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BERICHT/075: Johann Gottlieb Fichte - Ein Klassiker der Vernunftrechtslehre (idw)


FernUniversität in Hagen, Susanne Bossemeyer, 06.10.2010

Johann Gottlieb Fichte: Ein Klassiker der Vernunftrechtslehre


Eine interdisziplinäre Tagung in Hagen zeigte die Aktualität der Rechtsphilosophie von Johann Gottlieb Fichte auf. "Interdisziplinarität" war keine Floskel, sondern wurde in der Tagung unter dem Titel "Zur Aktualität der Fichteschen Rechtsphilosophie" mit Leben erfüllt. Die Veranstaltung zeigte auf, wie aktuell die Werke des Juristen und Philosophen auch heute noch sind. Auf jeden Fall plant Prof. Thomas Sören Hoffmann, FernUniversität, eine Fortsetzung des Projekts.

Kann ein Denker, der sich vor mehr als 200 Jahren mit rechtsphilosophischen Fragen beschäftigt hat, auch in aktuellen Debatten noch Denkanstöße und Orientierung geben? Ja, das kann er - so lautete die einhellige Meinung der Teilnehmer an einer interdisziplinären, international besetzten Tagung unter dem Titel "Zur Aktualität der Fichteschen Rechtsphilosophie", die an der FernUniversität in Hagen stattfand.

Johann Gottlieb Fichte (1762 - 1814), ein Hauptvertreter des Deutschen Idealismus und selbst Jurist und Philosoph, hat sich zeitlebens mit Fragen der Rechtsbegründung, des Verhältnisses von Recht und Moral, des Staats- und Verfassungsrechts, der Eigentumsordnung und vielem mehr beschäftigt. Fichte geht davon aus, dass der Mensch als Vernunftwesen auf den Rechtsgedanken zwingend ansprechbar ist und ihn nicht beiseite schieben kann. "Recht" bedeutet, dass sich Menschen wechselseitig als Freiheitswesen anerkennen und sich in ihrem Handeln von diesem Anerkanntsein her verstehen.

Was dies in der Praxis alles bedeutet, erläuterten in Hagen mit Rückgriff auf Fichte Experten aus der Rechtswissenschaft wie auch aus der Philosophie. So ging Gerhard Luf, Jurist an der Universität Wien, Fichtes Fassung des Menschenwürdegedankens nach, während der Bonner Strafrechtler Rainer Zaczyk sich unter anderem mit dem engen Verhältnis von Interpersonalität und Rechtsbegriff bei Fichte befasste. Der vormalige Präsident der Internationalen Fichte-Gesellschaft, Helmut Girndt (Duisburg), zeigte sodann auf, dass nach Fichte Rechts- und Sozialstaat niemals getrennt werden können und zugleich der Sozialstaat immer auch Kulturstaat sein muss. Heute drohe zum Schaden aller die innere Einheit aller drei Seiten dagegen auseinander zu fallen.

Dass Fichte in der Strafrechtslehre neue Wege beschritten hat, wurde aus dem Vortrag des Bielefelder Strafrechtlers Wolfgang Schild deutlich, während Michael Spieker von der Akadamie für politische Bildung in Tutzing darauf hinwies, dass Fichtes Familienrechtslehre trotz aller Zeitbedingtheit einem wachsenden staatlichen Zugriff auf die Familien durchaus auch einen kritischen Spiegel vorhalten kann. Wie andere Redner auch, wies Lu de Vos von der Universität Löwen (Belgien) darauf hin, dass die strikte Trennung von Recht und Moral, die Fichte vertreten hat, doch immer auch Fragen offen lässt, da sich der wirkliche Mensch immer in beiden Bereichen aufhält und beides zusammenbringen muss. Dass Fichte jedoch auch heute noch helfen kann, sich über die konkreten Grenzlinien klar zu werden, die es hier zu beachten gilt, darüber bestand am Ende der dreitätigen, intensiven Tagung kein Dissens. "In Russland kann Fichte heute nachdrücklich dazu dienen, ganz klar das Ziel des Rechtsstaats im Auge zu behalten. Das Ziel einer aus praktischer Vernunft geschaffenen Ordnung, in der alle zur Freiheit bestimmten Wesen zugleich bestehen können, darf dann erst recht nicht aufgegeben werden, wenn im täglichen Leben Unrecht und Rechtsbeugung stattfinden. Gerade unter schwierigen Rahmenbedingungen ermutigt Fichte zur Humanität - denn 'der Mensch wird nur unter Menschen ein Mensch', wie er in seiner Rechtsphilossophie sagt." Elivra Gareeva von der am Ural gelegenen Universität Ufa (Russland) konnte mit Worten wie diesen glaubwürdig illustrieren, was der Tenor der ganzen Tagung war: dass eine angemessene Klassikerlektüre nicht in den "Elfenbeinturm", sondern mitten ins Leben führt.

Die Tagung wurde vom Hagener Lehrgebiet Philosophie II (Praktische Philosophie) unter Leitung von Prof. Dr. Thomas Sören Hoffmann durchgeführt. "Eine besonders schöne Erfahrung war, dass sich bei dieser Tagung die beteiligten Fächer wirklich aufeinander eingelassen haben. "Interdisziplinarität' war hier keine Floskel, sondern wurde mit Leben erfüllt", so Hoffmann am Ende der Tagung. Eine Fortsetzung des Projekts sei in jedem Fall geplant.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
FernUniversität in Hagen, Susanne Bossemeyer, 06.10.2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2010