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HEINRICH BÖLL STIFTUNG/353: Iran-Report Nr. 11 - November 2015


Iran-Report der Heinrich-Böll-Stiftung - Nr. 11 - November 2015
Eine Zusammenfassung aktueller Ereignisse im Iran

von Bahman Nirumand


Mit der Wahl Hassan Rohanis zum iranischen Präsidenten und dessen Amtsantritt am 3. August 2013 wurde in der iranischen Politik ein bedeutender Wandel eingeleitet. Besonders augenfällig ist dies im Kurswechsel der Atompolitik. Die Öffnung der iranischen Politik nach außen und die Ankündigung innenpolitischer Reformen werden im Land von den konservativen Kräften heftig bekämpft. Der Widerstand lässt Rohani und seiner Regierung wenig Spielraum.

Der Iran-Report wertet Nachrichten verschiedener Quellen aus. Auch um die von den Mächtigen in Iran verfügten Behinderungen und Einschränkungen der journalistischen Arbeit auszugleichen. Der Iran-Report produziert keine Schlagzeilen, sondern er erhellt die Meldungen, das Nichtgesagte dahinter.

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INNENPOLITIK

• Angebliches Spionagenetzwerk im Amt des Präsidenten
• Chamenei warnt vor Abwerbungsversuchen aus dem Ausland
• Misstrauensantrag gegen Verkehrsminister gescheitert
• Rafsandschani: Nächste Wahlen sind entscheidend für Schicksal des Landes
• Sarifs Händedruck mit Obama schlägt hohe Wellen in Iran
• Zwei zur Tatzeit Minderjährige hingerichtet
• Erstmals wird eine Frau zur Botschafterin ernannt


ANGEBLICHES SPIONAGENETZWERK IM AMT DES PRÄSIDENTEN

Die Informationsabteilung der Revolutionsgarden (Pasdaran) behauptet, ein Spionagenetzwerk habe Zugang zum Amt des Staatspräsidenten gefunden. Auf diesem Wege sei selbst die "persönlichste Kommunikation des Präsidenten" ausgespäht worden.

Bei dieser Behauptung stützen sich die Pasdaran auf die Geständnisse, die der Teheraner Korrespondent der Washington Post, Jason Resaian, abgelegt haben soll. Die Agentur Fars veröffentlichte am 19. Oktober Teile des Berichts über die Geständnisse. Demnach sollen Personen in das Amt des Präsidenten, in das Außenministerium sowie in das iranische Verhandlungsteam bei den Atomverhandlungen eingeschleust worden sein. Die Agenten seien dem Präsidenten so nahegekommen, dass sie sogar über "die Marke seines Kaugummis" informiert gewesen seien, heißt es in dem Bericht.

Die Pasdaran hatten bereits zwei Wochen zuvor den Nationalen Sicherheitsrat über die Geständnisse Resaians informiert. Elf Abgeordnete, die vorwiegend der Paydari-Fraktion angehören, beantragten die Vorführung der Videoaufnahmen der Geständnisse im Parlament.

Dschawad Karimi Ghoddusi, Mitglied im Ausschuss für Sicherheit und Außenpolitik, sagte in einem Interview mit der Agentur Fars, Resaian habe zu einem Mitarbeiter im Amt des Präsidenten mit dem Namen S. "besondere Kontakte" gehabt und habe über ihn weitreichende Informationen erhalten. Zudem sei eine Frau mit dem Namen M. R. in das Amt eingeschleust worden. Außerdem habe Resaian eine enge Verbindung zu einem Angestellten des Außenministeriums mit dem Namen Sch. Dem Spionagenetzwerk sei es gelungen, sich zum Schlichtungsrat, zum Parlament sowie zum Amt für Kulturerbe Zugang zu verschaffen.

Er und seine Fraktionskollegen hätten vor zwei Monaten erfahren, dass es Versuche gebe, Resaian gegen iranische Gefangene in den USA auszutauschen, sagte Ghoddusi. Andere seien bestrebt gewesen, den Austausch sogar vor dem Prozess gegen Resaian durchzusetzen. Aber die Justiz sowie die Sicherheitsdienste hätten Widerstand geleistet und es durchgesetzt, dass es doch zu einem Prozess kommt. Ghoddusi sagte mit Blick auf den Pasdaran-Bericht, Resanian habe 2012, vor der Wahl des US-Präsidenten, Barack Obama darüber informiert, dass er zu der politischen Elite Irans Zugang habe. "Daraufhin hatte Resaian ein Treffen mit Obama in Weißen Haus", sagte Ghoddusi.

Resaian, dem die Justiz Spionagetätigkeit vorwirft, befindet sich seit mehr als fünfzehn Monaten in Haft. Der Prozess gegen ihn, der unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hatte, ist seit eineinhalb Monaten abgeschlossen, aber ein Urteil liegt immer noch nicht vor. Präsident Hassan Rohani hatte während seines Besuchs in New York am Rande der UN-Vollversammlung in einem Interview mit dem US-Nachrichtensender CNN erklärt, sollten in den USA inhaftierte Iraner freigelassen werden, werde seine Regierung sich für die Freilassung amerikanischer Gefangener in Iran einsetzen. Noch am 17. Oktober sagte Außenminister Mohammad Dschawad Sarif, zwar lägen gegen Resaian "ernste Vorwürfe" vor, er werde sich jedoch bemühen, dass der Fall unter "humanitären Aspekten" behandelt werde. Zwei Tage danach legten die Pasdaran dem Ausschuss für Sicherheit und Außenpolitik ihren Bericht über die Geständnisse Resaians vor.

Nosar Schafii, Sprecher des Ausschusses für Sicherheit und Außenpolitik, sagte mit Verweis auf den Bericht, Resaian vertrete die Ansicht jener Mitglieder des US-Senats, die meinten, es sei ein leichtes Spiel, das iranische Regime zu stürzen, wenn es den USA gelänge, ihre Beziehungen zu Iran auf den Stand von vor der Revolution zu bringen. Er bezeichnete Resaian als "professionellen Spion" und als "Verantwortlichen für den US-Informationsstützpunkt in Iran".

Die elf Abgeordneten schreiben in ihrem Antrag, die Pasdaran seien davon überzeugt, dass Resaian für die USA eine wichtige Rolle spiele, denn sonst würden sie sich nicht so "vehement" um seine Freilassung bemühen.

Unabhängig davon, ob die Vorwürfe gegen Resaian zutreffen oder nicht, scheint es, dass die Ultras den Fall zu einer politischen Kampagne gegen die Regierung Rohani instrumentalisieren möchten. Dabei geht es vor allem um die Außenpolitik der Regierung, die eine Annäherung an die USA anstrebt. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang sind auch die wiederholten Mahnungen, die Revolutionsführer Ali Chamenei in den letzten Wochen gegen eine stärkere Einflussnahme der USA in Iran ausgesprochen hat.

Indes ist Resaians Schicksal völlig ungewiss. Der Generalstaatsanwalt Mohsseni Ejehi gab am 11. Oktober bekannt, dass ein Urteil gefällt worden sei, die Details würden aber erst dann bekannt gegeben, wenn das Urteil rechtskräftig geworden sei. Gegen diese Vorgehensweise legte die Washington Post scharfen Protest ein. Dies sei eine "unerhörte Ungerechtigkeit" und "verachtenswert", sagte Chefredakteur Martin Baron am 12. Oktober laut dpa. Es gäbe keinerlei Rechtfertigung für ein Geheimverfahren, in dem ein Unschuldiger ohne Beweise beschuldigt werde, schwere Verbrechen begangen zu haben.


CHAMENEI WARNT VOR ABWERBUNGSVERSUCHEN AUS DEM AUSLAND

Revolutionsführer Ali Chamenei warnte auf einer Versammlung von Wissenschaftlern und Studenten am 14. Oktober vor einer Gruppe, die versuche, herausragende Wissenschaftler zu kontaktieren und sie für das Ausland abzuwerben. Chamenei fordert seit zwei Jahren immer wieder die Regierung dazu auf, regimetreue Studenten und Wissenschaftler besonders zu fördern. Jetzt forderte er zum Kampf gegen jene auf, die in den Medien eine pessimistische Stimmung verbreiteten und die wissenschaftlichen Fortschritte und "die großen Errungenschaften" des Landes negieren würden. Er sagte: "Die erstaunlichen Fortschritte des Landes, vor allem im Bereich der Atomenergie, sind keine Hirngespinste. Sie sind Realitäten, die der ganzen Welt bekannt sind. (...) Jene, die unter der Jugend Resignation verbreiten und unsere Errungenschaften als unbedeutend darzustellen versuchen, sind Landesverräter und Verräter unserer nationalen Ehre."


MISSTRAUENSANTRAG GEGEN VERKEHRSMINISTER GESCHEITERT

Iranischen Medien zufolge haben 175 Abgeordnete einen Misstrauensantrag gegen den Minister für Verkehr und Städtebau, Abbas Akhundi, abgelehnt. 72 Abgeordnete stimmten für den Antrag und fünf enthielten sich.

Die Antragsteller warfen dem Minister vor, seine Pflichten versäumt, die Probleme des Straßen- und Städtebaus und die Probleme des Verkehrs nicht gelöst und finanzielle Unstimmigkeiten des Ministeriums nicht in Ordnung gebracht zu haben. Dass die Antragsteller als Beweis für ihre Vorwürfe auf neue Einstellungen und Entlassungen hinwiesen, insbesondere auf Neueinstellungen aus den Reihen der Reformer, zeigt, dass es bei dem Antrag mehr um einen Machtkampf zwischen den Fraktionen ging als um tatsächliche oder vermeintliche Versäumnisse des Ministers. Der Antrag war von fünfzehn Abgeordneten unterzeichnet worden, die zumeist der Paydari-Front angehören, die dem früheren Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad nahesteht und zu den entschiedensten Gegnern der Rohani-Regierung gehört.

Die stärkste Fraktion im Parlament, "Rahrowan-e Welayat" (Parteigänger der Herrschaft der Geistlichkeit), die dem Parlamentspräsidenten Ali Laridschani nahesteht, hatte sich auf einer Fraktionssitzung vor der Abstimmung für die Ablehnung des Antrags entschieden.


RAFSANDSCHANI: NÄCHSTE WAHLEN SIND ENTSCHEIDEND FÜR SCHICKSAL DES LANDES

Ex-Staatspräsident Haschemi Rafsandschani, der gegenwärtig dem Schlichtungsrat vorsitzt, bezeichnete die nächsten Parlamentswahlen sowie die Wahlen des Expertenrats, die im kommenden Februar stattfinden, als entscheidend für das Schicksal des Landes. Bei einer Rede in Hamadan am 28. Oktober äußerte er die Hoffnung, dass diese Wahlen auch wegen der großen Teilnahme der Wähler die besten Wahlen in der Geschichte der Islamischen Republik werden könnten. Bereits vor zwei Jahren hätten die Wähler (bei der Präsidentenwahl) mit ihrer Stimme deutlich erklärt, dass "die bitteren acht Jahre davor für die gesamte Geschichte Irans mehr als genug waren." (Gemeint sind die Jahre der Regierung Ahmadinedschad)

Seinen Optimismus begründete Rafsandschani damit, dass dieses Mal nicht nur die Wähler, sondern auch die Verantwortlichen Politiker in den Provinzen die Wahlen genau beobachten würden. Diese Einschätzung Rafsandschanis leitet sich davon ab, dass derzeit die meisten Gouverneure in den Provinzen den Reformern und Moderaten nahestehen. Er appellierte an die Medien, sich nicht parteiisch zu positionieren. Damit würden sie, wie die Vergangenheit gezeigt habe, das Gegenteil von dem erreichen, was sie beabsichtigten.

Zwar könne man Ereignisse nicht voraussagen, fuhr Rafsandschani fort. Aber ihm scheine, dass die Menschen im Land wachsam seien und engagiert. Dies sei die beste Voraussetzung für eine hohe Wahlbeteiligung.

Nach der gegenwärtigen Stimmung im Land und den Umfragen zu urteilen, hätten die Reformer und Gemäßigten durchaus die Chance bei den nächsten Wahlen die absolute Mehrheit zu erreichen. Die einzige Hürde, die es gibt, ist der Wächterrat, dessen Rolle bei den Wahlen umstritten ist. Die Konservativen und allen voran der Revolutionsführer Chamenei, bestehen darauf, dass die Bewerber um einen Sitz im Parlament wie bei früheren Wahlen üblich, erst die Zustimmung des Wächterrats einholen müssen, um für einen Parlamentssitz zu kandidieren. Das könnte Rafsandschani einen Strich durch die Rechnung machen. Denn der Wächterrat hat bereits erklärt, dass er keine Bewerber akzeptieren werde, die die Proteste gegen die umstrittene Wiederwahl von Präsident Ahmadinedschad 2009 unterstützt oder sich nicht öffentlich davon distanziert hätten. Dieses Kriterium beträfe aber die meisten Reformer und Gemäßigten.

Indes hat Ex-Präsident Ahmadinedschad erklärt, dass er sich aus dem Wahlkampf heraushalten werde. Im Juni verdichteten sich die Gerüchte, Ahmadinedschad wolle sich wieder politisch engagieren. Eine Partei mit dem Namen "Jekta", die ihm nahesteht, begann in Opposition zur Regierung Aktivitäten zu entwickeln. Geplant waren unter anderem auch Veranstaltungen mit Ahmadinedschad als Redner. Wegen Mangel an Interesse in der Bevölkerung ließ die Partei ihre Pläne aber wieder fallen.


SARIFS HÄNDEDRUCK MIT OBAMA SCHLÄGT HOHE WELLEN IN IRAN

Der Sprecher der Justiz, Ghlamhossein Ejehi, verglich den Händedruck des Außenministers Mohammad Dschawad Sarif mit US-Präsident Barack Obama mit der Tätigkeit eines Spions. "Ein Spion ist nicht nur jemand, der gegen Geld Informationen an die Feinde liefert, sondern auch jemand, der den Weg für die Einflussnahme der Feinde in unserem Land ebnet, der behauptet, die USA seien keine Feinde mehr, sie seien vernünftig geworden, und der sagt, 'was ist dagegen einzuwenden, wenn man Obama die Hand gibt, wenn man sich mit Leuten trifft und mit ihnen plaudert?'", so Ejehi vor einer Versammlung der Basidsch-Milizen am 30. September.

Zwei Tage zuvor hatte Sarif am Rande der UN-Vollversammlung zufällig Obama getroffen, ihm zur Begrüßung die Hand gegeben und ein paar Worte mit ihm gewechselt. Dieser Vorfall hatte bei den Konservativen in Iran heftige Proteste hervorgerufen.

Ejehi rief die Basidsch-Milizen und Sicherheitsdienste zur Wachsamkeit auf. Sie sollten mehr achtgeben, denn die Spione agierten im Verborgenen. "Wer heute für den großen Satan, die USA, spioniert und mit den Amerikanern zusammenarbeitet, ist ein Verräter. Er wird hart bestraft", drohte Ejehi. Ohne Sarif mit Namen zu nennen, sagte er: "Können wir unsere Probleme durch Kompromisse und Zugeständnisse und Händeschütteln lösen oder durch aufrechten Widerstand?"

Auch der konservative Abgeordnete Aliresa Sakani bezeichnete das Händeschütteln zwischen Obama und Sarif als "unverzeihlichen Fehler, der ernsthaft geahndet werden" müsse. "Was in New York geschehen ist, kann nur zwei Gründe gehabt haben. Entweder war es ein beabsichtigter Versuch, um die Beziehungen zu den USA zu normalisieren, was als Missachtung unserer revolutionären Ideale bezeichnet werden muss, oder die Unfähigkeit, die List des Feindes im Voraus zu erkennen, was für einen Diplomaten verheerend wäre."


ZWEI ZUR TATZEIT MINDERJÄHRIGE HINGERICHTET

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat am 19. Oktober die Hinrichtung von Fatemeh Salbehi und Samad Sahbi, die zur Tatzeit minderjährig waren, scharf verurteilt. Er fühle sich zu tiefst betroffen, hieß es in einer Erklärung Bans.

Das Todesurteil gegen Fatemeh Salbehi wurde am 13. Oktober in der Stadt Schiras vollstreckt. Eine Woche zuvor war Samad Sahbi in der Stadt Kermanschah im Geheimen hingerichtet worden. Sahbi hatte bei einer Auseinandersetzung einen Schäfer getötet. Er war damals 17 Jahre alt.

Salbehi war mit sechzehn Jahren mit einem älteren Mann zwangsverheiratet worden. Mit siebzehn hatte sie den Mann getötet. Sie war bereits vor fünf Jahren zum Tode verurteilt worden. Doch vor zwei Jahren wurde der Fall erneut von der Justiz aufgerollt. Eine Überarbeitung des Islamischen Strafgesetzbuchs ermöglichte den Verzicht auf die Todesstrafe, sollte nachgewiesen werden, dass der Täter zur Tatzeit minderjährig gewesen sei. Doch Salbehi wurde trotzdem erneut zum Tode verurteilt, weil der Richter der Auffassung war, dass sie zur Tatzeit reif genug gewesen sei, um die Folgen ihrer Tat richtig einschätzen zu können.

In der Erklärung des UN-Generalsekretärs heißt es weiter, Iran habe die UN-Konvention über die Rechte von Kindern und Minderjährigen unterzeichnet und habe sich damit zu dem Grundsatz bekannt, dass die Hinrichtung von Minderjährigen verboten sei. Ban zeigte sich auch über die Zunahme der Hinrichtungen in den vergangenen Wochen besorgt. Diese Entwicklung in Iran sei besorgniserregend, hieß es. Er forderte Iran auf, die Hinrichtungen zu beenden und die Todesstrafe abzuschaffen.

Auch der UN-Beauftragte für Menschenrechte in Iran, Ahmad Schahid, erklärte, die Hinrichtungen seien ein eindeutiger Bruch mit den Rechten der Kinder und Minderjährigen. Zudem sei die Zunahme der Hinrichtungen in Iran äußerst besorgniserregend. Salbehi sei die elfte Frau, die in diesem Jahr hingerichtet worden sei. Insgesamt seien in diesem Jahr mehr als 700 Menschen in Iran hingerichtet worden, sagte Schahid. In seinem Bericht, den Schahid der UN-Vollversammlung vorlegte, geht er davon aus, dass die Zahl der Hinrichtungen in Iran allein in diesem Jahr auf eintausend steigen könnte. Die Zahl der Hinrichtungen sei seit 2005 "expotentiell" gestiegen. In keinem Land der Welt würden im Vergleich zu der Zahl der Bevölkerung so viele Menschen hingerichtet wie in Iran, heiß es in dem Bericht.

Auch der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Strässer, verurteilte am Rande einer Menschenrechtskonferenz in Genf am 14. Oktober die Hinrichtung von Salbehi. Die Hinrichtung stelle "einen völlig inakzeptablen Bruch des Völkerrechts" dar, sagte er. Er forderte "mit Nachdruck" alle Verantwortlichen in Iran auf, die Vollstreckung weiterer Todesurteile sofort zu beenden und in Zukunft keine Todesstrafen mehr für Minderjährige zu verhängen.


ERSTMALS WIRD EINE FRAU ZUR BOTSCHAFTERIN ERNANNT

Der Nachrichtenagentur ISNA zufolge wurde die bisherigen Sprecherin des Außenministeriums Marsieh Afkham am 15. Oktober zur Botschafterin Irans in Malaysia ernannt. Es ist das erste Mal seit der Gründung der Islamischen Republik, dass eine Frau ein solches Amt übernimmt. Afkham blickt auf eine 33-jährige Berufserfahrung im Außenministerium zurück. Vor zwei Jahren ernannte Außenminister Dschawad Sarif sie wiederum als erste Frau zur Sprecherin des Ministeriums. Laut Präsident Rohani ist Afkham mit der modernen Welt wohl vertraut. Sie spricht fließend Englisch und Französisch.

Noch ist nicht bekannt, wann Afkham ihre Arbeit in Kuala Lumpur aufnehmen wird. Ihren Posten als Sprecherin wird laut Angaben des Außenministeriums fortan Sadegh Hossein Dschaberi übernehmen. Er leitet zurzeit die Abteilung für den Mittleren Osten und Nordafrika im Außenministerium.

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KULTUR

• Dschannati: Kein Arbeitsverbot für Kulturschaffende
• 26 Jahre Gefängnis für zwei Lyriker und einen Filmemacher
• Irans Teilnahme an Frankfurter Buchmesse wegen Rushdie abgesagt
• Buchauflagen um 12 Prozent gesunken
• Kunstausstellung aus Iran kommt nach Berlin
• Zwei Hitler-Bilder in Teheraner Galerie ausgestellt


DSCHANNATI: KEIN ARBEITSVERBOT FÜR KULTURSCHAFFENDE

Kulturminister Ali Dschannati schloss ein Arbeitsverbot für Schriftsteller, Musiker, Filmemacher und andere Kulturschaffende aus. "Wir schauen uns das Werk an und genehmigen die Veröffentlichung, wenn es gegen den Inhalt nichts einzuwenden gibt", sagte der Minister am 22. Oktober in einem Gespräch mit Medienvertretern. Es sei durchaus möglich, dass ein Werk aus bestimmten Gründen "für uns" inakzeptabel sei, zum Beispiel wenn es sich herausstellen sollte, dass es durch die Zusammenarbeit mit feindlichen Medien entstanden sei. In solchen Fällen, würden alle Aspekte in Betracht gezogen und schließlich dem Produzenten mitgeteilt, dass sein Werk nicht akzeptiert und dafür keine Erlaubnis zur Veröffentlichung erteilt werde.

Dschannati dementierte hingegen entschieden Berichte über eine Liste von Kulturschaffenden, denen angeblich ein Arbeitsverbot auferlegt worden sein soll. "Eine solche Liste existiert nicht", sagte er. Einige Zeitungen hatten von einer Liste mit 24 Sängerinnen und Sänger berichtet, die mit Arbeitsverboten bestraft werden sollten, weil sie mit ausländischen Fernseh- und Radiosendern zusammengearbeitet hatten. Bereits zuvor hatte der für die Künste zuständige Vizekulturminister Ali Moradkhani diese Berichte dementiert.

Dschannati nahm auch zu der Opernaufführung "Aschura" Stellung. Aschura ist der zehnte Tag des Trauermonats Moharram. Vor allem für Schiiten hat dieser Tag eine besondere Bedeutung. An diesem Tag wurde der dritte Imam Hossein, Sohn des Imam Ali, in der Schlacht von Kerbela ermordet. Ali war der Schwiegersohn des Propheten Mohammad, den die Schiiten als dessen legitimen Nachfolger und ersten Imam anerkennen. Imam Hossein ist ein Symbol für das bei den Schiiten weitverbreiteten Märtyrertum.

Die Oper wurde von Behsad Abdi komponiert, der Text stammt von Behrus Gharib. Das Orchester wurde von Nasir Heydarian dirigiert. Die Oper war von Konservativen kritisiert worden, weil es darin auch die Solostimme einer Frau gibt. Dschannati, der der Aufführung beiwohnte, sagte danach: "Während ich die Aufführung sah, dachte ich an die Stellungnahmen in manchen Blättern und Internetseiten, die ich in diesen Tagen über diese Oper gelesen habe. Ich fragte mich, wie man diesem Kunstwerk so viel Unrecht tun kann." 130 Künstler hätten an der Aufführung mitgewirkt und das Werk "bestens präsentiert", sagte Dschannati weiter. Und nun werfe man ihnen vor, die Ereignisse von Aschura verzerrt dargestellt und sie durch Frauenstimmen "besudelt" zu haben. Es sei höchst bedauerlich, wie manche Leute nur darauf bedacht seien, aus jeder Geschichte politisches Kapital herauszuschlagen und damit das Werk von Künstlern, die jahrelang gearbeitet hätten, um dieses Niveau zu erreichen, in Frage zu stellen.


26 JAHRE GEFÄNGNIS FÜR ZWEI LYRIKER UND EINEN FILMEMACHER

Das Revolutionsgericht hat am 13. Oktober die Lyrikerin Fatemeh Ekhtesari, den Lyriker Mehdi Mussavi und den Filmemacher Keywan Karimi zu insgesamt 26 Jahren Gefängnis und 421 Peitschenhieben verurteilt. Bereits zuvor hatte das Nachrichtenportal Tasnim, das den Revolutionsgarden nahesteht, berichtet, die drei Personen seien wegen "Propaganda gegen die Islamische Republik" angeklagt. Ihnen werde vorgeworfen, mit dem im Ausland lebenden Sänger Schahin Nadschafi in Verbindung zu stehen, den Tasnim als "Abtrünnigen" bezeichnete.

Dem Nachrichtenportal Kalameh zufolge, das den Reformern nahesteht, habe der Richter Mohammad Moghiseh die Lyrikerin Ekhtesari zu elfeinhalb Jahren Gefängnis und 99 Peitschenhieben, den Lyriker Mussavi zu neun Jahren Gefängnis und 99 Peitschenhieben und den Filmemacher Karimi zu sechs Jahren Gefängnis und 223 Peitschenhieben verurteilt.

Karimi wurde für die Idee zu einem gesellschaftskritischen Film verurteilt. "Ich bin total geschockt über das Urteil, da es ja nie einen Dreh gab", sagte der Filmregisseur laut dem Nachrichtenportal Kalameh vom 18. Oktober. Selbst für iranische Verhältnisse ist das Urteil, gegen das Karimis Anwalt Berufung einlegen will, höchst ungewöhnlich.

Karimi hatte einen Film über politische Untergrundaktivisten aus der Zeit vor und nach der Revolution geplant. Auch die Aktivitäten bei den Protesten gegen die umstrittene Wiederwahl von Präsident Ahmadinedschad 2009 sollten in dem Dokumentarfilm thematisiert werden. 2013 wurde Karimi für dieses Filmprojekt, das erst einmal als Idee konzipiert worden war, in Haft genommen. Er wurde jedoch bis zum Gerichtsprozess auf Kaution freigelassen.

Der "Klub junger Journalisten", der dem staatlichen Rundfunk angehört, hatte über die drei Personen im vergangenen Juni einen Bericht veröffentlicht und sich dabei hauptsächlich auf deren Notizen auf verschiedenen Internetseiten gestützt. Der Anwalt der drei Verurteilten hatte zuvor berichtet, dass seinen Mandanten "Propaganda gegen die islamische Staatsordnung" vorgeworfen werde. Die Höchststrafe dafür sei ein Jahr Gefängnis. Dagegen hatte Kalameh schon damals berichtet, dass den drei Kunstschaffenden auch "Aktivitäten gegen die nationale Sicherheit" und "Verbindungen zu ausländischen Medien und iranischen Künstlern in der Diaspora" vorgeworfen werde.

Der Verband iranischer Schriftsteller legte scharfen Protest gegen die Urteile ein und forderte ihre sofortige Aufhebung. Die Urteile seien viel zu hart und ungerecht, hieß es in der Erklärung des Verbands. "Der Verband iranischer Schriftsteller verteidigt das Recht der Meinungsäußerung der Künstler und Schriftsteller", schreiben die Autoren. "Weder die Justiz noch andere staatliche Organe seien befugt, sich in privaten Beziehungen der Bürger einzumischen. Es ist allzu offensichtlich, dass Küssen oder Händeschütteln fremder Personen als Vorwand dienen, um unliebsame Künstler und Andersdenkende zum Schweigen zu zwingen."

Die letzte Bemerkung erfolgte mit Blick auf eine Anordnung der Justiz, die kürzlich für Aufruhr sorgte: Die Karikaturistin Atena Farghdani wurde gezwungen, sich zum Nachweis ihrer Jungfräulichkeit einer Untersuchung zu unterziehen. Der Grund, sie hatte ihrem Anwalt die Hand geschüttelt. Diesen Vorfall nannte der Verband "beschämend". Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International verurteilt den Vorgang.

Farghdani wurde wegen "Aktivitäten gegen die nationale Sicherheit, Propaganda gegen die Islamische Republik" und "Beleidigung des Revolutionsführers, des Staatspräsidenten, der Parlamentsabgeordneten und der Revolutionswächter" zu zwölf Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt.


IRANS TEILNAHME AN FRANKFURTER BUCHMESSE WEGEN RUSHDIE ABGESAGT

Der Nachrichtenagentur ISNA vom 6. Oktober zufolge protestierte Iran bei der Frankfurter Buchmesse gegen den Auftritt des indisch-britischen Schriftstellers Salman Rushdie. "Wir haben einen Protestbrief geschrieben und andere muslimische Länder aufgerufen, dem Beispiel zu folgen", zitierte die Agentur Irans Vizekulturminister Abbas Salehi. Salehi forderte die Veranstalter auf, "ihre Meinung zu ändern" und drohte, die Teilnahme Irans an der Buchmesse abzusagen.

Wie von der Buchmesse angekündigt, war Rushdie eingeladen worden, bei der Eröffnung der Buchmesse eine Rede zu halten. Rushdies Roman "Die satanischen Verse" hatte 1989 Protest-Stürme in den islamischen Ländern ausgelöst, weil darin der Prophet Mohammed beleidigt wird. Der damalige Revolutionsführer Irans, Ayatollah Chomeini, rief in einer Fatwa zur Tötung Rushdies auf. Rushdie musste in der Folge Jahre lang versteckt leben.

Am 7. Oktober sagte Iran seine Teilnahme an der Buchmesse ab. Offiziell hieß es, Iran werde wegen des Auftritts von Salman Rushdie, der in seinen Büchern den Islam beleidigt habe, die Buchmesse boykottieren. Bei einem Treffen unter dem Vorsitz des Vizekulturministers Abbas Salehi wurde die folgende Erklärung beschlossen: "Die Frankfurter Buchmesse, die zu den größten Buchmessen der Welt gehört, hat bedauerlicherweise in diesem Jahr offensichtlich im Widerspruch zu den erklärten Zielen, unter dem Vorwand der freien Meinungsäußerung eine in der islamischen Welt verhasste Person eingeladen. Sie hat Salam Rushdie, dem Autor der Satanischen Verse, die Möglichkeit gewährt, auf der Messe eine Rede zu halten und sein neues Werk vorzustellen, dessen Inhalt den religiösen Überzeugungen und Gedanken konträr entgegensteht."

Bereits zuvor hatte Salehi in einem Interview gesagt, die Messeveranstalter hätten einerseits die Verteidigung der freien Meinungsäußerung als Motto für dieses Jahr gewählt und andererseits eine Person eingeladen, die die Heiligtümer der Muslime beleidigte.

"Sicher, die frei Meinungsäußerung ist ein Menschenrecht", sagte Salehi. Aber es gäbe bestimmte Dinge, auf die Rücksicht genommen werden müsste, zum Beispiel die Achtung von religiösen Heiligtümern. Die Beleidigungen von Rushdie und einigen Karikaturisten seien Verstöße gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung.

Der Direktor der Buchmesse, Juergen Boos, hatte die Einladung an Rushdie mit dem Satz begründet: Rushdies "Biographie und sein literarisches Werk verleihen ihm eine gewichtige Stimme in der weltweiten Diskussion über Meinungsfreiheit im Publizieren". Er bedauerte die Absage Irans, sagte aber "die freie Meinungsäußerung ist nicht verhandelbar". Rushdie werde über sein neues Buch reden. "Darüber sind wir froh, denn die Frankfurter Buchmesse hat stets die freie Meinungsäußerung verteidigt."


BUCHAUFLAGEN UM 12 PROZENT GESUNKEN

Vizekulturminister Abbas Salehi sagte der Agentur ISNA zufolge am 29. Oktober, die Gesamtauflage der Bücher in Iran sei im ersten Halbjahr (seit März) im Vergleich zum selben Zeitraum im vergangenen Jahr um 12 Prozent gesunken. "Das ist ein Alarmzeichen für alle, die mit diesem Bereich der Kultur zu tun haben." Es handele sich um einen Trend, der sich bereits seit langem, insbesondere seit sieben, acht Jahren abzeichne. Zugleich sagte Salehi: "Noch vor zwanzig Jahren entfielen auf 10.000 Personen im Durchschnitt 1,5 Titel. Heute sind wir bei 9,3 Titeln auf 10.000 Personen angelangt - ein Umstand, der optimistisch stimmt."

Den Angaben des Kulturministeriums zufolge sind in Iran rund 9.000 Verlage registriert, von denen 4.000 aktiv sind. Im ganzen Land gibt es rund 2.500 Buchhandlungen, von denen allein 900 im Großraum Teheran angesiedelt sind.

Die steigenden Preise für Papier und Druckkosten, die zur Erhöhung der Buchpreise geführt haben, die sinkende Qualität der Inhalte der veröffentlichten Bücher, die rapide Verbreitung des Internets und nicht zuletzt die rigorose Zensur sind die Hauptgründe für die zunehmende Marginalisierung der Buchindustrie in Iran.


KUNSTAUSSTELLUNG AUS IRAN KOMMT NACH BERLIN

Einem Bericht der dpa vom 21. Oktober zufolge sollen wertvolle Kunstwerke, die die frühere Kaiserin Farah Diba in Iran gesammelt hatte, demnächst in Berlin ausgestellt werden. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz unterzeichnete mit dem Museum für zeitgenössische Kunst in Teheran eine Absichtserklärung über eine dreimonatige Ausstellung in Berlin. Die Vereinbarung fand während eines Besuchs des deutschen Bundesaußenministers Frank-Walter Steinmeier in Teheran statt. Der Minister wurde nicht wie üblich von Vertretern der Wirtschaft, sondern von Kulturschaffenden begleitet, was er mit der Bedeutung der Kultur für die Beziehungen zwischen Völkern und Staaten begründete. "Gerade in Zeiten schwieriger diplomatischer Fragen brauchen wir eine Diplomatie der Kultur umso dringlicher", sagte Steinmeier. Auch der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, sprach von einem "Brückenschlag in konfliktreicher Zeit".

Der Bestand an Kunstwerken der Moderne, die die ehemalige Kaiserin gesammelt hatte, befand sich lange Jahre in den Lagern des Teheraner Museums und wurde erst vor zwei Jahren entdeckt. Es handelt sich dabei um Gemälde von unschätzbarem Wert, wie die Werke von Claude Monet, Max Ernst, Wassily Kandinsky, Pablo Picasso, Francis Bacon, Jasper Johns und Andy Warhol. Wann eine Auswahl dieser Werke in Berlin ausgestellt werden soll, wurde noch nicht bekannt gegeben.


ZWEI HITLER-BILDER IN TEHERANER GALERIE AUSGESTELLT

Zwei von Adolf Hitler gemalte Bilder locken zahlreiche Besucher in eine Teheraner Galerie, in der auch andere Bilder ausgestellt sind. "Die meisten kommen hauptsächlich wegen der Hitler-Bilder", sagte die Galeristin Golnaz Golsabahi laut einem Bericht der dpa vom 7. Oktober. Viele Iraner wüssten nicht, dass der "blutrünstige Diktator" Hitler vor seiner politischen Karriere als Maler tätig gewesen war.

Wie die Bilder nach Iran gelangt sind, ist unklar. Golsabahi vermutet, dass die Aquarelle vor der Revolution von einem Kunstsammler gekauft worden seien. Nach der Revolution seien sie von den neuen Machthabern beschlagnahmt und erst jetzt freigegeben worden.

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WIRTSCHAFT

• Atomabkommen
• Westen protestiert gegen Irans Raketentest
• Ölexport soll verdoppelt werden
• Iran erwartet Boom in der Tourismusindustrie
• 800 Millionen Dollar Strafe für Crédit Agricole
• Niedersächsischer Wirtschaftsminister reist nach Iran


ATOMABKOMMEN

Das Atomabkommen hatte in Iran in den Reihen der Konservativen und Ultras viel Unmut hervorgerufen. Sie veranstalteten an verschiedenen Orten Protestkundgebungen. Am 3. Oktober lösten Ordnungskräfte eine Kundgebung vor dem Parlament auf. Auch eine Protestkundgebung in der heiligen Stadt Ghom wurde aufgelöst. Die Polizei erklärte, die Kundgebungen seien illegal gewesen, weil sie nicht zuvor genehmigt worden waren.

Am 4. Oktober legte der Ausschuss, der für die Untersuchung des Atomabkommens gebildet worden war, seinen Bericht dem Parlament vor. Der Bericht war negativ ausgefallen. Vor allem wurde darin der Zugang für die Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) zu militärischen Anlage als höchst problematisch eingestuft. Der Ausschuss warf der iranischen Verhandlungsdelegation vor, zu viele Zugeständnisse gemacht zu haben.

Nach einer turbulenten Debatte im Parlament, bei der der Vizepräsident und Leiter der iranischen Atombehörde Ali Akbar Salehi nach eigenen Angaben mit dem Tod bedroht wurde, stimmten die Abgeordneten dem Abkommen jedoch mehrheitlich grundsätzlich zu. 139 Abgeordnete stimmten zu, 100 lehnten das Abkommen ab, zwölf Abgeordnete enthielten sich. Eine Abstimmung über Einzelheiten des Abkommens sollte wenige Tage später folgen.

Am 13. Oktober stimmte dann auch eine deutliche Mehrheit im Parlament für das konkrete Abkommen. Von 250 Anwesenden stimmten 162 Abgeordnete zu, 59 stimmten dagegen und 17 enthielten sich. Wenige Stunden später segnete auch der Wächterrat das Abkommen ab. Während in der Grundsatzdebatte die Auseinandersetzungen immer wieder in Streit ausartete, wurde in der zweiten Sitzung, in der die Details des Abkommens behandelt werden sollten, kaum debattiert. Die ganze Prozedur wurde innerhalb von zwanzig Minuten abgeschlossen. Offenbar war die Entscheidung bereits hinter den Kulissen gefallen.

Es stellte sich heraus, dass am Vorabend der Sitzung ein Treffen zwischen einem Vertreter des Büros des Revolutionsführers, Ali Asghar Hedschasi, dem Parlamentspräsidenten Ali Laridschani und dem Generalssekretär des Nationalen Sicherheitsrats Ali Schamkhani stattgefunden hatte. Dieses Treffen wurde von vielen Abgeordneten als Zustimmung des Revolutionsführers zum Abkommen interpretiert. Chamenei hatte sich bis dahin nicht eindeutig zu dem Abkommen geäußert.

Einige Abgeordnete aus der Fraktion der Radikal-Konservativen protestierten gegen die Vorgehensweise des Parlamentspräsidenten. Der Abgeordnete Mehdi Kutscheksadeh schrie: "Das ist nicht der Wille des Revolutionsführers, das ist die Entscheidung von Schamkhani, Laridschani und Hedschasi." Laridschani sagte, die Zustimmung zu dem Abkommen sei schon vor der Abstimmung vereinbart gewesen. Nur wenige Abgeordnete hätten sich nicht daran gehalten.

Am 21. Oktober billigte Chamenei in einem Schreiben an Präsident Rohani das Abkommen.

Nach der Verabschiedung des Abkommens erklärte Präsident Rohani in einem Interview mit dem staatlichen Fernsehen am 13. Oktober, die Sanktionen würden in zwei Monaten aufgehoben. Am 15. Oktober berichtete die IAEA, dass Iran alle seine bisherigen Verpflichtungen erfüllt habe. In der Erklärung heißt es, die IAEA werde bis zum 15. Dezember ihren Abschlussbericht über das iranische Atomprogramm dem Board of Governors vorlegen. Resa Nadschafi, Irans Botschafter bei der IAEA, äußerte die Hoffnung, dass Irans Akte bei der Atomenergiebehörde bald geschlossen werde. "Die Islamische Republik hat ihre eingegangenen Pflichten erfüllt und nun ist die Atomenergiebehörde in der Lage, mit einem Abschlussbericht die Akte Irans endgültig zu schließen", sagte er.

Mit der Zustimmung aller Verhandlungspartner begann die Phase der Umsetzung des Abkommens. Sowohl die USA als auch die EU leiteten die Schritte zur Aufhebung der Sanktionen gegen Iran ein. Gleichzeitig muss Iran nun seine Verpflichtungen Schritt für Schritt erfüllen. Dazu gehören unter anderem die Reduzierung des Bestands von angereichertem Uran von 12.000 Kilogramm auf 300 Kilogramm, die Umwandlung des Schwerwasserreaktors in Arak in einen Leichtwasserreaktor und die erhebliche Reduzierung der Zahl der Zentrifugen. Die Dauer des Abkommens beträgt zehn Jahre, manche Vereinbarungen haben eine Gültigkeitsdauer von bis zu 25 Jahren. Sobald die IAEA bestätigt, dass Iran diese Schritte unternommen hat, sollen die Sanktion der UNO, der USA und der EU, soweit sie das Atomprogramm betreffen, aufgehoben werden.


WESTEN PROTESTIERT GEGEN IRANS RAKETENTEST

Der Test einer Mittelstreckenrakete am 10. Oktober in Iran hat scharfe Proteste westlicher Staaten hervorgerufen. Samantha Power, UN-Botschafterin der USA, sagte am 16. Oktober einem Bericht der dpa zufolge: "Wir können bestätigen, dass Iran am 10. Oktober eine Mittelstreckenrakete abgeschossen hat, die in der Lage wäre, eine Atomwaffe zu transportieren." Der Test sei "eine klare Verletzung der Resolution des UN-Sicherheitsrats". Bereits zuvor hatte Frankreich mit dem Hinweis auf die Resolution 1929 den Test als klaren Verstoß gegen den UN-Beschluss bezeichnet.

Die Raketen seien nicht in der Lage, Atomsprengköpfe zu transportieren, hieß es in einer Erwiderung aus Teheran. Daher sei der Vorwurf unbegründet, sagte Vizeaußenminister Abbas Araghtschi der Nachrichtenagentur IRNA. Iran habe das Recht, sein Potential zur Verteidigung des Landes und zum Kampf gegen den Terrorismus auszubauen, was auch in der UN-Resolution betont werde.

Iran hatte am 10. Oktober den Raketentest bekannt gegeben. Es handele sich um eine zielsichere Mittelstreckenrakete mit dem Namen "Emad", mit einer Reichweite von 1.700 Kilometern und einem Gewicht von 750 Kilogramm. Es sei die erste in Iran gebaute Rakete, die bis zum Ziel gelenkt werden könne, hieß es in der offiziellen Bekanntgabe.

Die USA haben gemeinsam mit Deutschland, Großbritannien und Frankreich den Sicherheitsrat der UNO eingeschaltet. Eine Expertenkommission solle den Vorfall untersuchen und daraufhin solle der Rat "angemessene Schritte" gegen Teheran unternehmen, forderten sie. US-Präsident Barack Obama erklärte, Iran habe bereits mehrmals die ihm auferlegten Einschränkungen missachtet. Er werde Teheran unter Druck setzen und zeigen, dass "schlechtes Verhalten in der Region" entsprechend geahndet werde.

Trotz des Protestes haben die USA betont, dass der Test keinen Einfluss auf das Mitte Juli vereinbarte Atomabkommen haben werde. Regierungssprecher Josh Earnest sagte, die UN-Sanktionen wegen Missachtung des Verbots von Raketentests blieben nach wie vor in Kraft.

Wenige Tage später zeigte Teheran Bilder von Mittelstreckenraketen, die in Tunneln versteckt waren, meldete die dpa am 15. Oktober. Es gäbe Hunderte solcher Raketenbasen, sagte der Leiter der Luftfahrtabteilung der Revolutionsgarden (Pasdaran), Amir Ali Hadschisadeh. Iran strebe keine militärische Auseinandersetzung an und werde auch nie einen Krieg beginnen. Sollte jedoch Iran angegriffen werden, "werden diese Anlagen für die Aggressoren wie ein Vulkan ausbrechen".


ÖLEXPORT SOLL VERDOPPELT WERDEN

Einer Meldung der Agentur ISNA zufolge hofft Iran, nach der Aufhebung der Sanktionen seinen Ölexport verdoppeln zu können. "Schon in den nächsten Monaten können wir wieder bis zu zwei Millionen Barrel Öl pro Tag exportieren", sagte Vizepräsident Eshagh Dschahangiri am 20. Oktober. Der iranische Ölexport ist infolge von Sanktionen bis auf eine Millione Barrel pro Tag gesunken. Wann die Sanktionen tatsächlich aufgehoben werden, steht jedoch noch nicht fest. Die Aufhebung hängt davon ab, ob Iran seine im Atomabkommen vereinbarten Verpflichtungen erfüllt. Darüber wird die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) Ende des Jahres einen Bericht vorlegen, sodass die Aufhebung der Sanktionen frühestens im Januar erfolgen kann. Die nationale Ölgesellschaft hat aber bereits für Mitte November die Veranstaltung einer internationalen Öl- und Gaskonferenz geplant. Dort sollen mit interessierten Unternehmen bereits Vorverträge abgeschlossen werden.


IRAN ERWARTET BOOM IN DER TOURISMUSINDUSTRIE

In einem Interview mit der Nachrichtenagentur AP vom 19. Oktober sprach Irans Vizepräsident Massud Soltanifar von einem "Tsunami" an Touristen, der sich nach der Aufhebung der gegen Iran verhängten Sanktionen in Gang setzen werde.

Iran habe unzählige historische und kulturelle Schätze zur Besichtigung zu bieten. Zudem habe in Iran seit dem Amtsantritt von Präsident Rohani eine Öffnung nach außen stattgefunden. Und schließlich habe der Abschluss des Atomabkommens dazu beigetragen, dass ausländische Medien inzwischen ein positives Bild von Iran vermittelten. All dies werde einen Strom von Touristen in Richtig Iran lenken. Bereits mit dem Beginn der neuen Atomverhandlungen vor zwei Jahren nahm die Zahl der Touristen Jahr für Jahr um ca. 12 Prozent zu. 2014 seien mehr als fünf Millionen Touristen nach Iran gekommen, wodurch rund 7,5 Milliarden Dollar an Einnahmen generiert wurden.

"Der Tourismus wird sicherlich der treibende Motor sein, um die iranische Wirtschaft aus der Rezession zu bekommen", sagte Soltanifar im AP-Interview. "Irans Tourismussektor ist ein florierender Markt für Investoren. Wir erwarten einen Tsunami an Touristen, nachdem die Sanktionen aufgehoben worden sind." Das Amt für Kulturerbe, Handwerk und Tourismus, für das Soltanifar verantwortlich ist, will demnächst ein Paket mit 1.300 Projekten vorstellen und damit um ausländische Investoren werben. Seite 13 Iran-Report 11/15

Iran hofft, die Zahl der Touristen auf 20 Millionen steigern und die Einnahmen auf 30 Milliarden Dollar erhöhen zu können, heißt es in den AP-Bericht. Allerdings müssten dafür die Infrastruktur, Transportwege und Übernachtungsmöglichkeiten weiter ausgebaut werden. Die zurzeit vorhandenen 1.100 Hotels und Gasthäuser, darunter 130 Vier- und Fünfsternehotels reichten nicht aus, sagte Soltanifar.

Das Land stehe für Besucher aus allen Ländern offen, sagte der Vizepräsident, auch für Touristen aus den USA. "Amerikanische Touristen und Investoren sind willkommen", sagte Soltanifar. "Es gibt keine Hürden oder Restriktionen für sie, Iran zu besuchen oder im Land zu investieren."


800 MILLIONEN DOLLAR STRAFE FÜR CRÉDIT AGRICOLE

Die französische Großbank Crédit Agricole muss wegen Missachtung von US-Sanktionen gegen Iran, Sudan, Myanmar und Kuba 800 Millionen Dollar Strafe zahlen. Einem Bericht der AFP vom 20. Oktober zufolge soll die Bank zwischen 2003 und 2008 über 32 Milliarden Dollar Transaktionen in die genannten Staaten verschleiert und damit US-Sanktionen umgangen haben. Die Bank habe sich mit verschiedenen US-Behörden auf einen Vergleich geeinigt. Sie stimmte dem Strafmaß zu, dafür werde sie nicht mehr verfolgt und brauche das Vergehen nicht offiziell zu bestätigen.

Inzwischen wurden Mitarbeiter der Bank, die an der Straftat beteiligt waren, entlassen. Die Bank hatte zuvor erklärt, sie habe 350 Millionen Dollar für den Streitfall zurückgelegt und erwarte für den Herbst eine Einigung mit den US-Behörden.


NIEDERSÄCHSISCHER WIRTSCHAFTSMINISTER REIST NACH IRAN

Der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies war Anfang Oktober mit rund hundert Unternehmern zu einem viertägigen Besuch nach Teheran gereist. "Wir waren mit der bisher größten niedersächsischen Wirtschaftsdelegation unterwegs und wir waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort", sagte er. In zahlreichen Gesprächen mit iranischen Politikern und Unternehmern stellte die Delegation eine Aufbruchstimmung in Iran fest, die die Chance zu einer weitreichenden Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen biete. In der Teheraner Handelskammer sagte Lies: "Wir sind erfreut, dass die neue Diplomatie den Weg für eine weitere Zusammenarbeit und Investitionen in Iran geebnet hat. Wir haben eine ganze Reihe von Branchen in Niedersachsen, sei es der Maschinenbau, die Autoindustrie, die Ernährungsindustrie, die Luftfahrtbranche, der Transportsektor und erneuerbare Energien, die für eine Zusammenarbeit mit Iran infrage kommen. Ich sehe auch die Chance, dass eine Reihe von Unternehmen aus Deutschland ihre Perspektive hier in Iran sehen, unter anderem deshalb, weil sie die Chance haben, eigene Betriebe hier zu gründen." Gerade nach dem Abschluss des Atomabkommens und der baldigen Aufhebung der Sanktionen gegen Iran seien die Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Kooperation sehr groß. Dabei seien die Deutschen in Iran sehr willkommen. Lies betonte, dass Iran kein bloßes Exportland sei, sondern ein potenzieller Handelspartner.

Mehdi Dschahangiri, Vize-Präsident der iranischen Handelskammer, sprach von einer neuen Ära der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Iran. "Ich hoffe, dass dieser Besuch den Weg für eine erneute intensive Zusammenarbeit zwischen Iran und Deutschland ebnet." Iran besitze mit seinen 80 Millionen Einwohnern ein großes Potenzial für eine weitreichende Zusammenarbeit. "Aber wir wollen für den Westen nicht nur ein Exportland sein, sondern ein Partner in gemeinsamen Projekten."

Den Weg für die deutsche Wirtschaft nach Iran hatte bereits Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel geebnet, der unmittelbar nach dem Abschluss des Atomabkommens nach Iran gereist war. Ihm war einige Wochen später eine Delegation aus Baden-Württemberg unter der Leitung von Wirtschaftsminister Nils Schmid gefolgt. Auch in Bayern bereitet sich eine Delegation unter der Leitung der Wirtschaftsministerin Ilse Aigner auf eine Iran-Reise vor.

Aigner kündigte an, eine bayerische Auslandsvertretung in Teheran eröffnen zu wollen. Der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayrischen Wirtschaft, Bertram Brossardt, sprach in einem Interview mit der dpa im Zusammenhang mit dem Irangeschäft von einem "großen Anschlag". "Nach zehn Jahren Sanktionen haben Staat und Wirtschaft dort großen Nachholbedarf, vor allem bei Infrastruktur und Investitionsgütern. Und deutsche Produkte sind dort hoch angesehen", sagte Brossardt. "Ich war im August in Teheran. Es war überraschend, wie viele Bitten ich erhielt, Kontakte und Geschäftsbeziehungen in Bayern herzustellen."

Sowohl die Deutsch-Israelische Gesellschaft wie auch die Jusos haben die Reise von Lies scharf kritisiert. Mit einem Regime, das seine Bürger unterdrücke, die Menschenrechte eklatant missachte, Gegner und Kritiker hinrichten lasse und Israel vernichten wolle, dürfe man keine Geschäfte machen. In einer Stellungnahme zu der Kritik erklärte Lies, er habe die Menschenrechte in seinen Gesprächen immer wieder angesprochen. "Ich bin überzeugt, dass es nur durch die Intensivierung offener und verantwortungsvoller Kontakte auf allen Ebenen auch Fortschritte in den Menschenrechtsfragen geben kann", sagte er vor seiner Rückkehr aus Teheran.

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AUSSENPOLITIK

• Steinmeier zu Besuch in Teheran
• Ischinger fordert Einbeziehung Irans zur Lösung der Syrien-Krise
• Japans Premier will Iran besuchen
• Neues Militärabkommen zwischen Iran und China
• Die Rolle Irans in Syrien
• Konflikte zwischen Iran und Saudi-Arabien verschärfen sich
• Abbruch der Beziehungen zur Regierung Jemens?
• Waffenlager in Bahrain entdeckt
• Netanjahus Schweigeprotest gegen Atomabkommen


STEINMEIER ZU BESUCH IN TEHERAN

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier traf am 17. Oktober zu einem Besuch in Teheran ein. Ziel seines erstmaligen Besuchs war der Ausbau der Beziehungen zwischen Deutschland und Iran sowie die Suche nach Lösungen für die Konflikte im Nahen Osten, insbesondere für die Krise in Syrien.

Gleich zum Auftakt seines Besuches appellierte Steinmeier an Iran, seinen Einfluss auf das Regime in Syrien geltend zu machen, um "erste Schritte zu einer Deeskalation in Syrien" zu ermöglichen. Iran ist neben Russland der wichtigste Unterstützer des syrischen Diktators Baschar al-Assad. Der deutsche Außenminister hoffte, die Regionalmächte Iran, Saudi-Arabien und die Türkei für einen gemeinsamen Plan zur Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien gewinnen zu können, ein Versuch, dessen Erfolgsaussichten von vorn herein äußerst gering waren. Iran zeigte sich zunächst grundsätzlich zu Gesprächen bereit. Außenminister Mohammad Dschawad Sarif sagte: "Iran wünsche freundschaftliche Beziehungen zu allen seinen Nachbarn."

Zu dem Besuchsprogramm Steinmeiers gehörte neben Gesprächen mit der iranischen Regierung auch ein Auftritt an der Universität Teheran. Zwischen Iran und Deutschland bestünden eine ganze Reihe von Differenzen, sagte Steinmeier vor Studenten. Dazu gehörten die Unsicherheiten über das iranische Atomprogramm, die Haltung Irans gegenüber dem Regime in Syrien, die Feindschaft gegenüber Israel und dergleichen mehr. Doch diese Differenzen zwischen den Staaten sollten nicht zu einer Trennung der Menschen in den beiden Ländern führen. "Berg und Berg kommen nicht zusammen, aber Mensch und Mensch", zitierte er ein persisches Sprichwort. "Die letzten Jahrzehnte waren geprägt von politischer Eiszeit und auch die wissenschaftlichen, kulturellen und akademischen Verbindungen haben darunter gelitten." Nun sollen nach dem erfolgreichen Atomabkommen die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen Iran und Deutschland ausgebaut werden. Steinmeier plädierte für den Austausch von Wissenschaftlern und Studenten. Zudem solle es eine enge Zusammenarbeit zwischen den Universitäten beider Länder geben.

Am Ende der Rede Steinmeiers protestierte eine Gruppe mit erhobenen Plakaten und Masken vor dem Gesicht gegen die deutsche Politik zu der Zeit des Iran-Irak-Kriegs (1980-1988). Damals hatte Deutschland den Irak bei der Herstellung von Chemiewaffen unterstützt. Doch es gab auch einen minutenlangen Beifall für den deutschen Minister.

Offenbar legte Steinmeier besonderen Wert auf die kulturellen Beziehungen zu Iran. Das machte sich nicht zuletzt durch die Zusammensetzung seiner Delegation deutlich, die ihn bei seinem Besuch begleitete. Dabei waren unter anderem hochrangige Vertreter der Bildungseinrichtungen wie der Berlinale-Chef Dieter Kosslick. "Ich denke, dass in unseren Zeiten und in einem Gebiet, wo die Politik sich nicht so einfach gestaltet, Kultur der wichtigste Faktor überhaupt wird. Bevor es überhaupt eine neue ökonomische Initiative geben kann, muss es unglaublich vielfältige kulturelle Beziehungen geben, um auf deren Basis wirtschaftliche Beziehungen wieder aufzubauen", sagte Kosslick in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP in Teheran. "Kultur ist heute zum wichtigsten Faktor geworden, warum wir uns überhaupt verständigen können und wir nicht alles den Kräften der Ökonomie, des Krieges und der Waren überlassen."

Teheran und Berlin verhandeln gerade über ein Kulturabkommen. Steinmeier betrachtet dieses Abkommen als eine Basis für den Ausbau der Beziehungen. "Ein rascher Erfolg wäre ein sichtbares Zeichen dafür, dass wir unsere Beziehungen auf eine neue und breitere Grundlage stellen", zitierte ihn AFP am 18. Oktober.

Der Abgeordnete der Grünen Omid Nouripour hatte Steinmeier aufgefordert, bei seinem Iran-Besuch auch die Lage der Menschenrechte anzusprechen. "Es gibt eine riesige Euphorie in Iran über das Atomabkommen", sagte er der AFP am 17. Oktober. "Ob sich aber die Hoffnungen der Iraner auf soziale und politische Veränderungen erfüllen, wird auch maßgeblich davon abhängen, ob Besucher wie Herr Steinmeier die wichtige Frage der Menschenrechte prominent ansprechen." Vermutlich werde Präsident Rohani nicht von sich aus auf die Lage der Menschenrechte zu sprechen kommen, sagte Nouripour weiter. Der Präsident habe sich nach den desaströsen Regierungsjahren seines Vorgängers Ahmadinedschad auf die Wirtschaft konzentriert. Indes hätte aber die Anzahl der Hinrichtungen zugenommen. Dafür sei zwar nicht Rohani verantwortlich, sondern die Konservativen in der Justiz. Doch Rohani lasse dies geschehen, ohne dagegen etwas zu unternehmen.

Auch Ulrike Becker von der Kampagne Stopp the Bomb hatte bereits vor der Reise Steinmeiers nach Iran den Besuch kritisiert. "Diese Reise setzt ein fatales Signal", erklärte sie laut dpa am 14. Oktober. "Die illusionären Hoffnungen auf eine Mäßigung des Regimes durch den Atomdeal haben sich längst zerschlagen. In Iran sind die Hinrichtungszahlen unter Rohani dramatisch gestiegen und weit höher als unter Ahmadinedschad. In Syrien eskaliert eine iranisch-russische Koalition den Krieg für Assads Machterhalt und wird damit die Flüchtlingskrise in Deutschland und Europa weiter verschärfen."


ISCHINGER FORDERT EINBEZIEHUNG IRANS ZUR LÖSUNG DER SYRIEN-KRISE

Während Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in Teheran weilte, veranstaltete der Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger ein Treffen in Teheran, an dem neben Steinmeier auch Irans Außenminister Mohammad Dschawad Sarif, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röntgen, und die Abgeordnete der französischen Nationalversammlung, Elisabeth Guigou, teilnahmen. Nach dem Atomabkommen solle nun mit Iran über "gemeinsame Ansätze bei der Bewältigung der vielfältigen regionalen Krisen gesprochen werden", sagte Ischinger laut dpa vom 14. Oktober.

In einem Interview mit dem rbb-Inforadio am 16. Oktober begründete Ischinger sein Vorhaben wie folgt. "Die ganze Region ist in Aufruhr. Ohne die regionale Großmacht Iran wird hier wenig zu bewerkstelligen sein. Deswegen bin ich der Meinung, wir müssen jetzt mit Iran reden und herausfinden, ob es dabei bleibt, dass Iran sich querstellt und eine schwierige Macht für uns im Nahen Osten ist. Oder ob es Möglichkeiten gibt, gemeinsame Interessen zu identifizieren."

Für solche Entscheidungen brauche man einen langen Atem, betonte Ischinger. "Wir können nicht erwarten, dass Iran über Nacht seine Außenpolitik ändert. Aber vergessen wir nicht, vor zehn bis fünfzehn Jahren, als die Afghanistan-Krise begann, zeigte sich derselbe Iran durchaus als interessiert und fähig, mit dem Westen zusammenzuarbeiten beim Management der Krise. Also völlig ausgeschlossen ist das nicht. Darum geht es, ob es Chancen gibt, mittel- und langfristig in der einen oder anderen Frage zusammenzuarbeiten."


JAPANS PREMIER WILL IRAN BESUCHEN

Japans Außenminister Fumio Kishida, der am 13. Oktober die iranische Hauptstadt besuchte, kündigte bei einem Treffen mit Präsident Rohani an, dass sein Regierungschef Shinzo Abe Iran besuchen werde. Ziel seiner Reise sei der Ausbau der bilateralen Beziehungen zwischen Iran und Japan. Einen genauen Termin nannte Kishida nicht.

Rohani begrüßte den Plan und sagte, Japan genieße ein hohes Ansehen in Iran und könne daher vor allem bei der Neubelebung der iranischen Wirtschaft eine wichtige Rolle spielen.


NEUES MILITÄRABKOMMEN ZWISCHEN IRAN UND CHINA

Laut iranischen Medien traf eine Militärdelegation aus der Volksrepublik China unter Leitung des Vize-Generalstabschefs der chinesischen Streitkräfte Admiral Sun Jianguo am 15. Oktober in Teheran ein. Bei einem Treffen mit hohen iranischen Militärs wurde der Entwurf zu einem Militärabkommen unterzeichnet. Ziel des Besuchs der Delegation war laut eigenen Angaben die Stärkung der bilateralen militärischen Beziehungen zwischen Iran und China. Das Abkommen umfasst die Bereiche Verteidigung, Ausbildung, Informationsaustausch und Kampf gegen den Terrorismus.

Chinas Verteidigungsministerium veröffentlichte eine Erklärung, in der die Hoffnung geäußert wurde, der Besuch der chinesischen Delegation werde zur "Vertiefung der militärischen Zusammenarbeit, Festigung der Freundschaft und einem größeren Austausch von Ideen und Ansichten über Themen führen, die für beide Staaten von Interesse sind".

Irans Generalstabschef General Hassan Firusabadi bezeichnete bei einem Treffen mit Jianguo die USA als gemeinsamen Feind Irans und Chinas und sagte, er sei vor zehn Jahren sehr besorgt gewesen über die Verschwörungen der USA gegen China. Nun hätten die USA nicht genügend Mittel, sie seien auch militärisch zu schwach für neue militärische Aggressionen. Daher planten sie "teuflische Verschwörungen" wie den Terrorismus und die Stellvertreterkriege.

China gehört zu den Hauptbeziehern des iranischen Öls und ist derzeit der größte Handelspartner Irans. Der iranische Markt ist überschwemmt mit chinesischen Waren.


DIE ROLLE IRANS IN SYRIEN

Obwohl Iran sein militärisches Engagement in Syrien weiterhin leugnet und betont, nur beratend in Syrien tätig zu sein, deuten die Ereignisse im Oktober daraufhin, dass iranische Offiziere und Soldaten gemeinsam mit der libanesischen Hisbollah und den syrischen Streitkräften an der neuen Offensive gegen den Islamischen Staat (IS) und andere bewaffnete Gruppen beteiligt sind. Diese Offensive wird seit Ende September von der russischen Luftwaffe unterstützt. Folgerichtig begrüßte Teheran das russische Engagement in Syrien. "Das ist ein erster praktischer Schritt im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat, um eine Lösung zu ermöglichen", sagte die Sprecherin des Außenministeriums Marsieh Afkham am 1. Oktober in Teheran. Dieses militärische Engagement finde im Rahmen des Völkerrechts statt, da die syrische Regierung Russland offiziell um Unterstützung gebeten habe.

Irans Vorschlag zur Lösung der Syrienkrise besteht aus drei Schritten. Zunächst soll es sofortige Verhandlungen zwischen allen Konfliktparteien geben, dann eine Übergangsregierung und schließlich allgemeine Wahlen. Über das Schicksal des herrschenden Regimes und des syrischen Diktators Baschar Al-Assad dürfe einzig und allein das syrische Volk entscheiden, so die Haltung Irans. Teheran betont, dass der gegenwärtige Zustand nur dem IS und anderen terroristischen Organisation zugutekäme.

Am 1. Oktober rief Revolutionsführer Ali Chamenei die Streitkräfte des Landes dazu auf, ihre Einsatzbereitschaft zu erhöhen. Dies solle die Feinde Irans abschrecken und sie daran hindern, auch nur an einen Angriff gegen Iran zu denken. Laut einer Meldung der dpa vom 3. Oktober berichtete der US-Sender Fox, dass iranische Truppen nach Syrien entsandt worden seien. Der Sender beruft sich dabei auf die Aussagen eines nicht genannten Militärvertreters, der erklärt habe, die Russen stellten in Syrien die Luftwaffe und die Iraner die Bodentruppen. Dies habe auch ein Militärberater der "Freien Syrische Armee" bestätigt.

Die USA protestierten gegen die russische Intervention. US-Präsident Obama verurteilte die Luftangriffe, sie seien zum Scheitern verurteilt, sagte er am 3. Oktober. Die militärische Operation betrachte sowohl die bewaffnete Opposition als auch die IS-Miliz als Terroristen. Der Kampf gegen diese Gruppen werde in einer Katastrophe enden. Teil des Problems in Syrien sei der "brutale skrupellose Diktator Assad", der noch an der Macht sei, weil er von Russland und Iran unterstützt werde, sagte Obama. Dennoch seien die USA bereit, sowohl mit den Russen als auch den Iranern zur Bewältigung der Krise in Syrien zu kooperieren.

Aus iranischer Sicht ist nicht Assad das Hauptproblem, sondern der IS. "Nicht Assad, sondern der Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat hat oberste Priorität", sagte Präsident Rohani. Der Versuch des Westens, Assad in den vergangenen Jahren zu stürzen, habe den IS gestärkt und auch zu der Flüchtlingskatastrophe in Europa geführt. Zurzeit gebe es keine Alternative zu Assad. Es wäre verheerend, wenn die Lücke, die ein möglicher Sturz Assads hinterließe, von terroristischen Gruppen gefüllt werden würde. "Die größte Gefahr für die Welt wäre, wenn Terrorgruppen zu Terrorstaaten werden", betonte Rohani.

Am 9. Oktober gab die Informationsabteilung der iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) den Tod eines ihrer führenden Offiziere bekannt, der bei den Kämpfen in Syrien gefallen ist. In der Erklärung hieß es, General Hossein Hamedani, der in den letzten Jahren bei dem Kampf gegen den Terrorismus in Syrien eine wichtige Rolle innehatte, sei bei seiner militärischen Beratungstätigkeit in der Umgebung der Stadt Aleppo von IS-Milizen getötet worden.

General Hamedani war Berater des Oberkommandierenden der Pasdaran. Während der Proteste gegen die umstrittene Wiederwahl von Präsident Ahmadinedschad 2009 war er für die Sicherheit der Hauptstadt Teheran verantwortlich. Berichte besagen, dass er und seine Soldaten brutal gegen die Protestierenden vorgegangen seien. 2011 wurde er deswegen von der Europäischen Union auf die schwarze Liste gesetzt und mit Sanktionen belegt. Er bekam für alle EU-Staaten Einreiseverbot und seine Konten wurden gesperrt. Hamedani wurde am 11. Oktober in Teheran mit großen militärischen Ehren beigesetzt.

Die iranischen Aktivitäten in Syrien und im Irak werden von General Ghassem Soleimani geleitet. Soleimani ist Chef der Al-Kuds Brigade, einer Abteilung der Pasdaran, die für Auslandseinsätze verantwortlich ist. Laut einer dpa-Meldung vom 11. Oktober, die sich auf Aussagen von zwei Gewährsleuten in der irakischen Regierung stützt, hat Soleimani bei der Entscheidung Russlands, sich in Syrien militärisch zu engagieren, eine wichtige Rolle gespielt. Er habe den russischen Präsidenten Wladimir Putin bei einem Treffen im August davon überzeugt, dass ein militärischer Angriff auch zum Vorteil von Russland wäre. Russland nahm Ende September die Luftangriffe gegen den IS und andere Rebellengruppen auf. Iran hat Russland erlaubt, seinen Luftraum zu durchfliegen.

Indes erklärte General Mohammad Ali Dschafari, Kommandeur der Pasdaran, Iran werde bis zur Vernichtung gegen den IS kämpfen. "Die Wurzeln des IS müssen in der Region ausgetrocknet werden und dafür werden wir sorgen." Dies sei mit ein Grund für die Unterstützung, die Iran dem syrischen Regime gewähre. Ziel des Westens sei hingegen, Assad zu stürzen, um seinen Einfluss in der Region ausweiten zu können. "Daher ist auch unsere Sicherheit mit der Syriens verbunden", zitierte die Agentur Fars den General am 12. Oktober. Die geostrategischen und politischen Interessens Irans in den Nachbarländern spricht Dschafari hingegen nicht an.

Am 13. Oktober meldete die Nachrichtenagentur IRNA den Tod von zwei hohen iranischen Offizieren in Syrien. Der genaue Ort und die Umstände der Vorfälle wurden nicht bekannt gegeben. Die Nachrichtenagentur Tasnim schrieb lediglich, die Offiziere seien von den IS-Milizen getötet worden. Es handele sich um Oberst Farschad Hassunisadeh und Oberst Hamid Mokhtarband. Am selben Tag meldeten internationale Agenturen, iranische Truppen bereiteten gemeinsam mit der libanesischen Hisbollah und den syrischen Streitkräften eine Bodenoffensive in der Region Aleppo vor. Dafür seien Tausende iranische Soldaten in Syrien eingetroffen. Die Region Aleppo wird derzeit von Regierungseinheiten, bewaffneten Oppositionsgruppen und Milizen des IS beherrscht. Auch die russische Agentur Sputnik sprach von mehreren Tausend iranischen Soldaten, die in Syrien eingetroffen seien.

Demgegenüber erklärte der iranische Vizeaußenminister Hossein Amirabdollahian, Iran besitze keinerlei Kampftruppen in Syrien. Es seien dort lediglich militärische Berater tätig, Spezialisten für den Kampf gegen Terroristen, die auf Bitten der syrischen Regierung die syrischen Kräfte unterstützten. Demgegenüber schrieb Sputnik unter Berufung auf einen der syrischen Regierung nahestehenden Politiker, es gebe Pläne für den gemeinsamen Kampf der iranischen und syrischen Truppen. Sie würden von russischen Streitkräften unterstützt.

Am 15. Oktober erklärte der Vorsitzende des Ausschusses für Sicherheit und Außenpolitik im iranischen Parlament, Alaeddin Borudscherdi, der sich zu einem Besuch in Damaskus aufhielt, sollte Syrien um Kampftruppen aus Iran bitten, werde Teheran den Wunsch prüfen. "Wir sind im Kampf gegen den Terrorismus entschlossen", sagte er vor der Presse. "Wir haben bereits Syrien und Irak mit Waffenlieferungen und militärischer Beratung unterstützt und werden selbstverständlich jede Bitte dieser Staaten prüfen." Laut der staatlichen syrischen Nachrichtenagentur bedankte sich Präsident Assad beim Treffen mit Borudscherdi für die Hilfe aus Iran. Er sei für "alle Bemühungen befreundeter Staaten, insbesondere Russlands und Irans, dankbar", sagte er.

Am 16. Oktober appellierte Außenminister Frank-Walter Steinmeier vor seiner Reise nach Teheran und Riad an die am Syrien-Konflikt beteiligten Staaten, nach Lösungen zu suchen. Wenn es nicht gelänge, alle Beteiligten in ein Boot zu kriegen, werde es keinen Frieden geben, sagte er der Bild-Zeitung.

Am 18. Oktober sagte der Führer der libanesischen Hisbollah Hassan Nasrallah, der Einsatz seiner Organisation in Syrien sei "größer als je zuvor". Denn es gehe um einen "entscheidenden und endgültigen Kampf". Am 19. Oktober meldeten die Pasdaran den Tod eines weiteren iranischen Offiziers in Syrien. Auch der Leibwächter des ehemaligen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad kam Pressemeldungen zufolge in Syrien ums Leben.

Angesichts des massiven Engagements Irans in Syrien und der Rolle des Landes in der Region, setzte sich Ende Oktober bei den westlichen Staaten die Einsicht durch, dass Iran in die Lösung der Syrienkrise einbezogen werden müsse. Politische Beobachter sprachen von einer neuen Phase des Friedensprozesses für Syrien. Einer Mitteilung des Teheraner Außenministeriums zufolge, nahm Außenminister Sarif am 28. Oktober die Einladung Russland zur Teilnahme an der internationalen Syrien-Konferenz in Wien an. Während Washington sich bei den zwei vergangenen Syrien-Konferenzen gegen die Teilnahme Irans ausgesprochen hatte, versuchte Außenminister John Kerry nun, alle am Konflikt beteiligten Staaten an den Verhandlungstisch zu bringen, also nicht nur Iran, sondern auch dessen Erzrivalen Saudi-Arabien. Zuvor hatten sich bereits die Außenminister der USA, Russlands, der Türkei und Saudi-Arabiens in Wien getroffen. Aber sie hatten sich über die künftige Rolle Assads nicht einigen können. An der folgenden großen Konferenz nahmen neben den genannten Staaten auch Deutschland, Großbritannien, Frankreich, die Vereinigten Arabischen Emirate, Irak, Ägypten und Libanon teil.

In einem Interview mit der BBC sagte der saudische Außenminister Abdol Al-Dschubeir am 29. Oktober, Iran werde bei dieser Konferenz eine beschränkte Rolle haben. Saudi-Arabien fordert als ersten Schritt den Rücktritt Assads. Danach solle eine neue Verfassung geschrieben und in einem dritten Schritt sollen Wahlen abgehalten werden. "Assad muss auf jeden Fall verschwinden, entweder durch einen politischen Prozess oder mit Gewalt", sagte der saudische Außenminister. Sein Land werde verstärkt die Rebellen in Syrien unterstützen.

Die Konferenz in Wien war im Hinblick auf die Rivalitäten und Feindschaften der Teilnehmer und ihrer zum Teil gegensätzlichen Interessen nicht ohne Reibungen durchzuführen. Kerry sagte, es gelte "einen Weg aus der Hölle zu weisen". Al-Dschubeir meinte, die Konferenz biete die Gelegenheit, die "Ernsthaftigkeit Teherans und Moskaus zu testen". Gemäßigte syrische Rebellen drückten ihren Unmut über die Teilnahme Irans aus. Iran vertrete im Grunde die Position des syrischen Regimes und könne daher keinen Beitrag zu der Lösung des Konflikts leisten, hieß es aus diesen Kreisen.

Kurz vor Beginn der Konferenz sagte Irans Außenminister Sarif, sein Land werde keine Vorbedingung bei den Verhandlungen akzeptieren und betonte, ohne Beteiligung Teherans werde es keine vernünftige Lösung für die Krise in Syrien geben. Sarif hatte sich vor der Konferenz mit Kerry und dem russischen Außenminister Sergej Lawrow getroffen. Am selben Tag erklärte der Generalsekretär des Nationalen iranischen Sicherheitsrats Ali Schamkhani, eine Zusammenarbeit Teherans mit der von den USA geführten Koalition gegen den Islamischen Staat sei nicht möglich. Iran könne nicht mit Gruppen kooperieren, die nur scheinbar gegen die Terroristen kämpften.

Am 30. Oktober kamen die Außenminister von siebzehn Staaten in Wien zusammen. Niemand erwartete einen raschen Durchbruch. Doch allein die Tatsache, dass sämtliche am Syrien-Konflikt beteiligte Staaten an der Konferenz teilnahmen, wurde von allen Seiten als Erfolg bezeichnet. Zudem haben die eigentlichen Kontrahenten ihre bislang vertretene Position ein wenig relativiert. Die USA und Saudi-Arabien deuteten an, dass sie den Verbleib Assads im Amt für eine befristete Übergangszeit dulden würden. Und Lawrow sagte, er habe weder gesagt, dass Assad gehen, noch dass er bleiben müsse.

Steinmeier zeigte sich nach der Konferenz optimistisch. "Wir brauchen einen politischen Prozess. Er wird unter dem Dach der Vereinten Nationen stattfinden." Es soll eine Übergangsregierung gebildet, danach sollen unter der Aufsicht der UNO Wahlen abgehalten werden. Die Verhandlungen dauerten acht Stunden. In der Abschlusserklärung wurde auf Drängen Irans und Russlands betont, dass nur das syrische Volk das Recht habe, das Schicksal des Landes zu bestimmen. "Wir haben keine Vereinbarung zum Schicksal Assads", sagte Lawrow. Und Steinmeier sagte, er habe nicht erwartet, dass gleich beim ersten Treffen eine abschließende Entscheidung über die Zukunft von Assad getroffen werde. Während Kerry von "harten Auseinandersetzungen" sprach, sagte Frankreichs Außenminister Laurent Fabius, "es kommt nicht in Frage, dass Herr Assad Syriens Zukunft ist". In einem Kommentar der iranischen Nachrichtenagentur Irna hieß es, es gehöre zu den Säulen der iranischen Syrien-Politik, dass das Recht Syriens, über die eigene Zukunft zu entscheiden, respektiert werde. Zudem lehne Iran eine ausländische Intervention sowie Terrorismus ab.

Die Wiener Runde wird demnächst wieder tagen und die Verhandlungen fortsetzen.


KONFLIKTE ZWISCHEN IRAN UND SAUDI-ARABIEN VERSCHÄRFEN SICH

Das große Unglück bei der Massenpanik unter islamischen Pilgern in Mina hat die ohnehin konfliktreichen Beziehungen zwischen Iran und Saudi-Arabien stark belastet. Unter den Toten befanden sich zahlreiche Iraner. Iran sieht die Schuld für das Unglück bei den saudischen Behörden, die Saudis werfen Iran vor, die Katastrophe politisch instrumentalisieren zu wollen.

Am 30. September warf Revolutionsführer Ali Chamenei den Saudis vor einer Versammlung von Rekruten in der Hafenstadt Noschahr vor, bei der Überführung der Toten nach Iran ihren Pflichten nicht nachzukommen. "Die Islamische Republik hat sich bislang gegenüber den islamischen Brüdern (den Saudis) zurückgehalten. Aber sie sollen wissen, dass die geringste Unhöflichkeit gegenüber Zehntausenden iranischen Pilgern in Mekka und Medina und Nachlässigkeiten bei der Überführung der Toten eine harte und aggressive Reaktion zufolge haben werden", sagte Chamenei. Iran habe weit mehr Möglichkeiten als andere Staaten. Und wenn er auf "List und Tücke einiger Elemente" reagieren würde, werde es für diese "Elemente" schwere Folgen haben.

Am selben Tag berichtete die staatliche saudische Nachrichtenagentur SPA, die unter saudischer Führung gebildete Koalition im Kampf gegen die Huthi-Rebellen in Jemen habe eine iranische Waffenlieferung an die Aufständischen verhindert. Die Lieferung sei 240 Kilometer südöstlich der omanischen Hafenstadt Salalah im Arabischen Meer beschlagnahmt und der Kapitän sowie weitere dreizehn Besatzungsmitglieder des Frachters seien festgenommen worden.

Indes stellte es sich heraus, dass die Zahl der Toten bei dem Unglück in Mina weit höher ist, als zunächst offiziell angegeben. Das iranische Fernsehen sprach am 1. Oktober von 1.000 Toten. Die Nachrichtenagentur AP meldete mindestens 999 Tote und 600 Vermisste.

Am 3. Oktober drohte der Oberkommandierende der iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran), General Mohammad Ali Dschafari, mit Vergeltung. Die Pasdaran seien zu einer "schnellen und harten" Reaktion bereit. "Die Garden werden es den Saudis für dieses ungeheuerliche Verbrechen heimzahlen". Die Pasdaran "besitzen alle Kapazitäten, um den Willen des Revolutionsführers umzusetzen" und seien bestens vorbereitet, seinen Befehl auszuführen, sagte Dschafari. "Die islamische Welt hat genug von den Verbrechen der Saudis, von ihren Massenmorden in Jemen, der Vertreibung der Menschen in Syrien, der Unterdrückung der Menschen in Bahrain, den verbrecherischen religiösen und ethnischen Spaltungen im Irak und der Unterstützung terroristischer Organisationen in der ganzen Region. Die Saudis werden bald in der Wut der Muslime zerschmelzen." Die Pasdaran seien bereit, zu jeder Zeit und an jedem Ort "entschieden und mit aller Kraft die Würde der Muslime, und insbesondere das revolutionäre iranische Volk", gegen die "saudischen Verbrecher" zu verteidigen.

Am 4. Oktober wurden die Leichen von 104 Iranern, die bei dem Unglück in Mina ums Leben gekommen waren, nach Teheran gebracht. Bei der Trauerzeremonie drohte Präsident Rohani den Saudis, Iran werde möglicherweise eine "harte" Reaktion zeigen. "Die iranische Regierung und das iranische Volk haben bisher eine höfliche, freundliche und brüderliche und wo es nötig war, eine diplomatische Sprache benutzt. Sollte es aber nötig sein, werden wir die harte und machtvolle Sprache benutzen", sagte der Präsident.

Am 8. Oktober berichtete die AFP, die Zahl der Toten bei der Katastrophe in Mina liege weit über 1.200. Allein die Zahl der iranischen Opfer liege bei 464. Iranische Medien berichteten, dass zahlreiche iranische Pilger noch vermisst werden. Sie sprachen von insgesamt mehr als 4.000 Toten.

Am 9. Oktober meldete sich ein hochrangiger saudischer Geistlicher zu Wort. Beim Freitagsgebet in der großen Moschee von Mekka sprach Scheich Abdulrahman al-Sauais von "Lügen", die über das Unglück verbreitet würden. Niemand habe das Recht, Lügen zu verbreiten und die saudischen Behörden zu diffamieren, sagte er.

Die sich zuspitzende Auseinandersetzung zwischen Teheran und Riad bildete auch ein großes Hindernis für die Bemühungen des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier, eine diplomatische Lösung für die Krise in Syrien zu finden. "Wir brauchen die regionalen Akteure und stoßen da auf Hindernisse, die in dem Verhältnis zwischen Iran und Saudi-Arabien liegen", sagte der Minister am 12. Oktober am Rande eines Treffens der EU-Außenminister in Luxemburg. "Wir bemühen uns, hier Brücken zu bauen." Er besuchte Teheran und anschließend Riad und stellte dort am 19. Oktober fest: "Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es sehr schwer, die tiefen Gräben zwischen Riad und Teheran tatsächlich zu überbrücken." Dennoch habe er sowohl in Teheran als auch in Riad bei den Gesprächen entdeckt und "glaubwürdig vermittelt bekommen, dass man an politischen Lösungen interessiert ist".

Indes zeigte sich der saudische Außenminister Adel al-Dschubeir zum Widerstand gegen Iran entschlossen. "Wir sind entschlossen, den Machenschaften Irans entgegenzutreten und zur Verteidigung unseres Volkes und unseres Landes alle politischen, wirtschaftlichen und auch militärischen Instrument einzusetzen", sagte der Minister am 19. Oktober in Riad bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Steinmeier. Er hoffe, Iran werde endlich aufhören, sich in Angelegenheit anderer Staaten in der Region wie Libanon, Syrien, Irak und Jemen einzumischen, sagte al-Dschubeir. Er wiederholte abermals die Position Saudi-Arabiens zu der Krise in Syrien und betonte, dass eine Lösung den Sturz des Regimes von Assad voraussetze. Die militärische Rolle, die Iran in Syrien spiele, sei ein Hindernis für die Beteiligung Irans an internationale Bemühungen um die Wiederherstellung des Friedens in Syrien, sagte al-Dschbeir. Er bezeichnete Iran al "Besatzer arabischer Gebiete" in Syrien. In Syrien müsse zunächst eine Übergangsregierung gebildet werden. Danach müsse Assad zurücktreten. Aus seiner Sicht spiele es keine Rolle, ob der Rücktritt erst zwei, drei Monate nach der Bildung der provisorischen Regierung erfolge.

Die Worte al-Dschubeirs riefen eine scharfe Reaktion aus Teheran hervor. Die Sprecherin des Außenministeriums Marsieh Afkham warf dem Mister vor, bei seinen Äußerungen die diplomatischen Gepflogenheiten missachtet zu haben. Überhaupt sei Saudi-Arabien nicht in der Position, um sich Äußerungen über die Rolle Irans in der Region erlauben zu können, sagte sie am 20. Oktober. Zudem bezeichnete sie die Äußerungen al-Dschubeirs als "destruktiv und schädlich für die gesamte Region".

Am 30. Oktober meldete die Nachrichtenagentur Reuters, die Zahl der Toten bei der Katastrophe in Mina sei dreimal höher als offiziell von den Saudis angegeben. Während die Saudis von 769 Toten und 934 Verletzten sprechen, liege die bislang gezählte Zahl der Toten tatsächlich bei 2.070. Wenige Tage zuvor hatte AP die Zahl der Opfer auf 2.110 geschätzt.


ABBRUCH DER BEZIEHUNGEN ZUR REGIERUNG JEMENS?

Es ist nicht klar, ob die Regierung Jemens, die sich mittlerweile im saudischen Exil befindet, die diplomatischen Beziehungen zu Teheran abgebrochen hat oder nicht. Der Nachrichtenagentur Reuters vom 2. Oktober zufolge erklärte ein Sprecher der jemenitischen Regierung, Rahetsch Badi, im Kabinett sei der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Iran nicht behandelt worden und auch sonst sei nichts zu diesem Thema beschlossen worden. Doch zuvor hatte das staatliche Fernsehen berichtet, die Regierung habe die Beziehungen zu Teheran abgebrochen.

In Jemen beherrschen die Huthi-Rebellen, die von Iran unterstützt werden, momentan die Hauptstadt Sanaa. Die Staatsgeschäfte in der Hauptstadt hat praktisch ein Gremium, das sich als "revolutionäres Komitee" bezeichnet, übernommen.


WAFFENLAGER IN BAHRAIN ENTDECKT

Einem Bericht der AFP vom 1. Oktober zufolge haben Sicherheitsbehörden in Bahrain in einem Haus in der überwiegend von Schiiten bewohnten Stadt Nuwaidrat ein Versteck entdeckt, in dem eineinhalb Tonnen Sprengstoff, Gewehre, Pistolen und Handgranaten gelagert worden waren. In einer Mitteilung des Informationsministeriums wurde die Festnahme von mehreren Personen bekannt gegeben, bei denen der Verdacht besteht, Verbindungen zu Iran und Irak zu haben.

Das Außenministerium in Manama reagierte darauf mit der Ausweisung des iranischen Geschäftsführers, den es zur "unerwünschten Person" erklärte. Auch wurde der Botschafter Bahrains aus Iran zurückberufen. Begründet wurden die Maßnahmen mit der "Einmischung Irans in Bahrain". Iran wolle in Bahrain seinen Einfluss stärken und zwischen den verschiedenen Volksgruppen Zwietracht stiften, hieß es in der Erklärung des Außenministeriums. Zudem gewähre Iran terroristischen Gruppen Unterstützung.

Die Beziehungen zwischen Teheran und Manama sind seit Jahren belastet.


NETANJAHUS SCHWEIGEPROTEST GEGEN ATOMABKOMMEN

Aus Protest gegen das zwischen der 5+1-Gruppe und Iran geschlossene Atomabkommen legte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu während seiner Rede auf der UN-Vollversammlung in New York am 1. Oktober eine Schweigeminute ein. Er warf den Vereinten Nationen vor, die Drohungen Irans gegen Israel wortlos hinzunehmen. "Vollkommene Stille. Ohrenbetäubende Stille", sagte Netanjahu, schwieg selbst danach fast eine Minute lang und sagte anschließend: "Ich weigere mich, still zu sein."

"Dieser Deal macht Frieden nicht wahrscheinlicher, da Irans Aggressionen mit Milliarden von Dollar an Sanktionserleichterungen geschürt werden. Er macht Krieg wahrscheinlicher", sagte der Ministerpräsident. Das Abkommen werde den Extremismus im Nahen Osten noch mehr als bisher schüren. Mit den freiwerdenden Milliarden werde Iran dazu befähigt, Waffen an Verbündete zu liefen und den Terrorismus zu stärken. Zudem nähere sich Iran immer mehr dem Status einer Atommacht an. Selbstverständlich werde Israel sich verteidigen und keiner Kraft der Welt erlauben, seine Existenz zu bedrohen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel verteidigte in einem Interview mit der israelischen Zeitung "Jediot Aharonot" das Atomabkommen mit Iran. Sie betonte zunächst, dass die Haltung Irans gegenüber Israel für die deutsche Regierung "inakzeptabel" sei. Das werde sie auch immer wieder klar betonen. Dann sagte sie zu dem Abkommen: "Die entscheidende Frage für uns war, ob es der Sicherheit der Region mehr dient, dieses Abkommen abzuschließen, als kein Abkommen zu haben." Darüber könne man unterschiedliche Auffassungen haben. Sie könne Israels Misstrauen durchaus nachvollziehen. Aber nicht nur Israel, sondern die ganze Welt wäre von einer iranischen Atommacht bedroht. Doch sie vertrete in dieser Frage eine andere Auffassung als Netanjahu.

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Impressum:
Hrsg.: Heinrich-Böll-Stiftung
Autor: Bahman Nirumand
Redaktion: Bauke Baumann
V.i.S.d.P.: Annette Maennel
14. Jahrgang

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Quelle:
Iran-Report Nr. 11/2015 - November 2015 / 14. Jahrgang
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. November 2015

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