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GUTE-NACHT/2383: Bickytorte mit Beigeschmack (SB)


Beim Einkaufen finden Oma Ella und Nele in der Obst- und Gemüseabteilung Blaubeeren. "In manchen Gegenden werden sie auch Heidelbeeren oder Bickbeeren genannt", erklärt Oma Ella. Von diesen schönen, dicken Beeren kaufen die beiden gleich drei Schälchen, denn sie sind heute besonders billig. Nur einen Euro und neun Cent will die Verkäuferin pro Schälchen kassieren.

Auf dem Heimweg freut sich Oma Ella noch einmal über das günstige Angebot. Nele möchte sie gleich probieren. "Ersteinmal waschen wir die Beeren. Naja, eine wische ich dir gleich ab", schlägt Oma Ella vor und nimmt eine Beere und ein sauberes Taschentuch und putzt die Beere vorsichtig sauber bis sie glänzt. Dann reicht sie Nele das schöne Exemplar. Nele steckt sie sich gleich in den Mund. "So eine Bickybeere hab ich noch nie gegessen. Aber sie schmeckt gut", findet Nele.

"Früher haben wir die Beeren selber gesammelt", beginnt Oma Ella zu erzählen, "an Sonntagen im Juli und August sind wir mit unseren 1-Liter-Milchkannen oder Eimern in den Wald gezogen und haben dort die niedrigen Büsche mit den kleinen eiförmigen und spitz zulaufenden Blättern gesucht. Es gab gute Plätze, die wir möglichst geheim hielten, damit nicht schon andere vor uns da waren und die Sträucher leerten."

"Wie bei den Gummibärchen", erzählt Nele, "die halten auch ihre Gummibeerbüsche geheim." - "Gummibärbüsche kenne ich nicht", staunt Oma Ella. Nele lacht: "Keine Bärchen, richtige Beerenbüsche." "Nun die kenne ich auch nicht. Aber wenn du willst, kann ich dir bei einem unserer Spaziergänge im Wald Heidelbeeren zeigen, wenn dort welche wachsen. An Stellen wo der Boden torfig ist, wachsen sie hervorragend. Leider sollen wir im Wald ja nichts mehr plücken. Seit über zwanzig Jahren habe ich keine Heidelbeeren mehr selber gesammelt. Damals war die Katastrophe von Tschernobyl. Danach haben wir nichts Eßbares mehr aus dem Wald geholt, keine Beeren und keine Pilze." Nele möchte wissen, was bei der Katastrophe von Tschernobyl geschehen ist. "Tschernobyl ist eine Stadt in der Ukraine. Dort stehen Kernkraftwerke, um Strom zu erzeugen. In einem dieser Kernkraftwerke kam es zu einem Reaktorunfall. Es war der bislang größte Unfall in der Geschichte der Nutzung der Kernenergie. Ich weiß noch, daß wir gerade im Garten waren, als es durch die Nachrichten ging. Opa kam aufgeregt angelaufen und sagte, wir sollten alle ins Haus kommen. Auch in den nächsten Tagen wurde geraten, sich nicht draußen aufzuhalten. Besonders die Kinder sollten nicht im Freien spielen. Deine Tante Rendel war zu der Zeit gerade zwei Jahre alt. Wir konnten nichts sehen und nichts riechen. Alles schien wie immer und dennoch lag die Gefahr in der Luft und wurde von dem so weit entfernten Land über den Wind zu uns hergetrieben. Aber viel schlimmer erging es den Menschen dort direkt vor Ort. Auch heute noch haben sie mit den Folgen des Unfalls zu tun." Oma wird ruhig. Nele merkt, daß sie noch weiter über diesen Vorfall nachdenkt.

Was damals geschehen war, mußte schon wirklich schlimm gewesen sein, wenn die sonst so lustige Oma jetzt so traurig wirkte. Und das alles wegen der Bickybeeren?


*


Inzwischen sind Oma Ella und Nele zuhause angekommen. Oma wäscht die Beeren und bereitet einen Kuchenboden vor. "Wir backen uns zum Kaffee eine leckere Torte und stecken auch einige der Beeren in Joghurt. Willst du sie ganz oder kleingemixt?" Nele zieht kleingemixt vor. Der vorher weiße Joghurt bekommt eine lilane Farbe. Noch etwas Vanillezucker hinzu und schon hat Nele den Nachtisch für das Abendbrot fertig. Doch ganz bis zum Abendbrot braucht Nele nicht zu warten. Sie darf den Mixerbecher schon vorher auskratzen. Der Joghurt schmeckt wirklich gut.

23. Juli 2007

Gute Nacht