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GUTE-NACHT/2377: Kasperle und seine Freunde (SB)


Der neue Sandmann (3)

In der Werkstatt des Puppenbauers geht es heute ruhig zu. Keine Holzklötze werden zu Gliedmaßen zugesägt oder Rohlingen für Puppenköpfe geschnitzt. Auch gehämmert wird nicht. Der Puppenbauer sitzt an seinem Zeichentisch und stellt Entwürfe für neue Puppen her. Eigentlich möchte er eine Skizze für den Sandmann zeichnen. Doch irgendetwas hält ihn davon ab. Vielleicht ist es die Vorahnung, daß der große, schmale Fremde mit dem weißlichen Gesicht noch einmal auftauchen könnte. Ihm möchte der Puppenbauer keinen Hinweis auf sein neues Vorhaben in Bezug auf den Sandmann liefern.

Darum zeichnet der Puppenbauer ein klassisches Kasperleteam. Das besteht selbstverständlich zuerst einmal aus dem Kasper und der Großmutter, dann dem Räuber und dem Gendarm, sowie dem Krokodil und der Hexe, dem König und der Prinzessin und natürlich dürfen auch die Gretel und der Seppel nicht fehlen.

Die Figuren sollen diesmal um einiges größer werden als üblich. Außerdem will der Puppenbauer die Figuren modisch aufpeppen. Darum klemmt er dem Kasperl gleich ein Speadboard unter den Arm. Auch Seppel soll ein solches erhalten. Dann aber entscheidet sich der Puppenbauer doch dagegen. So ist der Seppel gezwungen, sich beim Kasperl dessen Speadboard auszuleihen, wenn er einmal fahren möchte. Kasperl jedoch wird es ablehnen, das Board herzugeben. Schon ist ein Konflikt im Gange, aus dem der Puppenbauer dann als Puppenspieler eine neue Geschichte um Freundschaft und miteinander Teilen entwickeln kann.

An der Tür klopft es. Der Puppenbauer schaut auf. Ob der Fremde wieder vor der Tür steht? Gut, daß der Rohling der Sandmannpuppe an diesem Tag oben bei den fertigen Puppen geblieben ist. "Warum bereitet der Fremde mir nur solch Unbehagen?" denkt der Puppenbauer, "es ist grad als würde er mir etwas wegnehmen, mich aussaugen."

Es klopft erneut. Diesmal sagt der Puppenbauer: "Herein!" Der Fremde, der schon einmal dieser Tage hier war, tritt ein und blickt sich im Raum weit weniger um als das letzte Mal. Ihn interessiert der Zeichentisch und die erst kürzlich entstandenen Figuren darauf. Dann fragt er: "Wo sind eure ganzen Puppen? Ich sehe hier in diesem Raum gar keine. Dabei habe ich immer gedacht, ein Puppenbauer umgibt sich gern mit all seinen Kindern." - "Kinder lieben das Licht und viel Platz. Darum sind die Puppen nicht hier in diesem stickigen Keller", kontert der Puppenbauer. Doch er ärgert sich schon gleich. Denn hat er dem Fremden nicht gerade verraten, daß seine Puppen irgendwo von ihm entfernt ohne seinen Schutz sind? "Ach, warum solche Gedanken?" fragt sich der Puppenbauer, "was soll ihnen schon geschehen?"

Als ob der Fremde die Gedanken des Puppenbauers gehört hat, entgegnet er: "Vieles kann geschehen, jeder sollte vorbereitet sein." Der Puppenbauer versucht sich nicht von seinen dunklen Gedanken hinabziehen zu lassen und fragt, was denn sein Kunde nun wünsche: "Ich möchte eine ganz besondere Puppe. Doch um einen Auftrag an sie zu erteilen, möchte ich einen Eindruck gewinnen, ob sie der richtige Puppenbauer für mich sind."

Am liebsten möchte der Puppenbauer sagen: "Ich bin nicht der geeignete Hersteller für sie." Doch er hält sich zurück. Nicht viel verdient der Puppenbauer durch das Schnitzen von Puppen. In der letzten Zeit ist diese Einnahmequelle sogar um einiges zurück gegangen. Deshalb sagt der Puppenbauer: "Am nächsten Wochenende zeigen meine Puppen und ich ein Stück in dem Gasthaus zur Schmiede. Wenn sie möchten, schauen sie doch dort am Abend herein." Der Fremde nickt und geht ohne noch etwas weiteres zu sagen. Dem Puppenbauer läuft ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Den Rest des Tages überläßt er die Werkstatt sich selber und geht hinauf in seine Wohnräume und zu seinen Puppen. Bis zur Aufführung am nächsten Wochenende hat er auch hier oben genug zu schaffen.

16. Juli 2007

Gute Nacht