reststück der Mauer" unter anderem zu schreiben: "Die Anfänge der Mauer liegen demnach in jener Nacht im Januar 1933, als auf der Wilhelmstraße in Berlin SA und SS fackeltragend an ihrem Führer vorbeimarschierten und dieser sie vom Fenster der Reichskanzlei herab mit graziös erhobener Rechten zurückgrüßte. Trumans Bomben auf Hiroshima dann vermittelten den Beteiligten die Botschaft, dass Amerika die im Krieg errungene Überlegenheit für den Rest des 20. Jahrhunderts zu erhalten gedachte, und zum Teufel mit den Ansprüchen anderer; worauf Josef Wissarionowitsch Stalin beschloss, das Vorfeld, das ihm seine Armee erkämpft hatte und das vom Flusse Bug bis zur Elbe reichte - erinnern Sie sich, meine Damen und Herren, an die rote Fahne auf dem Reichstag - fest in der Hand zu behalten." So, wie Stefan Heym als imaginärer Reiseführer hatte auch Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1983 in einer Rede im Berliner Reichstagsgebäude ausdrücklich auf die historischen Zusammenhänge hingewiesen, als er erklärte: "Am 30. Januar 1933 brach die Weimarer Republik zusammen. In allernächster Nähe von diesem Platz, an dem wir versammelt sind, leuchtete am Abend des 30. Januar ein Fackelzug den Beginn der nationalsozialistischen Zwangsherrschaft ein (...) Sie hat unsägliches Leid über viele Millionen unschuldiger Menschen mit sich geführt (...) Sie hat den Gang der Geschichte verändert (...) Wie ein mahnendes Monument steht dieser Reichstag an der Mauer, die bis auf den heutigen Tag Berlin, Deutschland und Europa teilt. Aber es gäbe diese Mauer nicht ohne den 30. Januar 1933!" Und mit Blick auf die vielfältigen Maßnahmen des Westens zur Destabilisierung der DDR meinte "Reiseführer" Stefan Heym: "Sie sehen also, meine Damen und Herren, dass die Mauer, wie ich Ihnen zum Anfang bereits darlegte, aus der Not geboren war und nicht aus irgendwelcher bösartigen Willkür; sie diente dazu, den real existierenden Sozialismus in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik vor dem Zusammenbruch zu bewahren; einen Zusammenbruch, der hier an der Nahtstelle zwischen den beiden Machtblöcken jener von Atomraketen geprägten Zeit mit großer Wahrscheinlichkeit zu kriegerischen Verwicklungen geführt hätte." Seine Einschätzung, wonach der Bau der Mauer dazu diente, ein Ausbluten der DDR und damit ihren Zusammenbruch zu verhindern, was zur damaligen Zeit "mit großer Wahrscheinlichkeit zu kriegerischen Verwicklungen geführt" hätte, wird auch von anderen kompetenten Leuten geteilt. Im Klartext heißt das: Die Alternative zum Mauerbau wäre entweder das militärische Eingreifen der Sowjetunion, ähnlich der bewaffneten Intervention in der CSSR, oder gar ein Krieg gewesen.
Grundsätzlich ist festzustellen, dass das Grenzregime der DDR - die militärische Sicherung der Staatsgrenze am 13. August 1961 eingeschlossen - niemals eine Bedrohung des Friedens bedeutet hat. Gemäß Artikel 7 der Verfassung der DDR waren alle Staatsorgane verpflichtet, die territoriale Integrität des Landes und die Unverletzlichkeit seiner Staatsgrenzen zu gewährleisten und zum Schutz der sozialistischen Ordnung und des friedlichen Lebens der Bürger die Landesverteidigung zu organisieren. Die Nationale Volksarmee, darunter die Grenztruppen der DDR, und andere Organe der Landesverteidigung waren verpflichtet, das Land und seine Bürger vor Angriffen von außen zu schützen. Hinzu kam die Zugehörigkeit zur sozialistischen Militärkoalition gemäß Warschauer Vertrag vom 14. Mai 1955 und die sich daraus für die DDR ergebenden Verteidigungsaufgaben. Diese Tatsache verlieh der Staatsgrenze eine besondere Bedeutung als Trennungslinie zwischen den beiden sich antagonistisch gegenüberstehenden Militärblöcken. Die geopolitische und militärstrategische Lage der DDR war durch den Umstand gekennzeichnet, dass sie im Kriegsfall Auf- und Durchmarschraum der 1. strategischen Staffel geworden wäre. Der den Völkerrechtsregeln entsprechende Artikel 8 der Verfassung der DDR war auf die Hauptaufgabe ihrer Verteidigungsdoktrin, die Verhinderung eines Krieges, gerichtet. Die 1600 Kilometer DDR-Staatsgrenze zur NATO, davon 161 Kilometer zum NATO-Stützpunkt Westberlin, hätte im Falle einer militärischen Auseinandersetzung bedeutet, dass das Territorium beider deutschen Staaten sofort Frontgebiet mit verheerenden Folgen geworden wäre. Angesichts der größten Konzentration von Truppenkontingenten, die auf beiden Seiten mit modernsten Waffensystemen, einschließlich atomarer Raketen und Gefechtsfeldwaffen ausgerüstet waren, galt für die DDR die unverrückbare Staatsdoktrin: Von deutschem Boden darf nie mehr ein Krieg ausgehen!
Die Tatsache, dass in den Jahren des Kalten Krieges die militärisch gesicherte Staatsgrenze der DDR bis 1989 maßgeblich dazu beitrug, einen heißen Krieg abzuwenden, ist für die Verfasser des "Gesamtkonzept Erinnerung an die Berliner Mauer" und die heute Regierenden lediglich kommunistische Propaganda. Auch die DDR hatte ein Sicherheitsbedürfnis und der Bevölkerung gegenüber die Pflicht, gegnerische militärische Überraschungsschläge durch entsprechende Maßnahmen auszuschließen, zumal die Bedrohungslage für die DDR real war. Am 9. Juli 1961, also wenige Wochen vor den Grenzsicherungsmaßnahmen in Berlin, verlangte die Bonner Rundschau, der Westen müsse in der Lage sein, "alle Mittel des Krieges, des Nervenkrieges, des Schießkrieges anzuwenden. Dazu gehören nicht nur herkömmliche Streitkräfte und Rüstungen, sondern auch die Unterwühlung, das Anheizen des inneren Widerstandes, die Arbeit im Untergrund, die Zersetzung der Ordnung, die Sabotage, die Störung von Verkehr und Wirtschaft, der Ungehorsam, der Aufruhr". Ungeachtet der Entspannungspolitik der 1970er Jahre und der in dieser Zeit geschlossenen Verträge (Vierseitiges Abkommen über Westberlin, KSZE-Schlussdokument, "Ostverträge" Transit-, Verkehrs- und Grundlagenvertrag zwischen beiden deutschen Staaten) sowie der sich daraus ergebenden temporären Verbesserungen in den Beziehungen, blieb die Beseitigung der DDR das strategische Ziel Bonns und seiner überseeischen und kontinentalen imperialen Stützen.
Es gehört zum Geschichtsverständnis der heute Regierenden, dass sie die historischen Hintergründe der Umwandlung der Demarkationslinie in eine Staatsgrenze der DDR im Sinne des Völkerrechts, der Maßnahmen des 13. August 1961 und die Verantwortung der Adenauer-Regierung für die krisenhafte Entwicklung vor dem Mauerbau sowie die akute Gefahr eines Hinübergleitens des kalten in einen heißen Krieg zu Beginn der 60er Jahre wohlweislich verschweigen. Und dass ihr Geschichtsrevisionismus von den einflussreichen Damen Angela Merkels "Kaffeekränzchens", Fride Springer und Liz Mohn (Bertelsmann), geteilt und mit ihren in die Hunderte gehende Zeitungen und Zeitschriften Tag für Tag verbreitet wird, ist längst kein Geheimnis mehr. Seit zwei Jahrzehnten erleben wir eine raffinierte antisozialistische Propaganda größten Ausmaßes: 53 Fernsehsender, 245 Rundfunkstationen sowie 9412 Zeitungen und Zeitschriften vermitteln den Bundesbürgern rund um die Uhr Ideologie und Meinungen der Herrschenden.
Wie wenig die mit der Delegitimierung der DDR beauftragte politische Justiz an historischen Gegebenheiten und damit an der Wahrheitsfindung interessiert war, zeigte sich auch daran, dass sie die bestimmende Rolle der sowjetischen Regierung und der Staaten des Warschauer Vertrages für die Grenze zwischen beiden deutschen Staaten sowie das an ihr herrschende Regime quasi ausgeklammert haben. Obwohl auch kompetente westdeutsche Zeitzeugen wie Prof. Egon Bahr, ehemaliger Staatssekretär im Bundeskanzleramt und Chefunterhändler der BRD für den Grundlagenvertrag zwischen beiden deutschen Staaten, und Dr. Hans-Otto Bräutigam, ehemaliger Botschafter der BRD bei den Vereinten Nationen und Ständiger Vertreter der BRD bei der Regierung der DDR-Regierung, als Zeugen in Prozessen im Zusammenhang mit dem Grenzregime der DDR erklärten, dass die DDR in Grenzfragen keine eigene Handlungsfreiheit und folglich auch keine Möglichkeit hatte, wichtige Veränderungen am Grenzregime vorzunehmen, weigerten sich Bundesregierung und Justiz hartnäckig, diesen und anderen aufklärenden Aussagen Gehör zu schenken. Als Zeuge im Politbüroprozess erklärte Egon Bahr: Diese Grenze und das an ihr herrschende Regime seien eine Frage von Krieg oder Frieden gewesen. Kein Politbürobeschluss hätte daran etwas ändern können. Schließlich meinte er: Wenn diese Art Grenzsicherung völkerrechtswidrig ist, dann "müsse man die ehemalige Sowjetunion an den Kanthaken nehmen". Es war nicht verwunderlich und überdies außerordentlich aufschlussreich, dass die Staatsanwaltschaft gegen die Zeugenvernehmung dieses kompetenten Ostexperten und profunden Kenners der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten im Kalten Krieg war. Abgesehen davon, dass sich die "ehemalige Sowjetunion" von der bundesdeutschen Justiz nicht an den Kanthaken nehmen lassen und derartige Versuche mit einem müden Lächeln beantworten würde, spielten hier offensichtlich "höhere Interessen", auch wirtschaftlicher Art, eine Rolle, von den engen freundschaftlichen Beziehungen zwischen "Helmut" und "Michael" gar nicht zu reden. Um wieviel einfacher war es dagegen, ehemalige führende Politiker und Militärs der unterlegenen DDR und weiter bis hinunter ans Ende der Befehlskette zum einfachen Grenzsoldaten in spektakulären Prozessen vor Gericht zu stellen, zu demütigen und einzusperren, die sich nicht auf den Vertrauensschutz ihres nicht mehr existierenden Staates berufen durften. Die Herrschenden der Alt-BRD waren 1990 fest entschlossen, anzuklagen und zu verurteilen sowie gegen Hunderttausende Berufsverbot zu verhängen und sich durch nichts und niemanden davon abhalten zu lassen. Wie wollte man die DDR als "Unrechtsstaat" an den Pranger stellen, wenn man schießlich doch hätte eingestehen müssen, dass die Verantwortlichen für Mauerbau und Grenzregime nicht in Berlin, sondern im Kreml saßen? Doch die Wahrheit ist bekanntlich ein hartnäckig Ding. Früher oder später holt sie diejenigen, die sie zu vergewaltigen versuchen, wieder ein - zumeist in einem für sie unpassenden Augenblick. Ausgerechnet inmitten der aufwendigen politischen und medialen Vorbereitung des 20. Jahrestages des "Mauerfalls" passierte den "Aufarbeitern" von DDR-Geschichte folgende Peinlichkeit: Beim Geschichtsforum 1989/2009 an der Berliner Humboldt-Universität am Wochenende 31.5. / 1.6.2009 machte Dr. Mathias Uhl vom Deutschen Historischen Institut in Moskau das von ihm kurz zuvor im Moskauer Staatsarchiv für Zeitgeschichte entdeckte 20-seitige Wortprotokoll eines langen Telefonats am 1. August 1961 zwischen Nikita Chrustschow und Walter Ulbricht öffentlich, das nach seinen Worten die Rolle der Sowjetunion vor und während des Mauerbaus in neuem Licht erscheinen lässt. Daraus geht nämlich hervor, dass Moskau den Mauerbau befohlen hatte. Chrustschow bekräftigte laut Dr. Mathias Uhl seinen Plan, "einen eisernen Ring um Berlin" zu legen und "diktierte Ulbricht schon, wie das alles ablaufen soll". "Wenn die Grenze geschlossen wird, werden Amerikaner und Westdeutsche zufrieden sein", erklärte Chrustschow. (Dr. Mathias Uhl, Moskau befahl den Mauerbau, Ostsee-Zeitung, Rostock, 2. Juli 2009)
Dass dieser für die Bewertung der Vorgänge um den 13. August 1961 und damit für die Rechtswidrigkeit der von den Gerichten wegen angeblicher persönlicher Verantwortlichkeit von Mitgliedern der politischen und militärischen Führung der DDR für den Mauerbau, das Grenzregime und seine tragischen Folgen geführten vielen Prozesse und verhängten Urteile bedeutungsvolle Sachverhalt von Bundesregierung und Massenmedien bis heute unbeachtet geblieben ist, zeigt, wie groß ihr Interesse ist, wichtige historische Vorgänge und die Haltlosigkeit politisch motivierter Anschuldigungen und Unterstellungen gegenüber der DDR unter dem Deckel zu halten.
Wer heute den Bau der Mauer allein der DDR-Führung anlastet, handelt entweder aus Unkenntnis, scheinheilig oder bösartig. Er weiß nicht oder will nicht zugeben, dass die drei Westmächte die Geschehnisse am 13. August 1961 in Berlin mit einem "Seufzer der Erleichterung" (Sebastian Haffner) zur Kenntnis nahmen, die Aktion der DDR als eine Entspannungsmaßnahme im Ost-West-Verhältnis und als einen Schritt zur Stabilisierung des europäischen Status quo werteten, weil sie die der immer brisanter werdenden Berlinkrise innewohnende Kriegsgefahr bannte. Der will auch nicht eingestehen, dass die der "roll back"-Doktrin verpflichtete Deutschlandpolitik der NATO damit eine empfindliche Niederlage erlitt und "an diesem Tage die alte Adenauersche Wiedervereinigungspolitik monumental scheiterte", wie Walter Stützle 1973 in seiner Fallstudie Kennedy und Adenauer in der Berlin-Krise 1961-1962 schrieb.
Übrigens verstand auch der ehemalige Innenminister und spätere Bundespräsident Gustav Heinemann die Maßnahmen vom 13. August 1961 als Ergebnis der "verfehlten Deutschlandpolitik" Adenauers. Dieser nahm den Mauerbau gelassen hin. Am 16. August 1961, also drei Tage nach dem Mauerbau, unterschrieb er ein vom sowjetischen Botschafter Smirnow vorgelegtes pflaumenweiches Kommunique. Von "heller Empörung" Adenauers gegen eine Abschnürung der Stadt, war in seinem Gespräch mit Smirnow kein Wort zu hören, im Gegenteil, er bezeichnete den Mauerbau lediglich als "lästige und unangenehme Sache, die über das Nötige hochgespielt worden ist". Er "wäre der sowjetischen Regierung dankbar, wenn sie da etwas mildern könnte".(Rudolf Augstein, "Powerplay" im rheinischen Bonn, in: Der Spiegel 41/91, S.99) Das erklärt wohl auch, warum Adenauer nicht nach Berlin fahren wollte. Was hätte er den Menschen in der Stadt sagen sollen, wenn er und seine Regierung die Dinge so sahen?
Selbst der einflussreiche Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses des US-Senats, Fulbright erklärte, die "Ostdeutschen haben alles Recht, ihre Grenze zu West-Berlin zu schließen" (zitiert nach: Gerhard Kleiderling, Berlinkrise und Mauerbau, in: Brüche, Krisen, Wendepunkte). Es ist verständlich, dass die bundesdeutsche Geschichtsschreibung sich davor hütet, allen diesen ihr unbequemen Sachverhalten den ihnen zukommenden Platz einzuräumen. Verständlich auch, dass sie es vermeidet, sowohl die internationale Entwicklung im Rahmen der Systemauseinandersetzung bis zum 13. August 1961 als auch die destruktive Deutschland- und Berlinpolitik der Adenauer-Regierung in direkte Beziehung zum Mauerbau zu bringen. Das aber ist unerlässlich, wenn deutsche Geschichte wahrheitsgemäß aufgearbeitet und dabei auch die Sicherung der Grenze der DDR zu Westberlin historisch richtig eingeordnet werden soll. Eine allein aktuellen politischen Interessen dienende Darstellung der Entwicklung in der Welt und in Deutschland bis zum 13. August 1961, die auf die Vergesslichkeit der Menschen baut und davon ausgeht, dass die jüngeren Generationen diese Geschehnisse aus eigenem Erleben nicht kennen, wird sich dauerhaft nicht aufrechterhalten lassen. Vergessen wir das alles zweiundzwanzig Jahre nach der Grenzöffnung der DDR nicht. Vergessen wir auch folgendes nicht: Als die Mauer errichtet wurde, waren im Klima des Kalten Krieges schon fast zwei Jahrzehnte lang beiderseits des Eisernen Vorhanges sehr ernst zu nehmende feindliche Klischees gediehen mit allen ihren Folgen für die Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten und für ihre Bürger. Dafür trägt auch der stramme Antikommunismus westdeutscher Regierungspolitik eine große Mitverantwortung. Provokateure, die von West nach Ost gingen, überschritten höhnisch lächelnd die Grenzen der DDR, die der damalige christdemokratische Bundeskanzler noch 1967 mit einem Phänomen verglich, einem Luftgebilde, das die Bonner Alleinvertreter in ihrer überheblichen Art für nicht existent erklärten. Wenn auf diese wohl unumstrittenen historischen Sachverhalte hingewiesen wird, dann nicht deshalb, um den Bau der Mauer nachträglich moralisch rechtfertigen zu wollen, sondern um die Kriegsgefahr, den weltpolitischen und nationalen Hintergrund der damaligen Situation, aber auch die Stimmungslage in breiten Kreisen der DDR-Bevölkerung deutlich zu machen. Und dass es zu einer solchen Situation und Stimmung kommen konnte, war nicht die alleinige Schuld der DDR-Oberen, wie das heute Politik und Medien den Menschen gern einreden möchten. Wenn auch die einseitige Abschottung des Ostens viel aussagt über dessen selbstvermutete Schwäche zu unterliegen, so war er keinesfalls allein verantwortlich für das vergiftete Klima, ebenso wenig wie die Mauer der Beginn der Teilung Deutschlands war. Die eigentliche Ursache für die Spaltung Deutschlands ist im Beginn der Hitler-Diktatur zu suchen. Im engeren Sinne gesehen, ist die Spaltung dann eine Folge des Kalten Krieges geworden. Die Schuld kann man weder allein dem Westen noch allein dem Osten geben. Die faktische Teilung Deutschlands im Jahr 1949 war nicht das Ziel oder Ergebnis einzelner Schritte des Ostens bzw. des Westens. Sie war quasi das zwangsläufige Ergebnis der Maßnahmen beider Seiten. Das gilt auch für die Berliner Mauer! Die emotionslose Näherung an diese Fragen der Geschichte wird wohl erst gelingen, wenn sie tagespolitisch bedeutungslos sind.
Seit dem Anschluss der DDR an die BRD findet in Deutschland unter missbräuchlicher Berufung auf eine freiheitlich-demokratische Grundordnung und den Rechtsstaat eine in der jüngeren deutschen Geschichte beispiellose Abrechnung der "Sieger" mit den Besiegten, mit der DDR, ihren Organen und Amtsträgern sowie vielen verfassungs- und gesetzestreuen Bürgern statt. Diese Abrechnung reicht von der politischen und menschlichen Diskriminierung über die berufliche Ausgrenzung, die Verdrängung aus redlich erworbenen Vermögensrechten bis hin zur politischen Strafverfolgung, von den vielfachen Methoden der Demütigung ganz zu schweigen. Mit der Kriminalisierung der von politischer Strafverfolgung Betroffenen soll der "Beweis" erbracht werden, dass die DDR ein "Unrechtsstaat" war. Die Richtung hierfür wies schon das "Erste Forum des Bundesministers der Justiz" am 9. Juli 1991 in Bonn. Dem offiziellen Protokoll zufolge wurde dort erklärt: "Was (...) die so genannte DDR und deren Regierung betrifft, so handelt es sich dort nicht einmal um einen eigenständigen Staat: diese sogenannte DDR ist niemals von uns staatsrechtlich anerkannt worden. Es gab ein einheitliches Deutschland, von dem ein gewisser Teil von einer Verbrecherbande besetzt war. Es war aus bestimmten Gründen nicht möglich, gegen diese Verbrecherbande vorzugehen, aber das ändert nichts daran, dass es ein einheitliches Deutschland war, dass selbstverständlich ein einheitliches deutsches Recht dort galt und auf die Verbrecher wartete (...)" An dieser Abrechnung beteiligten sich Politiker, Parteien, Organisationen, Ämter und Behörden. Eine besonders willfährige Rolle bei der Verfolgungsjagd spielten die Konzern-Medien. Auch die Justiz folgte der politischen Aufgabenstellung und leistete gehorsam ihren speziellen Beitrag. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang auch "Experten" vom Schlage des Vorzeige-"Historikers" Hubertus Knabe, Leiter der "Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen" und bestimmte Autoren, die meinen, sie hätten die Deutungshoheit über die Geschichte der DDR und das Leben ihrer Bürger. Alle anderen hätten den Mund zu halten, wobei sie Kritiker ihrer Sicht gern als "ewig Gestrige", "Betonköpfe" und "(N)ostalgiker" bezeichnen. Diesem Klüngel geht es nicht um eine seriöse Geschichtsbetrachtung, sondern darum, die DDR zu diffamieren und sie für alle Zeit zu verteufeln. Bevorzugtes Ziel ihres Wirkens sind das Grenzregime der DDR und die Opfer des kalten Krieges, die allein der DDR angelastet werden. Dabei verlieren sie kein Wort über historische Hintergründe, das internationale Geschehen während der einzelnen Etappen des kalten Krieges und über das Verhältnis zwischen beiden deutschen Staaten. In ihren Auslassungen ist auch keine Rede von den von westlicher Seite zu verantwortenden politischen, geheimdienstlichen und militärischen Fakten sowie von den jahrelangen gezielten Provokationen an der Staatsgrenze, die maßgeblich das Grenzregime der DDR mitbestimmten. Auf diese Weise soll unter krasser Verletzung des Völkerrechts, des Grundgesetzes, des Einigungsvertrages, fundamentaler Prinzipien des Rechts, insbesondere, des Verbots seiner rückwirkenden Anwendung und Verjährung von Straftaten, Vergeltung dafür geübt werden, dass die DDR trotz einer Reihe von Defiziten
- weltweit anerkannt und geachtet war,
- den Versuch unternommen hat, eine sozialistische Alternative zur kapitalistischen BRD zu finden,
- durch ihre Existenz den Herrschaftsbereich des deutschen Imperialismus und Militarismus über Jahrzehnte eingeschränkt und
- für die Bürger weitgehend soziale Sicherheit und Geborgenheit als wichtigen Bestandteil der Menschenrechte geschaffen hatte.
Entsprechend diesen politischen Absichten und Vorgaben hatte die eigens zu diesem Zweck geschaffene Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages unter Vorsitz von Rainer Eppelmann die Beweisführung für die Notwendigkeit der politischen Strafverfolgung zu liefern. Mit der Bestätigung des von ihr vorgelegten Berichtes durch die Mehrheit des Bundestages und der Aufforderung, die Politik der Diskriminierung und politischen Strafverfolgung in Ostdeutschland fortzusetzen, hatte die Siegerjustiz auch ihre parlamentarische Weihe erhalten. Seitdem sind zwei Jahrzehnte vergangen, ohne dass die Bemühungen des Staates, der Massenmedien und der DDR-feindlichen "Experten" und "Historiker", die DDR als "Unrechtsstaat" zu diskriminieren, an Intensität nachgelassen hätten. Im Gegenteil, der Verlauf der Gedenkjahre 2009 und 2010 zeigt, dass die Hetze und Verleumdung umso mehr an Schärfe und Breite zunehmen, je offensichtlicher sich die Politik der Bundesregierung als verfehlt und perspektivlos erweist. Daraus ergibt sich für an historischer Wahrheit interessierte Zeitzeugen die Verpflichtung, den bösartigen Unterstellungen und lügenhaften Behauptungen bestimmter Leute, deren Kenntnisse und Erkenntnisse in aller Regel auf Hörensagen beruhen, ihr persönlich erlebtes Zeitzeugnis entgegen zu stellen, selbst im Wissen, dass sich die bürgerlichen Medien erfahrungsgemäß nicht dafür interessieren, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Der Autor des "Sachsenspiegels" Eike von Repgow wusste schon, wovon er sprach, als er um das Jahr 1225 zu bedenken gab: "Eenes Mannes rede ist keenes Mannes rede, man muss hören beede." Auch dem ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau ist zuzustimmen, der am 10. März 2000 erklärte: "Wenn nur die Sieger Geschichte schreiben, dann widerfährt den Verlierern selten Gerechtigkeit."
2. Das Märchen von der "innerdeutschen" Grenze und seine Funktion
Das Gerede von der "innerdeutschen" oder auch "deutsch-deutschen" Grenze, auf Berlin bezogen die "innerdeutsche Sektorengrenze", und die damit zum Ausdruck kommende Missachtung der politischen und militärischen Realität während des Kalten Krieges bildet einen wichtigen Stützpfeiler der permanenten Hetze gegen das Grenzsicherungssystem der DDR und war ein grundlegendes "Argument" für die widerrechtliche politische Strafverfolgung gegen ehemalige Angehörige der NVA und der Grenztruppen. Auch heute gehört die irreführende Bezeichnung "innerdeutsche" Grenze zum wichtigen Repertoire der Politiker und Medien, die auf die Unkenntnis gutgläubiger Menschen spekulieren. Dabei handelt es sich um eine Konstruktion, die an die Hallstein-Doktrin anknüpft. Der von der BRD nie vollständig aufgegebene Alleinvertretungsanspruch, die Nichtanerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft und das 1973 vom Bundesverfassungsgericht gefällte Urteil, wonach die Staatsgrenze der DDR zur BRD und zu Westberlin eine innerdeutsche Verwaltungsgrenze wie zwischen zwei Bundesländern der BRD sei, stützen dieses widersinnige Gerede. In Wahrheit handelte es sich, wie bereits betont, um die Hauptkonfrontationslinie der beiden sich unversöhnlich gegenüberstehenden Gesellschaftssysteme im Kalten Krieg und um die vordere Linie der Verteidigung des Warschauer Paktes. Niemals in der Geschichte der Menschheit und nirgendwo in der Welt standen sich stärkere militärische Potentiale in Feindschaft gegenüber wie an dieser Grenze. Eine militärische Ost-West-Auseinandersetzung wurde in den Jahren des Kalten Krieges, zumindest bis in die Mitte der achtziger Jahre, von den politischen und militärischen Führungen beider Seiten für möglich gehalten. Deshalb arbeiteten auf beiden Seiten der Grenze rund um die Uhr alle Bereiche der militärischen Aufklärung. So hatten beispielsweise im Bereich des DDR-Grenzkommandos SÜD in den 80er Jahren das 11. und 14. Panzeraufklärungsregiment der 7. US-Feldarmee ständig Kräfte unmittelbar an der Grenzlinie im Einsatz. Jährlich wurden allein in diesem Bereich ca. 20.000 US-Soldaten in ihre Handlungsräume eingewiesen. Es gehörte schon zur militärischen Routine, dass die Kommandeure von neu in Grenznähe dislozierten Verbänden und Truppenteilen der Sowjet-Armee und der US-Armee vor Ort mit ihren Einsatzräumen und Handlungsrichtungen bei möglichen militärischen Konflikten vertraut gemacht wurden. Auch die Tatsache, dass in den Jahren des Kalten Krieges die militärische Luftaufklärung an der Nahtstelle zwischen beiden Militärblöcken außerordentlich intensiv war und deshalb das Grenzgebiet zwischen der DDR und der BRD das weltweit meistfotografierte Gebiet war, gibt die Zweckkonstruktion "innerdeutsche" Grenze der Lächerlichkeit preis.
Das war die Lage, in der die Grenztruppen der DDR die komplizierte Aufgabe hatten, mögliche Zwischenfälle und Konflikte an der Grenze nicht entstehen bzw. sich nicht ausweiten zu lassen und sie damit unterhalb der Einsatzschwelle von Kampfeinheiten der Paktstaaten zu halten. Eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe, die sie trotz oft außerordentlich schwieriger Bedingungen jahrzehntelang in Ehren erfüllt haben! Das war sicher auch der Grund dafür, dass im Prozess gegen vier Mitglieder der ehemaligen Führung des Grenzkommandos SÜD vor dem Erfurter Landgericht der Anwalt eines der Angeklagten erklärte: "Ich verneige mein Haupt vor den hier angeklagten Männern, weil ich von dem Frieden profitiert habe, den ich diesen Männern verdanke." Die anderen Anwälte schlossen sich dieser beachtenswerten Erklärung ihres Berufskollegen an, der sich wie sie von Berufs wegen besonders intensiv mit den Motiven, der persönlichen Haltung und den militärischen Handlungen der Angeklagten, der Lage an der Grenze und den Anklagepunkten der Staatsanwaltschaft beschäftigt hatte. Auch. Egon Bahr erklärte in seinem Interview in junge Welt vom 1. August 1996: "Die Kompetenzen der drei Westmächte endeten an den Westsektoren. Oder noch anders gesagt: Da war eine Grenze! Eine richtige Grenze! (...) Es konnte überhaupt gar keinen Zweifel sein, dass die Grenze zwischen Ost und West mitten durch Deutschland, mitten durch eine Stadt geht und auf der anderen Seite das andere Lager ist, mit dem man sich im Krieg befand. Das war ein Kalter Krieg, aber es war ein Krieg!"
Niemand wird angesichts dieser Lage ernsthaft behaupten wollen, der Bundesregierung, dem Bundesverfassungsgericht, dem Bundesgerichtshof und den politischen Strafgerichten in Prozessen im Zusammenhang mit dem DDR-Grenzregime seien Charakter und Bedeutung dieser Grenze für den Frieden in Europa unbekannt gewesen. Wenn sie alle dennoch in trauter Übereinstimmung an der aus politischen Erwägungen erfundenen Zweckkonstruktion "innerdeutsche" Grenze festhielten (und noch heute festhalten), dann deshalb, weil dieser Konstruktion eine ganz bestimmte Funktion zugedacht war (und weiterhin ist): Sie soll die Behauptung stützen, die militärische Sicherung dieser Grenze durch die Grenztruppen der DDR und die Anwendung der Schusswaffe seien unrechtmäßig gewesen und deshalb strafbar. Wenn man davon ausgeht, dass es in den 80er Jahren allein im Bereich des Grenzkommandos SÜD jährlich bis zu sieben Anschläge auf Grenzsicherungsanlagen, zwölf Luftraumverletzungen aus Richtung BRD und in ca. 1000 Fällen provokatorische Handlungen gab, dann lässt sich daraus leicht schließen, wie angespannt die Lage an der gesamten Länge der Staatsgrenze der DDR war und welchen Provokationen die Angehörigen der Grenztruppen täglich ausgesetzt waren Den jungen Grenzsoldaten der DDR stand ein erfahrener und sehr oft auch verschlagener Gegner gegenüber, einer, der je nach Bedarf verschiedene Gesichter hatte. Der bald harmlos und jovial dem "Kameraden" auf der anderen Seite der Grenze einen Gruß hinüber rief, der ihn ein anderes Mal unflätig beleidigte und wieder ein anderes Mal mit lauerndem Grinsen versuchte, ihn zur Fahnenflucht zu überreden. Wurde auf wiederholte Kontaktversuche nicht reagiert, folgten rüde Beschimpfungen und schlimmste Drohungen. "Kommunistenschweine" oder "Russenknechte", die in Kürze umgelegt oder gehängt würden, waren weit verbreitete "Grüße" von jenseits der Grenze, die nicht selten durch provokatorische Zielübungen mit der Schusswaffe ergänzt wurden. Es war ein Gegner, der vor massenweise heran geholten "Grenzlandfahrern" aufputschende Reden hielt, die oft genug in gefährliche Anschläge auf Grenz- und Sicherungsanlagen gipfelten. Alles mit der Absicht, herauszufordern, zu erkunden, wie weit man gehen kann, was die DDR-Grenzer sich alles bieten lassen (müssen). Provokationen und Unruhe sollten im Grenzgebiet etwas Alltägliches sein, um die Wachsamkeit der DDR-Grenzer einzuschläfern und etwaigen Spielraum für noch weitergehende Provokationen zu haben. Dazu gehörte, dass Angehörige des Bundesgrenzschutzes (BGS), der Bayrischen Grenzpolizei, des Zollgrenzdienstes und der Westberliner Polizei diesen Störaktionen oft Schützenhilfe leisteten, und dazu gehörte ferner, dass BGS-Angehörige gemeinsam mit Angehörigen von NATO-Armeen an der Grenze so agierten, als sondierten sie bereits das Terrain für künftige Aktionen. Das alles verlangte von den Angehörigen der Grenztruppen ständig hohe Wachsamkeit gepaart mit Gelassenheit und dem festen Willen, sich auf keinen Fall provozieren zu lassen. Einige ergänzende Fakten:
- 1958 wurden vom Gebiet der BRD aus 804 Provokationen gegen die Grenze der DDR und die Grenzsicherungskräfte verübt.
- 1959 waren es in den ersten drei Quartalen bereits 1.425 Fälle, darunter die schwerwiegende Provokation vom 21. August, als motorisierte Kräfte des BGS bei Klettenberg in das Gebiet der DDR eindrangen und Grenzsicherungsanlagen zerstörten.
- Am 12. März 1960 legten zwei westdeutsche Zöllner unmittelbar an der Staatsgrenze bei Ahrenshausen, Kreis Heiligenstadt, Brände, die Grenzmarkierungen vernichteten.
- Am 22. März 1960 versuchte das BRD-Zollboot "Lave" auf der Elbe bei Kilometer 491 ein Boot der DDR-Grenzpolizei zu rammen.
- Am 23. März 1960 fuhren BGS-Angehörige im Abschnitt Schlagbrücke bei Schönberg mit einem Jeep bis an die Grenze und schossen mit einer Maschinenpistole über die Staatsgrenze in Richtung DDR.
- In einigen Fällen gelang es, in den Bereichen der Grenzpolizeibereitschaften Schönberg, Eisenach, Dermbach und Meiningen, die auf DDR-Territorium vorgedrungenen Provokateure festzunehmen.
- 1960 gab es allein im ersten Quartal über 500 Provokationen.
- Nach dem 13. August 1961 verstärkten sich die Anschläge und Provokationen. Zwischen dem 13. August 1961 und dem 13. August 1963 registrierten die DDR-Grenztruppen 2.154 provokatorische Handlungen. Es gab 27 Sprengstoffanschläge, Tunnelbauten, Schleusungen und Angriffe auf Grenzposten. Bei allen Strafprozessen gegen DDR-Grenzer stand immer unbeantwortet die Frage im Raum: Welche Verantwortung trägt eigentlich die andere Seite? Wer zieht die gegenüber zur Rechenschaft? Auf beiden Seiten der Grenze galt: Wer nach Berlin kommt, geht an die Front. Die Amerikaner dekorierten alle ihre "Berliner" mit Kampforden. Mit voller Kriegsmontur keuchten sie die Grenze entlang. Westlich der "Linie" Höhe Berlin-Rosenthal absolvierten die Franzosen regelmäßig Zielübungen auf DDR-Grenzposten. 1982, an einem Sommertag, richtete ein französischer Panzer seine Kanone auf den Wachturm an der Chausseestraße. Einer der jungen Posten verlor die Kontrolle über seinen Körper und entleerte sich wie ein Kleinkind. Diese Front machte Angst: vor den Steinen, die täglich geworfen wurden, vor den Schreckschusspistolen, den Feuerwerksraketen, irgendwo in der Nähe abgeschossen. Einmal war es sogar eine Panzerfaust!
Stellvertretend für die Tötungsverbrechen an DDR-Grenzsoldaten und für die Rolle, die die bundesdeutsche Justiz bei ihrer Aufklärung und Ahndung spielte, sei nur auf einen Fall näher eingegangen: Am frühen Abend des 18. Juni 1962 befand sich Gefreiter Reinhold Huhn, zwanzig Jahre alt, Melker, gegenüber dem Springer-Hochhaus im Grenzdienst, als ihm ein Mann in Begleitung von zwei Frauen und einem Kind auffiel. "Als der Gefreite die Personalien prüfen wollte, griff der Mann", so die Spitzenmeldung der Grenztruppen ('Vertrauliche Verschlusssache, VVS-Tagebuch-Nr.: 3557/62') über dieses Ereignis, "in die Innentasche seiner Jacke. Kurz darauf fiel ein Schuss, und Genosse Huhn fiel zu Boden." Die Personengruppe, von anderen Grenzern daraufhin unter Feuer genommen, floh in das Haus Zimmermannstraße 56 - und von dort durch einen Kellerraum und einen vorgetriebenen Tunnel unter der Mauer hindurch, direkt auf das Grundstück des Springer-Verlages. Der Verleger Axel Springer selbst hatte dem Mörder Rudolf Müller, einem ehemaligen DDR-Bürger, die Genehmigung erteilt, von seinem Grundstück aus, im Schutze einer Baracke, diesen Tunnel zu graben. Nach dem Mord und gelungener Flucht, die im Springer-Hochhaus mit Whisky und auf einer Pressekonferenz gefeiert wurde, erzählte Müller freimütig, er habe nur einmal abzudrücken brauchen: "Der Mann fiel sofort um." Dennoch verbreitete der Westberliner Senat, gedeckt von den Amerikanern die ungeheuerliche Meldung, Huhn sei "im Kugelhagel der eigenen Genossen umgekommen". Eine der unzähligen Verleumdungen der DDR und ihrer Grenztruppen im eskalierenden Kalten Krieg. Briten und Franzosen dagegen glaubten der Darstellung der DDR, billigten dem Mörder aber Notwehr zu. Dieser wurde wenig später samt Familie nach Westdeutschland expediert. Für die Angehörigen der Grenztruppen kam das Gefährliche immer aus dem Westen. Sie standen dem wehrlos gegenüber. Es war strikt untersagt, in Richtung Westen zu drohen, zu zielen, erst recht zu schießen. Drüben wusste man um die Wehrlosigkeit, eine über Jahre gesammelte Erfahrung. Die ständige Erniedrigung machte wütend, gebar Hass. Vor allem war da die Angst. Es nutzt einer ehrlichen Aufarbeitung von Geschichte nichts, wenn der Eindruck erweckt wird, das Motiv aller Grenzverletzer sei gewesen, den unerträglichen politischen Verhältnissen in der DDR zu entfliehen, um damit jeden zu Tode Gekommenen zu einem politischen Märtyrer zu machen. Das hat vor allem die Springer-Presse jahrzehntelang mit so gut wie allen Mitteln versucht. Sie feierte jeden Grenzverletzer, auch wenn es sich um einen in der DDR gesuchten Gewaltverbrecher handelte, und jeden Provokateur als Helden. Jeden Schuss an der Grenze nutzte sie, um den Kalten Krieg weiter anzuheizen. Eine der schwersten Provokationen ereignete sich am 18. Oktober 1966 an der Elbe nahe Gorleben. Sie war ein typischer Fall im Kalten Krieg und nur zu verstehen vor dem Hintergrund des bis 1989 nicht entschiedenen Streites um den Grenzverlauf an der Elbe. Die BRD und die für diesen Abschnitt zuständige britische Besatzungsmacht beharrten darauf, dass die Grenze am Ostufer verlaufe. Die DDR und die sowjetische Besatzungsmacht dagegen blieben bei ihrem Standpunkt, die Demarkationslinie verlaufe in der Mitte des Flusses.
Die DDR hatte Tage zuvor die Genehmigung für eine Peilfahrt des Schiffes "Kugelbake" zurückgezogen, nachdem der Westen Vermessungsarbeiten des DDR-Bootes "Lenzen" verhindert hatte. Versuche der "Kugelbake"-Besatzung, dennoch die Flussmitte zu überqueren, beantworteten die DDR-Grenztruppen, indem sie mit Patrouillenbooten eine Sperrkette bildeten. Dem Drängen aus Bonn, diese Kette der kleinen hölzernen DDR-Boote mit ihrem stabilen Schiff zu durchbrechen, gab die zivile Besatzung der "Kugelbake" aber nicht nach. In Vorbereitung einer militärischen Operation wurde sie daraufhin gegen Beamte des Bundesgrenzschutzes von der Ostsee-Küstenwache ausgetauscht. Mit Genehmigung des damaligen Kabinetts Ludwig Ehrhardt und der britischen Besatzungsmacht begann am 18. Oktober 1966 die friedensgefährdende Operation. Mit Sturm- und Zollbooten versuchte ein BSG-Kommando die Kette der DDR-Boote zu durchbrechen. Hubschrauber kamen zum Einsatz. Auf dem Westufer standen Panzer der 7. Brigade der britischen Rheinarmee, um notfalls Feuerschutz zu geben. Außer einigen kleineren Kollisionen passierte nichts. Die Angehörigen der DDR-Grenztruppen hatten die Nerven behalten. Der britische Generalmajor Mike Strickland, der bei diesem schweren Zwischenfall anwesend war, meinte später, das "hätte leicht einen dritten Weltkrieg auslösen können." (junge Welt, 31. Januar 1997)
3. Die Legende vom "Schießbefehl"
Seit Errichtung der Besatzungszonen in Deutschland gab es in der sowjetischen Besatzungszone für den Dienst an der Demarkationslinie Vorschriften zur Anwendung der Schusswaffe. Mit Gründung der DDR wurden von der Volkskammer, vom Ministerrat und von den zuständigen Ministern Gesetze und Bestimmungen erlassen, die den Schusswaffeneinsatz für die Grenzsicherungskräfte regelten. Diese Regelungen glichen im wesentlichen denen, die die Volkskammer im Grenzgesetz von 1982 getroffen hatte. Nach § 27 des Grenzgesetzes war das Schießen an der Grenze "gerechtfertigt", um ein "Verbrechen" zu verhindern oder die "eines Verbrechens Verdächtigen" zu ergreifen. Das Gesetz erlaubte Schüsse nicht bei schlichten Grenzdurchbrüchen ohne qualifizierende Umstände. In solchen Fällen schrieb das Gesetz vor, das Leben von Menschen nach Möglichkeit zu schonen. Diese Bestimmungen deckten sich nahezu mit denen anderer Länder und denen, die für den Bundesgrenzschutz gelten. Daraus erklärt sich auch, weshalb die am 18. März 1990 gewählte letzte Volkskammer bei der Regelung der Schusswaffenanwendung durch Angehörige der Zollverwaltung und der Polizei die Bestimmungen des § 27 des Grenzgesetzes der DDR von 1982 inhaltlich übernahm. Während diese Bestimmungen und ihre Anwendung von den Gerichten "als mit den Menschenrechten unvereinbar" abqualifiziert wurden, werden die bundesdeutschen Regelungen und die darauf basierende Praxis anders bewertet als die für die Grenztruppen. Im Gegensatz zu Richter Theodor Seidel im ersten Prozess gegen ehemalige Angehörige der DDR-Grenztruppen - er, dem die Verteidigung wegen seiner Mitarbeit in einer Fluchthelferorganisation Befangenheit vorwarf, hatte das Grenzgesetz als nichtig gewertet - erkannte die Vorsitzende im vierten sogenannten Grenzerprozess, Ingeborg Tepperwiesen, ausdrücklich an, dass das Grenzgesetz nicht in einem solchen Widerspruch zu den fundamentalen Grundsätzen von Recht und Menschlichkeit gestanden habe, dass es deshalb unwirksam wäre. Die unter ihrem Vorsitz tagende 29. Berliner Große Strafkammer bestätigte, dass Schüsse an der Mauer weder DDR-Verfassung noch Völkerrecht oder Naturrecht, sondern im konkreten Fall nur ausgerechnet das Grenzgesetz brachen; danach sei nämlich Schusswaffeneinsatz als letztes Mittel zur Festnahme - also nur zur Verletzung, nicht zur Tötung eines Menschen - legitim gewesen. Mit diesem Aufsehen erregenden Urteil verhedderte der Rechtsstaat sich ein weiteres Mal in seinen eigenen Fallstricken. Mit einer solchen der wahren Rechtslage entsprechenden Urteilsbegründung hätte die Siegerjustiz sich selbst den juristischen Weg für den Prozess gegen die ehemalige DDR-Führung verbaut. So war es nicht verwunderlich, sondern entsprach offenbar Regieanweisungen, dass der Bundesgerichtshof in seinem Urteil zur Revision des zweiten "Mauerschützenprozess" am 3. November 1992, also wenige Tage vor dem geplanten Prozess gegen Erich Honecker und andere, nicht nur das Grenzgesetz der DDR für menschenrechtsunwürdig und damit strafbares Unrecht erklärte, sondern zugleich einräumte, dass sich die Praxis in der DDR voll an diesem orientierte, hiesige Wertmaßstäbe der Gesetzeslage entsprächen. Dennoch verlangten die Richter des Bundesgerichtshofes: Man musste sich damals über Geist und Buchstaben des Grenzgesetzes hinwegsetzen, es als abstraktes Unrecht erkennen und dem entgegen handeln, sonst machte man sich strafbar. Die Konsequenz aus dieser nicht nachvollziehbaren weltfremden Auffassung wäre doch, dass die Justiz nicht die Soldaten und Kommandeure der Grenztruppen als diejenigen, denen lediglich die Durchführung des Grenzgesetzes der DDR, einschließlich des 27, Anwendung von Schusswaffen, oblag, vor Gericht stellt, sondern alle Volkskammerabgeordneten, die dieses "menschenrechtsunwürdige und deshalb strafbare" Gesetz als Grundlage des Grenzregimes und des Dienstes der Grenztruppen beschlossen haben. Dann müssten die "Sieger" nämlich auch alle Volkskammer-Abgeordneten der DDR-Blockparteien anklagen und bestrafen, die in den Ausschüssen über dieses Gesetz beraten und ihm schließlich ihre Zustimmung gegeben hatten. Nicht wenige von ihnen sind aber seit dem Anschluss der DDR an die BRD als Mitglieder, Abgeordnete oder Mandatsträger der Koalitionsparteien eine wichtige und zuverlässige Stütze der Bundesregierung.
Es lohnt sich ohnehin, darüber nachzudenken, warum bei der politischen und juristischen Abrechnung mit dem "Unrechtsstaat" DDR die in seiner obersten Volksvertretung für die Gesetzgebung entscheidend mitverantwortlichen christ-demokratischen und liberal-demokratischen Abgeordneten außen vor bleiben, warum so getan wird, als hätte es deren politische Verantwortung und Mitgestaltung nie gegeben. Und wenn dann Richter Föhrig im Prozess gegen die Führung der Grenztruppen in Bezug auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Generäle erklärt: "Jeder, der diese Befehle erließ oder an verantwortlicher Stelle an ihrem Zustandekommen mitwirkte, setzt, juristisch gesehen, eine 'causa' für den Tod des Grenzverletzers (...)" und dabei diejenigen ausklammert, die das Gesetz als Grundlage einer solchen Befehlsgebung beschlossen hatten, dann bleibt doch nur der Schluss, dass das eigentliche Ziel der Verfolgung von DDR-Bürgern durch die Politische Strafjustiz der BRD in Wahrheit die Marxisten, Sozialisten und Kommunisten unter den Funktions- und Hoheitsträgern der DDR waren. Hätte die Justiz der Alt-BRD nicht mit rechtsstaatlich zweifelhaften Konstruktionen auf der Basis allgemeiner Menschenrechte unter Zuhilfenahme von dubiosem Naturrecht hantiert, sondern das zur Tatzeit geltende Recht des anderen deutschen Staates und UNO-Mitglieds angewendet, so, wie es der Einigungsvertrag zwingend fordert, dann hätten ehemalige Angehörige der Grenztruppen, die im Einklang mit diesem Recht handelten, strafrechtlich nicht belangt werden dürfen.
In welcher unerträglichen Weise besonders auf diesem Gebiet Artikel 3 des Grundgesetzes - Gleichheit vor dem Gesetz - verletzt wurde, geht aus Karl Graff "Schüsse an einer anderen deutschen Grenze" hervor (SPOTLESS-Verlag 1995, ISBN-3-928999-55-9). Hier erfährt der interessierte Leser, in den meisten Fällen wohl zum ersten Mal, von "Sperrzonen" im Grenzgebiet der BRD zu Belgien in den 50er und 60er Jahren, von der "Schießfreudigkeit" deutscher Zollbeamter, von fast täglichen Pressemeldungen über Warnschüsse, "gezielte Schüsse" auf Menschen, darunter Jugendliche und Kinder, deren einziges Vergehen darin bestand, durch Kaffeeschmuggel dem bundesdeutschen Fiskus Steuereinnahmen vorenthalten und dem Ruf "Halt!" der Zollbeamten nicht sofort Folge geleistet zu haben.
Er liest von wilden Verfolgungsjagden durch Stadt und Land, bei denen sogar Unbeteiligte der Gefahr des Erschießens oder schwerer Verletzungen ausgesetzt worden waren, kurz: von einem Krieg in Friedenszeiten mit vielen Verletzten und Toten, wie zum Beispiel der am 22. Februar 1964 von einem deutschen Zollbeamten aus 20 Meter Entfernung getötete Vater zweier Kinder, der in Belgien eineinhalb Pfund Kaffee, 100 Gramm Tee und 20 Eier eingekauft und die Aufforderung des Beamten zum Halten nicht befolgt hatte.
Anhand von Zeitungsberichten, vorwiegend der christlich-demokratischen AACHENER VOLKSZEITUNG, über dramatische Ereignisse im Grenzgebiet, den leichtfertigen und missbräuchlichen Schusswaffeneinsatz deutscher Zollbeamter, von Auszügen aus Finanzpolitischen Mitteilungen des Bundesministers der Finanzen und aus Sitzungsprotokollen des Bundestages während dieser Jahre ist zu erfahren, welchen geringen Stellenwert Bundesregierung, Bundestag und Justiz dem Grund- und Menschenrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit beigemessen haben, als es darum ging, die Wiederaufrüstung der BRD auch mit Hilfe der Einnahmen aus der Kaffeesteuer zu finanzieren. Und der Leser, dem jahrzehntelang eingehämmert worden ist, dass DDR-Grenzsoldaten, bei deren Anwendung der Schusswaffe jemand getötet wurde, als "Todesschützen" gelten, erfährt nunmehr, dass bundesdeutsche Zollbeamte, die damals an der Westgrenze der BRD Menschen erschossen haben, "Unglücksschützen" genannt und strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen wurden. Selbst als bei der Tötung eines 18jährigen Schmugglers durch einen Zollbeamten der begründete Verdacht bestand, dass der tödliche Schuss aus 12 Meter Entfernung abgefeuert worden war und Oberrat Busch von einem "ausgesprochenen Genickschuss" sprach, fand der zuständige Oberstaatsanwalt Dr. Reuter rechtfertigende Gründe, sodass die Ermittlungen gegen "Unglücksschützen" schließlich eingestellt wurden. Nicht anders verhielt es sich mit der Auslegung von Befehlen und Dienstvorschriften. Während in den 50er und 60er Jahren nicht etwa die Aufgabenstellung des Bundesministers der Finanzen, nicht die Anweisungen der Zollverwaltung, nicht die Befehle der Vorgesetzten vor Ort und auch nicht die in der Presse sowie vom CDU-Bundestagsabgeordneten Günther im Deutschen Bundestag immer wieder beklagte "Schießfreudigkeit" von Zollbeamten die Toten und Verletzten an der Front des "Kaffeekrieges" zur Folge hatten, sondern "unglückliche Dienstvorschriften" oder "in Erregungssituationen überforderte Zollbeamte", erklärte das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf die ehemaligen Angehörigen der DDR-Grenztruppen: "Die Strafgerichte sind verfassungsrechtlich bedenkenfrei davon ausgegangen, dass der Entschuldigungsgrund des "Handelns auf Befehl" ausgeschlossen sei und die Rechtswidrigkeit des Befehls zum Schusswaffengebrauch an der Grenze nach den bekannten Umständen offensichtlich war."
Es war nicht zu übersehen, dass sich die politische Strafjustiz immer dann auf die "Menschenrechte" berief, wenn es darum ging, ehemaligen Angehörigen der Grenztruppen rechtswidriges Handeln zu unterstellen. Beriefen sich aber angeklagte ehemalige DDR-Grenzer auf die Europäische Menschenrechtskonvention von 1952, die in ihrem Artikel 2 die Tötung eines Menschen nicht für (menschen-)rechtswidrig ansieht, "wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt, (...) um eine ordnungsgemäße Festnahme durchzuführen", dann weigerte sich die gleiche Justiz, ihnen diesen Rechtfertigungsgrund zuzugestehen. Obwohl es sich bei der Europäischen Menschenrechtskonvention um die von den Regierungen aller Mitgliedsstaaten des Europarates mit Gesetzeskraft ausgestattete Konvention zum Schutz der Menschenrechte handelt. Die im Grenzgesetz der DDR enthaltene Bestimmung "Anwendung der Schusswaffen" regelt eine staatliche Befugnis, ein Recht zur Schusswaffenanwendung, aber keine Verpflichtung zum Töten. Sie enthält zugleich die staatliche Bekräftigung, dass die vorschriftsmäßige Schusswaffenanwendung keine Straftat ist. Diese Rechtslage anzuerkennen, ist keine Ermessensfrage, sondern völkerrechtliche Pflicht der BRD.
Zur Wahrheit über die Grenztruppen gehört auch ihr verantwortungsbewusstes Handeln am 9. November 1989, welches Egon Krenz in seiner Rede auf dem 24. Grenzertreffen in Petershagen bei Berlin am 24.10.2009 mit folgenden Worten würdigte: "Heute schreiben Medien leichtsinnig, Schabowskis Unkonzentriertheit sei das schönste Missverständnis der Weltgeschichte." Andere meinen, es sei ein Wunder, dass alles so friedlich verlaufen sei. Ein Teil jener, die dieses Wunder vollbracht haben, sitzt hier in diesem Saal vor mir. Ihr habt dazu beigetragen, dass aus der Schusseligkeit von Schabowski keine Katastrophe wurde. Wie leicht hätte aus dem 'schönsten Missverständnis der Geschichte' ein schreckliches Blutvergießen werden können! Meine Hochachtung vor Eurer weltpolitischen Leistung, liebe Freunde. Dankbar bin ich nach wie vor den verantwortlichen Kommandeuren der Grenztruppen vor Ort. Es wird heute oft von Gewissensentscheidungen gesprochen. Das Verhalten der Grenzer am 9. November war so eine. Die Grenzer waren im humanistischen Sinne ausgebildet und erzogen und bewiesen dies in ihren Handlungen. Das noble Handeln der Grenzsoldaten an diesem und den folgenden Tagen führt das bis heute in den bundesdeutschen Medien gezeichnete Bild von ihnen als schießwütige Mordgesellen ohne Herz und Seele ad absurdum. (...) Eine falsche Entscheidung hätte Blutvergießen bedeuten können. Das hat auch Gorbatschow so beurteilt. Er schrieb, die DDR-Führung habe dazu beigetragen, ein "mögliches Auslösen militärischer Handlungen mit unabsehbaren Folgen auf deutschem Territorium zu verhindern." (Egon Krenz. Ohne einen Schuss, Neues Deutschland, 10.11.2009)
Alle in den Prozessen zur Grenzsicherung den Staatsanwaltschaften vorliegenden Dokumente beweisen, dass es niemals eine Aufforderung zum Töten gab. Die Angehörigen der Grenztruppen hielten sich an die geltenden Bestimmungen, wie die Untersuchungen der Staatsanwaltschaften der DDR bei Schusswaffenanwendungen bestätigt haben. Die Zahl der Versuche des illegalen Grenzübertritts hatte in den achtziger Jahren eine steigende Tendenz bei zunehmenden Gewaltakten gegen Grenzsoldaten und Grenzanlagen. Die Anwendung der Schusswaffe als letztes Mittel war jedoch im Verhältnis zu dieser steigenden Tendenz eindeutig rückläufig. Der Einfluss der Vorgesetzten aller Stufen auf eine solide Ausbildung und Erziehung und die enorme Arbeit zur Erhöhung der Sicherheit an der Staatsgrenze führten zu diesem Ergebnis. In der "Gemeinsamen Erklärung zu grundsätzlichen tatsächlichen und rechtlichen Aspekten der Aufgaben und der Tätigkeit der Angehörigen der Nationalen Volksarmee und der Grenztruppen gemäß der Rechtsordnung der Deutschen Demokratischen Republik" der Generäle der Führung der Grenztruppen vor dem Berliner Landgericht heißt es dazu unter anderem:
"Von 1979 bis 1989 erfolgte durch die Grenztruppen die Festnahme von 2.905 Personen, die versuchten, die Staatsgrenze zu verletzten bzw. durchzubrechen. Der Begriff "durchbrechen" ist wohl berechtigt, wenn man ohne Voreingenommenheit berücksichtigt, dass diese Versuche in vielen Fällen unter Androhung bzw. Anwendung von Gewalt mittels schwerer Technik, wie LKW, Planierraupen, Traktoren sowie Stich-, Hieb- und auch Schusswaffen durchgeführt wurden. Bei diesen 2.905 Festnahmen erfolgte in 148 Fällen die Anwendung der Schusswaffe, also in 5,1 Prozent der Fälle, wobei in diesem elf Jahren leider 24 Personen verletzt und 17 tödlich verletzt wurden. Niemand hat das Recht, Tote und Verletzte aufzurechnen und wir maßen uns das nicht an. Zu groß ist das Leid, das durch den Kalten Krieg entstanden ist. Wir wiederholen: Unser aufrichtiges Mitgefühl gilt allen Betroffenen. Mit Entschiedenheit verurteilen wir aber auch die widerwärtigen Bestrebungen, aus dem Leid der Menschen politisches Kapital zu schlagen und die Betroffenen in den Medien kommerziell zu missbrauchen. Die hohe Anzahl von Festnahmen ohne Anwendung von Schusswaffen bestätigt eindeutig, dass die Schusswaffenanwendung im wahrsten Sinne des Wortes die Ausnahme und das allerletzte Mittel war. Es war humanistisches Grundanliegen der DDR, das Leben zu achten, menschliches Leid möglichst zu vermeiden und sie hatte darüber hinaus ein hohes politisches Interesse daran, es nicht zu Todesfällen kommen zu lassen, weil jeder Tote an der Grenze zur politischen Diskreditierung der DDR missbraucht wurde. Zu keiner Zeit wurde den Angehörigen der Grenztruppen befohlen, Grenzverletzer vorsätzlich zu töten oder Leben und körperliche Unversehrtheit über das Maß des entsprechend der konkreten Lage Notwendigen hinaus zu gefährden. Bei einer Absicht, Grenzverletzer zu töten, hätten die Grenztruppen mit dafür geeigneteren Waffen ausgerüstet werden können. Aber gerade das ist unterblieben. Im Zuge der Umrüstung der NVA von der Maschinenpistole 'Kalaschnikow' (AK 47) auf die Maschinenpistole 'AK 74' fanden von etwa 1986 bis 1988 bei den Grenztruppen außerhalb des Grenzdienstes Erprobungen zur Einführung dieser Waffe statt. Im Ergebnis der Erprobungen unterbreitete die Führung der Grenztruppen dem Minister für Nationale Verteidigung den Vorschlag, die Einführung von 'AK 74' nicht vorzunehmen, weil die von dieser Maschinenpistole verschossenen Hochgeschwindigkeitsgeschosse dazu führen können, dass an sich nicht lebensgefährliche Verletzungen einen Schocktod bewirken. Da eine Schusswaffenanwendung im Grenzdienst stets dem Ziel diente, den Grenzverletzer - der trotz drohender oder gar erfolgter Schusswaffenanwendung sich der Festnahme zu entziehen suchte - letztlich durch Herbeiführung seiner Fortbewegungsunfähigkeit - dennoch festzunehmen, verbot sich die Einführung einer Waffe, die das Risiko erhöhte, dass Grenzverletzer getötet werden. Eine Umrüstung der Grenztruppen auf die Maschinenpistole 'AK 74' ist deshalb nicht vorgenommen worden."
In nicht einen der im Zusammenhang mit der Grenzsicherung der DDR geführten Prozesse konnte von den Gerichten trotz jahrelangen Suchens der ominöse "Schießbefehl" vorgelegt werden - weil es ihn nicht gab! Deshalb aber aus der Gesamtheit von Grenzgesetz, Dienst- und Ausbildungsvorschriften einen "Schießbefehl" willkürlich zu konstruieren, ist wenig überzeugend.
Die Blamage für Marianne Birthler, als sie am 11. August 2007 (just zwei Tage vor dem 46. Jahrestag des Mauerbaus) mit ihrem angeblichen Sensationsfund "Uneingeschränkter Schießbefehl gegen Mauerflüchtlinge" die Legende vom Schießbefehl nachträglich doch noch zu retten versuchte, ist bekannt. Das Einzige, was dabei herauskam, war die Strafanzeige des Hamburger Rechtsanwalts Armin Fiand gegen Birthler & Co wegen des Verdachts der Volksverhetzung, § 130 StGB.
Interessierte Kreise betreiben seit Jahren ein politisch motiviertes pietätloses Pokerspiel, um die an der Staatsgrenze der DDR zu Tode gekommenen Personen. Angeheizt wird es von der Witwe des im Jahre 2004 verstorbenen Leiters der "Berliner Arbeitsgemeinschaft 13. August e.V.", Dr. Rainer Hildebrandt, die gleichzeitig das sogenannte Mauermuseum in der Friedrichstraße betreibt. Auf ihr mehr als fragwürdiges Agieren, das selbst den Berliner Senat zu heftigen Reaktionen veranlasste, soll hier verzichtet werden. Offensichtlich ist das nicht unumstrittene und von Wissenschaftlern aus dem Westen des Landes dominierte "Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF)" in Zusammenarbeit mit dem "Verein Berliner Mauer" im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojekts bemüht, nach quellenkritischer Einzelfallprüfung reale Zahlenwerte zu ermitteln und damit einer von Manfred Rexin genannten "fatalen Rekordsucht" der Hildebrandt-Mannschaft entgegen zu wirken. Diese hatte seit 1992 jährlich eine steigende Zahl von Todesopfern veröffentlicht, sodass sich ihre Zahl bis zum Jahre 2005 verdreifachte(!). Die Tatsache, dass im Einzelfall kein Zusammenhang zu Grenzverletzungen erkennbar war, hat offenbar die Arbeitsgruppe veranlasst, ihre Statistiken aus den Jahren 2002 und 2003 nicht mehr "Bilanz der Todesopfer des DDR-Grenzregimes", sondern als "Nachkriegsbilanz der Opfer der deutschen Teilung 1945-1990" auszugeben. Die gleiche Justiz, die viele Prozesse geführt hat, um DDR-Grenzern und ihren Vorgesetzten die Schuld am Tod von Grenzverletzern nachzuweisen, hat sich bei allen Tötungsverbrechen gegen Grenzsoldaten sehr schwer getan, den in der BRD oder in Westberlin lebenden Tätern ihre Schuld nachzuweisen oder sie gar zu verurteilen. Nur in Einzelfällen erhielten sie eine Strafe, meist jedoch erst sehr spät, auf öffentlichen Druck aus der DDR, und in keiner Weise der Schwere ihrer Tat angemessen. Was wollte man auch anderes erwarten, wenn Morde an Grenzsoldaten der DDR eher als Kavaliersdelikte behandelt wurden. Vor diesem Hintergrund verwunderte es auch nicht, wenn in den Medien zwar umfassend über die Prozesse gegen ehemalige DDR-Grenzer berichtet, alle Umstände der Tötung von Grenzverletzern geschildert und Hinterbliebene interviewt wurden, aber von einem Interview mit Angehörigen getöteter Grenzer oder darüber, ob auch sie die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die Täter beantragt haben, nichts zu vernehmen war. Ein weiteres der unzähligen Beispiele, wo Rechtsstaat und Medien mit zweierlei Maß messen.
Es bedarf gewiss keines Kommentars, wenn das Essener Schwurgericht 1976 den Doppelmörder Weinhold - er hatte vor der gewaltsamen Überwindung der Grenze den Gefreiten Klaus-Peter Seidel mit sieben und den Soldaten Jürgen Lampe mit vier Schüssen getötet - mit der Begründung freisprach: "Zur Durchsetzung des Rechts auf Freizügigkeit können selbst Angriffe auf Leib und Leben des Bewachungspersonals der Grenze der DDR gerechtfertigt sein." Es mutete wie ein Horrorszenario an, als Herr Schaefgen, Leiter der zur rückwirkenden Strafverfolgung früherer DDR-Bürger geschaffenen Generalstaatsanwaltschaft, während einer Veranstaltung am 4. Dezember 1996 in Berlin auf eine Frage aus dem Publikum, weshalb nicht auch Mörder von DDR-Grenzsoldaten verfolgt werden, antwortete, dass der Schutz der Menschenrechte in Bezug auf freie Ausreise dem Bestandsschutz des Staates vorangehe und zum Beispiel vom Westen auf Grenzer der DDR schießende Polizeibeamte in "Notstand handelten", eine Flucht schützten und damit einen Rechtfertigungsgrund gehabt hätten, wofür sie nicht belangt werden könnten. Dass Generalstaatsanwalt Schaefgen in dieser Veranstaltung von "DDR-Unrecht" und "so genannten Nazi-Unrecht" sprach, dabei neben pathologischen Antikommunisten und anderen DDR-Hassern auch von Leuten der berüchtigten "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU)" - Pastor Niemöller hatte die KgU als Verbrecherorganisation bezeichnet - skandiert wurde, einer von ihnen den Bundestagsabgeordneten Prof. Uwe-Jens Heuer ungestraft anbrüllen konnte: "Sie gehören an den Galgen!" und ein Zuhörer, dessen Familie im KZ Bergen-Belsen ermordet wurde, angesichts solcher Hassausbrüche einen tödlichen Herzinfarkt erlitt, vervollständigte das Bild von dieser Art "rechtsstaatlicher Geschichtsaufarbeitung" nach Vorgaben der Bundesregierung (Klaus Dumde, An den Galgen, kein politischer Streit, in Neues Deutschland vom 6.12.1996. Mitteilungen der Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung e.V. 12/96 vom 9.12.1996).
Die Kommandeure und Offiziere der Grenztruppen sahen ihre Aufgabe nicht darin, aus den ihnen anvertrauten jungen Menschen gewissenlose Totschläger zu machen, sondern Soldaten, die sich eng mit ihrem Volk verbunden fühlten, von der historischen Notwendigkeit, der Gerechtigkeit und dem Humanismus des Sozialismus überzeugt waren und auf der Grundlage damals geltender Gesetze und Dienstvorschriften handelten. Das Grenzregime der DDR war gesetzlich normiert und - unabhängig davon, wie es politisch zu werten ist - eine Ausformung ihres völkerrechtlichen Status. Der Herausgeber des Spiegel, Rudolf Augstein, schrieb im Zusammenhang mit dem ersten "Mauerschützenprozess": "Im übrigen hatte die selbst von Franz-Josef Strauß anerkannte DDR mehr Recht, ihre Grenzen mit Waffen zu sichern, als die Bush-Krieger, in Panama einzufallen (Rudolf Augstein, Vernunft vor Recht, Spiegel 27/1991, S. 59). Indem die politische Klasse der BRD staatliches Handeln zu DDR-Zeiten nach 1990 von der Justiz als privaten Straftatbestand verfolgen ließ, versuchte sie, den unterlegenen Staat im Nachhinein auch historisch als ungeschehen zu behandeln: Was nach ihrer Auffassung nicht hätte sein dürfen, hat - nach dieser Logik - nie bestanden. Auch in Bezug auf das Gerede vom "Schießbefehl" brachte Egon Bahr in seinem junge Welt-Interview die Angelegenheit auf den Punkt, als er den "Schießbefehl" als Begriff des Kalten Krieges bezeichnete, der nicht den Befehl beinhaltete, Menschen zu töten. Was nach 1990 dazu auf dem Felde der Justiz geschehe, sei die Fortsetzung des Kalten Krieges. Dass er damit der politischen Justiz der BRD bescheinigte, den Kalten Krieg gegen die DDR auch nach der "Wiedervereinigung" in den Gerichtssälen fortgesetzt zu haben, bestätigt nur, was von Kritikern der Prozesse von Anfang an betont wurde. Zu welchen absurden Äußerungen sich Politiker in ihrem Hass auf die DDR hinreißen lassen, zeigte zum Beispiel der Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele, Die Grünen, der auf einer Podiumsdiskussion am 9. November 1995 zu Egon Krenz sagte: "Diese Grenze diente ganz allein dem, die DDR-Bürger, die weg wollten, hier zu halten (...) die sollten erschossen werden und wurden erschossen. Das ist ein ganz gravierender Fehler, für den Sie auch politisch zur Verantwortung zu ziehen sind."
Tatsächlich ist die DDR nicht aus dem Dilemma herausgekommen, dass Scharen von Menschen das Land verlassen wollten. Die Behauptung aber, dass diejenigen, die weg wollten, erschossen werden sollten und wurden, ist eine weit verbreitete Ungeheuerlichkeit, die mit der Realität nicht das Geringste zu tun hat. Bedauerlicherweise zeichnen sich auch die Grünen gegenüber dem Thema Ostdeutschland meistens durch Ignoranz und Inkompetenz aus. Deshalb empfahl die Schriftstellerin Daniela Dahn damals Herrn Ströbele einen Besuch im Haus am Checkpoint Charlie. Dort verkaufe nämlich die "Arbeitsgemeinschaft 13. August" für drei Mark statistisches Material zu den Folgen der Teilung. In der Zeit vom 13.8.81 bis zum 31.7.89, so folge daraus, hätten die DDR mit Genehmigung der Behörden 429.815 Menschen in Richtung Westen verlassen (Die 33.775 freigekauften Häftlinge seien nicht mit eingerechnet). Etwa die Hälfte der Übersiedler verließ die DDR im Rahmen der Familienzusammenführung, die übrigen hatten politische oder andere Gründe. In manchen Jahren gingen besonders viele, wie etwa 1963/64, wo es jeweils 30.000 waren, oder 1984 (ein Wahljahr), in dem 35.000 Menschen "entlassen wurden". Es habe, so Daniela Dahn weiter, seit dem Mauerbau kein Jahr gegeben, in dem nicht mehrere tausend DDR-Müde ihre Papiere bekamen. Die Zahlen habe das Museum vom Bundesinnenministerium, wo sie leicht abrufbar seien. Denn in den Lagern Gießen und Marienfelde seien alle Aufnahmeverfahren genau registriert worden.
Einen Ausreiseantrag zu stellen, sei kein leichter Entschluss gewesen. Hatte man einen irgendwie gehobenen Arbeitsplatz, riskierte man, ihn zu verlieren. Es gab sicher auch nicht wenige Fälle, wo Antragsteller und ihre Familien mit Schikanen zu rechnen hatten, und man musste sich in der Regel auf eine Wartezeit von ein, zwei Jahren einstellen. Sowohl Günter Gaus als auch Hans Otto Bräutigam bestätigten, dass ausnahmslos alle Ausreisewilligen, die in die Ständige Vertretung der BRD in der DDR gekommen waren, von Anwalt Vogel einen Pass bekommen haben (Daniela Dahn, Westwärts und nicht vergessen, Rowohlt-Verlag 1996). Andere wandten sich an die Kirche. Der Vorsitzende der Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen, Werner Leich, sagte laut Kirchenzeitung bei einem Treffen mit Erich Honecker im März 1988: "Uns begegnen Staatsbürger, die in der Ausbürgerung für das eigene Leben den einzigen Ausweg sehen. In allen Fällen haben wir als Kirche zum Bleiben in unserer Gemeinschaft gemahnt. In besonderen Härtefällen und bei offensichtlicher Vergeblichkeit jedes Bemühen um Wiedereingliederung haben wir um rasche Erledigung der Ausbürgerung gebeten. Ich selbst habe in den letzten zehn Jahren bei meinen Fürsprachen in den Bezirken fast immer Verständnis und Gehör gefunden."
Gerade bei der Freizügigkeit als Menschenrecht könne die Justiz nur Bauchlandungen erleben, warnte Friedrich Denker, Universitätsprofessor und Richter in Münster. Auch für die Bundesrepublik schloss das Bundesverfassungsgericht 1957 freie Ausreise ausdrücklich aus den im Grundgesetz verbrieften Anspruch auf Freizügigkeit aus. Sowohl die DDR als auch die BRD ließen sich das Entscheidungsmonopol darüber, wer wann warum geht, nicht aus der Hand nehmen. Im übrigen ist die DDR in den sechzehn Jahren ihrer UNO-Mitgliedschaft in der Weltorganisation nie wegen des Grenzregimes und ihrer Ausreiseregelungen kritisiert worden. Auch der frühere Chef der Grenztruppen Klaus-Dieter Baumgarten, nahm in seiner Zeugenaussage im Prozess gegen die Führung des Grenzkommandos SÜD vor dem Landgericht Erfurt zu diesen Fragen Stellung. Er erklärte unter anderem:
"Herr Vorsitzender, bekanntlich wird immer wieder behauptet, die Grenzsicherung der DDR habe als Hauptaufgabe das Ziel verfolgt, Bürger der DDR an der DDR habe als Hauptaufgabe das Ziel verfolgt, Bürger der DDR an der Flucht in den Westen zu hindern. Die Grenzsicherung habe gegen elementare Normen des menschlichen Zusammenlebens verstoßen, habe sich gegen wehrlose Menschen gerichtet, die nur die Absicht verfolgten, aus dem einen - dem diktatorischen Teil Deutschlands - über einer innerdeutsche Grenze in den anderen Teil - den freiheitlichen Teil Deutschlands - zu gehen. Auch der Aufbau von Grenzsicherungsanlagen und der Minenfelder habe diese Aufgabe verfolgt. Schusswaffen seien ohne Rücksicht auf Verhältnismäßigkeit angewendet worden. Von der politischen und militärischen Führung der DDR habe man Todesfälle und Verletzungen von Menschen an dieser Grenze billigend in Kauf genommen. Die militärische Bedeutung des Grenzregimes sei nur unbedeutend und zweitrangig gewesen. Die Behauptungen finden auch in der Anklage der Staatsanwaltschaft in diesem Prozess ihren Niederschlag. (...)
Zu den Grenztruppen:
Die vom Warschauer Vertrag auf Initiative der Sowjetunion und der DDR zu lösenden Sachzwänge führten bekanntlich zu dem Entschluss, die Grenze der DDR zu Berlin (West) und zur BRD militärisch zu sichern und dazu pioniermäßig auszubauen bis hin zur Verlegung von Minen. Im Ergebnis dessen wurde auch die Deutsche Grenzpolizei zur Grenztruppe entwickelt und dem Minister für Nationale Verteidigung unterstellt. (...) Die Aufgaben und die Aufgabenerfüllung der Grenztruppen waren somit militärische. Dafür gab es zwingende militär-politische Erfordernisse. Diese lagen unter anderem in folgendem:
1.1. Die Sowjetunion hatte zu Beginn des Überfalls durch die faschistische Wehrmacht bittere Erfahrungen machen müssen. Der grenznahe Raum war ungenügend vorbereitet und ausgebaut (...)
1.2. Unter modernen Bedingungen kommt der Anfangsperiode eines Krieges größte Bedeutung zu. Der Ausgang der Grenzschlacht kann kriegsentscheidend sein (...)
1.3. Das Überraschungsmoment (...) muss (...) ausgeschlossen sein.
1.4. Die Handlungsfähigkeit der Landstreitkräfte durfte durch einen überraschenden Überfall nicht gefährdet sein (...)
Noch einige Fakten, die den militärischen Charakter der Grenztruppen deutlich machen: Die Grenztruppen wurden militärisch strukturiert, gegliedert (...), bewaffnet und mit Kettenfahrzeugen, Artillerie (...) voll motorisiert (...) Welch vernünftig denkender Mensch kann, selbst wenn er keine militärischen Kenntnisse hat, annehmen und behaupten, ein ca. 40.000 Mann starker, militärisch ausgebildeter und mit moderner Ausrüstung ausgestatteter Verband wie die Grenztruppen habe die Hauptaufgabe gehabt, einzelnen Personen, die versuchen die Staatsgrenze illegal zu überschreiten, festzunehmen (...) In den Jahren von 1979 bis 1990, also in der Zeit meiner militärischen (...) Tätigkeit als Chef der Grenztruppen, waren das bekanntlich 2.905 Personen, (...) täglich (...) nicht mal eine Person (...). Und das bei einer Staatsgrenze von 1.600 km.
Für jeden vorurteilslosen Betrachter ist klar, das man dazu nicht eine solche Truppe benötigt (...) Wenn es (...) um die Fluchtverhinderung gegangen wäre, hätte eine solche Aufgabe eine Polizeieinheit mit weitaus geringerem Personalbestand (...) besser lösen können."
Nach den Bemühungen, die Realität mit dem Märchen von der "innerdeutschen" Grenze zu leugnen und der laut Egon Bahr "schizophrenen" Art des Umgangs der Alt-BRD mit der nicht souveränen und nach der Einheit dann plötzlich doch souveränen DDR standen Politik und Justiz vor einem weiteren Dilemma: Nach dem Einigungsvertrag dürfen nämlich nur Handlungen verfolgt werden, die auch nach DDR-Recht strafbar waren. Das heißt, was in der DDR nicht strafbar war, durfte nach dem 3.Oktober 1990 durch die BRD nicht als Straftat verfolgt werden. Auf solche Verfolgung kam es der herrschenden Politik aber gerade an. Deshalb wurde auch auf diesem Gebiet der Einigungsvertrag den Bestrebungen der Bundesregierung nach sozialer Revanche gegenüber politisch und militärisch Verantwortlichen der DDR angepasst.
4. Schlussbemerkungen
Die Angehörigen der Grenztruppen fühlten sich der Verfassung ihres Landes, seinen Gesetzen und dem geleisteten Fahneneid verpflichtet. Sie wussten, dass die Staatsgrenze der DDR die Hauptkonfrontationslinie zwischen beiden sich in unüberbrückbarer Feindschaft gegenüber stehenden Weltsystemen und Militärblöcken war. Deshalb war ihnen auch die große Gefahr bewusst, welche dem Weltfrieden durch Provokationen an der Grenze ausgelöste militärische Konflikte an dieser vordersten Verteidigungslinie des Warschauer Paktes drohte.
Für sie war unstrittig, dass die Führungen beider Seiten eine militärische Ost-West-Auseinandersetzung, zumindest bis Mitte der 80er Jahre, für möglich hielten und darauf vorbereitet sein wollten.
Das belegten nicht nur die vielen Manöver und Übungen der Streitkräfte von NATO und Warschauer Pakt, die ununterbrochene militärische Aufklärung beiderseits der Grenze, sondern auch die Tatsache, dass die Führungen der Grenztruppen periodisch die Planung der eigenen Einheiten und Stäbe in den Verteidigungsräumen der vorgesehenen sowjetischen Armeen kartographisch und schriftlich zu präzisieren hatten. Die Angehörigen der Grenztruppen waren davon überzeugt, Friedensdienst zu leisten und einen militärischen Auftrag zu erfüllen, der sich in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht befand.
In einem sozialistischen Staat aufgewachsen, waren die Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten zur Achtung vor dem Leben erzogen worden. Diese Achtung vor dem Leben bestimmte auch ihre Dienstauffassung und ihren praktischen Grenzdienst. Im Einsatz der Schusswaffe sahen sie in Übereinstimmung mit den eindeutigen Schusswaffengebrauchsbestimmungen für die Grenztruppen das allerletzte Mittel zur Verhinderung von Grenzverletzungen. In diesem Sinne waren auch, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Erklärungen angeklagter Angehöriger der Grenztruppen vor Gericht.
Als bereits 1975 auf eigenen Wunsch aus dem aktiven Dienst ausgeschiedener Offizier der Grenztruppen hat der Autor die obigen Auffassungen und Überzeugungen von der Notwendigkeit und Rechtmäßigkeit des Grenzdienstes geteilt und sie in seinem bereits 1993 im GNN-Verlag erschienenen Buch "Davor-Dabei-Danach. Ein ehemaliger Kommandeur der Grenztruppen berichtet" (ISBN 3-932725-85-9) vor dem Hintergrund des erlebten Zweiten Weltkrieges, der deutschen Nachkriegsgeschichte und des Kalten Krieges umfassend begründet. Seine dienstlichen Erfahrungen und geäußerten Auffassungen, auch kritischer Art, werden nicht nur von sehr vielen ehemaligen Angehörigen der Grenztruppen bestätigt, sondern auch von Offizieren a.D. der Bundeswehr als ein ehrliches und sachliches Zeitzeugnis beurteilt.
Im Leserbrief eines Unterfeldwebels der Grenztruppen, um nur eines der vielen Beispiele zu nennen, heißt es abschließend: "Sie haben mit Ihren Feststellungen Recht: Keiner von uns Grenzern wollte schießen und jeder war froh, wenn er nach seinem Grenzdienst die 'Kalaschnikow' und die vollen Magazine wieder in die Waffenkammer stellen konnte." Und der bekannte Militärhistoriker Kapitän zur See a.D. Walter Jablonsky schrieb in seiner Buchbesprechung für den Deutschen Bundeswehr-Verband: "Spätestens seit der Wiedervereinigung beider deutschen Staaten 1990 verengte sich der Blick vieler 'westlicher' Beobachter und Kommentatoren auf die äußerst komplexe politische Wirklichkeit der DDR auf zwei Problemfelder: Das Grenzregime der DDR (Stichworte: 'Mauerschützen', 'Mauertote') und das Ministerium für Staatssicherheit (Stichworte: 'Die HVA des Markus Wolf', 'Innere Repression', 'IM'). Dass die Lebenswirklichkeit in der DDR weitaus umfassender war, entzog sich dem geistigen Zugriff des Mallorcareisenden Bundesbürgers. Ebenso entzog sich ihm, offenbar auch den Justizorganen der BRD, dass 'Mauerschützen' und 'Mauertote' als Stichworte kaum das Geschehen an der deutsch-deutschen Grenze hinreichend beschreiben können. Umso wichtiger ist es, dass jetzt ein Buch vorliegt, das zu den Aspekten des Problemfeldes 'Grenzregime der DDR' aus der Sicht eines sachkundigen Zeitzeugen umfassende Auskunft gibt."
Der bevorstehende 50. Jahrestag des Mauerbaus haben den Autor veranlasst zu prüfen, ob seine vor 18 Jahren im o.g. Buch geäußerten Auffassungen auch heute noch Bestand haben. Ergebnis: Sie haben nicht nur weiteren Bestand; als ehemaliger Militär der DDR ist er insbesondere durch die Teilnahme der BRD an völkerrechtswidrigen Kriegen, die geheimdienstliche und bis heute andauernde großzügige logistische Unterstützung der völkerrechtswidrigen Aggression der USA gegen den Irak - vom britischen Literatur- Nobelpreisträger Harold Pinter als "Banditenakt" gebrandmarkt - und den nahezu weltweiten Einsatz von Bundeswehr und Bundesmarine zur Wahrung geopolitischer und profitabler Interessen des deutschen Imperialismus sowie die sich daraus ergebenden Gefahren für die Bundeswehrsoldaten und für unser Volk in ihnen noch nachhaltig bestärkt worden.
Mit dem über Mauerbau, Grenzregime und Grenztruppen Gesagten sollen tragische Geschehnisse an der Grenze mit Verletzten und Toten in den Jahren des kalten Krieges nicht nachträglich gerechtfertigt werden. Den Betroffenen und Hinterbliebenen, wozu ausdrücklich auch die Hinterbliebenen der ermordeten Angehörigen der Grenztruppen zählen, gehört unser aller Mitgefühl. Angesichts der politischen Instrumentalisierung der Opfer ist es aber unverzichtbar, der historischen Entwicklung vor und nach 1945 die ihr gebührende Bedeutung beizumessen und sich allen Versuchen, die Nachkriegsgeschichte im Sinne der heute Regierenden umschreiben zu wollen, energisch zu widersetzen. Was aus verfehlter Politik auf beiden Seiten, was aus Spaltung und Konfrontation historisch erwachsen ist, lässt sich weder durch einseitige Schuldzuweisungen an die DDR erledigen, noch wird es gelingen, mit der heute praktizierten Geschichtsauffassung die alte BRD und ihr Gesellschaftssystem zum letzten Wort der Geschichte zu erheben. Die Geschichte des einen deutschen Staates ist ohne die Geschichte des anderen nicht zu definieren. Nur wenn sie angenommen wird, kann die innere Spaltung überwunden werden.
Möge diese kurze Abhandlung dazu anregen, sich in dem gebotenen Umfang mit dem kalten Krieg auf deutschem Boden und seinen Folgen bis in die Gegenwart zu beschäftigen und besonders Heranwachsenden und zukünftigen Generationen helfen, sich trotz allen schulisch verordneten und medialen Geschichtsrevisionismus ein wahrheitsgetreues Bild von den vergangenen 66 Jahren zu machen und daraus die richtigen Schlussfolgerungen sowohl für ihr persönliches Verhalten als auch für ein friedliebendes, demokratisches und sozial gerechtes Deutschland zu ziehen.
Anlagen
Befehl des Ministers für Nationale Verteidigung Nr. 76/61
Strausberg, 6. Oktober 1961
Inhalt: Bestimmungen über Schusswaffengebrauch für das Kommando Grenze der Nationalen Volksarmee
Die Verbände, Truppenteile und Einheiten des Kommandos Grenze der Nationalen Volksarmee haben die Aufgabe, die Unantastbarkeit der Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik bei jeder Lage zu gewährleisten und keinerlei Verletzungen ihrer Souveränität zuzulassen.
Zur weiteren Sicherung der Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik befehle ich:
1. Für die Wachen, Posten und Streifen der Grenztruppen der Nationalen Volksarmee gelten ab sofort die Bestimmungen über Schusswaffengebrauch der DV 10/4 (Standortdienst- und Wachvorschrift) der Nationalen Volksarmee (Anlage 1).
2. In Erweiterung dieser Bestimmungen sind die Wachen, Posten und Streifen der Grenztruppen der Nationalen Volksarmee an der Staatsgrenze West und Küste verpflichtet, die Schusswaffe in folgenden Fällen anzuwenden:
- zur Festnahme, Gefangennahme oder zur Vernichtung bewaffneter Personen oder bewaffneter Banditengruppen, die in das Gebiet der DDR eingedrungen sind bzw. die Grenze nach der Westzone zu durchbrechen versuchen, wenn sie die Aufforderung zum Ablegen der Waffen nicht befolgen oder sich ihrer Festnahme oder Gefangennahme durch Bedrohung mit der Waffe oder Anwendung der Waffe zu entziehen versuchen;
- zur Festnahme von Personen, die sich den Anordnungen der Grenzposten nicht fügen, indem sie auf Anruf "Halt - stehen bleiben - Grenzposten" oder nach Abgabe eines Warnschusses nicht stehen bleiben, sondern offensichtlich versuchen, die Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik zu verletzen, und keine andere Möglichkeit zur Festnahme besteht;
- zur Festnahme von Personen, die mittels Fahrzeugen aller Art die Staatsgrenze offensichtlich zu verletzten versuchen, indem sie vorschriftsmäßig gegebene Stoppzeichen der Grenzposten unbeachtet ließen oder auf einen Warnschuss nicht reagierten bzw. nachdem sie Straßensperren durchbrochen, beiseite geräumt oder umfahren haben und andere Möglichkeiten der Festnahme der betreffenden Personen nicht mehr gegeben sind.
3. Die Anwendung der Schusswaffe gegen Grenzverletzer darf nur in Richtung Staatsgebiet der DDR oder parallel zur Staatsgrenze erfolgen.
4. Von der Schusswaffe darf nicht Gebrauch gemacht werden
- gegenüber Angehörigen ausländischer Armee und Militärmissionen;
- gegenüber Angehörigen diplomatischer Vertretungen;
- gegenüber Kindern.
5. Bei unbewaffneten Provokationen, Zusammenrottungen und Unruhen jeglicher Art an der Grenze sowie Zerstörungen von Grenzsicherungsanlagen durch Personengruppen sind Nebelkerzen "rot" (Tränengasmittel) einzusetzen.
6. Die Anwendung der Schusswaffe auf Flugzeuge fremder Nationalität, die die Lufthoheit der Deutschen Demokratischen Republik verletzen, ist nur auf meinen Befehl gestattet.
7. Der Chef des Kommandos Grenze der Nationalen Volksarmee meldet mir über die Einführung dieser Bestimmungen in allen Einheiten, Truppenteilen und Verbänden des Kommandos Grenze bis zum 10. Oktober 1961 Vollzug. Bis dahin sind in allen Einheiten, Truppenteilen und Verbänden des Kommandos Grenze der Nationalen Volksarmee aktenkundige Belehrungen über die Bestimmungen des Schusswaffengebrauchs vorzunehmen.
8. Der Befehl Nr. 39/60 des Ministers des Innern und die dazu erlassenen Ergänzungen und Durchführungsbestimmungen sowie Kap. XI der Dienstvorschrift III/2 werden mit gleichem Termin außer Kraft gesetzt.
9. Dieser Befehl behält bis auf Widerruf Gültigkeit.
Armeegeneral Hoffmann
Schusswaffengebrauch (Anlage 1)
1. Die Wachen, Posten und Streifen der Nationalen Volksarmee können in Ausübung ihres Dienstes von der Waffe Gebrauch machen:
a. um einen Angriff abzuwehren oder den Widerstand zu brechen, wenn sie in Erfüllung ihrer Aufgaben angegriffen werden;
b. wenn Verbrecher, insbesondere Spione, Saboteure, Agenten, Provokateure, der Festnahme bewaffneten Widerstand entgegensetzen oder flüchten.
2. Die Waffe darf insoweit gebraucht werden, wie es für die zu erreichenden Zwecke erforderlich ist.
3. Die Angehörigen der nationalen Volksarmee sind jederzeit zum Waffengebrauch berechtigt, wenn sie in Ausübung ihres Dienstes zum Schutz der Deutschen Demokratischen Republik eingesetzt sind.
(aus: Zwei Staaten, zwei Paktsysteme und ihre Grenze. Geschichte - Standpunkte - Dokumente. Hrsg. Autorenkollektiv. V.i.S.d.P.: Hans Modrow, c/o Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin, S.24 f.)
Anlage 2
Gesetz über die Staatsgrenze der DDR (Grenzgesetz)
§ 27 Anwendung von Schusswaffen
(1) Die Anwendung der Schusswaffe ist die äußerste Maßnahme der Gewaltanwendung gegenüber Personen.
Die Schusswaffe darf nur in solchen Fällen angewandt werden, wenn die körperliche Einwirkung ohne oder mit Hilfsmitteln erfolglos blieb oder offensichtlich keinen Erfolg verspricht. Die Anwendung von Schusswaffen gegen Personen ist erst dann zulässig, wenn durch Waffen gegen Sachen oder Tiere der Zweck nicht erreicht wird.
(2) Die Anwendung der Schusswaffe ist gerechtfertigt, um die unmittelbar bevorstehende Ausführung oder die Fortsetzung einer Straftat zu verhindern, die sich den Umständen nach als ein Verbrechen darstellt. Sie ist auch gerechtfertigt zur Ergreifung von Personen, die eines Verbrechens dringend verdächtig sind.
(3) Die Anwendung einer Schusswaffe ist grundsätzlich durch Zuruf oder Abgabe eines Warnschusses anzukündigen, sofern nicht eine unmittelbar bevorstehende Gefahr nur durch eine gezielte Anwendung der Schusswaffe verhindert oder beseitigt werden kann.
(4) Die Schusswaffe ist nicht anzuwenden, wenn
a) das Leben oder die Gesundheit Unbeteiligter gefährdet werden können,
b) die Personen dem äußeren Eindruck nach im Kindesalter sind oder
c) das Hoheitsgebiet eines benachbarten Staates beschossen würde.
Gegen Jugendliche und weibliche Personen sind nach Möglichkeit Schusswaffen nicht anzuwenden.
(5) Bei der Anwendung der Schusswaffe ist das Leben von Personen nach Möglichkeit zu schonen. Verletzten ist unter Beachtung der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen Erste Hilfe zu erweisen.
25. März 1982
(aus: Gesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik, Teil I, Nr. 11 vom 29.3.1982, S. 201)
Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG) (BRD)
§§ 11, 12
§ 11 Schusswaffengebrauch im Grenzdienst
(1) Die im § 9 Nr. 1, 2, 7 und 8 genannten Vollzugsbeamten können im Grenzdienst Schusswaffen auch gegen Personen gebrauchen, die sich der wiederholten Weisung zu halten oder die Überprüfung ihrer Person oder der etwa mitgeführten Beförderungsmittel und Gegenstände zu dulden, durch die Flucht zu entziehen versuchen. Ist anzunehmen, dass die mündliche Weisung nicht verstanden wird, so kann sie durch einen Warnschuss ersetzt werden.
(2) Als Grenzdienst gilt auch die Durchführung von Bundes- und Landesaufgaben. Die den in Absatz 1 bezeichneten Personen im Zusammenhang mit dem Grenzdienst übertragen sind.
§ 12 Besondere Vorschriften für den Schusswaffengebrauch
(1) Schusswaffen dürfen nur gebraucht werden, wenn andere Maßnahmen des unmittelbaren Zwanges erfolglos angewendet sind oder offensichtlich keinen Erfolg versprechen.
Gegen Personen ist ihr Gebrauch nur zulässig, wenn der Zweck nicht durch Waffenwirkung gegen Sachen erreicht wird.
(2) Der Zweck des Schusswaffengebrauchs darf nur sein, angriffs- oder fluchtunfähig zu machen. Es ist verboten zu schießen, wenn durch den Schusswaffengebrauch für die Vollzugsbeamten erkennbar Unbeteiligte mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet werden, außer wenn es sich beim Einschreiten gegen eine Menschenmenge (§ 10, Abs. 2) nicht vermeiden lässt.
(3) Gegen Personen, die sich dem äußeren Eindruck nach im Kindesalter befinden, dürfen Schusswaffen nicht gebraucht werden.
10. März 1961
(aus: Die Deutsche Bundeswehr, 535, März 1985)
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Quelle:
© 2011 Hans Fricke
mit freundlicher Genehmigung des Autors
veröffentlicht im Schattenblick zum 2. August 2011