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GUTE-NACHT/2611: Felix in der Tiefgarage (SB)


Wenn der Tiger eine Reise macht

Hey, da seid ihr ja wieder. Sicher möchtet ihr wissen, wie meine Reise in Lübeck weiter verlief. Nun, ich muß gestehen, Schlafen ist eine Lieblingsbeschäftigung von mir. Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß ich die ganze Autofahrt bis zu der berühmten Hafenstadt Lübeck ganz und gar verschlief. Ich erwachte erst, als Vater Gustav anhielt.

"Tiger!" sagte ich zu mir selbst ganz erstaunt, "habe ich etwa so lange geschlafen und es ist schon Abend geworden?" Doch da erkannte ich, daß wir in irgendeinem Keller parkten. Vater Gustav sprach gerade mit einem anderen Autofahrer, der neben uns hielt: "Zwar ist es hier im Parkhaus ein wenig teurer als auf anderen Plätzen. Dafür habe ich aber einen Stellplatz mitten in der Stadt." Also waren wir in einem Parkhaus gelandet. Das fand ich ein bißchen komisch. Ein Park-haus. Ich konnte gar keine Bäume sehen, nur das Haus.

Vater Gustav beugte sich nun noch einmal in unseren Wagen und holte seine Jacke heraus. Sein Blick fiel auf mich. "Sei schön artig, Tiger, und brüll nicht herum, sonst sperren sie dich womöglich noch in den Zoo. Luisa wird mir nicht verzeihen, wenn ich ohne dich wieder nach Hause komme. Also mach's gut. Paß auch schön auf unseren Kahn hier auf und wehr dich, falls den alten Kasten einer klauen will."

Seine Worte sagte er wohl zum Scherz. Er hatte gute Laune und glaubte sicher nicht wirklich daran, daß ich ihn überhaupt verstehen konnte. So gab ich auch keinen Laut zurück, versuchte auch nicht, durch das Bewegen meines Schwanzes anzuzeigen, daß ich seinen Auftrag verstanden hatte. Ich wollte schon dafür sorgen, daß keiner dem Auto zu nahe kam.

Mit dem Mann vom Nachbarwagen verschwand Vater Gustav. Wie lange würde er wohl fort bleiben. Das hatte er nicht gesagt. Ärgerlich fand ich nur, daß hier unten nichts los war. Zum Glück stand das Fenster einen Spalt offen. Doch es war nicht gerade frische Luft, die hereindrang. Ganz gemütlich kuschelte ich mich auf meinem Platz zusammen.

Nach einer Weile hörte ich Stimmen. Zwei Männer in Uniform kamen auf unseren Wagen zu. "Du", sagte der eine, "hier hat ja einer sein Autofenster offen gelassen." Er zeigte direkt auf den Wagen, in dem ich saß. "Wir sollten den Wagen besonders im Auge behalten. Damit es nachher nicht heißt, die Wachleute hätten geschlafen." Also Wachmänner waren die beiden. Deshalb trugen sie die Uniform. Aber warum wollten sie bloß das Auto im Auge behalten. Da sagte der zweite Wachmann: "Ich hätte nicht übel Lust, das Auto einfach abschleppen zu lassen." - `Was? Mich zu verschleppen? Womöglich in den Zoo?', ich spitzte die Ohren. Nun sagte der erste Wachmann wieder etwas: "Wir können das Auto doch nicht einfach abschleppen lassen. Es parkt genau richtig." Da entgegnete der andere: "Denk mal an die Prämie, die wir kassieren!"

Prämie! In meinem Kopf begann es zu kreisen. Luisa hatte mir mal eine Tigergeschichte vorgelesen, in der ein Jäger eine Prämie bekommen hatte, weil er ein wildes Tier nach langer Jagd wieder einfing. Ich wollte mich aber nicht einfangen lassen. So behielt ich die beiden Männer gut im Auge. Der zweite Wachmann berichtete dem ersten: "Da gab es kürzlich so einen Fall. Ein Autofahrer hat seinen Wagen geparkt, aber vergessen das Fenster zu schließen. Da holten die Polizisten den Abschleppdienst, um das Auto in Verwahrung zu nehmen. Das Abschleppen kostete den Autofahrer eine Stange Geld. Darüber war er sehr erbost und ging vor Gericht. Denn schließlich hatte er nicht mal falsch geparkt, nur sein Autofenster vergessen zu schließen. Doch leider mußte er die Kosten selber tragen, denn die Polizei erklärte, sie habe dem Autofahrer doch nur einen Gefallen getan. Durch das offene Fenster hätten sich Diebe leicht Zugang zum Inneren des Autos verschaffen können." - "Mhm", knurrte der erste Wachmann, während der zweite ihn aufforderte:" Komm jetzt! Du rufst den Abschleppdienst und zwar bevor der Fahrer zurück ist."

Jetzt begriff ich. Die wollten nicht mich, sondern das ganze Auto verschleppen! Das durfte ich nicht zulassen! Hatte nicht Vater Gustav mir aufgetragen, gut auf das Auto aufzupassen! Ich stellte meine Vorderpfoten auf das Lenkrad und begann kräftig Alarm zu schlagen. Jetzt erst bemerkten die beiden Wachmänner meine Anwesenheit. Sie wichen zurück. Doch der Gauner von Wachmann, der den Abschleppdienst rufen lassen wollte, hatte nun eine neue Idee und pfiff seinen Kollegen zurück.

"Hey, Männe!", rief er, "da sitzt ein Tiger im Wagen. Das darf doch nicht wahr sein!" Nun näherte sich auch der andere Wachmann wieder dem Wagen. "Kann der durch den Spalt im Fenster ausbrechen? Laß uns lieber abhauen. Das ist mir nicht geheuer!" - "Feigling!" zischte da der andere Wachmann, "das ist unsere Chance. Wir verkaufen den Tiger an den nächsten Zoo. Das bringt mehr Geld ein als die Prämie." Während die beiden Wachmänner überlegten, wie sie mich in ihre Hände bekommen konnten, ohne gebissen zu werden, lärmte ich und brüllte, was ich nur konnte. Vater Gustav sollte endlich zurückkommen. Der würde den beiden Wachleuten schon die Meinung sagen.

Plötzlich knallte die Autotür und der Wagen ruckelte. Vater Gustav warf sich auf den Fahrersitz. "Na! Alles klar?", lachte er. Wo waren die beiden Wachmänner geblieben? Und wieso stand das Autofenster gar nicht mehr offen? Hatte Vater Gustav es gerade hochgekurbelt? Oder war es vielleicht gar nicht offen gewesen? Über diese Fragen grübelte ich jetzt nach. Doch nicht lange, denn schon ging die Fahrt wieder los. Davon aber erst morgen mehr. Sicher müßt ihr euch auch noch von dem Erlebnis mit den beiden Wachmännern erholen. Oder waren es gar keine Wachmänner sondern Traummänner?


Erstveröffentlichung am 11. Oktober 2001

22. April 2008

Gute Nacht