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GUTE-NACHT/2324: Familie Schwalbe - Bogenschütze trifft Schwalbe (SB)


Familie Schwalbe - Bogenschütze trifft Schwalbe

Vater Menschlein besucht heute den Flohmarkt. Als er zur Haustür herausgeht, schweift sein Blick gleich nach oben zum Schwalbennest. Die beiden Schwalben sind ausgeflogen. "Na, vielleicht seid ihr ja wieder zuhause, wenn ich heute abend zurückkomme. Mal sehen, ob ich etwas Interessantes finde."

Vater Menschlein hält meist Ausschau nach alten Büchern oder auch nach kitschigen Figuren, weil seine Frau solche sammelt. Mutter Menschlein hat schon eine ganze Vitrine damit voll. Sogar eine Schwalbe aus Porzellan ist darunter. Heute aber möchte Vater Menschlein besonders nach Bücher schauen, in denen Geschichten von Schwalben erzählt werden. Und er hat Glück. Er findet ein Buch mit Sagen, darunter auch eine mongolische, in der einer Schwalbe eine wichtige Rolle zukommt. Beabsichtigt oder unbeabsichtigt wird sie zur Retterin der Welt.


*


Einst standen über der Welt sieben Sonnen. Sie schienen heiß vom Himmel und trockneten den Boden aus. Das ganze Land fiel einer Dürre zum Opfer. Die Menschen hatten nichts zu essen und auch das Wasser wurde knapp. Deshalb beschlossen sie, etwas zu unternehmen. Unter ihnen gab es einen besonders geschickten Bogenschützen. Niemals verfehlte er sein Ziel. Also versprach er, alle sieben Sonnen mit seinen Pfeilen vom Himmel zu holen. Er war sich seiner Sache so sicher, daß er frohlockte, sich einen Finger abzuschneiden und in einem dunklen Loch in der Erde zu leben, sowie nur noch Gras zu essen, sollte er seinen Auftrag nicht erledigen.

Alle Leute kamen herbei, das Schauspiel zu sehen. Der Schütze nahm seinen Bogen und schoß den ersten Pfeil ab. Er traf die erste Sonne. Diese verging. Nun legte der Bogenschütze auf die zweite Sonne an und traf auch sie. Ein bißchen war es auf der Welt nun dunkler und kühler geworden. Die Menschen jubelten dem Bogenschützen zu, und er legte zum dritten Mal an. Auch diesmal verfehlte er nicht sein Ziel. Die Menge klatschte. Sie wollte mehr und mehr Sonnen vom Himmel stürzen sehen. Bald war nur noch eine letzte Sonne übrig. Der Bogenschütze, seinem Ziel ganz nah, ließ sich schon ein bißchen feiern. Dann sollte auch die letzte Sonne mit einem Pfeil heruntergeholt werden. Keiner merkte, daß es auf der Erde bereits viel dunkler und enorm kälter geworden war.

Nur eine kleine Schwalbe wunderte sich über das was hier geschah. Waren die Menschen wirklich so dumm, alle Sonnen zu zerstören? Sahen sie nicht, daß sie damit auch sich selbst vernichten würden? Wie konnte die Schwalbe dieses Unheil aufhalten? Sie flog um den Bogenschützen herum und zwitscherte ihm zu. Doch allein der Schütze verstand sie nicht.

Die Menge aber tobte. Sie wollte jetzt auch die letzte Sonne herabstürzen sehen. Also legte der Bogenschütze seinen siebten Pfeil auf die letzte Sonne an. Die Schwalbe aber ließ nicht davon ab, den Schützen an seinem Vorhaben zu hindern, koste es, was es wolle. Sie flog um seinen Kopf und verwirrte den Mann. Durch das Geflatter des Vogels und weil die Sonne ihn blendete, verfehlte er sein Ziel, nicht aber die Schwalbe. Sein Pfeil spaltete ihren Schwanz in zwei Hälften, wie es noch heute zu sehen ist. Die Sonne aber blieb am Himmel stehen. Das war gut so. Der Bogenschütze aber in seiner Schmach verkroch sich in ein Erdloch, und weil er niemals wieder herauskam, nur ab und an eine Hand mit vier Fingern nach Gras ausstreckt, glauben die Menschen, in der Erdhöhle lebe ein Murmeltier.

12. Mai 2007

Gute Nacht