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GUTE-NACHT/2468: Fliegen wie ein Vogel (SB)


Es war einmal ein Blatt, das sah hinauf in den blauen
Himmel und wünschte sich, fliegen zu können wie die
Vögel. "Das kannst du aber nicht", sagte da der Baum
an dem das Blatt hing, "wenn deine Zeit gekommen ist,
dann weht dich der Wind vom Ast und läßt dich langsam
zu Boden schweben. Nur wenn er will, hebt er dich noch
einmal hoch in die Luft oder treibt dich über dem
Boden dahin. Danach bleibst du da unten liegen. Das
gefiel dem Blatt überhaupt nicht. Lieber mochte es nur
am Baum hängen, als irgendwann auf dem Boden zu landen
und nicht mehr in die weite Welt blicken zu können.

Am nächsten Tag sah das Blatt auf den Fluß. Ein Schiff
segelte vorbei. Jetzt wünschte sich das Blatt, wie das
Schiff auf dem Fluß zu schwimmen. Da sagte der Baum:
"Eine Weile wirst du vielleicht mit dem Fluß
dahintreiben. Dann aber werden dich die Fische
entdecken, auf den Grund ziehen und fressen." Das
Blatt aber mochte nicht gefressen werden. Es wollte
eine große Reise unternehmen. Doch das schien nun in
weite Ferne gerückt.

Dann kam der Herbst und nur noch wenige Blätter hingen
am Baum. Der Gärtner kam und rechte alle Blätter unter
dem Baum zusammen. Den Haufen warf er anschließend auf
den Kompost. Das sah das Blatt und hielt sich nur um
so fester am Baum, um nicht in der dunklen Masse des
Komposts zu verschwinden.

Von Tag zu Tag aber verließen die Kräfte das Blatt
immer mehr. Bald würde auch dieses letzte Blatt vom
Baum gefegt werden. Da kam ein Vogel vorbei und machte
Rast auf dem Baum. Er wunderte sich, daß von den
vielen Blättern nur noch ein einziges hier oben hing.
"Wie kommt das nur?" fragte er. Da antwortete das
Blatt: "Der Wind hat sie alle mitgenommen. Aber ich
möchte nicht hinabsegeln und dort unten verkommen. Ich
möchte eine Reise in die weite Welt unternehmen." -
"Nichts leichter als das!" sagte der Vogel, "ich nehme
dich einfach in meinem Schnabel mit."


*


Nach diesem Absatz klappte Mama das Buch zu. Sie war
ganz müde geworden. Mareike forderte Mama auf, doch
weiter zu lesen. Aber als sie nur merkwürdige Sätze
von sich gab, wußte Mareike, daß sie den Rest der
Geschichte erst morgen erfahren sollte.

Gute Nacht

2. November 2007

Gute Nacht