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GUTE-NACHT/2917: In die Falle gegangen (SB)


Gute Nacht Geschichten


An diesem Tag hätte sich Sokrates gern in seinem dunklen schwarzen Schrank wiedergesehen. Darin war es immer schön kühl und wenn er es warm haben wollte, brauchte er sich nur in dem Stroh zu verkriechen, mit dem seine Nesthöhle ausgepolstert war. Wasser und Futter standen gleich in Reichweite. Der Schrank war groß genug, um sich einen ganzen Tag darin zu vergnügen. In die Porestaklötze kratzte Sokrates Gänge und Höhlen hinein. War kein Fleck mehr zu erobern, sorgte Georg stets dafür, daß er neue Klötze aus Poresta in seinen Schrank bekam. Schon allein wegen des Gestanks nach Urin und Kot wechselte sein Mensch das Innere des Schrankes von Zeit zu Zeit aus.

Hier in dem Käfig war viel weniger Platz und es gab nichts zu tun, denn Poresta zum Aushöhlen war hier nicht vorhanden. Nur das Laufrad des Vorbesitzers, eines Hamsters, bot etwas Abwechslung. Eigentlich war es viel zu groß und zu schwer zu drehen für Sokrates. Doch er tat sein bestes, um sich die Zeit zu vertreiben.

Sein neuer Mensch Gunnar spielte ab und zu mit ihm oder ließ ihn in einem abgegrenzten Gebiet in der Wohnung herumlaufen. Sokrates wünschte, er könnte in der ganzen Wohnung spazieren gehen. Er würde auch brav jeden Abend in seinen Käfig zurückkehren. Doch Gunnar traute ihm wohl nicht. Vielleicht hatte er auch nur Angst, Sokrates könnte verloren gehen oder ihm könne etwas zustoßen. Das wäre undenkbar. Schließlich hatte er seinem Freund Georg versprochen, auf dessen Maus zu achten, als wäre es ein anderer lieber Gefährte.

Sokrates langweilte sich mal wieder. Er war noch nicht lange wach, hatte schon gegessen und getrunken und verbrachte nun die nächsten Minuten damit, sich zu putzen. Doch da er keine Katze war, würde diese Zeremonie bald zu Ende sein.

"Was fange ich nur heute an?", fragte sich Sokrates, als er dann auch das letzte Stückchen seines nackten Schwanzes abgeschleckt hatte. "Vielleicht sollte ich doch einmal versuchen, aus dem Käfig heraus zu gelangen. Schließlich ist ein Hamster viel dicker als ich", dachte Sokrates bei sich und untersuchte den Käfig nach jeder nur erdenkbaren Möglichkeit. Fand aber nichts. Dann hatte er plötzlich eine Idee. "Wie wäre es, wenn ich so tue, als wäre ich entwischt. Ich lasse mich einfach nicht mehr blicken. Dann wird Gunnar vielleicht die Käfigtür offen stehen lassen, damit ich wieder hineinkommen kann, und ich kann wirklich entwischen."

Sokrates ließ sich also den ganzen Tag nicht mehr außerhalb seines Hauses blicken. Wenn Gunnar nach ihm rief und ihn versuchte herauszulocken, verkroch er sich sogar in der hintersten Ecke und zog sich etwas Stoh vor sein Schnäuzchen. Gunnar lockte mit besonderen Leckereien. Er wollte, daß Sokrates endlich aus seinem Häuschen heraus kam. Doch das Mäuschen blieb eisern. Er mußte schließlich so tun, als sei er gar nicht mehr da.

Gunnar blieb jetzt nichts anderes mehr übrig, als in dem Haus nachzusehen, ob Sokrates darin war oder nicht. Darauf hatte Sokrates gewartet. Er krallte sich mit aller Kraft an der Innenwand des Häuschens fest und durfte nun nicht herunterfallen. Zu Hilfe kam ihm ein Stöckchen, das sich bereits seit längerem in dem Häuschen verkantet hatte. Darauf stand Sokrates mit seinen Hinterbeinchen, während er sich mit den Vorderbeinen an der Wand festkrallte.

Das Häuschen in die Luft gehoben, aber nicht umgedreht, staunte Gunnar nicht schlecht. "Da ist mir der kleine Kerl doch wirklich ausgebüxt", stöhnte Gunnar und tat nun genau das, was Sokrates erwartet hatte. Gunnar ließ die Klappe offen, damit Sokrates wieder in den Käfig zurückkehren konnte. Dann legte er sich auf die Lauer. Denn wenn das Mäuschen wieder im Käfig war, wollte er von außen alles dicht machen.

Menschen sind zwar aufmerksam, lassen sich aber leicht ablenken. Außerdem werden sie schnell müde und schlafen dann auch bald ein. Das wußte Sokrates. Woher, das tut hier erst einmal nichts zur Sache beitragen. Jedenfalls verließ sich Sokrates darauf, daß Gunnar gegen Abend sehr müde werden würde. Wenn er dann eingeschlafen war, konnte sich Sokrates hinausschleichen. Daß Gunnar vorsichtshalber auch eine Lebend-Mausefalle aufgestellt hatte, hatte Sokrates sehr wohl beobachtet. Darin würde er sich nicht fangen lassen.

Als der Abend weiter fortschritt und Gunnar die Augen nicht mehr offen halten konnte, verließ Sokrates völlig lautlos den Käfig und verschwand auf dem Wohnzimmerschrank.

25. April 2009

Gute Nacht