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GUTE-NACHT/2568: Besuch im Häuschen am Hang (SB)


Besuch im Häuschen am Hang

Gestern war an Einkaufen nicht mehr zu denken gewesen. Deshalb schwingt sich Hedda gleich an diesem Vormittag auf ihr Rad und klappert den Bäcker, den Metzger, den Tante-Emma-Laden um die Ecke und einen Blumenladen ab. Im Blumenladen gibt es nur viel zu teure Blumen und alle sehen für Hedda viel zu künstlich aus. Das bestätigt sie mal wieder darin, daß Blumen am besten selbst gepflückt werden.

Wieder zuhause packt Hedda den Einkaufskorb leer, wäscht ab, räumt die Küche und die Stube auf - das Schlafzimmer ist nicht so wichtig, da braucht eh keiner hinein - und putzt zur Feier des Tages sogar die Treppe.

Ob sie noch ein "Herzlich Willkommen"-Schild anbringen sollte. "Na lieber doch nicht. Das sieht wohl ein bißchen übertrieben aus", überlegt Hedda. Im Grunde aber hat sie ihre Schwester, den Zwerg, schon lange nicht mehr gesehen.

Dann pünktlich wie im Brief angekündigt, erscheint der Zwerg um drei Uhr nachmittags an der Tür. Klingeln braucht die Schwester nicht. Die Haustür steht bereits offen. Hedda richtet gerade in der Küche den Kaffeetisch her.

"Hedda!", ruft eine Stimme, "wir sind da." Ach, richtig. Hedda hatte fast vergessen, daß ihre Schwester ja noch einen Überraschungsgast mitbringen wollte. "Ob sie mir ihren neuen Freund vorstellen will?", fragt sich Hedda.

"Laß dich umarmen, Zwerg!", begrüßt Hedda ihre Schwester, "und wo steckt mein Überraschungsgast? Etwa noch draußen vor der Tür?" Nein, der Gast versteckt sich hinter dem einen Bein von Zwerg. Jetzt entdeckt Hedda das kleine eingeschüchterte Mädchen. "Ein echter Zwergenableger!" denkt Hedda und dann erst begreift sie, daß ihre Schwester eine Tochter hat. Das Mädchen mag sechs Jahre alt sein. Hatte sie ihre Schwester schon so lange nicht mehr gesehen?

"Das ist Mandarina", stellt Zwerg ihrer Schwester die Tochter vor. "Oh mein Gott", denkt Hedda, mußte ihre Schwester mal wieder übertreiben? Konnte sie dem Mädchen nicht einen ganz normalen Namen geben wie Maria oder Anna oder so? Sicher würde die Kleine später in der Schule als Mandarine gehänselt werden oder so. Ging das Mädchen vielleicht schon in die Schule? Bestimmt aber in den Kindergarten und dort waren die Kleinen auch nicht immer freundlich zueinander.

Für den ersten Moment gelingt es Hedda die Kleine nicht auch mit Zwerg anzusprechen, obwohl sie einem solchen von der Größe her doch sehr nahe kommt. Hedda streckt Mandarina die Hand entgegen und sagt: "Guten Tag! Du bist also meine Nichte!" - "Guten Tag", erwidert die Kleine und ihre Hand fühlt sich in Heddas Hand wie die einer Elfe an, so leicht ist sie. "Wollen wir uns nicht setzen?" fragt Hedda und weist jedem einen Platz am Küchentisch hier in der kleinen Küche zu.

"Du hast es nett hier!" sagt Zwerg. "Ja, ganz nett, aber sehr klein", erwidert Hedda. Jetzt reicht sie jedem ein Teilchen vom Bäcker. "Möchtest du ein Glas Milch, denn Kaffee darfst du ja sicher noch nicht?" fragt sie ihre Nichte. Die nickt nur. "Ist mein Lieblingsgetränk", sagt Hedda und reicht ein Glas Milch weiter. Ein Gespräch kommt erst schleppend in Gang, obwohl nach so langer Zeit doch jeder eine Menge zu berichten hätte.

Nach einer Weile findet Hedda, daß es an der Zeit ist, mit Zwergmutter und Zwergenkind nach oben in die gute Stube zu gehen. "Hast du etwas zu spielen?" fragt Zwerg. Hedda überlegt. Aber außer ein paar Buntstiften und einem Blatt Papier hat sie nichts anzubieten. "Das ist gut. Mandarina malt gern", erklärt Zwerg. Das Mädchen erhält die Stifte und wird ein bißchen abseits vor das Fenster gesetzt. Hedda denkt, daß Zwerg darauf achtet, daß Mandarina gutes Licht für ihr Bild haben soll. Doch das ist nicht der Grund, warum Zwerg sie etwas weiter wegsetzt.

Zwerg will mit Hedda reden: "Mandarina kommt jetzt zur Schule. Doch ich bin ständig auf Achse. Mal habe ich hier einen Job, mal dort. Manchmal arbeite ich in der einen, dann in der anderen Stadt. Ich kann Mandarina nicht einem solchen Streß aussetzen, ständig die Schule zu wechseln. Sie braucht einen festen Platz." Hedda ahnt, was von ihr erwartet wird. Doch sie sagt: "Was ist mit Mutter?" Zwerg schüttelt den Kopf: "Unsere Mutter kann das nicht mehr. Sie hat noch unsere Großmutter zu versorgen. Da kann ich ihr nicht auch noch Mandarina überlassen." Hedda überlegt und sagt dann: "Findest du nicht, daß eine Studentin ein viel zu unregelmäßiges Leben führt, und deshalb auch nicht gerade in Frage kommt für die von dir angedachte Aufgabe? Und dazu noch eine Kunststudentin?" Zwerg findet das gar nicht: "Mandarina liebt es zu malen. Ihr werdet euch gut verstehen." - "Ab wann willst du die Kleine denn hierlassen?", fragt Hedda. "Nun, eigentlich ab jetzt", antwortet Zwerg.

Über diesen Gedanken muß Hedda wirklich gründlich nachdenken und am besten erst einmal darüber schlafen.

1. März 2008

Gute Nacht