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GUTE-NACHT/2570: Die Frau an der Wand im Häuschen am Hang (SB)


Die Frau an der Wand im Häuschen am Hang

Mandarinas Mutter rief am Morgen an, daß sie erst in zwei Tagen kommen kann. Hedda kann heute nicht wieder die Vorlesung ausfallen lassen. Deshalb nimmt sie Mandarina kurzerhand mit in die Uni. Den mittelgroßen Zeichenblock und ein paar Stifte nimmt Hedda ihr mit.

"Du kannst hier in der Cafeteria auf mich warten, dann sage ich Carla Bescheid, daß sie ein bißchen auf dich aufpaßt. Oder du kommst mit mir mit in die Vorlesung", läßt Hedda ihrer Nichte die Wahl. Aber das große Gebäude, das sehr merkwürdig gebaut ist, findet Mandarina etwas unheimlich. Deshalb geht sie lieber mit in den Hörsaal. Hedda setzt sie so, daß der Professor sie nicht gleich sehen kann, denn eigentlich sind außer den Studenten zu den Vorlesungen nur Gasthörer zugelassen.

Während der Professor über die Wirkung von Werbung in den verschiedenen Medien spricht, ist Mandarina ganz in ihre eigene Zeichenarbeit vertieft. Sie malt einen riesigen grauen Raum mit großen Fenstern. Dann sind da viele Bänke. Bunte Punkte stellen die Menschen dar, die auf den Bänken sitzen. Als die Vorlesung beendet ist, schließt auch Mandarina ihr Bild ab. "Das ist dein Verhörsaal", sagt Mandarina, als Hedda das Bild betrachtet. "Es heißt Hörsaal", stellt Hedda richtig, obwohl sie Verhörsaal auch nicht völlig verkehrt findet. Denn als sie im letzten Jahr hier ihre Aufnahmeprüfung hatte, empfand sie die Prüfung einem Verhör schon sehr ähnlich.

"Darf ich morgen wieder mitkommen?" fragt Mandarina. "Wenn du wieder so ruhig bist, dann habe ich nichts dagegen", bejaht Hedda damit Mandarinas Frage. Auf dem Heimweg zum Häuschen halten die beiden noch beim Bäcker und kaufen jedem eine große Salzbrezel. Zuhause gibt es wieder gebratenes Brot, diesmal mit Quark. Hedda hat aus dem Topf auf dem Fensterbrett etwas Schnittlauch abgeschnitten. Damit würzt sie den Quark.

Langsam wird es draußen dunkel. Auch heute schläft Mandarina wieder mit Hedda im Wohnzimmer. An der schmalen Seite des Raumes ist ein riesiger Frauenkopf gemalt und eine Hand, auf der ein Vogel sitzt.

"Ich möchte auch gern in meinem Zimmer die Wände anmalen. Aber das darf ich nicht. Wir ziehen so oft um, da will Mama das nicht", erzählt Mandarina. "Wenn ihr länger an einem Ort wohnt, darfst du das bestimmt. Oder wenn ihr in eine Wohnung zieht, die deine Mama selber herrichtet, dann darfst du sicher dein Zimmer auch selber streichen und anmalen." Eine kurze Pause entsteht, dann fragt Mandarina: "Darf ich denn bei dir eine Wand anmalen?"

Die letzte Frage zeigt Hedda, daß ihre Nichte sicher schon weiß, daß sie die nächste Zeit hier in diesem Häuschen mit Hedda leben wird, denn ihre Mama ist ständig an unterschiedlichen Orten unterwegs. Eigentlich dachte Hedda, daß sie noch eine Wahl hätte oder sich ihre Schwester das mit Mandarina noch einmal anders überlegen wird. Aber jetzt ist sie sich sicher, die kleine Nichte wird mindestens ein Jahr bei ihr bleiben. Da wird es Zeit, etwas für die Kleine zu tun. Die Schule muß ausgesucht werden, in die Mandy nach den Sommerferien gehen wird. Bis dahin, zumindest bis zu den Semesterferien, muß sie versorgt sein, wenn Hedda in die Vorlesungen geht. Ein sechsjähriges Mädchen kann schließlich nicht den halben Tag allein zuhause bleiben. Mandy braucht auch ein eigenes Zimmer. "Und darin möchte sie sich eine ganze Wand anmalen", Hedda lacht und denkt, "also gut, Mandy bleibt hier und morgen räumen wir das Haus so ein, daß wir beide PLatz darin haben." Mandy sagt sie noch nichts davon, sie möchte sie damit überraschen.

"Gute Nacht, Mandy!" - "Gute Nacht, Tante Hedda!"

4. März 2008

Gute Nacht