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GUTE-NACHT/2820: Spinnstube (SB)


Gute Nacht Geschichten - Familiengeschichten


Auf dem Sofa im Wohnzimmer liegt eingekuschelt in eine Decke der kleine Tim. In der zweiten Sofaecke schläft seine Schwester. Tim ist nur ein Jahr älter als die Schlafende, aber er besteht darauf, ihr großer Bruder zu sein. Beide haben noch drei ältere Schwestern, und die haben Freunde. Oma Ella wohnt auch mit im Haus. Sie sitzt hier im Wohnzimmersessel und strickt an einer Socke, wie stets. "Selbstgestrickte Socken sind viel wärmer", sagt Oma Ella, wenn sie gefragt wird, warum sie sich die Mühe macht, die Socken selber herzustellen. Meist fügt sie dann noch an: "Das habe ich schon immer so gemacht."

Wenn Oma Ella strickt, hat sie Zeit, Geschichten zu erzählen. Sie handeln von früher. Aber auch Märchen kennt sie viele. Doch Tim ist heute nicht in der Stimmung für Märchen. Er möchte, daß der Fernseher läuft. Oma aber ist der Meinung: "Der Flimmerkasten gehört für euch beide aus, wenn das Sandmännchen vorbei ist." - "Dann erzähl du!", fordert der Junge sie auf. "Wie heißt das Zauberwort", flüstert Oma Ella. "Bitte!", sagt Tim.


*


Früher einmal gab es Riesen. Einer der Riesen hatte immer kalte Füße, denn er lebte ganz im Norden. Weil er aber ständig kalte Füße hatte, nutzten ihm seine vielen Felle, die er um sich trug kaum etwas. Seine Füße blieben kalt und er holte sich jedesmal einen Schnupfen, sobald er nur vor seine Höhle trat. So blieb er denn den ganzen Tag in der Höhle auf den Fellen liegen und rief wenn er etwas brauchte so laut, daß das ganze Dorf, welches am Fuße des Berges lag, zusammenkam. Sie hörten, was er verlangte und schon sputeten sie sich, ihm alles zu bringen. Das ging eine ganze Zeit so. Die Dorfbewohner brachten ihm zu essen und zu trinken und manches Mal auch Kleidung. Das ging so lange gut, bis die Dorfbewohner selbst nichts mehr hatten, was sie ihm bringen konnten. Da wurde der Riese böse. Er war durch die Versorgung der Dorfbewohner ganz verweichlicht und schimpfte nur noch.

Eines Tages, als er wieder einmal die ganze Dorfgesellschaft verschreckt hatte, trafen sich die Dorfbewohner, um zu beraten. "So geht das nicht mehr weiter", schimpften sie, "wir haben ja bald nichts mehr zu essen." Da sie aber nicht wußten, was sie machen sollten, erinnerten sie sich der Ältesten unter ihnen und besuchten sie in ihrem Haus. Sie hatte sich nicht auf die Geschichte mit dem Riesen eingelassen und war ihre eigenen Wege gegangen. "Hilf uns!", baten die Dorfbewohner. Die Alte hatte keine Angst vor dem Riesen. Sie ging sogar in seine Höhle hinein. Sie ließ sich dabei vom Riesen nicht erblicken, lediglich ihren großen Schatten an der Wand konnte der Riese sehen, so daß er annahm, ein größerer Riese sei hier ins Land gekommen. Das machte ihm Angst.

Die Alte fragte nun listig, warum er denn hier den ganzen Tag in der Höhle liege und nicht mit seinen starken Kräften, den Bewohnern des Dorfes zu Hand ginge. Der Riese klagte sein Leid und zeigte dem Schatten an der Wand, seine kalten Füße.

"Dummkopf!", schalt die Alte den Riesen, "da läßt sich Abhilfe schaffen." Die Alte zog sich zurück, und der Schatten verschwand an der Wand. Die Alte war eine Heilerin und kannte sich mit Kräutern und allem möglichen aus. Sie hatte sofort erkannt, daß dem Riesen zu seinem Glück, ein paar dicke Socken fehlten. Alle Frauen des Dorfes versammelten sich nun und strickten ihm ein Paar riesiger Socken. Die Alte brachte sie dem Riesen, gab sie ihm aber nicht sogleich. Sie handelte aus: "Ich habe hier etwas, daß dir hilft, nie mehr kalte Füße zu haben. Du erhälst es aber nur, wenn du versprichst diese Höhle und das Dorf für immer zu verlassen." Dem Riesen, dem es mittlerweile ganz langweilig in seiner Höhle geworden war, versprach es. Da überreichte die Alte ihm die beiden Socken, die so groß wie Bettbezüge waren. Der Riese zog sie sogleich an und hatte von nun an immer warme Füße. Er hielt sein Versprechen und verschwand. Im Dorf freuten sich die Bewohner und feierten ein Fest. Weil den Frauen das gemeinsame Stricken der Riesensocken zu gut gefallen hatte, trafen sie sich von nun an häufiger, um gemeinsam an etwas zu arbeiten. So entstand in dem Dorf die erste Spinnstube, in der die Frauen an langen Winterabenden zusammensaßen, strickten oder nähten und sich Geschichten erzählten.

2. Januar 2009

Gute Nacht